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Von Thomas Wagner.

In dem Buch „Apple Design: eine Analyse“ blickt Felix Torkar auf die gestalterische Entwicklung seit 1998 und fasst zusammen, wie sich das Design mehr und mehr versachlicht hat und die Symbiose aus Hardware und Software seit dem ersten Macintosh weiterentwickelt wurde.

Der Biss in die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis hat bekanntlich zur Vertreibung aus dem Paradies geführt. Oder sollte man darin einen Erfolg sehen? Wer auf die Geschichte der Firma schaut, deren Logo den angebissenen Apfel zeigt, kann das durchaus glauben. Fallen in Gesprächen über Produktdesign dann noch die Namen Steve Jobs und Jonathan Ive, dauert es nicht lange, bis beide heiliggesprochen werden, wobei der Grund dafür keineswegs allein im Aussehen von Computergehäusen oder Geräten der Unterhaltungselektronik zu finden ist.

Wer auf das Design von Apple und in die Morgendämmerung einer digitalen Welt blickt, spricht über nicht weniger als den Beginn neuer Lebensweisen. Wie war es möglich, dass sich Apple mit mehr als einer Milliarde verkaufter iPhones in den letzten 20 Jahren von einem Nischenhersteller von Computern zu einem der wertvollsten Konzerne der Welt entwickelt hat? Entscheidend war und ist: Apple hat Maßstäbe gesetzt, was Design im Verbund mit technischer Innovation und geschicktem Marketing im 21. Jahrhundert zu leisten vermag.

Entsprechend widmet sich der Design- und Architekturhistoriker Felix Torkar in „Apple Design: eine Analyse“ (av edition, 2020) abermals den Grundlagen und der Entwicklung von Apples längst ikonischer Produktgestaltung. Es sind, wie Christoph Böninger von der IF Design Foundation, die Torkars Publikation gefördert hat, in seinem Vorwort schreibt, vor allem drei Fragen, die der Autor beantworten möchte: Welche Voraussetzungen haben zu Apples heutiger Sonderstellung geführt? Wie lassen sich die verschiedenen gestalterischen Phasen trennen? Und wie lässt sich die Produktgestaltung von Apple kontextualisieren?

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Iteration als Erfolgsfaktor

Torkar erinnert unter anderem an Steve Jobs‘ Leitbegriffe „Fokus“ und „Simplizität“ und verweist auf die vergleichsweise kleine Produktpalette: Für „die Größe des Unternehmens ist es bemerkenswert, dass das gesamte Produktsortiment auf einen Tisch passen würde.“ Als „zentrales internes Prozessmodell in der Produktentwicklung“ und als wichtigen Erfolgsfaktor macht er sodann „die Iteration“ aus. In der Fixierung auf das Objekt und dessen iterative Verbesserung werde am Ende auch erreicht, den Nutzer oder Konsumenten emotional anzusprechen.

Tausend Neins für jedes Ja

Obwohl – oder gerade – weil Apple sich in der Unternehmenskommunikation für gewöhnlich recht zugeknöpft gibt, springt dem Autor in einem Promotion-Video von 2013 eine Art Manifest ins Auge, in dem sich unter anderem der Kernsatz findet: „there are a thousand no’s [sic] / for every yes.“ Tausend Neins für jedes Ja, dieser Satz beschreibe nicht nur „die jahrzehntelang kultivierte Tradition der Iteration und des überlegten Weglassens“, aus ihm ergebe sich auch „eine von Ive immer wieder erwähnte Unvermeidlichkeit (inevitability) der Gestaltung“.

Unter der schlichten Überschrift „Hardware“ gelingt Torkar im Folgenden ein konzentrierter Überblick über die wichtigsten Apple-Produkte und die schrittweise Entwicklung ihres Designs seit 1998. Das reicht vom ersten transparent-farbigen iMac unter der Ägide von Ive über „Brückenprodukte“ wie den G4 Cube zum Titanium PowerBook von 2001, das, so Torkar, „das Fundament für eine weitaus technischere, sachlichere Formsprache, die professionellem Anspruch entspricht“, gelegt habe, bis zu iphone und iwatch.

Durch die Konzentration auf die mit der Rückkehr von Steve Jobs ins Unternehmen beginnende Ära Jobs/Ive werden einige Phasen nicht berücksichtigt: darunter die gestalterischen und vor allem typologischen Initialmomente des Snow White-Wettbewerbs von 1982/83 sowie die Jahre der Zusammenarbeit mit Hartmut Esslingers frog design.

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Stilistischer Purismus als Maßgabe

Folgt man der Logik, die die Designentwicklung bei Apple seit spätestens 2007 mit erstaunlicher Kohärenz bestimmt, muss der transparent und farbenfroh auftretende iMac von 1998 im Rückblick zwangsläufig als ein – später von Ive korrigierter – Ausreißer erscheinen. Zwar wurde mit ihm das All-in-One-Konzept des Macintosh von 1984 wieder aufgegriffen, der Consumer-Markt erobert und die Zukunft der Firma gesichert, trotzdem hält Torkar fest:

„So radikal sich die bunte Formsprache präsentierte, so schnell wurde sie wieder abgelöst. Bereits nach drei Jahren vollzog sich ein ebenso radikaler Paradigmenwechsel hin zu einer weitaus puristischeren, silber und weiß dominierten Ästhetik. Rundliche Formen werden durch stark reduzierte, klare Linien ersetzt. Auf Pop folgt Minimalismus.“

Ästhetisch stabiles Design

Auch wenn Torkar konstatiert, zu den Ursachen des Umschwungs ließen sich fast keine gesicherten Quellen finden, so formuliert er dennoch einige Thesen: So sei die neue Formsprache recht schnell in verschiedensten Objekten kopiert worden, was dazu geführt habe, dass die Radikalität der Apple-Produkte und die Exklusivität ihrer Ästhetik in der nun omnipräsenten Mischung „aus buntem, transluzentem Polycarbonat und kugeligen Formen“ untergegangen und Apples Corporate Design verwässert worden sei. Auch hätten die runden und bunten Gehäuse „möglicherweise schon nach wenigen Jahren in eine ästhetische Sackgasse“ geführt, was besonders bei den Pro-Produktreihen ins Gewicht gefallen und in der Folge zu einer „Betonung farbloser, reduzierter, geradliniger und somit ästhetisch stabilerer Designs“ geführt habe.

Die simpelste Erklärung indes lautet: Um die Jahrtausendwende standen Röhrenbildschirme kurz davor, auszusterben. Das Design musste sich also auf die Allgegenwärtigkeit platzsparender Flachbildschirme einstellen.

Während zwischen 1997 und 2001 in einer Experimentierphase weitaus variantenreichere Designs als später entstanden seien, folgte nun eine über einen längeren Zeitraum durchgehaltene Phase der Vereinfachung. In deren Ästhetik zeige sich die Suche nach einer reiferen, langlebigeren und weniger von Trends beeinflussten Formsprache. In den Jahren 2001 bis 2007 markiere sodann „die Teilung zwischen weißem Polycarbonat und Metall die Trennung zwischen Consumer (iBook/iMac) und Pro (Power Book/ Power Mac) Geräten“. In der Wertigkeit des Materials spiegelten sich die Leistungsunterschiede optisch und haptisch wider.

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Hardware und Software konvergieren

Die Analyse der Softwareentwicklung zeigt noch deutlicher, wie sehr die Gestaltung der Hardware seither gegenüber der Software in den Hintergrund getreten ist. Durch Entwicklungen wie iphone und ipad, aber auch durch Sprachsteuerungsinterfaces wie Siri hat eine Reduzierung des Objekthaften auf ein Bild bzw. einen Bildschirm stattgefunden. Auch ein traditioneller Desktopcomputer besteht heute im Wesentlichen aus einem Bildschirm. Erkennbar sei der Wandel auch daran, dass die ursprünglich getrennten Bereiche der Gestaltung von Hardware und Software nach dem Tod von Steve Jobs unter der Leitung von Jonathan Ive zusammengeführt wurden.

Torkar macht Schritt für Schritt nachvollziehbar, wie parallel zur Entwicklung der Hardware auch beim Betriebssystem Mac OS plastisch und farblich gestaltete Schaltflächen verschwunden sind und eine zunehmende Versachlichung Einzug hielt, zumal die stark ausgeschmückte Benutzeroberfläche seit etwa Mitte der 2000er-Jahre zunehmend in Konflikt mit der immer reduzierteren Ästhetik der Hardware geriet.

Nach Torkar kann das macOS, wie das Betriebssystem seit 2016 heißt, weiterhin als – wenn auch zeitgemäß wirkende – Iteration der Version von 2000/2001 verstanden werden. Die Informationsarchitektur des mobilen Betriebssystems iOS verlange aber zunehmend nach einer Abkehr vom Archetyp des Fensters und der Desktopmetapher und einer Hinwendung zur zeitlichen Staffelung funktionaler Abläufe. So werde erkennbar, dass sich das Ive’sche Formempfinden auch in der Software durchgesetzt habe, „Rahmen (Hardware) und Inhalt (Software)“ mehr und mehr verschmelzen. Konvergenz und Integration von Hardware und Software würden zudem in jüngster Vergangenheit noch weiter intensiviert.

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Über Ulm nach Cupertino

Auch Tokars Versuch einer designhistorischen Einordnung nimmt, wie seit Jahren üblich, zu Beginn den etwas kurzen Weg über Max Bill und die Hfg Ulm zum Braun-Design und Dieter Rams. In der holzschnittartigen Skizze der historischen Voraussetzungen wird Hans Gugelot sowenig erwähnt wie unreflektiert bleibt, was Jobs, Ive und ihre Teams darüber hinaus beeinflusst haben könnte. Dass die Publikation auf Torkars Magisterarbeit basiert, erklärt solche Verkürzungen. Schade ist auch, dass, was den Einsatz von Farbe bei Apple ab 1998 angeht, pauschal auf Ettore Sottsass und dessen Reiseschreibmaschine „Valentine“ verwiesen wird, aber weder Sottsass‘ (farbliche) Impulse für die gesamte Designentwicklung bei Olivetti noch andere Farbkonzepte, etwa des Bauhauses, in die Überlegungen einbezogen werden.

Gleichwohl gelingt es Torkar, indem er bekannte und oft erörterte Aspekte des Apple Designs systematisiert und dessen Entwicklung geschickt zusammenfasst, die entscheidenden Phasen herauszuarbeiten und wesentliche Schritte zum Erfolg des Unternehmens nachvollziehbar zu beschreiben. Steve Jobs hatte schon 1982 keinen Zweifel aufkommen lassen: „Ich will, dass das Design von Apple nicht nur das Beste innerhalb des Personal-Computer-Sektors sein wird, sondern das absolut Beste auf der ganzen Welt.“


Felix Torkar

Apple Design: eine Analyse

broschiert, 128 Seiten,
av edition, Stuttgart 2020
ISBN 978-3-89986-328-4
28 Euro

Seitenansichten der Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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