Das Erbe von Charles und Ray Eames bewahren, ihr Werk und ihre Ideen weitertragen – das hat sich die neu gegründete Charles & Ray Eames Foundation zur Aufgabe gemacht. Ein Gespräch mit Gründungsgeschäftsführerin Adrienne Luce über den Kosmos des Eames-Nachlasses, Design als Werkzeug zur Problemlösung, den Zustand des Eames House nach den Bränden – und darüber, was Fische mit Innovation zu tun haben.
Interview von Jasmin Jouhar

Die Eames-Familie
Charles Eames (1907 bis 1978) hatte eine Tochter aus erster Ehe, Lucia Eames (1930 bis 2014). In zweiter Ehe war er mit Ray Eames verheiratet (1912 bis 1988). Zur Familie gehören fünf Enkelkinder: Eames Demetrios, Llisa Demetrios, Carla Atwood Hartman, Byron Atwood und Lucia Dewey Atwood, die sich alle in verschiedenen Positionen um das Erbe der berühmten Großeltern kümmern. Mit Urenkelin Jackie Cassel ist auch die vierte Generation bereits aktiv.
Die Eames-Institutionen
Der Kern des Eames-Kosmos ist das 1941 gegründete Eames Office in Los Angeles, heute von den fünf Enkeln geführt und Verwalter des Werks. Zum Kosmos gehören auch das 1949 gegründete Eames House in Pacific Palisades mit originaler Einrichtung und Studio, die neu gegründete Charles & Ray Eames Foundation sowie das Eames Institute of Infinite Curiosity von Enkelin Llisa Demetrios. Weitere Sammlungen befinden sich etwa in der Library of Congress und im Vitra Design Museum.
Was fasziniert Sie persönlich am meisten an Ray und Charles Eames?
Adrienne Luce: Da gibt es vieles, aber ich würde es auf drei zentrale Punkte verdichten. Erstens: ihre authentische kreative Partnerschaft. Eine echte Verschmelzung von Intellekt, Vorstellungskraft und Intuition. Zweitens: ihre unglaubliche Produktivität. Viele Menschen haben Ideen, aber die Eames haben so viele wirklich umgesetzt – in so vielen unterschiedlichen Medien, Disziplinen, Kontexten und Ländern. Das finde ich absolut erstaunlich. Und drittens, wie sie Design als Problemlösung verstanden, um die Herausforderungen ihrer Zeit anzugehen. Ihr optimistischer, freudvoller, spielerischer Geist ist so einzigartig kalifornisch.
Könnten Sie die Struktur des Eames-Nachlasses erklären? Es gibt eine ganze Reihe von Institutionen und Protagonisten, oder?
Es ist eigentlich nicht so komplex, wie es von außen scheinen mag. Das Eames Office ist das Familienunternehmen, das 1941 von Charles und Ray gegründet wurde. Die fünf Enkelkinder führen es heute, sie produzieren weiterhin die Produkte, interpretieren die Ideen der Eames in neuen Produkten. Sie haben die Rechte am geistigen Eigentum inne und sind Gründungssponsoren der neuen Charles & Ray Eames Foundation. Diese neue Stiftung übernimmt die bestehende Stiftung zur Erhaltung des Eames House. Die Familienmitglieder haben erkannt, dass es jenseits des Hauses – das wirklich außergewöhnlich ist – noch so viel mehr zu tun gibt.

„Ihr optimistischer, freudvoller, spielerischer Geist ist so einzigartig kalifornisch“
– Adrienne Luce, Direktorin der Charles & Ray Eames-Stiftung

Welche Institutionen gibt es noch?
Das Eames Institute of Infinite Curiosity, das von Llisa Demetrios, einer der Enkelinnen, gegründet wurde. Das Institute besitzt eine Sammlung von Eames-Objekten und ist eine neuere Ergänzung des Eames-Ökosystems von Institutionen, die wichtige Sammlungen beherbergen. Dazu gehören auch Institutionen wie die Library of Congress, die eine Million Artefakte von Charles und Ray Eames besitzt. Dann das Vitra Design Museum, das MoMA Museum of Moden Art oder das LACMA Los Angeles County Museum of Art.


Die Stiftung wurde auch mit der Idee gegründet, die eher kommerziellen Aufgaben des Eames Office von den eher kulturellen zu trennen. Können Sie die Kernaufgaben und Ziele der neuen Stiftung erläutern?
Die neue Stiftung übernimmt die meisten kulturellen Aufgaben des Eames Office und der bestehenden Haus-Stiftung. Sie führt diese in einer Einheit zusammen und kann so die Wirkung verstärken. Denn es gibt Dinge, um die sich eine Stiftung besser kümmern kann als das Eames Office. Zur Frage nach den Zielen der neuen Stiftung: Zuerst einmal zelebrieren wir den multidisziplinären Charakter von Charles’ und Rays Arbeit. Es gibt so viele weniger bekannte Aspekte. Wohl kaum jemand kennt das ganze Eames-Ökosystem. Wir werden dieses multidisziplinäre Erbe bewahren und teilen – durch unsere eigenen Sammlungen, die das Eames House in Pacific Palisades und alles darin umfassen. Aber auch durch neue Programme. Wir haben ein Eames Fellowship angekündigt, ein dreijähriges Forschungsprogramm. Erste Fellow wird Catherine Ince sein. Außerdem planen wir eine Eames-Konferenz im nächsten Jahr, als neues Forum für Eames-Forschende und Institutionen. Wie unterscheidet sich die Stiftung in ihren Zielen also von den anderen Institutionen? Wir sind die Hüter des Eames House. Es ist die physische Manifestation ihrer Ideen – all ihre Gedanken finden sich auf diesem Campus, im Haus, im Studio, den Objekten. Es ist ein zentraler Ankerpunkt, der durch nichts ersetzt werden kann. Die Erfahrung, eine Veranstaltung im Haus zu erleben – das ist unvergleichlich.
Sie haben kurz erwähnt, dass es Dinge gibt, um die sich die Stiftung besser kümmern kann als das Eames Office. Haben Sie ein Beispiel?
Es gibt so viele Arten von Partnerschaften – zum Beispiel mit anderen gemeinnützigen Organisationen. Hier in Los Angeles kooperieren wir etwa mit dem American Institute of Architects, um Bildungsprogramme für Jugendliche zu starten. Wir als Stiftung können mit anderen Non-Profits auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

„Das Eames House ist ein Ort der Schönheit, aber auch des Trostes und der Inspiration.“
– Adrienne Luce, Direktorin der Charles & Ray Eames-Stiftung
Wie ist der Zustand des Eames Houses nach den verheerenden Bränden?
Es steht – buchstäblich – als Leuchtturm der Hoffnung in den Pacific Palisades. Es gab Schäden durch Rauch und Asche am Gebäude. Die Außenfassade wurde gereinigt – das dauerte etwa sechs Tage, ein Team hat alles per Hand gemacht. Darüber hinaus wird es fortlaufende Konservierungsmaßnahmen geben. Zum Glück gab es einen sehr robusten Landschaftspflegeplan für das Anwesen. Lucia Eames war sehr gewissenhaft darin, Bäume zu beschneiden und über die Jahre hinweg auf Resilienz zu setzen. Das Haus ist ein Ort der Schönheit, aber auch des Trostes und der Inspiration. Nicht zufällig war unsere erste Veranstaltung nach den Bränden eine Veranstaltung für Nachbar*innen, die von den Bränden betroffen sind. Es gibt so viel Verlust, so viel Zerstörung. Also haben wir Ende Juni ein Event organisiert, ein informelles Nachbarschaftstreffen. Die Bedeutung von Gemeinschaft und Verbindung ist entscheidend – aber schwer aufrechtzuerhalten, wenn alle verstreut leben und sich die Nachbar*innen nicht mehr sehen.
Gibt es Pläne, die Infrastruktur für Besucher zu verbessern?
Ja, wir überdenken unser gesamtes öffentliches Angebot – Führungen, Veranstaltungen, die Art und Weise, wie wir den Ort nutzen. Ein Beispiel: Mit dem Nachbarschaftstreffen kürzlich haben wir zum ersten Mal das Studio für die Öffentlichkeit geöffnet. Wir werden es als Ort der Inspiration und Bildung nutzen, um die Wertschätzung für das Erbe von Charles und Ray zu fördern.
Das heißt, das Studio war bisher nicht öffentlich?
Ja. Aber wir haben erkannt, dass es hier eine wunderbare Gelegenheit gibt – denn das Studio war seit den späten 1950ern ihr zweiter Arbeitsraum. Es veränderte sich ständig. Und jetzt können wir der Öffentlichkeit erstmals Zugang gewähren – das wird dem Campus um das Haus eine ganz neue Dimension verleihen.
„Charles erinnert uns daran, dass wahre Sicherheit nicht aus der Ablehnung von Veränderung kommt, sondern aus der Umarmung von Veränderung. Mit Neugier, Kreativität und Resilienz.“
– Adrienne Luce, Direktorin der Charles & Ray Eames-Stiftung
Sie haben sich eingehend mit Ray und Charles Eames beschäftigt, sind zu den Orten und Institutionen gereist. Was war besonders eindrücklich?
Zum Beispiel die Norton Lectures – Charles hat in dieser Reihe 1970 und 71 insgesamt sechs Vorlesungen an der Harvard University gehalten. Aber es waren nicht einfach nur Vorträge – es war eine multidimensionale, multidisziplinäre Erfahrung, ähnlich ihrer Präsentation für IBM auf der Weltausstellung 1964/65 mit dem „Think“-Film. Wir werden die Norton Lectures nun zum ersten Mal veröffentlichen. Eine der Aussagen von Charles aus den Vorträgen beschäftigt mich besonders. Er spricht da über das Aquarium im Eames Office und die verschiedenen Bedürfnisse der Fische darin. Manche von ihnen vertragen starke Strömung nicht. „Diese Tiere sind in gewisser Weise auf den Erhalt des Status quo ausgerichtet“, sagte er. Und dann erzählt er von den Fischen aus der pelagischen Zone, dem offenen Meer. Sie brauchten ständige Strömung, sie seien abhängig von Veränderung und fühlten sich sicher damit. „Und ich habe in gewisser Weise das Gefühl, dass wir als Gesellschaft und als Gruppe allmählich pelagisch in unserem Empfinden werden. Dass, wenn überhaupt jemand sich wirklich sicher fühlen will, er nicht auf dem Status quo beharren darf, sondern sich in der Veränderung sicher fühlen muss.“ Ich liebe dieses Zitat, weil in unserer sich rasant verändernden Welt die Fähigkeit zur Anpassung, die Fähigkeit zur Innovation und zum kreativen Denken wichtiger ist denn je. Charles erinnert uns daran, dass wahre Sicherheit nicht aus der Ablehnung von Veränderung kommt, sondern aus der Umarmung von Veränderung. Mit Neugier, Kreativität und Resilienz.

Neuer Eames-Standort in San Francisco
Kurz nach Bekanntgabe der Gründung der Charles & Ray Eames Stiftung verkündete das Eames Institute den Aufbau eines neuen Standorts in San Francisco: Auf dem ehemaligen Birkenstock-Campus plant das Architekturbüro Herzog & de Meuron gemeinsam mit EDDH ein neues Designmuseum. Geplant sind Räume für Ausstellungen, Workshops und Forschung rund um das Werk von Charles und Ray Eames.

Über die Autorin
Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs.
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