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Abgaswerte und Klimawandel haben die Automobilbranche dazu verdammt, sich radikal erneuern zu müssen. Das Ende des Verbrennungsmotors ist beschlossen, die Elektromobilität am Markt noch nicht durchgesetzt. Wie schlägt sich das in der Automobilwerbung nieder? Verfällt sie in alte Muster oder erobert sie die Zukunft mit Witz?

Von Thomas Wagner.

Was waren das für Zeiten, als Charles Wilp in den 1960er-Jahren für eine Werbekampagne die Rückansicht eines VW Käfers auf ein Hühnerei zeichnen und darunterschreiben konnte: „Es gibt Formen, die man nicht verbessern kann.“ Oder er ließ einen Käfer Bild für Bild dem Horizont entgegenfahren, bis er fast verschwunden war und setzte hinzu: „Er läuft … und läuft … und läuft… und läuft…“ Tempi passati. Die Jahre zogen ins wachsend automobilisierte Land. Und als die Ölkrise überwunden, immer mehr Freude am Fahren, Pferdestärken im Überfluss, rasante Beschleunigung und höchste Geschwindigkeit angesagt waren, schöpfte auch die Autowerbung aus dem Vollen. Man pries den technischen Fortschritt, erkannte in größerer Sicherheit Wettbewerbsvorteile, ließ es aber auch gern ungefiltert aus allen verfügbaren Zylindern röhren. Die magischen Marken-Formeln von Freude, Freiheit und Fortschritt sind allseits bekannt.

Besonders nach der Jahrtausendwende mischten sich unter die üblichen Spots, die von Kraft, Sicherheit, Neuheiten oder dem ein oder anderen praktischen Detail kündeten, zunehmend lustige Filme. Die Branche entdeckte den augenzwinkernden Humor, begegnete der Mobilmachung im Allgemeinen und der Automobilität im Besonderen mit Witz und Ironie. Kurz: Man nahm sich nicht ganz so bierernst und reflektierte – die Verkaufszahlen stiegen ja – das eigene Tun. Volkswagen setzte 2011 zur Werbeschlacht rund um den Super Bowl auf „The Force“ und ließ einen kleinen Darth Vader auftreten. Mercedes bewies zwei Jahre später, unterstützt von Hollywoodstar Willem Dafoe und den Stones mit „Sympathie for the Devil“, dass selbst der teuflische Versucher gegen den Markt und einen guten Preis den Kürzeren zieht.

Und heute? Heute, da das Automobil selbst in Frage gestellt, der „Verbrenner“ öffentlich zu Grabe getragen, der Elektroantrieb favorisiert und zugleich auf Wasserstofftechnologie spekuliert wird, stehen die Werber vor enormen Herausforderungen. Auch wenn es nur eine Momentaufnahme sein kann: Was lässt sich beobachten?

Ein Streifen blauer Himmel

BMW i4 Printwerbung
BMW i4. © BMW Group

Auch bei den neuesten, rein elektrisch angetriebenen Modellen wie dem nagelneuen, als Tesla-Modell3-Exorzisten angesehenen BMW i4, bedient sich die Werbung (hier in Printanzeigen) der üblichen Zutaten. So wenig sich das Gefährt selbst in seinem Design (bis auf wenige, das Neue ausflaggende Elemente) von seinen spritbetriebenen Brüdern und Schwestern unterscheidet, so deutlich bleibt die Werbung in eingeübten Posen gefangen. Auf fortschrittliche Weise mobil sind danach jene und jener, die sich auf die jeweils aktuelle Mischung aus Modernität und Mode verstehen. Wollte man die Szene heiter und ironisch gestimmt interpretieren, man könnte sich fragen: Ist der sich betont lässig (Hände in den Hosentaschen) gebende junge Mann mit dem melancholischen Blick beleidigt davongelaufen? Wartet die junge Frau darauf, dass er wieder einsteige? Was will die Paarkonstellation der beiden, die sich so ähnlich scheinen, ausdrücken? Was sollen – sorry für den Achtzigerjahre-Name – diese Yuppies, sprich diese „Young Upwardly-mobile Professionals“ an Zukunftsoptimismus ausstrahlen? Sieht, automobil und menschlich, so die Generation „bornelectric“ unterm blauen Himmelsstreifen aus?

Wie angestrengt die Macher nach eingängigen Formeln suchen, um die alte Welt der „Freude am Fahren“ nicht nur ins digitale, sondern auch ins postfossile Zeitalter hinüberzuretten, ist überall zu spüren. Bleiben wir also noch einen Moment bei BMW, wo man, wie auch bei Mercedes, eben erst eine Modell-Offensive in Sachen Elektromobilität gestartet hat. Gerade hat der Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse über sein Unternehmen gesagt: „Das grünste Elektroauto soll ein BMW sein – und das kühnste Unternehmen die BMW Group.“ Die Werbung für Modelle ohne „i“ zielt in ihrer Ästhetik aber noch auf andere Werte.

Enjoy every edge

Unter dem Titel „The 4“ ist zu lesen: „Edges, some fear them, some love them…“ Die Beats hämmern es ein, die Bilder flackern in leidenschaftlichem Rot und kühlem Blau. In schnellen Schnitten wird Adrenalin durch die Bilder gepumpt, soll das neue BMW 4er Coupé doch „ein ganz neues Maß an dynamischer Potenz und stilistischer Individualität in die Welt zu bringen“. Auch muss, wer gedacht hatte, Automobildesign sei längst mehr als Styling, akzeptieren: Das „Styling des neuen BMW 4er Coupé ist ein ausdrucksstarkes Schaufenster für den individuellen Charakter, der aus jedem Blickwinkel pure Fahrfreude ausstrahlt“.

Ist es dieses „unverwechselbare Charakterprofil“, das in die Zukunft weist? Audi greift sogar ins Interplanetarische aus, um bei seiner Werbung für den neuen A3 Sportback Impulse zu setzen. Ästhetik und die Botschaft „Der neue Audi A3 Sportback. Fortschritt erlebbar gemacht“, unterscheiden sich aber kaum von früheren Spots.

Die richtige Zeit, ein Audi zu sein

„Wir fliegen zum Mars. Roboter putzen unsere Wohnung. Raketen können landen. Hunde haben Follower. Aus Recycling wird Mode. Ihr Fernlicht reagiert auf andere Autos. Und Ihr Auto folgt Ihrer Stimmung. Die richtige Zeit, ein Audi zu sein.“ Reicht das Stakkato solcher Aussagesätze, um weiter den Fortschritt zu beschwören? Oder brauchen Werbung und Marketing ganz andere Bilder und Botschaften, um künftig Kunden anzusprechen? Dass die Transformation auch als Wettstreit zwischen (Modell-)Generationen verstanden wird, zeigt der folgende BMW-Spot. In seiner Erzählung lässt er das beliebte Motiv aufleben, dass, ist die Nacht nur dunkel genug, Dinge und Maschinen zum Leben erwachen.

Konflikte der Generationen

In den Dialogen dieses im Vergleich recht langen Spots „A story of generations“, den BMW zur CES 2021 gelauncht hat, werden die enormen Veränderungen deutlich, denen sich die Hersteller konfrontiert sehen: Elektrizität statt Benzin, Intelligenz und Emotion statt Kraft und Geschwindigkeit: „BMW iDrive. The intelligent fusion of sensing.“ „Intelligence“? „Marketing Bullshit“? Welchem Modell die Zukunft gehört, steht fest.

Hauptsache Horsepower

Wie sich intelligente Systeme auf lustige Weise mit dem Thema „Horsepower“ verknüpfen lassen und sich plötzlich ganz andere Pferdestärken zeigen, belegt dieser Spot von Volkswagen aus dem Jahr 2017.

Es geht noch ganz anders. Mit der Formel „Take it to the next level“ bietet der folgende Film zwar keine Alternative zum immer gleichen historischen Fortschrittsmodell an. Indem die „History of Horsepower“ einen comicartigen Bilderreigen von schwer zu zähmenden Wildpferden und römischen Streitwagen bis zum kompakten Muscle-Car inszeniert, schlägt das für BMWs neuen Channel auf der rasant wachsenden chinesischen Video-Sharing-Plattform Bilibili produzierte Filmchen zumindest ästhetisch andere Töne an.

Aus Citroën wir Zitrön

Last but not least lässt sich bei Citroën zu lernen, wie man aus Anlass eines Jubiläums die Marke geschickt in den Vordergrund rücken und sich mit Esprit und Humor auf den eigenen Namen und die Andersartigkeit der Marke beziehen kann.

Wie in der kurzen Doku rund um den Citroën-Händler Michael mit Veränderungen umgegangen wird, die als disruptiv erlebt werden, wie selbstironisch mit kulturellen Unterschieden, Identifikations- und Transformationsprozessen gespielt wird, macht einfach Spaß. So schmunzelnd kann Fortschritt in all seiner Ambivalenz auch daherkommen. Es muss nicht immer Technik sein.


ABC Award 2021 – The world of mobility

Der ABC Award ist ein weltweit einzigartiger Design- und Branchenwettbewerb, der die ganze Welt der Mobilität umfasst. Unabhängige Experten prämieren herausragende Produkte, Projekte und Marken aus allen mobilen Bereichen: von den Best Practices der Kommunikation und Werbung über kommerziellen und individuellen Transport bis hin zu wegweisender Innovation. Die Early-Bird-Deadline für die Anmeldung ist am 14. April!


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