6 min read

Ikea, das „unmögliche Möbelhaus aus Schweden“, feiert 80. Geburtstag. So clever hat niemand sonst Wohnversprechen der Moderne wahr gemacht und die Art und Weise revolutioniert, wie man sich unkompliziert einrichtet. Was das Design angeht, fällt die Bilanz eher gemischt aus.

Kommentar von Thomas Wagner

80 Jahre IKEA © Inter IKEA Systems B.V.

Auch Ikea war lange bieder. Frischen Wind ins Möbelgeschäft brachte es erst nach und nach. Als die Schrankwand hierzulande noch die deutsche Eiche feierte, sich das Geschirr im Buffet in Gelsenkirchener Barock stapelte, das Jugendzimmer aus nussbaumfurnierter Spanplatte bestand und Do-it-Yourself ein Fremdwort, war Ikea zur Stelle und nutze den revolutionären Schwung des gesellschaftlichen Wandels. Angeboten wurde ein unverkrampfter skandinavischer Einrichtungsstil, kurzum, ein Leben ohne möblierten bourgeoisen Muff. Wer Wohngemeinschaft und Weinkistenregal hinter sich wusste, suchte Alternativen – und fand sie in dem „unmöglichen Möbelhaus aus Schweden“. Das perfektionierte Konzept preiswerter und schnörkelloser Möbel passte wie angegossen. Im Geist von Bauhaus, de Stil und Werkbund ließ Ikea im Klima stabiler Prosperität den ein oder anderen Traum der Moderne massenhaft Wirklichkeit werden.

Es begann auf einem Bauernhof

Am 28. Juli 1943 ließ der 17 Jahre alte Ingvar Kamprad in Schweden eine Marke registrieren, um kleine Dinge des alltäglichen Gebrauchs wie Kugelschreiber, Bilderrahmen, Streichhölzer und Nylonstrümpfe zu verkaufen. Seine Ware lieferte er vom Hof seiner Eltern mit dem Fahrrad aus. Der Name IKEA setzt sich denn auch aus den Anfangsbuchstaben des Namens seines Gründers Ingvar Kamprad, des Bauernhof Elmtaryd seiner Eltern, und Agunnaryd zusammen, dem Dorf, zu dem der Hof gehörte. Inzwischen hat sich das Unternehmen zu einem der größten Möbelhändler weltweit mit mehr als 460 Filialen in 62 Ländern entwickelt. Das erste Ikea-Möbelhaus in Deutschland wurde am 17. Oktober 1974 in Eching bei München eröffnet. Deutschland ist für Ikea nach wie vor der größte Markt, vor den USA, Frankreich und Großbritannien.

Ingvar Kamprad © Inter IKEA Systems B.V.

Kiefernholzlook und Stilmischungen

Die anfangs hauptsächlich im hellen Kiefernholz-Look gehaltenen Möbel versprachen Leichtigkeit. Auch wenn Ikea-Möbel heute durchaus einem eigenen Ideal folgen (was auch mit den Namen der Produkte zu tun hat) – beim Design war die schwedische Möbelkette kein Vorreiter. Ein Grund: Ikea ist primär ein Handels- und kein Designunternehmen. Der ehemalige Ikea-Manager Johan Stenebo hat in seinem 2010 auf Deutsch erschienenen Buch „Die Wahrheit über IKEA“ beschrieben, wie präzise die Stilgruppen (Country, Scandinavian, Modern und Young Swede) zusammen mit dem Preisniveau eine bis ins Detail durchdachte Produkt-Matrix bildeten. Der tragende Gedanke sei, so Stenebo, „dass man als Kunde aus allen Sortimentsbereichen innerhalb einer gewissen Stilgruppe mixen und passend zusammenstellen kann und so zum Beispiel sein homogenes Country- oder Young Swede-Zuhause bekommt.“

Halb so teuer wie auf der Prachtstraße

Was das Produktdesign angeht, so hat Ikea gezeigt, wie leicht die (geschickte) Kopie am Markt über den (teuren) Originalentwurf triumphieren kann (den die Kund*innen ja zumeist nicht kennen). Die Erfolgsformel: IKEA = Nachempfinden von gutem Design + praktisch + preiswert + sofort verfügbar. Stenebo bestätigt die Methode: „Halb so teuer wie auf der Prachtstraße, aber genau so hübsch. Funktioniert das wirklich so? Ja, während der 70er und 80er Jahre klaute das Unternehmen ungeniert das Design für viele seiner Bestseller. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass dieses ,Diebesgut‘ zu einem gewissen Teil IKEA zu dem machte, was es heute ist, so beachtlich muss der Absatz dieser Bestseller gewesen sein. Viele Aufbewahrungs-Serien, Sessel und Lampen waren definitiv Kopien mit einem leichten IKEA-Touch.“

Wie die juristischen Auseinandersetzungen mit Moormann und e15 belegen, ist Ikea trotz einer „Meute Juristen von Inter IKEA aus Brüssel“ (Stenebo) damit nicht immer durchgekommen. Im Fall von e15 („Malm“ vs. „Mo“) war auf Seiten von Ikea die Rede von sogenannten „Parallelschöpfungen“, bei denen durch Zufall zwei identische Formen fast zeitgleich und ohne ein Wissen von der anderen entstanden seien.

Cleveres Kult-Marketing

Ikea, das war stets auch cleveres Marketing. Dazu gehören hierzulande so treffende Werbesprüche wie „Wohnst du noch oder lebst du schon?“. Der Slogan verkörpert perfekt den Anspruch der Marke, mehr als nur Möbel zu verkaufen. Auch der lustige Exotismus vieler Möbelnamen, der IKEA-Katalog (das gedruckte gute Wohngewissen und zeitweise das auflagenstärkste Druckerzeugnis der Welt wurde 2021 eingestellt), Köttbullar und Billy-Regal haben ihren Teil dazu beigetragen, dass eine Kult-Marke entstand. Nicht zu vergessen die voluminösen blauen Einkaufstaschen, mit denen komplette Wohnungsumzüge gemeistert und in denen überhaupt alles Erdenkliche verstaut werden konnte.

Entscheidend war: Das gesamte Kauferlebnis unterschied sich so gründlich von der hüftsteifen Atmosphäre in einem traditionellen Möbelhaus wie die schwer auf der Geschmacksseele lastende Eichenholzschrankwand von den freundlich hellen Kiefernregalen. Überhaupt: Hier wurde Design, so durchschnittlich es auch war, konsequent als etwas gesehen, das preiswert und schnell konsumiert werden kann, weder Luxus noch Status signalisiert und die User-Experience ernst nimmt. Ikea-Möbel atmen stets den egalitären Geist der Moderne, ohne den Hang, in Fragen des Geschmacks erzieherisch wirken zu wollen. Sogar das (oft kritisierte) Selbst-Zusammenbauen-Müssen führte zu einer engen Bindung an die Möbel und rückte die Nutzer*innen in den Mittelpunkt. Die Kette vom Aussuchen übers Transportieren und Auspacken bis zum Zusammenbauen und Aufstellen war jedenfalls unschlagbar gut durchdacht – Kerzen, Gläser und Untersetzer inbegriffen.

IKEA Katalog 1974 – der erste in Deutschland verteilte IKEA Katalog
© Inter IKEA Systems B.V.

Jenseits des Ererbten

Im Erfolg von Ikea steckt noch auf andere Weise ein später Triumph der Moderne: Hatte diese mit ihrem Konzept der Befreiung von der Last der Vergangenheit durch das Immer-wieder-Neue nicht nur Konsum und Kapitalismus befeuert, sondern auch den endgültigen Bruch mit dem Ererbten vollzogen, so hat Ikea (nicht allein, aber für die breite Masse) dem Bruch ein positives und nicht-elitäres Image verschafft. Glaubhaft gemacht wurde, man sei eine Avantgarde für alle. Und so stattete die praktisch-leichte Einrichtung, in den 1920er-Jahren propagiert, den neuen jungen Menschen ab den 1970er- Jahren mit jener Beweglichkeit aus, die eine allgemeine Mobilmachung der vormals Sesshaften mehr und mehr erforderte. Wer jenseits ererbter Stilmöbel oder teurem Designerstück ein ansprechend-praktisch gestaltetes Möbel brauchte und nicht altbacken erscheinen wollte, musste nicht lange suchen: Er griff zu dem, was er im „etwas anderen Möbelhaus“ in Augenschein genommen und sogleich selbst ins Auto gepackt hatte. Versprochen und leicht zugänglich gemacht wurde über alle Klassengrenzen hinweg ein unverkrampft zeitgenössischer, aber, dem Zeitgeist entsprechend, eben auch weitgehend geschichtsloser Lifestyle.

Das Jubiläumsprogramm

In seinem Jubiläumsprogramm feiert sich das Unternehmen selbst – und versucht den Spagat zwischen Nostalgie und Frische. Auch dabei rangiert Marketing vor Design. „Nytillverkad Kollektion“ (Nytillverkad = Neu produziert) heißt die zum 80zigsten gelaunchte Neuinterpretation einer Reihe von Ikea-Klassikern. (Alle drei Monate sollen weitere Nytillverkad-Produkte folgen.) Ganz offiziell reist man zurück in die Zukunft, huldigt geschickt dem Trend zu Vintage-Möbeln und erklärt, „dass die Menschen zunehmend auf der Suche nach einzigartigen und zugleich zeitlosen Designs sind, die dem Zuhause Charakter und Stil verleihen“. Also werden die Wurzeln, zu denen man zurückkehrt, in frische Farbtöpfe getaucht: „In den letzten 80 Jahren“, so Fredrika Inger, Geschäftsführerin von IKEA of Sweden, „haben wir viele Möbel entworfen, die in das Zuhause so vieler Menschen eingezogen sind – und jetzt war es an der Zeit, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen. Für Nytillverkad haben wir unsere Klassiker neu gestaltet, damit sie in die heutige Zeit passen und dem Stil aktueller und zukünftiger Generationen entsprechen“.

Das Sofa aus dem Umschlag

Ikea denkt auch mit 80 nicht daran, sich auf seinen Erfolgen auszuruhen. Wie sich das Bausatz-Konzept weiterentwickeln lässt, hat Ikeas unabhängiges Design-Forschungslabor „Space10“ kürzlich mit „Couch in an Envelope“ durchgespielt: In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Studio Panter&Tourron und mit Hilfe von KI wurde ein flach verpacktes, modulares und leichtes Möbelstück ersonnen, das neu interpretiert, was ein Sofa ausmacht. Das Konzept, so heißt es, orientiere sich an den Anforderungen des modernen Lebens, von der Platzersparnis bis zur Kreislauffähigkeit. Durch KI als kreativem Kollaborateur (den es nicht wirklich braucht) einen Design-Archetypen wie das Sofa in Frage zu stellen, weist immerhin in die entgegengesetzte Richtung wie die nostalgische Jubiläumskollektion. Oder, in der Ikea Werbesprache von 1985: „Entdecke die Möglichkeiten“.


Mehr auf ndion

Weitere Artikel zum Thema Design und Marke.



Diese Seite auf Social Media teilen: