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Nachgefragt: Im Gespräch mit Andreas Diefenbach von Phoenix Design

Interview von Thomas Wagner.

Im Gespräch mit Andreas Diefenbach, Managing Partner Phoenix Design, sprachen wir über die aktuelle Situation, darüber wie Arbeiten im Remotemodus den kreativen Prozess verändert, über Innovationen, neue Bedürfnisse und die zukünftige Rolle des Social Design, auch im globalen Kontext.


Herr Diefenbach, die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt. Auf was konnten Sie persönlich in den letzten Wochen leicht verzichten? Was ist Ihnen schwergefallen? Was haben Sie ganz neu schätzen gelernt?

Andreas Diefenbach: Wir haben zuhause drei Schulkinder, um die sich meine Frau, nun auch noch in der neuen Rolle als Lehrerin kümmert. Sie sind in verschiedenen Klassen und sie zu unterrichten ist sehr anspruchsvoll. Insofern will ich sie auch ein bisschen unterstützen. Ich kann mir vorstellen, dass es für andere Familien noch schwieriger ist. Generell hier bei Phoenix Design bin ich froh, dass wir die Situation ganz gut meistern, weil wir digital vernetzt sind und auch bislang schon im Remotemodus gearbeitet haben.

Was mir fehlt, ist der persönliche Kontakt zwischen den Mitarbeitern und mit den Kunden. Warum, lässt sich ganz rational begründen: Weil die Wahrnehmung des Körpers, der Gestik und der Mimik sehr entscheidend ist in der Kommunikation, vor allem, wenn man neue Ideen kreiert, neue Ansätze denkt. Wenn man die Menschen, mit denen man arbeitet, nur in Videokonferenzen sieht, geht aus meiner Sicht sehr viel an Qualität verloren. Das kann man ein paar Monate lang machen, aber irgendwann wird es schwierig. In der kreativen Branche sind wir zwingend darauf angewiesen, den direkten Kontakt, die Nähe zu haben, um Ideen gemeinsam kneten zu können und Neues zu denken. Kreativität ist eigentlich ein hochanaloger Prozess.

Streit funktioniert digital völlig anders. Denken funktioniert anders. Es ist deutlich technischer und handwerklicher, auch disziplinierter und strukturierter.

Wird man weniger kreativ durch digitale Meetings, in denen man ja stärker darauf fokussiert ist, Punkte abzuarbeiten?

Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und das sind in dem Fall Mimik und Gestik, die Präsenz und die Persönlichkeit. Und die Energie, die zwischen zwei, drei, vier Menschen entsteht, die sich in einem kleinen Raum einschließen, um zusammen zu denken, zu zeichnen, zu streiten. Streit funktioniert digital völlig anders. Denken funktioniert anders. Es ist deutlich technischer und handwerklicher, auch disziplinierter und strukturierter. Aber die Kehrseite der Medaille, glaube ich, ist die Qualität. Diese letzten fünf, zehn Prozent, die zu Originalität und zu wirklich Neuem beitragen, fehlen. Man kann das einige Monate lang machen. Für mich und auch für uns als Phoenix-Design aber ist die Erkenntnis: hundertprozentige Remotearbeit ist auf keinen Fall möglich. Wenn man eine anspruchsvolle, kreative Agentur hat oder haben möchte, dann muss dieses Face-to-face-Denken und Kneten und Gestalten möglich sein.

Phoenix Design ist gestalterisch in enorm vielen und ganz unterschiedlichen Bereichen tätig, von der Sanitärarmatur über den Rollator bis zur App. Gibt es Themen oder Produkte, die Sie gegenwärtig für besonders innovationswürdig halten? Oder muss sich gar nicht so viel ändern?

Generell haben Sie recht. Wir sind sehr vielfältig aufgestellt. Aber wir strukturieren unsere Handlungsfelder in drei Bereiche: zuhause, unterwegs und auf der Arbeit. Das sind aus unserer Sicht drei Aggregatszustände der Menschheit, in denen diese immer schon war und immer sein wird. Die Menschheit war immer schon mobil. Wir sind unterwegs, um uns verändern zu können, um Neues zu suchen. Der Mensch braucht ein Dach über dem Kopf, weil wir eben kein Fell haben und Schutz benötigen. Arbeit diente nie nur dem Geldverdienen, sie ist auch enorm wichtig, um unserer Existenz eine Bedeutung zu geben.

Aus meiner Sicht werden sich alle drei Bereiche sehr schnell verändern müssen. Wir werden einen neuen Heimat-Begriff haben. Was bedeutet „zuhause“ für mich? Es ist noch mehr als bisher eine Festung, etwas sehr Persönliches, super Lokales, weder global noch digital. Was bedeutet das für die Mobilität? Verschiebt sich ihre Bedeutung angesichts künftiger Generationen, die Mobilität ganz anders denken werden? Dasselbe gilt für die Arbeit. Worin liegt die Produktivität, worin die Qualität der Arbeit?

Weil sich all das permanent verändert, haben wir uns vor langer Zeit für diese drei Handlungsfelder entschieden, um innovatives Design und neue Zugänge zu alten Problemen zu schaffen. Unsere Smart Living Vision, in der wir das Wohlbefinden des Menschen in seinem Kontext immer wieder neu erfinden, gilt in dieser Zeit umso mehr: von einem Lichtschalter bis zu einem Aufzug – die Technologie ist da und hat jetzt die Chance stärker und schneller akzeptiert zu werden. Ich bin zuversichtlich, dass diese sehr negative Situation heute uns einige positive Zeichen sendet, sodass wir sowohl gesellschaftlich als auch innovativ vorangehen können und jeder seine Aufgabe erfüllt.

Wenn Sie einen Bereich herausgreifen müssten, wo wird sich am meisten verändern?

Ich glaube, bei der Mobilität. Wir realisieren gerade, wie schnell sich eine Pandemie weltweit ausbreiten kann und vieles zum Erliegen bringt. Und gleichzeitig: Können wir uns lokal verstecken? Hat die Menschheit eine Grenze erreicht hinsichtlich dessen, was noch zuträglich ist in der Geschwindigkeit der Mobilität? Wie modelliert man diese Mobilitätsstrukturen neu? Ich persönlich glaube, dass der Bereich der Mobilität am meisten Impact haben wird, sowohl negativ als auch positiv – vor allem für unseren Standort mit Lufthansa und Automobilherstellern.

Hat die Menschheit eine Grenze erreicht hinsichtlich dessen, was noch zuträglich ist in der Geschwindigkeit der Mobilität? Wie modelliert man diese Mobilitätsstrukturen neu?

Und das Arbeiten? Wird sich in diesem Bereich noch mehr als bisher verändern?

Wir in der Designbranche sind mit die Ersten, die spüren, wie die Arbeit sich verändert. Unsere jungen Talente haben sehr klare Erwartungen, wie sie zukünftig arbeiten wollen, wo und mit welchen Tools. Wann braucht man die physische Begegnung? Wann taucht man ein, um mit sich ins Denkgefecht zu gehen? Hier werden sich die Grenzen vermischen. Wir werden uns fragen: braucht man überhaupt so ein großes Büro oder wird es künftig Hybride geben zwischen Zuhause, Park und Büro? Zugleich wissen wir, dass jeder auch bei der Arbeit eine Heimat braucht, eine Zugehörigkeit. Was schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit? Sicherlich sind es die Rituale auf der Arbeit: Kaffeeholen, mit jemanden sprechen. Zwischen der Arbeit im Büro und zuhause wird sich die Beziehung umstrukturieren müssen – und dazwischen ist die Mobilität. Was ist die Beziehung zwischen diesen zwei Konstanten und wie überwinde ich die Distanzen, physisch und digital?

Werden Aspekte des Social Designs stärker in die Gestaltung der drei Bereiche einfließen, die Sie genannt haben? Braucht es mehr als Akzentverschiebungen?

Ich bin generell der Überzeugung, dass Design eine verbindende Rolle hat. Erstens gibt es dem Neuen eine Bedeutung, sowohl mental als auch physisch, weil wir etwas kreieren, was im optimalen Fall noch nie da war und was den Menschen das Leben nach Möglichkeit jeden Tag aufs Neue erleichtert. Wenn wir sehen, wie einfach es ist, zu spalten, müssen wir uns als Designer fragen, welchen Beitrag wir dazu leisten können, die Menschen zusammenzubringen. Spalten ist einfach, zusammenbringen ist schwierig. Ich glaube, dass wir beim Denken von neuen Produkterlebnissen das Vereinende noch mehr in den Vordergrund rücken müssen. Design hat in der Öffentlichkeit ein bisschen den Beigeschmack: Design kann sich nicht jeder leisten. Im Bauhaus und der HfG Ulm hat man versucht, Design zu demokratisieren und eine politische Rolle einzunehmen. Dass Design nicht für die Spitze der Gesellschaft gedacht ist, sondern für möglichst breite Schichten, dafür müssen wir immer wieder kämpfen.

Ich persönlich glaube auch, dass wir gerade jetzt noch mehr Augenmerk auf die Länder richten müssen, die wirklich unter Druck geraten – zum Beispiel in Afrika. Der ganze Kontinent ist abgehängt. Indien entwickelt sich, China – super, klar; auch Brasilien wird sich in irgendeiner Art entwickeln. Aber Afrika? Wir haben diesen Kontinent in diese Schublade geschoben, und nun wird Corona noch obendrauf kommen. In dieser Situation haben wir eine soziale Verantwortung und müssen sagen: Wie kann unsere Arbeit dazu beitragen, mittels Innovation und Design eine angemessene Lösung zu finden, um dieser Krise zu begegnen – auch medizinisch. In diese Dimension müssen wir definitiv kommen – auch als Designer.

Design hat in der Öffentlichkeit ein bisschen den Beigeschmack: Design kann sich nicht jeder leisten.

Wo sehen Sie aus europäischer Perspektive Möglichkeiten, konkret Verbesserungen anzustoßen oder mitzugestalten?

Das hat einerseits etwas mit der Designausbildung an den Hochschulen zu tun und mit der Frage, was wir von der kommenden Generation lernen und welchen Beitrag wir selbst beisteuern können. Zweitens müssen wir uns angewöhnen, weniger abzuwarten, welche Projekte reinkommen. Stattdessen sollten wir überlegen, welche Rolle wir spielen, wo die multiplikatorischen Plattformen sind, auf die wir einwirken können. Ich denke dabei an die Politik, aber auch an Förderprogramme, denen wir einfach mal ein Geschenk machen und weniger ans Geschäft denken. Natürlich muss man wirtschaftlich und unternehmerisch stabil dastehen, um sich das überhaupt leisten zu können. Aber ich glaube, wir müssen deutlich mehr selbst in Aktion treten und Impulse setzen, mit denen wir uns als Designer am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen.

Wir gestalten Interaktionen zwischen Menschen und ihrer Umgebung ­– wie werden diese aussehen? Wie wird unser Verhältnis zu künstlicher Intelligenz sein? Wie schaffe ich Vertrauen, wenn mein Gegenüber künstlich ist? Das sind hochsoziale, sehr menschliche Fragen. Ich denke, sie werden uns enorm beschäftigen, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen Menschen und dem, was wir erschaffen, zu interpretieren.

Werden sich Bedürfnisse und Wünsche durch die Pandemie stark verändern? Gilt es, neue Akzente zu setzen?

Wir diskutieren das anhand eines Begriffs – Wohlbefinden. Was bedeutet Wohlbefinden, wenn ich Angst habe, krank zu werden? Auf einmal bewegt sich die Menschheit ganz schnell und es sind ganz andere Beziehungen zwischen Produkten und Menschen notwendig, als wenn ich auf der Speerspitze der Pyramide sage: Was ist Liebe für mich, wenn ich eine Liebe zu einem Produkt habe? Dieses Wohlbefinden wird sich im Zuge dieser Krise neu justieren.

Bescheidener?

Sicherer, verbindlicher, klarer. Ich glaube, die Menschen werden einen besseren Filter für „wahr“ und „unwahr“ entwickeln, hoffe ich zumindest. Einen Filter für diese Postwachstumstendenzen, wo man sagt: Ich brauche das eigentlich nicht. Wenn es keine substanzielle Verbesserung ist, brauche ich das Produkt nicht auszutauschen. Auch beim Konsum wird die Frage des Wohlbefindens dazu führen, sich mehr auf das zu fokussieren, was wirklich notwendig ist. Was notwendig ist, bezeichnen wir oft als systemrelevant. Für mich bedeutet es: Was ist wirklich notwendig, für mein Überleben – und für die Liebe. Das ist das Spannende. Ich muss sagen, das Fenster für Veränderungen stand noch nie so weit offen.

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