Circular Furniture
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Deutschland gehört zu den Märkten, wo Möbel am häufigsten erneuert werden. Mit neuen zirkulären Geschäftsmodellen will die Branche jetzt nachhaltiger werden. Beim Prinzip der „Circular Furniture“ ist auch das Design gefordert.

Von Karianne Fogelberg.

Wenn heute der Salone del Mobile, das internationale Branchentreffen in Mailand, seine Tore öffnet, werden auch Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit wieder Thema sein. Ein Weg, um Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander zu entkoppeln, bietet das zirkuläre Wirtschaften. Zirkuläre Geschäftsmodelle zielen darauf, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und darüber den Material- und Energieverbrauch zu senken. Damit können sie zum Erreichen der Klimaziele beitragen, aber auch neue Innovations- und Geschäftsfelder in der Möbelbranche eröffnen. Auch hierzulande haben Hersteller und Anbieter die Chance erkannt und bieten zunehmend Mietlösungen im Büro- und Wohnmöbelsegment an. Gleichzeitig erfordert die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft eine daran angepasste Gestaltung von Produkt- und Dienstleistungssystemen. Damit tun sich auch neue Wirkungsfelder für das Design auf.

Neues Arbeiten – veränderter Möblierungsbedarf

Nornorm ist der Newcomer im Mietmöbelmarkt. Vor einem Jahr hat das aus Skandinavien stammende Start-up seine Aktivitäten in Deutschland aufgenommen. Als B2B-Anbieter bietet es Unternehmenskunden Büromöbel von MillerKnoll, Martela, Hay und anderen hochwertigen Marken im Abo an. Dabei profitiert Nornorm von einem sich aktuell stark verändernden Umfeld, das von der Forderung nach mehr Nachhaltigkeit einerseits und von steigenden Kosten sowie Unsicherheit andererseits geprägt ist. Dies betrifft gerade die künftige Nutzung von Büros im Zeitalter von New Work und Homeoffice betrifft. Zu den Kunden zählen Firmen, die ihre ökologische Bilanz verbessern wollen, ebenso wie Start-Ups oder Co-Working-Spaces, die Kapitalbindung meiden und Flexibilität schätzen.

Mit Ikea hat Nornorm einen kapitalstarken Partner im Rücken. Laut Julian Jacobi, der für die Expansion in Deutschland verantwortlich ist, stattet Nornorm aktuell jeden Monat bis zu 25.000 Quadratmeter neue Bürofläche in Europa aus. Tendenz steigend. Das heißt auch, dass es nicht genügend gebrauchte Möbel aus eigenem Bestand gibt, um den Bedarf zu decken. Viele neue Möbel müssen angeschafft werden: „Einige Kunden haben sich schon beschwert, dass sie fabrikneue anstatt gebrauchter Möbel von uns bekommen haben.“ Diese überwiegend lineare Dynamik soll sich mit zunehmender Kundenzahl und Mietdauer zugunsten der Mehrfachnutzung umkehren.

Circular Furniture
Im Impact Hub Berlin im CRCLR-Haus im Berliner Stadtteil Neukölln, das nach ressourcenschonenden Gesichtspunkten saniert wurde, hat Nornorm den Bestand an Möbeln aus vorheriger Nutzung und Second-Hand-Möbel durch höhenverstellbare Arbeitstische und Bürostühle ergänzt, © Circular Hub Berlin

Voraussetzung Modularität und Reparierbarkeit

Daniel Ishikawa hat bereits mehrjährige Erfahrung mit der Rückführung und Wiederaufbereitung von Möbeln. Der Gründer und Geschäftsführer des Mietmöbelservice Lyght Living mit Sitz in Rodgau bei Frankfurt am Main vermietet seit 2011 im mittleren Preissegment Wohnmöbel. Seit einigen Jahren gehören zunehmend auch Büromöbel dazu. Ishikawa kommt zu einem ernüchternden Fazit: „In der Diskussion um Nachhaltigkeit wird viel über einzelne Bestandteile von Möbeln, wie zum Beispiel die zur Herstellung verwendeten Kunststoffe, Hölzer oder Bezugsstoffe, gesprochen. Das ist wichtig, dabei gerät aber aus dem Blick, dass sich viele Möbel heute gar nicht mehr für eine langjährige Nutzung eignen.“

Circular Furniture
Lieferung von Mietmöbeln in Frankfurt am Main, © lyght-living.com
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Temporäre Möblierung einer Penthousewohnung in Offenbach am Main, © lyght-living.com

Ishikawa arbeitet mit einem kleinen Kreis an ausgewählten Herstellern in Europa zusammen, die Kriterien wie Strapazierfähigkeit, Modularität und Reparierbarkeit gewährleisten. Dazu zählt der Hersteller von modularen Polstermöbeln Feydom, dessen Bezüge sich alle komplett abziehen und austauschen bzw. nachbestellen lassen. Oder das Unternehmen Jutzler, das Ersatzteile für defekte Schranktüren oder Kommodenauszüge vorhält. Überhaupt sei der Verkauf von Möbeln ein komplett anderes Geschäft als deren Vermietung, wie Ishikawa hervorhebt: „Bereiche wie Lagerung, Transport oder Montage effizient und nachhaltig zu gestalten ist für uns als Serviceanbieter kein Marketingthema – es ist unsere Geschäftsgrundlage.“

Kreislauffähigkeit beginnt im Entwurf

Der niederländische Büromöbelhersteller Ahrend macht beides, Verkauf und Vermietung. Sein operatives Leasing-Programm „Furniture as a Service“, das 2016 als Pilotprojekt in Kooperation mit der Ellen MacArthur Foundation startete, besteht inzwischen seit 2018. Kriterien wie Langlebigkeit, Reparierfähigkeit und Modularität hatte das Unternehmen bereits Jahre zuvor in seine Entwicklungs- und Produktionsprozesse integriert. Seit den 2000er Jahren sind seine Büromöbel Cradle-to-Cradle zertifiziert. Den Direktvertrieb von Möbeln durch einen firmeneigenen Mietservice zu ergänzen war ein folgerichtiger Schritt: „Büromöbel werden im Durchschnitt sechs bis zehn Jahre genutzt. Wir wollen längere Nutzungsdauern ermöglichen“, erklärt Dionne Ewen, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Ahrend. Ein Rücknahmeprogramm ergänzt das Mietangebot. In dessen Rahmen bereitet man gebrauchte Möbel – auch Möbel anderer Hersteller – wieder auf und brint sie neu in Umlauf.

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Blick in das Circular Hub in Veghel (NL), © Ahrend
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Wiederaufbereitung der Möbel im Circular Hub, © Ahrend
© Ahrend

Aktuell werden in der seit 2020 auf Zirkularität ausgerichteten Produktionsstätte, dem Circular Hub, 55.000 Gebrauchtmöbel im Jahr aufbereitet. Künftig sollen es 70.000 Möbel sein. Ziel ist, hier ebenso viel gebrauchte Möbel aufzubereiten wie neue Möbel herzustellen. Umsätze, die bisher durch den Absatz neuer Möbel generiert wurden, sollen in Zukunft vermehrt durch Einnahmen aus der Vermietung, Wartung und Aufbereitung ergänzt werden. Die Erkenntnisse, die aus den zirkulären Dienstleistungsangeboten hervorgehen, können bei der Entwicklung neuer Produkte wiederum wichtige Impulse einbringen. Denn inwieweit Möbel kreislauffähig sind – ob sich etwa einzelne Komponenten später trennen und ersetzen lassen – entscheidet sich bereits maßgeblich im Entwurf.

Modulare Möbel – ein Ansatz aus den 1960er Jahren

Modulare Möbelsysteme, die sich zerlegen, erweitern und in neuen Konstellationen montieren lassen und deren Hersteller auch über Jahrzehnte hinweg Erweiterungselemente und Ersatzteile vorhalten, sind nicht neu. Celeste Asfour, die als Architektin für das Berliner Büro von Nornorm für Interior Design und Beratung zuständig ist, erinnert daran, dass modulare Möbelsysteme bereits in den 1960er Jahren aufkamen: „Das USM Haller-System, heute ein Klassiker, hat Nachhaltigkeit und Flexibilität bereits vor Jahrzehnten im Möbeldesign erfolgreich integriert.“ Auch Unternehmen wie Vitsoe oder Burkhardt Leitner spielen in dieser Königsklasse. Die Herausforderung heute ist allerdings, Modularität nicht nur innerhalb einzelner Produktlinien zu implementieren. Sondern sie auf eine gesamte Industrie zu übertragen – auf weitere Möbelkategorien, Hersteller und Preissegmente. Hier ist noch vermehrt das Design gefragt, denn die Transformation zur Zirkularität liegt nicht allein im Entwurf kreislauffähiger Produkte. Sondern sie liegt ebenso in der Gestaltung der dazugehörigen Dienstleistungen und Systeme.

Neue Herausforderungen, neue Perspektiven

Einig sind sich alle darin, dass Deutschland in der Entwicklung noch ganz am Anfang steht. „Anders als in der Schweiz, Skandinavien, England und den Niederlanden sind Mietmöbel im deutschen Markt noch ein verschwindend kleines Marktsegment“, sagt Ishikawa von Lyght Living. „Von Konkurrenz sind wir meilenwert entfernt.“ Wenn Möbel im Rahmen zirkulärer Systeme künftig jedoch länger als bisher genutzt werden, drohen Möbelherstellern und Händlern dann Umsatzeinbußen? Jacobi sieht in Mietangeboten wie jenem von Nornorm eher eine Chance: „Wir betreuen unsere Kunden über Jahre und erfahren aus erster Hand, welche Bedürfnisse sie haben, wie sich einzelne Möbel im Gebrauch bewähren, und was verbessert werden könnte“. Mit diesen Einblicken könnten Hersteller ihr Produktsegment bedarfsgerecht weiterentwickeln. Ishikawa sieht das ähnlich: „Wir sind ein weiterer möglicher Absatzmarkt für Möbelhersteller. Auch wenn wir aus Sicht der Hersteller mit mehr Aufwand verbunden sind.“

Forderungen nach Zerlegbarkeit, Modularität, Reparierbarkeit und Verfügbarkeit von Ersatzteilen mögen zunächst unbequem sein. Damit setzen zirkuläre Anbieter aber auch wirtschaftliche Anreize für die ohnehin notwendige Transformation zu mehr Langlebigkeit und Ressourceneffizienz. Dies kann für Möbelhersteller in Zukunft auch Wettbewerbsvorteile bergen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es hier gemeinsamer Lösungen auf Industrieebene bedarf: „Um Zirkularität zu gewährleisten, müssen alle Partner entlang der Wertschöpfungskette verstärkt zusammenarbeiten“, bestätigt Jan Kurth, Geschäftsführer der Verbände der deutschen Möbelindustrie (VDM/VHK). Er prognostiziert, dass Zirkularität in der Möbelbranche in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird. Die rechtlichen Weichen dafür werden gerade mit der laufenden EU-Gesetzesinitiative zur Kreislaufwirtschaft gestellt: „Ein digitaler Produktpass soll in Zukunft verbindlich über die Austauschbarkeit von Teilen, die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und deren Lieferzeit bis hin zu Materialinformationen Auskunft geben.“  Solche verbindlichen Regeln werden die Rechte von Verbraucher*innen stärken und alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette bei der Implementierung zukunftsfähiger Produkt- und Dienstleistungssysteme unterstützen.


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