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Kann gutes Design die Krisenfestigkeit von Unternehmen und ganzen Wirtschaftszweigen erhöhen? Sind starke Marken und Unternehmen mit hohem Gestaltungsanspruch und anpassungsfähigen Produkten resilienter? Das Leitmotiv „recreate. transform. be resilient“ des GDC Summit (vormals Deutscher Marken- und Designkongress) geht diesen Fragen auf den Grund. Wir haben im Vorfeld des Kongresses mit einzelnen Speakern gesprochen.

Ein Markenkern, der keine Transformation benötigt 

Interview mit Michael Lessmann, Managing Director DACH + Nordics bei Ritter Sport

Ritter ist seinem Markenkern immer treu geblieben. Trägt das zur Resilienz des Unternehmens bei?

Für die Resilienz eines Unternehmens ist eine starke Unternehmenskultur mit klaren Werten zentral. Diese Werte beruhen bei uns auf den Überzeugungen der Familie Ritter und sind nicht nur Leitlinien für unser tägliches wirtschaftliches Handeln als Unternehmen, sondern auch für unsere Marke.

Ritter ist immer noch ein Familienunternehmen im Gegensatz zur Konkurrenz. Wie können Sie auf dem Markt bestehen und resilient bleiben?

Wir bestehen am Markt nicht obwohl wir ein Familienunternehmen sind, sondern weil wir es sind! Familienunternehmen zu sein, ist ein riesiger Vorteil. Es ermöglicht uns schnell zu agieren und ein am langfristigen Erfolg ausgerichtetes Wirtschaften. 

GDC Summit Michael Lessmann
Michael Lessmann

Können Sie trotzdem innovativ sein?

Innovativ zu sein, gehört genauso zu unserer DNA wie nachhaltig zu wirtschaften. Unsere Innovationskraft reicht von der Erfindung des Schokoquadrats vor 90 Jahren bis hin zu unserem Ansatz der ganzheitlichen Verwertung der Kakaofrucht heute. Unser Erfolgsgeheimnis besteht nicht zuletzt in der fruchtbaren Verbindung von Innovation und Tradition.

GDC Summit Ritter Sport
Erste Tests mit Papierverpackungen wurden sehr gut von Verbraucher*innen angenommen, © Ritter Sport

Die Verpackung Ihres Produkts ist die gleiche, allerdings ist das Material neu: Haben Sie damit Erfolg? Ist es ein Erfolgsgarant, Nachhaltigkeit zum Thema zu machen?

Unsere ersten Tests mit einer papierbasierten Verpackung waren vielversprechend und auch das Feedback der Verbraucher*innen ist hervorragend. Dabei geht es uns vor allem darum, unser Produkt, bei maximalem Produktschutz und Produktsicherheit, in eine recyclingfähige und nachhaltige Verpackung zu bringen. Noch ist es aber für eine Umstellung zu früh. Deshalb entwickeln und forschen wir weiter und setzen solange auf unsere bewährte Verpackung aus Polypropylen, eine Einstoffverpackung die bereits heute voll recyclingfähig ist. 

Nachhaltigkeit zum Thema zu machen, ist dann erfolgreich, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat und wirkliche Fortschritte vorweisen kann. 

Im Bereich Nachhaltigkeit gibt es mittlerweile in ihrer Branche viel Konkurrenz, auch im Bereich der Discounter. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?

Hier liegt ein Missverständnis vor. Es kann gar nicht zu viel „Konkurrenz“ im Bereich Nachhaltigkeit geben. Wer Nachhaltigkeit ernst meint, muss gerade das Engagement anderer begrüßen. Es geht uns nicht um Alleinstellungsmerkmale, sondern darum, die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt und nachfolgende Generationen zu verbessern, das ist eine gemeinsame Anstrengung, die wir nicht alleine meistern können.


Resilienz durch Employer Branding

Interview mit Dr. Astrid Fontaine, Personalvorständin bei VW-Nutzfahrzeuge

GDC Summit Astrid Fontaine
Dr. Astrid Fontaine

Elektromobilität, autonomes Fahren, Nachhaltigkeit in Produktion und Materialien – die Automobilindustrie muss sich mit Veränderungen und neuen Trends auseinandersetzen. Das betrifft auch Volkswagen-Nutzfahrzeuge. Wie treiben Sie die Transformation der Nutzfahrzeugmarke voran? 

Bei all diesen Themen steht der Volkswagen Konzern an der Spitze der Veränderungen. Mit allen Marken gehen wir so entschlossen Richtung E-Mobilität wie kein anderer Hersteller dieser Größe. In den vergangenen Jahren haben wir gezeigt: Batterieelektrische Fahrzeuge sind absolut alltagstauglich – und Kund*innen akzeptieren und nutzen die Technologie. Ein absolutes Vorzeige-Modell ist der ID. Buzz, den wir seit diesem Jahr bei VWN in Hannover fertigen. Er transportiert nicht nur die Bulli-Gene in eine neue, vollelektrische Ära. Er steht auch für den Wandel in unserer Fabrik. Und auch beim Thema autonomes Fahren spielt er eine entscheidende Rolle: Schon heute fährt der ID. Buzz AD – das steht für Autonomous Driving – zu Testzwecken durch Hamburg und München. In Hamburg werden wir schon 2025 mit einem kommerziellen Angebot starten. 

Wie können Menschen, und vor allem Ihre Mitarbeiter*innen, für diese Veränderung überzeugt und begeistert werden?

VWN produziert mit Bulli, Caddy und Co, nicht nur einige der gefragtesten Autos und Vans im Markt, wie gesagt immer öfter elektrisch. Wir besetzen auch wichtige Zukunftsthemen wie Autonomes Fahren und neue Mobilitäts- und Transport-Dienste, die prägend für die gesamte Branche sind. Das macht unser Unternehmen für Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen interessant. Und dann bieten wir die Möglichkeit, unmittelbar an der Transformation eines Traditions-Unternehmens mitzuwirken, das sich für diese Zukunft neu aufstellt. Eine einmalige Chance für Talente – aber vor allem auch für unsere eigenen Mitarbeiter*innen, die sich weiterentwickeln und diesen Weg mit uns gehen wollen.

Benötigen Mitarbeiter*innen ein Identifikationsprojekt, um sich an das Unternehmen zu binden? Hilft dabei das Design?

In der heutigen „new world of work“ wird Identifikation mit einem Unternehmen, zum Beispiel über seine Produkte, immer wichtiger. Wir haben bei Volkswagen Nutzfahrzeuge mit dem Bulli seit mehr als sieben Jahrzehnten eine absolute Design-Ikone: Der Bulli – vor allem in der Camper-Variante – steht für ein Lebensgefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Er begeistert Menschen auf der ganzen Welt. Und er ist für die „Bulli-Bauer“ bei VWN viel mehr als ein Auto. Bei allen Veränderungen hat der Bulli dabei immer eine großen Wiederkennungswert behalten. Generationen von Designer*innen hatten die Aufgabe, ein Auto weiterzuentwickeln, dem man den Bezug zu seinen Wurzeln sofort ansieht und das trotzdem in die Zukunft schaut. Das ist in meinen Augen bei der neuesten Generation, dem Elektro-Bulli ID. Buzz, besonders gut gelungen. So schafft man Identifikation in der Transformation.

ID Buzz
Der Elektro-Bulli ID. Buzz schafft Identifikation der Mitarbeiter*innen in der Transformation, © Volkswagen AG

Der Fachkräftemangel wird branchenübergreifend immer sichtbarer. Wie binden Sie Ihre Mitarbeiter *innen an Ihre Marke – und natürlich auch Ihr Unternehmen? Und wie schaffen Sie es, durch Ihre Markenarbeit neue Mitarbeiter*innen zu gewinnen?

Die steigenden Fachkräfteengpässe betreffen immer mehr den gesamten Arbeitsmarkt, also alle Qualifikationsniveaus und alle Berufsbereiche – aber ganz besonders die IT. Wir gehen einen doppelten Weg: Einerseits legen wir einen starken Fokus auf die Qualifizierung unserer eigenen Belegschaft, zum Beispiel in unserer Fakultät 73. Dort bilden wir Mitarbeiter*innen mit einer IT-Affinität in einem zweijährigen Programm zu Software-Entwicklern aus. Dabei handelt es sich nicht nur um Akademiker*innen, sondern auch um tech-affine Mitarbeiter*innen vom Band.

Daneben suchen wir aber auch ganz gezielt nach IT-Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt. Dabei zählt Geschwindigkeit! Das Recruiting wird immer mehr zu einer strategische Kernfunktion und muss entsprechend aufgestellt sein, um die besten Talente schneller und effizienter für das Unternehmen zu gewinnen. Wir gehen weg von „Post & Pray“ hin zu einem „Active Sourcing“-Ansatz. Bei VWN suchen wir beispielsweise für Autonomes Fahren primär auf Social Media. Damit holen wir die potentiellen Kandidat*innen dort ab, wo sie sich aufhalten. Wichtig im „Active Sourcing“ ist die Arbeitgeberattraktivität – zum Beispiel die Frage: Kann sich das Talent mit unserem Unternehmen und unseren Produkten identifizieren? Zur Attraktivität von VWN trägt seit neuestem ganz besonders unser ID. Buzz bei.


Die KI übertreffen

Interview mit Viktor Mayer-Schönberger, Prof. für Internet Governance, Universität Oxford

Wie können Unternehmen von Ihrem Gedanken des Framings profitieren?

Wir Menschen denken in gedanklichen Modellen, in sognannten „Frames“. Sie beeinflussen nicht nur, wie wir die Welt sehen, sondern auch, wie wir entscheiden. Das ist schon länger bekannt, aber nun haben Forscher*innen herausgefunden, dass wir durch geschickte Nutzung dieses Frames unsere Entscheidungen verbessern können – und zwar nicht, weil wir aus zwei schlechten Optionen eine auswählen, sondern weil uns die Frames ermöglichen, neben den offensichtlichen auch noch weitere und potentiell viel bessere Entscheidungsoptionen zu generieren. Das ist eine Art Superkraft des menschlichen Geists, über die wir alle verfügen, aber oftmals zu wenig einsetzen. Der Vorteil durch bessere Nutzung der Frames liegt auf der Hand: wir treffen damit bessere Entscheidungen. 

GDC Summit Viktor Mayer-Schönberger
Prof. Viktor Mayer-Schönberger

Das Thema des GDC Summit ist „recreate. transform. be resilient“ – kann bei dieser Aufforderung eine KI überhaupt noch mithalten?

Nein, denn im Gegensatz zu uns Menschen kann eine KI nicht zielgerichtet träumen. Sie kann aus der Vergangenheit und Gegenwart auf die Zukunft schließen, aber sich nichts gänzlich Neues vorstellen. Gerade wenn die bekannten Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr ausreichen, wenn das Morgen anders ist als das Gestern, versagt die Kraft der KI. Das liegt daran, dass nur wir Menschen uns alternative Zukunften vorstellen können, die anders sind als das, was es schon gibt, und dann eine davon wählen und Wirklichkeit werden lassen.

Wir können uns also entspannen – eine KI wird nie einen Menschen ersetzen können. Richtig?

Nein. Die KI wird den Menschen auf Sicht nicht ersetzen. Aber zum Entspannen bleibt keine Zeit. Wir stehen vor großen und neuen Herausforderungen, die wir nur durch sehr intensives zielgerichtetes Träumen bewältigen werden. Eine wirklich anstrengende Zeit kommt auf uns zu. Aber das Gute dabei ist: Wir haben in uns das richtige gedankliche Werkzeug – wir müssen es nur nutzen.


GDC Summit

GDC Summit

Welchen Einfluss gute Gestaltung auf langfristigen Erfolg haben kann und was die wichtigsten Faktoren für Resilienz sind, darüber sprechen Referent*innen aus unterschiedlichen Disziplinen auf dem GDC Summit. Auf dem Kongress diskutieren Expertinnen und Experten aus Forschung und Wissenschaft mit erfolgreichen Markenmanager*innen, Kreativen aus Agenturen – und natürlich mit den Kongressteilnehmenden aus unterschiedlichsten Branchen und Berufsfeldern. Weitere Informationen zum GDC Summit sind unter summit.gdc.de zu finden, die Anmeldung ist noch möglich.


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