Die Sesamstraße, produziert vom NDR, feiert in diesem Jahr 50. Jubiläum. Eine große Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg beleuchtet aus diesem Anlass die wilden Ideen und Designprozesse, die zu dem TV-Klassiker geführt haben. Wir sprachen mit der Direktorin Tulga Beyerle über ihre Haltung zu Design und Branding.
Interview von Gerrit Terstiege.
Frau Beyerle, wie ist die bisherige Resonanz auf Ihre Sesamstraßen-Ausstellung? Ich könnte mir vorstellen, es ist zurzeit ungewöhnlich voll, laut und bunt in Ihrem Haus.
Unser Haus ist vor allem an den Wochenenden sehr wuselig und gut besucht. Das ist eine große Freude. Wir beobachten, dass die Menschen schon mit Frohsinn reingehen, und dann noch viel strahlender und fröhlicher rauskommen.
Sie haben aktuell auch sicher ein anderes Publikum als sonst – das sich vielleicht gar nicht in erster Linie für Gestaltung interessiert, richtig?
Vermutlich. Das Haus hat in der Vergangenheit bereits Ausstellungen mit populärer Ausrichtung gemacht. Das hat auch dazu geführt, dass sein Profil ein bisschen diffuser war. Zum Beispiel gab es eine Udo-Lindenberg-Ausstellung, von der mir die Leute bis heute vorschwärmen. Oder eine mit Arbeiten von Otto Waalkes, die großen Zulauf hatte. Viele Leute sagen über das MK&G: „Das ist mein Lieblingshaus.“ Es gibt sehr positive Konnotationen seitens des Publikums. Bei der Sesamstraße haben wir uns jetzt darum bemüht, genau hinzusehen: Wie entstehen solche Puppen eigentlich? Wie wird Trickfilm gemacht? Wie werden Sende-Formate entwickelt? Was ist Set-Design? All diese Aspekte kommen ja vor und entsprechen meinem Ziel, das MK&G klar als Haus der Gestaltung zu positionieren.
Beim Durchblättern und Lesen Ihres Ausstellungs-Magazins versteht man auch: Die einzelnen Figuren der Sesamstraße sind regelrechte Brands, die sich zum Beispiel auf die Farben der Pullover, auf markante äußere Merkmale reduzieren lassen. Das Krümelmonster ist in Ihrem Heft einfach nur ein großes Glubschauge, ein Keks, und dieses blaue „Gewuschel”. Also jede der wirklich starken Figuren der Sesamstraße ist ein eigener Brand und mit einer starken Persönlichkeit aufgeladen, sofort wiedererkennbar.
Ja. Und das muss man erst einmal hinkriegen, Figuren so zu entwerfen, dass sie nicht altern. Die sind zeitlos gut.
Auch das Verhältnis zum Beispiel zwischen Ernie und Bert hat sich ja nie geändert. Ernie wird immer der freche, Grenzen überschreitende Charakter sein. Und Bert der Vorsichtige, der sich aufregt und nach hinten kippt. Aber warum ist die Sesamstraße überhaupt relevant im Kontext Design?
Die Ausstellungsmacher haben sich vorgenommen, diese Geschichte der deutschen Sesamstraße, inklusive der Protagonisten, die daran beteiligt waren, wirklich genau zu erarbeiten. Und eine Ausstellung zu machen, mit der auch die Nerds, also die echten Fans, zufrieden sind. Aber auch jene, die einfach gern nostalgisch an ihre Kindheit zurückdenken. Dann gilt es natürlich auch die heutigen Kinder, die ja mit einem völlig anderen Medienangebot aufgewachsen sind, für die Themen und Exponate zu gewinnen. Und es kommen eben auch die Großeltern. Dass die Ausstellung für alle etwas bietet, war uns wichtig.
In Ihrer Heimat Österreich hat der ORF die Sesamstraße ja früher nicht ausgestrahlt, aber sie war über deutsche Sender dort zu empfangen. Haben Sie persönliche Erinnerungen an die Sesamstraße? Eine Lieblingsfigur?
Ja. Meine persönliche Beziehung reicht an die Anfänge der Sendung zurück: Mein Vater war beruflich ein Jahr den USA – und wir sind als Familie mitgegangen. Ich war 1970 und 1971 in Cincinnati, Ohio und habe die Sesame Street über drei Schallplatten kennengelernt, die ich rauf und runter gehört habe. Jeden Song konnte ich auswendig, natürlich auf Englisch. Aber wenn Sie mich nach meinem absoluten Liebling fragen – das ist das Cookie Monster.
Wunderbar, das führt mich zu den amerikanischen Wurzeln der Serie. Die werden aufgegriffen, aber nicht so stark thematisiert. Dabei ist es ja im Design schon sehr wichtig, wer eine Idee hatte, wer das Original schuf, oder?
Genau. Aber am ursprünglichen Konzept waren viele beteiligt. Nicht allein Jim Henson. Vom Sesame Street Workshop aus New York haben wir Faksimiles von Originalzeichnungen von Henson bekommen. Wir blicken somit auch auf den amerikanischen Ursprung, gehen aber sehr stark auf die deutsche Sesamstraße ein, denn die feiert ja 50 Jahre. Aber es ist in der Tat heute noch so, dass keine Puppe in Deutschland gebaut werden darf, die nicht von Amerika abgesegnet wurde…
Was ja durchaus ein Teil des Brandings ist. Corporate Design setzt oft auf Strenge und Klarheit, um eine Marke auf Kurs zu halten. Oder alles fällt auseinander…
Der Sesame-Street-Workshop entscheidet über das Branding. Es gab nur diese eine Figur, „Herrn von Bödefeld“, die eine Zeit lang in der deutschen Sendung vorkam. Der war vielleicht etwas eigenwillig. Es gab in den Anfangsjahren sogar Kritik der Amerikaner am pädagogischen Konzept der Deutschen. Das war den Amerikanern oft zu modern. Also dieses Reformpädagogische der Siebzigerjahre.
Die pädagogischen Bedenken aus der Frühzeit der Sendung gibt es ja heute in Zeiten von Smartphone und iPad immer noch, beziehungsweise wieder verstärkt. Viele Eltern fragen sich: Sollten Vorschulkinder überhaupt solch attraktive medialen Angebote wie die Sesamstraße bekommen?
Ich würde sagen: ja. Man entkommt ja dem medialen Angebot nicht. Die pädagogische Haltung meiner Eltern, keinen Fernseher zu haben, hat sich insofern erübrigt, als die Menschen selten noch einen Fernseher haben, aber dafür etliche andere Endgeräte, die irgendwo im Haus herumliegen. Mit der Sesamstraße hat man wenigstens eine wirklich qualitativ hochwertige Kindersendung, die sich immer noch sehr bemüht, Vielfalt oder Diversität darzustellen. Und ich finde, das machen die Puppen ja auch so wunderbar, weil sie immer noch so etwas Anarchistisches haben. Das Cookie Monster ist ein unmöglicher Typ, der einfach alles auffrisst. Viele Figuren gehen über Grenzen.
Kommen wir zur Ausstellungsgrafik und zur Frankfurter Agentur, die Sie gewählt haben für die Werbekampagne und die Gestaltung des Katalog-Magazins. Warum „Pixelgarten”?
Gemeinsam mit Petra Schmidt habe ich vor vielen Jahren in Dresden eine Fahrrad-Ausstellung gemacht. Sie hatte mir das Thema damals vorgeschlagen und dann auch das Team mitgebracht: Pixelgarten, Marc Ulm und Max Wolff für die Medien. Die Zusammenarbeit mit diesem Team war sehr angenehm. Pixelgarten ist ein sehr gutes Grafikbüro. Ich finde, die Kampagne für die Sesamstraßen-Ausstellung ist eine der stärksten, die wir je gemacht haben. Uns werden die Plakate aus den Händen gerissen. Pixelgarten hat auch für eine wirklich gute grafische Umsetzung in der Ausstellung gesorgt. Mir ist es ein Anliegen, dass wir als Gestaltungsmuseum auch ganz unterschiedliche Gestaltungsweisen zeigen. Wir haben natürlich eine Agentur für unsere CI, das ist Fons Hickmann m23, und manchmal arbeiten wir auch mit ihr für eine Ausstellung zusammen. Aber in der Regel vergeben wir die Ausstellungen an verschiedene Agenturen.
Die jeweilige Agentur muss zum Ausstellungsthema passen.
So ist es, genau. Und dann geht es nicht so sehr darum, bei jeder Ausstellung das Branding des Hauses nach vorne zu stellen, sondern etwas sensibler und individueller vorzugehen und für die einzelne Ausstellung eine ganz eigene Identität zu schaffen. Und es spricht auch für die gute CI, die Fons Hickmann m23 entwickelt hat, weil sich das neue Logo sehr gut behaupten kann, es hat immer seine eigene Kraft, aber es zwingt niemanden in ein spezielles Corporate Design.
Nochmal ein Wort zu der fröhlichen Zeitschrift, die für die Ausstellung produziert wurde. Ist das eine Tradition am Haus, eine Zeitschrift statt einem dicken Katalog zu machen?
Nein, gar nicht. Aber ein Katalog, glaube ich, wäre diesmal nicht das richtige Medium gewesen. Man muss sich heute auch sehr genau überlegen, wann man diese enorme Investition macht und wann nicht. Wir sind daher einfach einen Hybridweg gegangen. Wir haben also versucht, etwas zu entwickeln, von dem wir glauben, dass die Leute es gerne mitnehmen. Dass sie dieses Geld gerne ausgeben, und im Zweifel haben die Kinder ihren Spaß mit den Aufklebern und den Ausmalbildern und die Eltern mit den Textbeiträgen.
Ihr Vertrag wurde soeben um weitere fünf Jahre verlängert. Was haben Sie in Zukunft vor? Wann kommt endlich die Ausstellung über die Muppets?
(lacht) Ich glaube, wir haben jetzt mal genug Puppen im Haus gehabt, die wirbeln da herum und machen uns das Leben bunt. Und es gibt so viele andere spannende Themen, die wir jetzt bearbeiten wollen. Eines kann ich verraten: Wir werden uns als Museum im nächsten Jahr intensiv mit dem Thema Wasser auseinandersetzen.
Die Hamburger Ausstellung „SESAMSTRASSE 50 JAHRE WER, WIE, WAS!“ läuft noch bis zum 7. Januar 2024.
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