Einer Marke ein griffiges Profil zu geben, sie erfolgreich zu managen und dabei die Erwartungen der Kund*innen zu berücksichtigen, wird für den Erfolg von Unternehmen immer wichtiger. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Markenberatung Interbrand erklärt Jens Grefen, Senior Executive Creative Director, was Markenführung mit Konsequenz zu tun hat und wie wichtig eine Haltung ist.
Interview von Thomas Wagner
Digital Transformation und Sustainability gehören fast schon zum Standard, und in vielen Branchen steht kreislaufbasiertes Produzieren auf der Agenda. Was bedeutet das für eine erfolgreiche Markenpolitik?
Jens Grefen: Derzeit wirken viele Faktoren auf die Unternehmen ein. Die Welt wird komplexer – und das hat mit den genannten Anforderungen zu tun. Das macht die Markenführung nicht unbedingt einfacher. Aber warum gibt es diese Anforderungen? Weil Kund*innen das erwarten. Es geht ja nicht nur darum, Produkte möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Sie sollen auch einen Nutzen stiften. Spannend wird es, wenn Kund*innen das Erlebnis einer Marke durch ihre Erwartungen ein Stück weit mitgestalten. Diesen Challenges muss ich mich stellen, sonst renne ich als Unternehmen der Erwartung immer nur hinterher.
Die Markenführung wird anspruchsvoller?
Absolut. Weil Markenbildung langlebig angelegt ist und nicht wie eine Werbekampagne, die nach drei Wochen vorbei ist. Wir verändern mit unserer Markenarbeit teilweise ganze Geschäftsmodelle, weil wir auf die Business Challenge eines Unternehmens schauen und versuchen, mit dem Blick der Markenberatung einen Mehrwert zu stiften.
Ist Digitalisierung noch ein Thema?
Die erste Frage lautet: Was heißt Digitalisierung? Das erinnert an die Zeit als Agilität plötzlich ein großes Thema war, alle davon sprachen. Gemeint haben sie: So wie immer, aber schneller. Bei der Digitalisierung verhält es sich ähnlich. Die Pandemie hat das Arbeiten sicher digitaler gemacht. Auch das Pflegen digitaler Kanäle hat heute einen anderen Stellenwert. Ich würde aber ein Fragezeichen dahinter setzen, inwieweit digitale Prozesse in aller Breite in allen Branchen angekommen sind. Wir schauen auf die Marke als holistisches Gesamtkonstrukt: Am Ende muss das Unternehmen den Kund*innen ein Erlebnis bieten, das unique ist, wiedererkennbar und eine gewisse Kohärenz und Konsistenz aufweist.
„Wir schauen auf die Marke als holistisches Gesamtkonstrukt: Am Ende muss das Unternehmen den Kund*innen ein Erlebnis bieten, das unique ist, wiedererkennbar und eine gewisse Kohärenz und Konsistenz aufweist.“
– Jens Grefen, Senior Executive Creative Director der Markenberatung Interbrand
Wie schafft man es, dass Kund*innen eine emotionale Bindung zu einer Marke aufbauen?
Als Kund*in – aber im übrigen auch als Mitarbeiter*in – muss ich schlicht erleben, dass das Unternehmen, mit dem ich zu tun habe, mit einer Haltung im Markt unterwegs ist und diese auch konsequent vermittelt. Stellen Sie sich vor, Apple baut eine Waschmaschine. Da könnte jeder sofort ein Flipchart vollschreiben, was diese Maschine kann, was nicht und wie sie aussieht. Das hat mit dem Erlebnis der Marke in Reinform zu tun. Hier ist Konsistenz ganz wichtig, aber auch Flexibilität, um verschiedene Kommunikationsformen adäquat bespielen zu können. Eine Marke verkauft nicht mehr nur ein Produkt, sondern auch das Image, das Erlebnis und die Haltung, die dahinterstehen. Niemand kauft ein Apple-Produkt, weil es von Apple ist, sondern weil es slick, schön, einfach zu bedienen ist, ein super funktionierendes Ökosystem hat und so weiter … All das kaufe ich als Kund*in ja mit ein – und das ist es, was Unternehmen heute schaffen müssen: Der Marke eine Haltung geben, die verstanden wird. Das bindet und sorgt dafür, dass die Leute auch das nächste Produkt kaufen.
Welche Rolle spielt Klimaschutz bei der Markenbildung?
Klimaschutz ist heute im Grunde ein Hygienefaktor. So gut wie in allen Industrien. Dabei stehen einige mehr unter Beobachtung als andere, was aber nicht heißt, dass das Thema nicht sinnhaft besetzt werden kann oder muss. Wir haben gerade einen Markenauftritt gelauncht mit dem österreichischen Öl- und Gas-Konzern OMV. Die müssen wirklich über Net-Zero reden und handeln. Und das wollen und tun sie auch, indem sie dafür konsequent ihr Geschäftsmodell anpassen. Hier passt die Haltung zum Handeln. Schwieriger fände ich beispielsweise, wenn Primark plötzlich erzählen würde, wie umweltfreundlich ihre Textilien aus Indien nach Europa geflogen sind, obwohl die Produktionsprozesse alles andere als nachhaltig sind und gerade ‚Fast Fashion‘ sicher andere Ansatzpunkte zum Thema Sustainability bieten würde.
Wie wichtig ist Ehrlichkeit?
Wenn ich auf eine gewisse Art und Weise wahrgenommen werden will, muss ich mich dementsprechend verhalten. Ein Unternehmen, das auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit Wert legt und das in den Markt tragen will, wird lauter über das Thema reden als andere. Aber mit welcher Haltung möchte ich die Konversation führen? Sage ich zu den Leuten: ‚Hey, wir sind noch Teil des Problems, aber wir packen es an und lösen es gemeinsam‘? Oder hänge ich mir Klimaschutz nur als Deckmäntelchen um, beispielsweise in der nächsten CSR-Kampage? Da geht es also massiv um Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit.
Spielt die Frage eines „Purpose“ eine Rolle?
Das Thema Purpose ist in den vergangenen paar Jahren sehr durchs Dorf getrieben worden. Auch zu uns kommen Kund*innen, die unbedingt mehr Purpose wollten. Und das ist ja auch erstmal gut, wenn man keine klare Orientierung hat. Aber ‚Purpose‘ ist nun mal sehr fluffig und oft sehr vage formuliert – das große Ziel am Horizont. ‚Wir machen die Welt besser‘ könnte fast jedes Unternehmen von sich behaupten. Viel wichtiger ist, dass ein Unternehmen konkret formuliert, wohin es sich entwickelt. Markenpositionierung ist keine Blackbox, und dann passiert ein Wunder. Wir formulieren mit unseren Kund*innen gemeinsam eine Ambition, die sehr konkret ist und in einem Zeitrahmen steckt. Etwa: Wir möchten unsere Nachhaltigkeit in fünf Jahren um X Prozent verbessern und so sieht der Weg aus, um da hinzukommen. Unterwegs können sie jederzeit nachjustieren. Das ist Markenarbeit. Eine Marke muss sich an ihrem Handeln messen lassen, nicht an ihrem Purpose. Deshalb ist Haltung so wichtig.
„Eine Marke muss sich an ihrem Handeln messen lassen, nicht an ihrem Purpose. Deshalb ist Haltung so wichtig“
– Jens Grefen, Senior Executive Creative Director der Markenberatung Interbrand
Erfolgreiche Markenführung misst sich also daran, welche Schritte unternommen werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen und wie gut es gelingt, das zu vermitteln?
Kund*innen investieren ja nicht in eine Marke, die sie schlecht finden. Sei der Pulli noch so bequem, sie kaufen ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht. Wenn aber bekannt ist: Die kümmern sich, die nähen sogar einen neuen Reißverschluss in eine alte Jacke, weil sie es ernst meinen mit Nachhaltigkeit und Reparatur. Dann haben Kund*innen ein gutes Gefühl in der Interaktion und dabei, das Produkt zu besitzen. Dann werden sie gerne zu Markenbotschafter*innen, weil sich das Markenimage mit dem deckt, wie sie sich auch selber positionieren wollen, zum Beispiel als ‚ich lebe nachhaltig‘.
Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
In den vergangenen Jahren hat sich die Rolle von Marken stark verändert. Früher ging es vor allem um Identifikation: Ein Unternehmen setzte seinen Stempel auf ein Produkt, um es als seins zu kennzeichnen. Später wurde erkannt, dass Marken wertvolle Assets sind, die strategisch gemanagt und gepflegt werden müssen. Mit der Zeit rückte die Experience in den Fokus: Unternehmen wie Apple investierten in physische Stores, um Erlebnisse und Communitys rund um ihre Marke zu schaffen. Heute liegt der Schwerpunkt auf Haltung und Werten. Marken müssen authentisch Position beziehen und ihre Verantwortung sichtbar machen – weit über Produkt und Erlebnis hinaus.
Wird Markenführung dadurch politischer?
Durchaus! Ich muss irgendwann mal Farbe bekennen. Wer versucht, allen gerecht zu werden, wird am Ende niemanden überzeugen. Natürlich ist Community-Building politisch. Das Thema Gemeinschaft, dass eine Marke für etwas steht und damit auch Gleichgesinnte versammelt, ist durchaus wichtig. In unseren Best-Global-Brand-Rankings sehen wir, dass die Marken, die die Themen Leadership und Haltung in den Vordergrund stellen und ihre Arbeit konsequent danach ausrichten, überproportionalen Zuwachs verzeichnen und übermäßig gut performen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, was die Markenentwicklung angeht?
Für mich ist die Fusion zwischen strategischem und kreativem Denken besonders spannend. Das hilft uns, Marken ein Stück weit anders zu beraten. Und das ist auch gleichzeitig die Herausforderung: Markenarbeit gehört in die Vorstandsetage und nicht nur – und das sehen wir leider immer noch viel zu oft – in eine Projektebene, die irgendwo im Marketing verortet ist. Unternehmen müssen Marke als ein Tool begreifen, das ihnen dabei hilft, ihre geschäftlichen Herausforderungen zu meistern. Markenarbeit kostet nicht nur Geld (ein oft gehörter Satz), sondern schafft Werte – für die Unternehmen, aber eben auch für die Kund*innen, Partner*innen, und Mitarbeitenden. Wenn die Kraft von Marke verstanden und genutzt wird, kann etwas wirklich ikonisches entstehen. Und daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren Kund*innen.
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Über den Autor
Thomas Wagner, geb.1955, hat in Heidelberg und Brighton (Sussex) Germanistik und Philosophie studiert. Bereits während des Studiums arbeitet er als Kunstkritiker und freier Journalist. Ab 1986 schreibt er für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1991 bis 2007 als leitender Redakteur für Bildende Kunst und Design zuständig ist. Anschließend freier Autor, Kunstkritiker und Kolumnist. Für Stylepark baut er ein Online-Magazin auf. Er war Redakteur des Magazins designreport des Rat für Formgebung und ist derzeit Online-Redakteur bei ndion. Thomas Wagner hat als Vertretungs-, Gast- und Honorarprofessor gelehrt und war Gründungsmitglied der DGTF. Er war und ist Mitglied zahlreicher Jurys.