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Designer Fernando Campana verstorben
© Estudio Campana

Ihre Materialien sind Seile, Schnüre, Holzstücke, Lederreste, Stofftiere und einiges mehr. Aus all dem machen sie Sessel, Schränke und Kommoden: die Gebrüder Humberto und Fernando Campana. Die beiden entwerfen keine Dinge mit glatter, straff gepolsterter Oberfläche. Mit kindlicher Lust und ernsten Absichten schneiden sie Löcher in Sideboards, verwandeln Sofas in Seeanemonen und kreieren Objekte, die über den Mainstream zu lachen scheinen. Was sich aus Fantasien und Kindheitserfahrungen speist, lässt niemanden kalt. Ihre Objekte werden entweder spontan geliebt oder in die Hölle des schlechten Geschmacks verdammt. Es ist diese eigenwillige Mixtur aus „armen“ Materialien, ihrer ungewöhnlichen Verarbeitung und Anklängen an indigene, manchmal auch an pop-kulturelle Zusammenhänge, die sie – ihr gemeinsames Studio hatten sie schon 1983 gegründet – Anfang der 1990er-Jahre bekannt gemacht hat. Längst sind die Campanas Brasiliens bekannteste Designer. Bei ihren Sesseln übersetzen die Brüder aus São Paulo handwerkliche Prozesse wie Binden, Knüpfen, Knoten und Nageln in fantasievolle Möbel und Objekte. Viele Arbeiten der Campanas existieren nur in Kleinserien. Anhand von Schalen, die wie beim Mikado-Spiel aus vielen Stäben zusammengesetzt sind, deren Zusammenfallen man jeden Moment erwartet, offenbart sich ihr anarchisches Prinzip der Assemblage aber auch bei Alessi.

Am 16. November ist Fernando Campana nun im Alter von 61 Jahren gestorben. Er war Jahrgang 1961 und entwarf zusammen mit seinem älteren, 1953 geborenen Bruder Humberto, hauptsächlich Möbel und Produkte für Marken wie Alessi, BD Barcelona, Edra, Lasvit, Louis Vitton und Paola Lenti. Beide haben nicht Design studiert. Humberto ist Jurist, Fernando war als Architekt näher am Gestalten, arbeitete als solcher, betätigte sich aber auch in den Bereichen Innenarchitektur, Landschaftsgestaltung, Szenografie, Kunst und Mode.

Das Design der Campanas atmet einen anarchischen, barocken, zuweilen surreal angehauchten Geist, der das Etablierte herausfordert. Indem sie Alltagsgegenstände wie Holzstücke oder Spielzeugpuppen recyceln und mit hochwertigen Materialien verbinden, verwandeln sie etwas Minderwertiges in etwas Wertvolles. Bestehende Maßstäbe für Design werden ebenso irritiert wie das übliche Konsumverhalten. Im Grunde verspottet ihr barocker Ethnostil (auch als „tropical modern“ bezeichnet) die internationale Moderne mit ihren glatten, homogenen und geschichtslosen Materialien – nicht zuletzt die brasilianische von Oscar Niemeyer, Lina Bo Bardi und Roberto Burle Marx. Der Durchbruch gelang den Brüdern 1998 mit dem „Vermelha Chair“, bei dem ein Stahlrahmen nach einer ausgefeilten Technik von Hand mit 500 Meter Spezialseil umwickelt wird, bis eine dreidimensionale Sitzschale entsteht. Aufsehen erregte 2002 auch der „Multidao Chair“, bei dem Stoffpuppen auf einen Stahlrahmen genäht sind. 2022 haben die Campanas für Paola Lenti die Kollektion „Metamorfosi“ entworfen, für die Reste aus der Herstellung von Stoffen und Schnüren verwendet werden, und die in der Produktion ökologische und soziale Aspekte verbindet.

Auf der Kölner Möbelmesse 2004 machten die Campanas (parallel zu den Gebrüdern Bouroullec) in Kooperation mit dem Rat für Formgebung einen Vorschlag in der Reihe „ideal houses cologne“. „Das ideale Haus ist in dir selbst“, sagten die Campanas damals. „Wir können da niemandem Vorschriften machen.“ Ihr Haus bestand fast komplett aus Holz, war äußerlich nur ein Kasten, im Inneren aber geschickt verschachtelt. Es war einfach und kompliziert zugleich, so, als wäre das Haus natürlich gewachsen.


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