Zerlegbar, reparierbar, recycelbar: Diese Neuheiten von den „3 Days of Design“ in Kopenhagen zeigen, wie verantwortliches Gestalten in der Möbelindustrie funktionieren kann.
Von Jasmin Jouhar
Kopenhagen fühlt sich nach besserer Zukunft an. Fahrradfahrer*innen haben häufig Vorfahrt, für Fußgänger*innen gibt es ebenfalls viel Platz. Mitten in der Stadt entstehen Bürogebäude mit Holzkonstruktion hinter der schicken Glasfassade. Und direkt neben dem Opernhaus, auf einer Insel im Hafen, wurde kürzlich ein Park angelegt, mit einem luftig-leichten Restaurantpavillon vom Architekturbüro Cobe. Allerdings verbirgt sich unter dem öffentlichen Grün ein zweigeschossiges Parkhaus für die benachbarte Oper. Denn in Kopenhagen wird eben nicht nur Lastenrad, sondern auch immer noch viel Auto gefahren, und bei weitem nicht nur elektrisch. Bei aller gefühlten Normalisierung eines nachhaltigeren Lebensstils: Widersprüche gibt es auch in der Öko-Hauptstadt reichlich, angefangen bei den Lieferwagen, die ungeniert auf Rad- und Fußgängerwegen parken.
Die diesjährige Ausgabe der „3 Days of Design“ war in diesem Sinne ein Abbild der Stadt, in der sie stattgefunden haben. Die, so heißt es, nach dem Salone del Mobile bedeutendste Leistungsschau der Wohnmöbelbranche, war einerseits ein „Weiter so!“ einer Industrie in wirtschaftlichen Turbulenzen, ähnlich wie die Mailänder Messe im April. Aber es gab sie auch, die Neuheiten und Initiativen, die beweisen, wie normal und selbstverständlich nachhaltigeres, bewussteres Gestalten und Wirtschaften heute schon sein kann – Schritte in Richtung einer besseren Zukunft, die in Mailand oft vermisst wurden.
Die Summe der Teile
Beispielsweise Polstermöbel. Sofas, Sessel und Verwandte gehörten bislang zu den kompliziertesten Typologien, wenn es um kreislauffähige Gestaltung geht. Die einzelnen Bestandteile sind nach herkömmlicher Bauart verklebt, umschäumt oder anderweitig untrennbar miteinander verbunden, sodass Recycling nur mit hohem Aufwand möglich wäre. Zudem kann das weit verbreitete Polstermaterial Polyurethanschaum bislang lediglich downgecycelt werden. Nachdem Stefan Diez mit seinem Sofa „Costume“ für Magis gezeigt hatte, dass es auch anders geht, wird das Konzept eines kreislauffähigen Polstermöbels jetzt im Markt normalisiert. Etwa Vitras neues Sofa „Anagram“, entworfen vom Designstudio Panter Tourron aus Lausanne: Im Kopenhagener Showroom war das modulare System Vitra-typisch zu verschiedenen, sehr wohnlichen Szenarien arrangiert. Dass die Polster nur lose auf dem Aluminiumrahmen der Basis liegen, dass die Lehnen und Tischchen nur in den Rahmen eingehängt sind, und dass die Bezüge abgenommen und die Füllung ausgetauscht werden kann – das sieht man dem System nicht an. Und es funktioniert: Die Lehnen lassen sich tatsächlich mit einem Handgriff abnehmen. Dank einer Vertiefung verrutscht das lose Polster nicht. Das Gros der Materialien, aus denen „Anagram“ besteht, ist bereits recycelt.
Sofa „Anagram“ von Vitra in Zusammenarbeit mit dem italienisch-französischen Designerduo Panter&Tourron.
Nut und Reißverschluss
Auch die dänische Designmarke Moebe hat es geschafft, ein komplett zerlegbares Sofa zu entwickeln. Anders als „Anagram“ basiert das „Modular Sofa“ auf einem sehr skandinavisch wirkenden Holzrahmen, der lediglich mit Öl versiegelt ist. Die Polster werden mithilfe einer Nut reversibel am Gestell befestigt. Wie bei allen seinen Produkten verspricht Moebe, Ersatzteile für das Sofa bereitzuhalten. Eine so sinnfällige und wie elegante Lösung, um Polster abziehen zu können, hat Erwan Bouroullec für seinen Loungechair „Arba“ gefunden. Sowohl Rückenlehne als auch Sitz verfügen über einen präzise um die Kante geführten Reißverschluss, der beide Hälften des Bezugs zusammenhält. Das darunterliegende Polstermaterial ist allerdings noch fest mit der tragenden Schale verbunden. Weitere Pluspunkte des Entwurfs für Raawii: Der Stuhl ist komplett zerlegbar und kann als „flatpack“ ausgeliefert werden.
Zerlegbares Licht
In Beleuchtungsfragen bedeutete Nachhaltigkeit lange nur Energieeffizienz. Als ob eine Leuchte so immateriell wäre wie das Licht, das sie spendet. Doch bei den 3 Days of Design zeigten einige der Neuheiten, dass auch hier der Fokus scharfgestellt wurde. Nach der voll zerlegbaren Leuchte „Ayno“ von Stefan Diez hat die Hamburger Marke Midgard nun mit „Loja“ einen Entwurf vom deutschen Designerkollegen Sebastian Herkner vorgestellt. „Loja“ ist mit ihrem voluminösen Glaskörper habituell zwar das Gegenteil der spindeldürren, wankelmütigen „Ayno“. Doch für Reparatur oder Recycling kann auch sie in ihre Einzelteile zerlegt werden. Der Papierschirm thront lose obenauf wie ein Hut und kann je nach Lichtbedarf verschoben werden. Die Technik sitzt in einer Basis aus Stahl, Trafo und LED lassen sich ohne Werkzeug austauschen. Ähnliches Konzept, gestalterisch ein vollkommen anderes Ergebnis: Der dänische Traditionshersteller Le Klint präsentierte „Spot“, einen Entwurf von Pascal Hien aus Berlin. Die kleine Leuchte mit Metallgestell und Kunststoffschirm funktioniert als Tisch- und Wandbeleuchtung. Der Kopf lässt sich kippen, und zusammengehalten wird das Ganze lediglich von einer Klemme.
Nachwachsend
Holz gilt seit jeher als nachhaltiges Material, und viele Möbelhersteller haben sich lange auf dieser Annahme ausgeruht. Das Label FSC-zertifiziert reichte, um Glaubwürdigkeit zu signalisieren. Nun ist das Label durchaus umstritten, und langsam sickert die Erkenntnis ein, dass es nicht zwangsläufig verantwortungsvoll ist, Holz zu verwenden. Neben der Frage, wie und wo das Holz angebaut wurde, stehen die allgegenwärtigen Lackierungen in der Kritik, weil sie Kunststoffe enthalten. Lackiertes Holz kann nicht einfach in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden. Manche Hersteller verzichten deshalb darauf, ihre Möbel zu lackieren. Vaarnii etwa liefert sein neues „Aamu“-Bettgestell aus Kiefer lediglich mit geölter Oberfläche aus. Auch Sperrholz oder Schichtholz können am Ende des Produktlebenszyklus zum Problem werden, denn sie werden mit Leim auf Kunstharzbasis hergestellt. Eine Alternative zu den omnipräsenten Sitzschalen aus Holz präsentierte die dänische Marke Please Wait to be Seated: den „Flax“-Stuhl. Der stapelbare Stuhl mit Stahlgestell verfügt über Sitz- und Rückenschale aus einem Komposit aus Flachsfasern und Polypropylen (PP). Die Fasern sind ein Abfallprodukt der Textil- und Lebensmittelherstellung. Wegen des Anteils an PP sind auch die Schalen von „Flax“ nicht biologisch abbaubar. Aber die beiden Bestandteile des Komposits ließen sich, so betonte Geschäftsführer Peter Mahler Sørensen in Kopenhagen, durch in Recyclingverfahren rückgewinnen und wiederverwenden.
Das Kleingedruckte ausstellen
Dass – bei aller Normalisierung – noch viel Luft nach oben ist in der verantwortlichen Gestaltung, zeigte die Ausstellung „Re Think“ im Showroom von Kvadrat. Statt eigene Neuheiten vorzustellen, hatte die dänische Textilmarke Gestalter*innen, Architekt*innen und Künstler*innen eingeladen, Projekte rund das Thema Nachhaltigkeit zu entwickeln – unter Verwendung von Kvadrat-Textilien. Designer Fernando Laposse aus Mexiko erinnerte mit dem Beitrag „The Good Shepard“ daran, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht ausreicht, um unsere Lebensgrundlage zu erhalten. Im Sinne des regenerativen Designs müsse der Erde mehr zurückgegeben werden als genommen. Das Konzept machte er mit der Dokumentation eines Projekts im Sisalanbau anschaulich. Besonders eingängig war die Installation „Tag“ des britischen Designers Maxwell Ashford. Er ließ zehn farbige Tragetaschen aus verschiedenen Kvadrat-Stoffen von der Decke baumeln. Sie waren außen mit einem Etikett versehen, wie sie sonst in Bekleidung eingenäht werden. Auf der Vorderseite waren jeweils zwei Zahlen ausgewiesen: die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung der jeweiligen Tasche entstanden sind, und die ökologischen Kosten, die sie insgesamt verursacht, berechnet nach den Richtlinien des sogenannten Life Cycle Assessment. Auf weiteren Blättern des Etiketts schlüsselt Ashford diese Informationen kleinteilig auf, etwa nach Auswirkungen der Produktion auf Wasser- und Luftqualität. Fazit: Wenn es die Industrie ernst meint mit der Nachhaltigkeit, müsste eigentlich jedes Möbelstück, jedes Accessoire und jedes Textil künftig mit so einem Etikett versehen sein – für maximale Transparenz, was die Umweltauswirkungen angeht. Bei Kvadrat jedenfalls, so versicherte die Pressesprecherin, arbeite man daran.
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