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Mühle steht für gelebte Rasurkultur. Das Unternehmen mit Sitz im sächsischen Erzgebirgskreis blickt in diesem Jahr auf 80 Jahre Firmengeschichte zurück – und begeistert mit seinen Produkten längst eine internationale Kundschaft. Ein guter Anlass für ein Gespräch mit Andreas Müller, der gemeinsam mit seinem Bruder Christian die Geschicke des Familienunternehmens lenkt.

Interview von Gerrit Terstiege

Andreas Müller, einer der zwei Geschäftsführer des Familienunternehmens. | Foto: Iona Dutz

Herr Müller, wenn Sie heute auf die achtzigjährige Geschichte von Mühle zurückblicken: Was waren besondere Höhepunkte? Und welche Rolle spielten und spielen Innovationen für das Unternehmen? 

Ein Höhepunkt war immer, wenn wir ein neues Gebäude bauen konnten, weil es die Bedingungen und Umsätze erfordert und ermöglicht haben. Für unsere neue Werkshalle haben wir aus der Architektur-Fachpresse viel Lob bekommen. Ein anderer Höhepunkt war die Kooperation mit dem Designer Mark Braun. Er hat für uns eine Modelllinie mit sechseckigem Griff entworfen, die sich Hexagon nennt – ein Produkt, das polarisiert, aber auch viel Anerkennung bekommen hat. Auch unsere Kooperation mit der Porzellanmanufaktur Meißen war etwas ganz Besonderes. In der Rückschau  kann man sagen, dass das für beide Seiten sehr gut gelaufen ist. 

Was Innovationen betrifft: Auf der Produktebene sind es beispielsweise die synthetischen Fasern für Rasierpinsel, die wir entwickelt haben. Früher kam vorwiegend Dachshaar zum Einsatz. Solche Naturhaarprodukte werden zwar immer noch nachgefragt, aber wir haben eine sehr gute, vegane Alternative auf den Markt gebracht, die noch besser funktioniert als Naturhaar. Wir haben dabei gar nicht versucht, Naturhaar zu imitieren, sondern uns gefragt: Wie könnte der ideale Rasierpinsel aussehen? Innovation spielt natürlich auch bei digitalen Prozessen eine zentrale Rolle. In der Fertigung etwa oder bei der Art und Weise, wie man den Kunden erreicht.

Sie verwenden den Begriff Rasurkultur. Wofür steht er? 

Rasurkultur bedeutet für uns, dass die Nassrasur nicht bloß als Pflicht erscheint, sondern in ein schönes Ritual verwandelt wird. Etwas, das Freude macht – und vielleicht auch eine kleine Auszeit bedeuten kann. Ein paar Minuten, die man genießen kann. Dazu gehören Werkzeuge, die man gerne zur Hand nimmt. Und tolle Pflegeprodukte, teilweise mit langer Tradition, zum Beispiel aus Italien oder England. 

Ich selbst bin bei Manufactum auf Mühle-Produkte aufmerksam geworden. Man möchte ja schon ein Gefühl für die Haptik, das Gewicht, die Oberflächenstrukturen, die Verarbeitung bekommen, bevor man sich entscheidet …

Manufactum ist durchaus ein wichtiger Handelspartner, wenngleich sie dort natürlich nur ausgewählte Produkte haben und kein breites Sortiment abgebildet werden kann.

Zu diesem Zweck haben Sie ja Flagship Stores. 

Genau. Aber wir haben kein flächendeckendes Netzwerk. Daher ist es sehr wichtig für uns, unsere Produkte online erlebbar zu machen. Damit man sich ein Bild machen kann, ohne sie gesehen und in Händen gehalten zu haben. Aber wir wollen natürlich auch den traditionellen Einzelhandel stützen. Inhabergeführte, kleine individuelle Läden sind für uns nach wie vor sehr wichtig.

Die neue Werkshalle der Manufaktur Mühle in der erzgebirgischen Gemeinde Stützengrün wurde vom Architekturbüro Atelier ST gestaltet | Foto: Simon Menges, © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG

Welche Rolle spielen digitale Technologien bei Mühle, etwa im Vertrieb, in der Produktion oder im Kundenservice? Gibt es in diesen Bereichen aktuell laufende Transformationsprozesse?

Wir steuern die ganze Produktion digital. Alle Fertigungsschritte werden permanent gescannt, so dass wir in Echtzeit wissen, wie viele Teile in welchem Fertigungsauftrag gebunden und wie weit sie bereits verarbeitet sind. Und wann die Produkte bestellt werden können. Wir nutzen ein CRM-System, womit wir vornehmlich mit den Endverbrauchern unser Customer-Relationship-Management optimieren, auch in der After-Sales-Phase. E-Commerce ist zentral, um Kunden zu finden – über unsere eigene Website, aber auch für unsere Handelspartner. Ich würde sagen, dass geschätzt 80 % unserer Produkte online gekauft werden. 

Seit einigen Jahren arbeitet Mühle eng mit der traditionsreichen Porzellanmanufaktur Meissen zusammen. Gekrönt wurde diese Kooperation 2024 mit einer limitierten Sonderedition | Foto: Mirko Hertel © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG
Das filigrane Dekor des Ming-Drachen wird von erfahrenen Porzellanmaler*innnen auf die Rasierer- und Pinselgriffe aus Meissener Porzellan aufgebracht | © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG

Man könnte meinen, Gillette – eine Marke des amerikanischen Konzerns Procter & Gamble – wäre ihr größter Konkurrent. Aber Sie arbeiten mit dem Unternehmen zusammen. Wie kam es zu der Kooperation? 

Gilette ist auf uns zugekommen. Ursprünglich über eine Marktforschungsagentur. Im Zuge des Austausches haben beide Seiten Potenziale gesehen und wir haben die Zusammenarbeit ausgebaut. Heute produzieren wir eine ganze Reihe Gillette-kompatibler Rasierer, die über die Jahre einen hohen Klingenbedarf generieren. Ich glaube, so eine Gillette Fusion-Klinge wird alle 8 bis 10 Tage gewechselt, also vielleicht dreimal im Monat. Das bedeutet schon ein gewisses Volumen an Klingen. Gerade auch, weil unsere Kunden sehr treu sind. Wer einmal einen Mühle-Rasierer hat, der mit Gillette-Klingen kompatibel ist, der wird diesen höchstwahrscheinlich bis zum Ende seines Lebens nutzen. Das macht dann diese Kooperation auch für Gillette interessant.

Da wir gerade über Gillette reden – zu Procter & Gamble gehört ja auch die Marke Braun. Und Braun hat ja bekanntermaßen eine große und lange Designtradition im Segment Elektrorasierer. Wie stehen Sie dazu? 


Diese Designtradition, die besonders von Dieter Rams geprägt wurde, ringt mir natürlich Hochachtung ab und ich bewundere sie. Da ist deutsche Designgeschichte geschrieben worden und das Braun-Design hat viele inspiriert – auch uns. Die Trockenrasierer von Braun haben natürlich ihre Berechtigung. Viele kommen damit gut klar. Aber auch der Markt für Nassrasur ist stabil. Für manche Kunden funktioniert nur das eine, für manche nur das andere. Manche switchen hin und her. Ich bin mit dem Trockenrasieren nie warm geworden worden – nicht aus Designgründen, sondern was die Gründlichkeit betrifft. 

Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Designsprache gibt, für die Mühle steht? Oder sind Ihnen Vielfalt und eine formal breite Produktpalette wichtig? 

Vielfalt ist uns schon wichtig. Trotzdem denke ich, dass es so etwas wie eine Mühle-Handschrift gibt. Gerade bei den neueren Produktlinien sind wir stilistisch sehr clean geworden, sehr aufgeräumt. Man sieht oft eine zylindrische Grundform und wir stellen die Diversifizierung über Muster, bestimmte Oberflächen und Materialien her. Was alle Produkte verbindet, ist unser Anspruch an eine hohe Designqualität. 

Die Rasierer der VIVO-Serie von Mühle sind mit Klingen von Gillette kompatibel | Foto: Jo Zarth, © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG

Nachhaltigkeit bewegt nicht nur Design-Unternehmen immer stärker. Wie setzen Sie das Thema bei Mühle konkret um? 

Das Thema Nachhaltigkeit spielt bei uns tatsächlich eine sehr große Rolle. Unsere hohe Design- und Verarbeitungsqualität führt zu großer Langlebigkeit. Wir haben unsere Rasierer auch reparierbar gemacht. Für die meisten Modellreihen gibt es mittlerweile austauschbare Pinselköpfe. Bei unseren Produktverpackungen setzen wir nur Papier und Pappe ein – ohne transparente Plastikfenster oder dergleichen. Selbst bei Kosmetika achten wir auf möglichst umweltfreundliche Verpackungen und verzichten auf Umverpackungen, soweit dies möglich ist, und auch auf Polstermaterial aus Kunststoff. Wir verwenden auch keine Plastikfolien, kein Paket-Klebeband aus Folie und versenden unsere Pakete CO2-neutral. Darüber hinaus arbeiten wir hier am Standort weitgehend CO2-neutral. Wir kompensieren jeglichen Gasverbrauch, den wir zum Beheizen brauchen. Die neue Halle wird schon mit Erdwärme beheizt, dann produzieren wir ausschließlich mit grünem Strom. Ein guter Teil davon wird auch selbst produziert, durch die eigene Photovoltaikanlage-Anlage.

Eine Marke muss ganzheitlich und konsistent auftreten: eine eigene Sprache sprechen, in allen Bereichen. Das schafft man nicht von jetzt auf gleich. Es ist ein Prozess.”


– Andreas Müller

Die Serie Hexagon entstand in Zusammenarbeit mit dem Berliner Designer Mark Braun | Foto: Mirko Hertel, © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG

Ihr Branding wie auch Ihr Produkt- und Grafikdesign, ihre Bildsprache und die Architektur der neuen Werkshalle sind von Klarheit, Einfachheit und Prägnanz gekennzeichnet. War es ein langer und schwieriger Weg zu diesem Markenbild?

Ja, das war es. Eine Marke muss ganzheitlich und konsistent auftreten: eine eigene Sprache sprechen, in allen Bereichen. Das schafft man nicht von jetzt auf gleich. Es ist ein Prozess. Bei der Markenführung kann man nicht konsequent genug sein. Kompromisse bringen einen auf Dauer nicht weiter. Man muss sein Handeln immer wieder daran ausrichten, dass man den eigenen Richtlinien der Marke folgt.

Welche Trends bestimmen Ihre Branche und welche Veränderungen sehen Sie bereits am Horizont? 

Wir beobachten, dass Rasuren klassenloser werden, und auch weniger geschlechtsbezogen. Gerade für junge Menschen, für die Anfang-20-Jährigen, spielt es immer weniger eine Rolle, für wen oder was ein Rasierer ursprünglich designt wurde –  also etwa für Männer oder für Frauen, für Gesicht, Beine oder Intimbereich. Diese Kategorien lösen sich langsam auf. Auch auf ein Thema wie die ,Pink Tax’ – die Tatsache, dass Frauen-Produkte oft teurer sind als Männer-Produkte, obwohl die Technik gleich ist – reagieren junge Leute verständlicherweise sensibler. Außerdem ordnen manche Trendforscher das Rasieren dem größeren Cocooning-Trend zu, nach dem Motto: Da draußen wird es immer härter und rauer – ich mache es mir zu Hause so schön wie möglich. Ich pflege mich und genieße diese Zeit. 

Familienunternehmen in 3. Generation: Christian Müller (l.) und Andreas Müller (r.) mit ihrem Vater Hans-Jürgen Müller (m.) in der neuen Werkhalle | Foto: Marcus Werner, © Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG

Über den Autor

Gerrit Terstiege, Jahrgang 1968, lebt und arbeitet in Mülheim/Ruhr. Er studierte u.a. bei Michael Erlhoff und Gui Bonsiepe an der Köln International School of Design (KISD) und der Glasgow School of Art. Im Anschluss war er von 1997 bis 2012 bei der Zeitschrift form tätig, ab 2006 als Chefredakteur. Im Birkhäuser Verlag gab er drei Bücher heraus, u.a. „The Making of Design” und „Grafische Räume”. Er lehrt seit 1998 als Dozent und Gastprofessor an Schweizer und deutschen Hochschulen. Für die Rams Foundation ist er als Chefredakteur tätig.

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