Geta Brătescu und Sou Fujimoto, Thomas Ruff und Rodney Graham: Die sinnlich-minimalistischen Entwürfe des Schweizer Modeunternehmens Akris leben vom Dialog mit Künstler*innen und Architekt*innen.
Von Andrea Eschbach
Fröhlich, naiv und ausgelassen: Für seine Frühjahr-Sommer-Kollektion 2018 ließ sich Albert Kriemler vom vielfältigen und farbenfrohen Schaffen des amerikanischen Designers Alexander Girard inspirieren. Es war eine heitere Kollektion, die der Kreativdirektor von Akris da über den Laufsteg schickte – fließende Tunikas und Hosen aus Seiden-Crêpe mit Prints der berühmten „Wooden Dolls“, rot leuchtende Cocktail-Kleider mit dem für Girard typischen „Double Heart“-Motiv und Mäntel, die wenig bekannte Bleistiftskizzen des Gestalters schmücken.
Die gutgelaunten Farben, Muster und Zeichnungen des amerikanischen Designers und Textilkünstlers Alexander Girard (1907–1993) hatten es Kriemler angetan. 2016 hatte er sie anlässlich einer Girard-Ausstellung 2016 beim Besuch des Vitra Design Museums auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein entdeckt. „Die Ausstellung habe ich dreimal besucht, so sehr hat mich das kreative Genie von Alexander Girard fasziniert. Er hatte einen anderen Blick auf die Dinge und auf seine Weise hat er unseren Blick auf die Welt verändert“, erklärte Kriemler. Realisiert wurde die Kollaboration in enger Zusammenarbeit mit den Erben von Alexander Girard. Vitra-CEO Nora Fehlbaum erklärt in einem Video ihre Faszination für Kriemlers Entwürfe: „Wie die Muster sich bewegen, und wo sie an den Kleidern angebracht sind, macht sie lebendig“.
Wie wichtig die Auseinandersetzung mit Kunst und Architektur für Kriemler geworden ist, zeigt nun eine formidable Ausstellung über die Kollektionen der letzten Dekade – eine Hommage an das 100-jährige Bestehen des St. Galler Familienunternehmens. „Akris. Mode. Selbstverständlich“ lautet der Titel der Schau im Zürcher Museum für Gestaltung. Selbstverständlich will auch die Mode von Akris sein. Und schafft es damit, vom Ostschweizer St. Gallen aus die Modewelt in Paris, Mailand oder New York zu erobern. Als einziges Schweizer Modehaus an der Paris Fashion Week fällt Akris mit einer feinen Gratwanderung zwischen Zeitgeist und Eigenständigkeit, zwischen Experiment und Tradition auf.
Akris – Mode für selbstbewusste Frauen
Alles begann mit einer Schürze. Alice Kriemler-Schoch, Kriemlers Großmutter, begann 1922, im Textil-Mekka St. Gallen, bestickte Schürzen zu nähen – und mit ihrem Kürzel – zu verkaufen. Der Name Akris setzt sich aus den Initialen ihres Namens zusammen, verbunden durch 5 feine Nadelstiche. Sohn Max führte die Geschäfte zusammen mit seiner Frau Ute weiter, in einer Vitrine sieht man Kataloge mit den Akris-Schlagern – Caro-Blusen und Faltenjupes aus dem Jahr 1963. 1980 schließlich übernahm Albert an der Seite seines Vaters die kreative Führung des Hauses an der Felsenstraße, seit 1987 leitet er das Modehaus zusammen mit seinem Bruder Peter: Der zwei Jahre Jüngere ist CEO, Albert Kreativdirektor. Seit über drei Jahrzehnten prägt er die Kollektionen des Unternehmens mit seiner Handschrift: Sinnlicher Minimalismus, exquisite Materialien und klare Schnitte sowie häufig auch Stoffinnovationen zeichnen die Kollektionen aus. Dabei hat Albert Kriemler Frauen vor dem Auge, die in Ziel verfolgen – „women with a purpose“ – wie seine Großmutter. „Sie sollen für alle Tätigkeiten und Aufgaben, die sie von morgens bis spätabends erfüllen wollen, so eingekleidet sein, dass sie sich selbstbewusst, frei und komfortabel fühlen“, erklärte Kriemler kürzlich in einem Interview mit der NZZ am Sonntag.
Seit einigen Jahren sind die Inspirationen durch Künstler*innen und die intensive Auseinandersetzung mit Kunst, Architektur, Grafik oder Fotografie zu einem Markenzeichen von Akris geworden. Wohl auch deshalb, weil es bei Akris nie ein Marketing-Ding ist, sondern Kriemler es ernst meint mit den Kooperationen. Er lässt sich nicht nur von Künstler*innen inspirieren, seit 2005 arbeitet er auch regelmässig mit ihnen zusammen. Sie sind für ihn eine Art Katalysator, um in seiner Mode weiterzukommen. Die Schau spürt dem in einer Szenographie des Westschweizer Designbüros Atelier Oï nach. 10 Kollektionen zwischen 2009 und 2022 können bewundert werden, „Inspirationsüberraschungen“, wie Kriemler sie beim Rundgang nennt. Die Schaufensterpuppen, die die Werke tragen, interagieren dabei mit Werken und Modellen der Architekt*innen und Künstler*innen – die diese gerne zur Verfügung stellten. „Jede Interaktion mit einem Künstler löst bei mir etwas anderes aus und führt zu ganz unterschiedlichen Kreationen“, sagt er.
Vorreiter im digitalen Fotoprint
Eine Kollektion, die Weichen stellte, datiert auf 2009. Erstmals knüpft Kriemler in seinen Entwürfen an das Werk eines zeitgenössischen Künstlers an. Ein Besuch einige Jahre zuvor in Little Sparta, dem Garten des schottischen Lyrikers und Künstlers Ian Hamilton Finlay (1925-2006) war die Inspiration für weitreichende Stoffinnovationen. Dabei entstanden abstrakte Blumenprints und Drucke auf Paillettengewebe, mit denen Akris eine Vorreiterrolle im digitalen Fotodruck-Verfahren übernimmt. Das Flechtwerk des Gartentors diente ihm als Ausgangspunkt für eine Abendrobe aus eigens auf den Schnitt geflochtenen Satinbändern in sanften Farben. Stoffe zu entwerfen, die weit über das hinausgehen, was machbar erscheint, ist Kriemlers Spezialität. Vom Firmensitz ist es nicht weit zu den Stickerei-Produzenten wie Forster Rohner, Jakob Schlaepfer oder Bischoff Textil, welche den Ruhm St. Gallens als Textilzentrum begründen. So entstanden beispielsweise dank Forster Rohner Stoffe mit einer vollkommen neuartigen LED-Stickerei. Das Ziel: Motive aus der „Sterne-Serie“ von Thomas Ruff auf Stoff zu übersetzen. Die kleinen akkubetriebenen Blinklichter erzeugen einen ähnlichen Sog wie die Werke des deutschen Fotokünstlers.
In Zürich kann man auch bestaunen, wie Kriemler den 3-D-Effekt in Ruffs Werken zur Marsoberfläche auf federleichte Regenmäntel brachte. Mit Ruff verbindet Kriemler eine jahrelange Freundschaft, ebenso wie mit Imi Knoebel. Dessen grossformatige Aluminiumbilder von kraftvoller Farbigkeit widerspiegeln sich in Akris Frühjahr/Sommer-Kollektion 2021. Aber auch weniger beachtete Künstlerinnen stehen Pate bei Akris: An der Documenta 2017 in Athen entdeckte Kriemler „Linia“, eine fünfteilige Serie aus geometrischen Collagen der rumänischen Künstlerin Geta Brătescu. Nicht nur der ungewöhnliche Rosaton war ihm aufgefallen, sondern auch, dass die schwarzen Linien, die Brătescu damit kombiniert hatte, nicht gezeichnet, sondern geklebt waren. Das popartige Selbstporträt der Avantgardistin ziert nun nicht nur den Firmensitz von Akris, sondern wurde auch für die Frühjahr-/Sommer-Kollektion 2019 in einen Strickponcho übersetzt – eine bestechende Übersetzung des Witzes und Charmes der Künstlerin in etwas Tragbares.
Neben der Kunst gilt Kriemlers Neugier auch der Architektur. „Die Zusammenarbeit mit anderen ermöglicht es mir, meine Kollektionen auf eine andere Ebene zu heben“, erklärt Kriemler. „Wenn ich über einige meiner denkwürdigsten Kollaborationen nachdenke, erinnere ich mich an die Zusammenarbeit mit dem Architekten Sou Fujimoto. Wir teilen die Vision, eine mühelose Beziehung zwischen dem Körper und der Umgebung mit äusserster Einfachheit zu schaffen.“ 2013 hatte er Sou Fujimotos Serpentine Pavillon gesehen und war beeindruckt von der gitterartigen Struktur des Baus, der wie eine weisse Wolke wirkte. 2015 reiste er nach Japan, um Fujimotos Naoshima Pavillon aus weiss gespritzten Armierungsgittern in Kagawa zu besuchen und den Architekten in dessen Studio in Tokio zu treffen. Ein Besuch mit Folgen: Für die Frühjahr-/Sommerkollektion 2016 arbeiteten Architekt und Modemacher eng zusammen: Kriemler übersetzte die charakteristischen roten Skizzen Fujimotos und die filigrane Netzstruktur der Pavillons in luftige Kleider. So formten Stickereien von Forster Rohner als grafische Guipure-Spitze die Armierungsgitter nach, und aus quadratischen Plexiglasscheiben, die zwischen zwei Lagen Organza eingeschlossen waren, entstanden subtil schimmernde Kleider. Das vielbeachtete Défilé fand im Pariser Grand Palais statt, wo die Models den Runway durch das nachgebaute „House N“ des Japaners absolvierten.
Akris wird getragen von Politikerinnen, Schauspielerinnen, Models und Influencerinnen auf der ganzen Welt – Lily Colins schätzt die Mode aus St. Gallen ebenso wie Cate Blanchett, Michelle Obama, Amal Clooney und die Schweizer Alt-Bundesrätin Doris Leuthard. Wie sich die Mäntel aus feinstem Double-Face Kaschmir anfühlen, kann das Publikum selbst probieren: Ein kleiner Ankleideraum mit bequemen Ledersesseln und grossem Spiegel lädt ein, die luxuriösen Kreationen am eigenen Leib zu bewundern.
Ausstellung
„Akris. Mode. Selbstverständlich“ im Museum für Gestaltung Zürich, noch bis 24. September 2023.
Weitere Informationen: www.museum-gestaltung.ch/de/ausstellung/akris/
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