Wie können die Ideale des historischen Bauhauses auch heute noch Orientierung bieten? Im Gespräch mit ndion erklärt Dr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs, wie die Institution das Erbe der Schule mit aktuellen Fragen verknüpft, demokratische Werte fördert und so Impulse für den Design-Diskurs setzt.
Interview von ndion-Redaktion


Frau Jaeggi, wie übersetzen Sie im Bauhaus-Archiv das Erbe des Bauhaus in die heutige Zeit?
Dr. Annemarie Jaeggi: Das historische Bauhaus ist unser Bezugspunkt, um unser Verständnis für die Gegenwart zu schärfen: Die Schule bestand in den politisch und gesellschaftlich turbulenten Jahren zwischen 1919 und 1933. Hier lehrten und lernten Menschen aus aller Welt mit ganz unterschiedlichen Haltungen und Schicksalen. Wir kümmern uns nicht nur um die Bewahrung der überlieferten Werke, für die die 1919 gegründete Schule so bekannt ist, sondern vor allem auch um die gesellschaftsverändernden Ideen, mit denen man sich am Bauhaus beschäftigt hat. Sie sind heute aktueller denn je. Indem wir uns immer wieder fragen, was das mit uns heute zu tun hat, verknüpfen wir das historische Bauhaus mit der aktuellen Lebenswelt der Menschen. In unserem Projektraum temporary bauhaus-archiv laden wir die Öffentlichkeit zu thematischen Ausstellungen und vielfältigen Veranstaltungsformaten zum Dialog und Austausch ein. Wir machen Outreach-Projekte im Berliner Stadtraum, z.B. in der Gropiusstadt und arbeiten mit Studierenden,nationalen sowie internationalen Künstler*innen zusammen – alles, um das Erbe in die heutige Zeit zu tragen.
Was bedeutet die ‚Marke Bauhaus‘ für Sie, und wie vermitteln Sie diese Identität weltweit?
Die Ästhetik, also die Leichtigkeit und Glätte, das Dekorlose zahlreicher Objekte, mit denen das Bauhaus identifiziert wird, spielen sicherlich nach wie vor eine Rolle für die Faszination der Schule. Für mich steht das Bauhaus aber insbesondere für eine Gegenwart: Es war ganz seiner Zeit verhaftet, mit all ihren Widersprüchen − und das merkt man. Von einem tatsächlichen Markenkern würde ich hier aber nicht sprechen, dafür war das Bauhaus viel zu heterogen.
„Das historische Bauhaus ist unser Bezugspunkt, um das Verständnis für die Gegenwart zu schärfen.“
– Dr. Annemarie Jaeggi
Wie sehen Sie heute die kulturelle Bedeutung des Bauhauses für das deutsche Image im Ausland. Welche Rolle spielt das Bauhaus-Archiv dabei, dieses Image zu pflegen?
Wir erleben, dass das Thema Bauhaus und wir als Bauhaus-Archiv mit der weltweit größten Sammlung eine hohe Anziehungskraft ausüben. Man hat manchmal den Eindruck, als wäre das Bauhaus im Ausland bekannter und bedeutender als in Deutschland. Vor unserer baubedingten Schließung 2018 kamen 80 % internationale Besucher*innen zu uns! Mit unserer Sammlung − Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Modelle, Pläne, Grafiken, Gebrauchsgegenstände und Archivalien aller Art − sind wir zentrale Anlaufstelle für Interessierte und Forscher*innen aus aller Welt. Indem wir diese umfangreichen Bestände pflegen und auf vielfältige Weise zugänglich machen, vermitteln wir das materielle und immaterielle Erbe des Bauhauses.

Welche Rolle spielt das Bauhaus-Archiv bei der Verteidigung demokratischer Werte und der Förderung von Vielfalt, insbesondere vor dem Hintergrund der historischen und heutigen Angriffe auf das Bauhaus?
Wir fühlen hier eine hohe Verantwortung und tatsächlich ist es unserem Team ein großes Anliegen, demokratische Werte und Vielfalt der Gesellschaft zu leben und sich dafür sichtbar stark zu machen − was ich als Leitung sehr unterstütze. Das hängt sicher auch mit unserem Thema zusammen: Von Beginn an war das Bauhaus rechtspopulistischen Angriffen ausgesetzt, die 1933 zur endgültigen Schließung der Schule führten. 2023 hat sich hausintern eine AG Diversität gegründet, die vor dem Hintergrund der correctiv Recherchen Anfang 2024 die Reihe „Haltung üben. Eine Veranstaltungsreihe zu Bauhaus und Vielfalt“ ins Leben gerufen hat. Mit der Reihe laden wir ein, über demokratische Grundwerte sowie eine vielfältige und solidarische Gesellschaft zu diskutieren. Mit informiertem und durchaus auch kritischem Blick auf das Bauhaus sowie auf die politischen Entwicklungen und Debatten der Gegenwart fragen wir: Wie können wir als Kulturinstitution und Individuen Verantwortung übernehmen und aktiv eine offene Gesellschaft stärken? Kürzlich haben wir eine Diskussionsveranstaltung ausgerichtet, die viel Beachtung fand.
Wie bleibt das Bauhaus-Archiv international relevant und bringt zugleich neue Impulse in den Design-Diskurs ein?
Schon das historische Bauhaus könnte man als „internationale Plattform“ bezeichnen: Studierende, Lehrende und Gäste kamen aus aller Welt nach Weimar, Dessau und später nach Berlin, um über neue Wege in Kunst, Architektur und Design zu ringen Die Vernetzung mit Institutionen, Wissenschaftler*innen und Bauhaus-Begeisterten liegt uns nicht zuletzt aus diesem Grund besonders am Herzen, sie ist uns gleichsam qua Geschichte in unser Agieren eingeschrieben. Leider sind wir aktuell aufgrund unseres großen Neubauprojekts geschlossen, was sehr schmerzt. Dennoch bleiben wir am Ball und bauen unsere Kontakte und Netzwerke aus.
Welche Faktoren sind nötig, um heute eine Designbewegung mit globaler Strahlkraft wie das Bauhaus zu schaffen?
Einmal dahingestellt, ob dies heute noch in diesem Maße möglich sein kann: Sicherlich kann man einiges vom historischen Bauhaus lernen. Es existierte für vergleichsweise kurze 14 Jahre und hat sich in diesen stets reformiert und neu erfunden − denn es wollte radikal anders sein. Das Bauhaus positionierte sich ganz im Hier und Jetzt und war offen für die Fragen seiner Zeit. Wichtig ist auch, dass das Bauhaus eine Schule war. Für mich ist diese Gemeinschaft der Lernenden und Lehrenden die Grundlage seines Erfolgs und das Geheimnis seiner Strahlkraft: das gemeinsame Nachdenken, Experimentieren und durchaus auch Ringen um Ideen.

Haltung üben
Die Veranstaltungsreihe thematisiert demokratische Grundwerte und eine solidarische Gesellschaft, inspiriert vom historischen Bauhaus und seiner Rolle in politisch turbulenten Zeiten. Im Rahmen von Veranstaltungen werden demokratische Werte reflektiert, um Verantwortung für eine offene Gesellschaft zu fördern.
Kommende Events:
Haltung üben
spielen verbindet. auf die knete fertig los!
1 Dez. bis 15. Dez. 2024,
von 10:00 bis 21:00 Uhr
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