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Anregende Gespräche über abwesende Kollegen: Der Band „architects on architects“ versammelt Dialoge über bedeutende Baumeister der Vergangenheit. Er beweist, dass man das Eigene besser verstehen lernt, wenn man durch eine fremde Brille blickt.

Von Thomas Wagner.

Architekten mangelt es selten an Selbstbewusstsein. Entsprechend beginnt Hans Kollhoff, ehemals Assistent von Oswald Mathias Ungers an der Cornell University, sein Gespräch mit dessen Biograf Jasper Cepl ganz selbstverständlich mit einer Provokation. Er betont, er wäre ohne Ungers nicht der geworden, der er ist, stellt dann aber fest: „Als ich den Vortrag über Ungers vorbereitete und durch meine unzähligen Dias aus dieser Zeit ging, sagte ich mir, ich müsste doch eigentlich mit einem Foto eines Gebäudes von Ungers, das ich richtig toll finde, aufhören. Doch das habe ich nicht gefunden.“

Anschließend versuchen die beiden in munterem Zwiegespräch herauszufinden, weshalb es Ungers‘ Ideen und nicht seine Bauten sind, die sie beschäftigen. Auch hat sich dieser nicht dafür interessiert, wie seine Ideen umgesetzt wurden. Ungers „typisch moderner Essenzialismus“, so Cepl, stehe für die Zumutung einer „radikalen Verkunstung des Lebens“. „Man wurde“, so Kollhoff abschließend, „dazu inspiriert, aus den Bruchstücken etwas Neues, Faszinierendes zu entwickeln. Dafür hat er das intellektuelle Potenzial geliefert und die Sprache dazu. Das ist Ungers.“

Aus vielen Bruchstücken etwas Neues schaffen, was braucht es dazu? Woher beziehen Architektinnen und Architekten das Material, aus dem sie schöpfen? Welche Rolle spielen Vorbilder, Kindheitserinnerungen, biografische Zufälligkeiten wie Bilder, Musik oder gesammelte Dinge? Wie beeinflusst all das die eigene baukünstlerische Arbeit? Was ist es, das jemand, der selbst baut, über Architektur nachdenkt und sie womöglich lehrt, an einem Architekten fasziniert, dem eine bestimmte Position in der Architekturgeschichte zugeschrieben wird?

Aus der Publikation „architects on architects“, Hirmer Verlag (S. 82-83). Abb. Carlo Scarpa, Olivetti Showroom Venedig 1957-1958. Fotografie: seier+seier

Wahlverwandtschaften

Die Gespräche des Bandes „architects on architects“ gehen ursprünglich auf eine Veranstaltungsreihe der Fakultät für Architektur zurück, die 2018 im Rahmen der 150 Jahrfeier der Technischen Universität München stattgefunden hat: Namhafte Architektinnen und Architekten unserer Zeit referierten über den Einfluss von Vertretern früherer Generationen auf ihre Haltung zur Architektur, anschließend wurde ihre Perspektive im Austausch mit einem Gegenüber vertieft, hinterfragt und erweitert.

Der Blick in die Geschichte und auf einzelne Wahlverwandtschaften lohnt allein schon deshalb, weil er hilft, das Bild scharfzustellen, das sich die Teilnehmer von sich selbst und ihrem Tun machen. Also spricht Arno Lederer zusammen mit Philip Ursprung über Sigurd Lewerentz; Hans Kollhoff und Jasper Cepl untersuchen Ideen und Bauten von Oswald Mathias Ungers; Tom Emerson und Monika Sosnowska blicken auf das Monument Ludwig Mies van der Rohe. Mario Botta denkt gemeinsam mit Pippo Ciorra über Louis I. Kahn nach, Momoyo Kaijima mit Lise Juel über Jørn Utzon. Donatella Fioretti und Olaf Nicolai sprechen über Walter Gropius und László Moholy-Nagy; Alberto Campo Baeza betrachtet Alejandro de la Sota, José Ortega y Gasset und T.S. Eliot; und Christian Kerez unterhält sich mit Stephan Trüby über Francesco Borromini und wie er im 20. Jahrhundert rezipiert wurde.

Vervollständigt wird der muntere Gesprächsreigen von dem als erweitertes Vorwort eingefügten Vortrag von Mauro Marzo über „Lesarten der Architektur“. An Bekenntnissen, Erinnerungen und Einordnungen, an Anekdoten, Analogien, und Bewertungen herrscht also kein Mangel.

Mies van der Rohe ist sehr geheimnisvoll, weil er vorgibt, rational zu sein. Aber eigentlich ist er eher mystisch als rational.

Tom Emerson über Mies van der Rohe

Mies und Mystik

Das Gespräch der Bildhauerin Monika Sosnowska und des Architekten Tom Emerson über Mies van der Rohe geht denn auch eigene Wege, rückt die persönliche Auseinandersetzung mit dem großen Namen ins Zentrum. Sosnowska, die in einer ihrer Installationen ein Fragment der Vorhangfassade der Lake Shore Drive Apartments in Chicago „wie eine Zeitung“ gefaltet hat, sodass es „zu einem horizontal liegenden, eingestürzten Turm wurde“, geht es erklärtermaßen um „das Ende von etwas“; während, so ihre Perspektive auf Mies, dieser „sehr optimistisch war, als er eine neue Welt, eine neue Ordnung aufbaute“. Was ihren Gesprächspartner zu dem Hinweis veranlasst, Mies sei „sehr geheimnisvoll, weil er vorgibt, rational zu sein. Aber eigentlich ist er eher mystisch als rational.“

Im Schein der Lampe Dinge mit der Hand erzählen

Arno Lederer und Philip Ursprung reden mehr über Ernst Gisel als über Sigurd Lewerentz, einerseits über die Verbindung von Kopf und Hand, andererseits darüber, was an dem, über den geredet wird, und seiner Arbeitsweise fasziniert. Wobei Lederer bemerkt: „Ernst Gisel oder auch Sigurd Lewerentz waren der Typ Architekt, der man eigentlich werden wollte: legere Kleidung, Zigaretten rauchend am Schreibtisch, im Schein der Lampe und mit der Flasche Portwein vor sich – wie es das eine Foto von Lewerentz in seinem Büro zeigt. Man spürt, dass er nicht nur dasitzt, sondern dass er zeichnet und dabei gar nicht bemerkt, dass er arbeitet. Er ist in einer Art Fluss, in dem er Dinge mit der Hand erzählt. Diese Art des Arbeitens ist sehr faszinierend, weil der Erkenntnisgewinn durch das Machen kommt. Und faszinierend ist natürlich auch Lewerentz’ Auffassung von Raum. Für ihn gibt es den Raum nach außen, zum Öffentlichen, und den Raum nach innen, ins Private. Das Spannende daran ist die Steuerung des Übergangs, das gezielte Öffnen und die dadurch entstehenden Blickbeziehungen zwischen innen und außen.“

Man spürt, dass er nicht nur dasitzt, sondern dass er zeichnet und dabei gar nicht bemerkt, dass er arbeitet. Er ist in einer Art Fluss, in dem er Dinge mit der Hand erzählt.

Arno Lederer über Sigurd Lewerentz

So nehmen die Gespräche den Leser mit auf ganz verschiedene Denk- und Wahrnehmungsreisen in unterschiedliche Gefilde der Architektur. Mal in lockerem Plauderton, mal beschreibend, mal analytisch präzise werden Charaktere umrissen, erfrischt man sich an Inspirationsquellen und kratzt an Denkmälern. Oft sind Bewunderung oder Kritik gespickt mit persönlichen Erinnerungen und sprechenden Anekdoten – etwa, wenn Mario Botta erzählt, was ihm Carlo Scarpa über mit Hammer und Meißel scharrierte Oberflächen gesagt hat, als er ihn bei der Arbeit am Olivetti-Laden am Markusplatz in Venedig getroffen hat.

Aus der Publikation „architects on architects“, Hirmer Verlag (S. 106-107). Donatello Fioretti und Olaf Nicolai.

Landschaften gibt es in Deutschland nicht mehr

Nicht alle Einsichten sind tiefgründig. Doch wer den zwischen Gegenwart und Geschichte gesponnenen Verbindungsfäden aufmerksam folgt, wird immer wieder von Ansichten, Überlegungen und Perspektiven überrascht, die, was man zu kennen glaubte, in ein neues Licht tauchen. Ob Arno Lederer, nach der Bedeutung der Landschaft gefragt, konstatiert: „Landschaft gibt es ja in Deutschland nicht mehr. Ich würde sie als Fabrik bezeichnen, der Wald ist Fabrik, die Felder und Wiesen sind Fabrik.“

Oder wenn Donatella Fioretti, die das Meisterhaus von Walter Gropius in Dessau rekonstruiert hat, dem Bauhausgründer attestiert, „er hatte ein sehr genaues Gespür für die Zeit und damit arbeitete er“ – um ihn dann aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten: „Ich sehe die Bedeutsamkeit seines Wirkens viel mehr als Promoter, als Vermittler, denn als Architekt, auch wenn er einige komplexe und zweifelsohne wichtige Bauten geschaffen hat.“ Wobei der Konzeptkünstler Olaf Nicolai die Einschätzung durch den Hinweis auf die Bauhausbücher als Werbekampagne, „um Bauhaus als Inbegriff von ,zeitgenössisch‘ zu etablieren“, ergänzt.

Er hatte ein sehr genaues Gespür für die Zeit und damit arbeitete er.

Donatella Fioretti über Walter Gropius

So werden ein ums andere Mal wie in einem Kaleidoskop funkelnde und in vielen Farben leuchtende Facetten einer Architekturgeschichte wahrnehmbar, die eben kein totes Wissen anhäuft, sondern Fragen aufwirft, die eine lebendige Gegenwart braucht, um ihre eigenen Obsessionen und blinde Flecken erkennen zu können.


architects on architects

Dietrich Fink, Uta Graff, Nils Rostek, Julian Wagner (Hg.)
160 Seiten. Hirmer Verlag, München 2019
deutsch: ISBN 978-3-7774-3309-7
englisch: ISBN 978-3-7774-3308-0
24,90 Euro


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