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von Jasmin Jouhar.

Sie lassen sich nicht festlegen: Ob Produkt- oder Grafikdesign, ob Ausstellungsgestaltung oder Interiorstyling, das Hamburger Duo Besau Marguerre arbeitet parallel in ganz verschiedenen gestalterischen Disziplinen. Ein Gespräch über das Denken in Bildern, den Mut zur Farbe und das Glück der kreativen Momente.

Hamburg-Eimsbüttel am Morgen: Die Sonne scheint, die Bäume am Isebekkanal sind satt grün, und die kleinen Geschäfte in der Nachbarschaft öffnen gerade. Vor einem Eckhaus im Weidenstieg stehen Bierzeltgarnituren auf dem Gehweg. Daneben ein gepflegtes kleines Gartendreieck, das der Straßenkreuzung abgerungen wurde. Eine Idylle mitten in der Großstadt. Teil dieser Idylle ist ein Gemeinschaftsbüro im Erdgeschoss des Eckhauses, in dem Kreative verschiedener Disziplinen arbeiten. Wer um die Mittagszeit vorbeikommt, sieht sie vielleicht an dem langen Tisch im Schaufenster sitzen und zusammen essen. Auch das Designduo Besau Marguerre hat hier seinen Arbeitsplatz. Und wie um die dörfliche Idylle auf die Spitze zu treiben, wohnen Eva Marguerre und Marcel Besau sogar im selben Haus. Die kurzen Wege sind besonders praktisch, seit das Paar einen Sohn bekam. Längst hat der Kleine das Büro als Spielplatz entdeckt und drängt regelmäßig auf einen Besuch.

Eva Marguerre und Marcel Besau vor ihrem Büro in Hamburg-Eimsbüttel, das sie sich mit Kreativen aus verschiedenen Disziplinen teilen © Silke Zander

Erfolg dank großer Bandbreite

Der Auftrag, gemeinsam mit dem Architekten Daniel Schöning das Einrichtungskonzept der Hamburger Elbphilharmonie zu entwickeln, verschaffte den beiden Mittdreißigern eine breite mediale Aufmerksamkeit. Der Möbelhersteller e15 aus Frankfurt nahm die für das Konzerthaus entworfene Kollektion aus Sitzbank, Beistell- und Stehtisch als Serienprodukte unter dem Namen „Elbe“ ins Programm. Doch die zwei Gestalter hatten auch zuvor schon einen Namen in der Szene. Gut beschäftigt sind sie etwa mit ihren Projekten für die Unternehmen Vitra und Artek, mit denen sie seit einiger Zeit kontinuierlich zusammenarbeiten.

Dabei können Besau Marguerre die ganze Bandbreite ihres Studios ausreizen: Denn sie entwerfen nicht nur Produkte und richten Räume ein, sie arbeiten auch als Stylisten, entwickeln grafische Konzepte oder Produktpräsentationen – von der Ausstellung über den Messestand bis zum Pop-up-Laden. Gegründet haben die beiden ihr Studio vor rund sechs Jahren in Hamburg, nach einem gemeinsamen Studium an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der Hocker „Nido“ aus harzgetränkten Glasfasern machte sie schlagartig bekannt. Es folgten zahlreiche Styling-Aufträge für Magazine und Unternehmen und die Leuchte „North“, ebenfalls für e15. Zum Salone del Mobile 2017 inszenierten Besau Marguerre die Gewinner-Ausstellung des vom Rat für Formgebung organisierten Nachwuchswettbewerbs ein&zwanzig. Dabei zeigten sie wieder einmal ihr großes Geschick im Umgang mit Farben und Materialien und ihr Gespür für stimmungsvolle Situationen.

Studio Besau Marguerre © Silke Zander

Interview mit Besau Marguerre

Ihr begreift euch als interdisziplinäres Studio. Könnt ihr trotzdem eine Sache am besten?

Eva Marguerre: Nein, tatsächlich nicht, und das macht uns aus. Uns ist jeder Bereich gleich wichtig, und die verschiedenen Felder sind ganz selbstverständlich miteinander gewachsen. Als wir das Studio gründeten, haben wir durchaus überlegt, ob wir uns nicht doch besser spezialisieren. Verstehen unsere Kunden das oder wirkt das eher beliebig? Aber die Zusammenarbeit mit Vitra zum Beispiel zeigt, dass es funktioniert. Für das Point-of-Sale-System haben wir Präsentationstools entwickelt. Wir machen Visual Merchandising genauso wie saisonale Präsentationen, etwa für Laden- und Schaufenstergestaltung, außerdem Messestände, Pop-up-Stores, Fotoshootings für Kataloge und Konzepte für Broschüren. Wir haben gerne das große Ganze im Blick, die ganze Welt um das Produkt.

Inspirieren sich die verschiedenen Aufgaben im Alltag gegenseitig?

Marcel Besau: Auf jeden Fall. Das Projekt für die Elbphilharmonie ist ein gutes Beispiel. Das hat vieles zusammengebracht, einerseits die Arbeit am Möblierungskonzept, andererseits der Entwurf von Möbeln.

Marguerre: Es gibt so viele Produkte, da kommt es mir manchmal beliebig vor, noch einen Beistelltisch zu entwerfen. Das Gefühl kennt sicher jeder Designer. Bei der Elbphilharmonie haben wir wochenlang recherchiert, aber nicht das Passende gefunden. Es gab die von uns gewünschte Familie aus Bank, Stehtisch und Beistelltisch einfach nicht auf dem Markt. Da war es sinnvoll, etwas genau für diesen Ort zu entwerfen, etwas Bleibendes.

Mit ein paar Monaten Abstand – seid ihr zufrieden mit der Elbphilharmonie?

Marguerre: Irritierenderweise ja! Ich bin eigentlich immer sehr kritisch und sehe im Nachhinein oft Dinge, die besser sein könnten.

Besau: Das Konzept funktioniert. Wir bekommen viel Feedback, und zwar nicht nur vom Fachpublikum – anders als bei einem Möbel, das lediglich auf einer Messe gezeigt wird. Wir erhalten Anrufe, Mails oder haben Besuch von Leuten, die im Konzert waren und von den Möbeln begeistert sind.

Wir leben nun mal in einer bestimmten Zeit, und ich finde es gut, wenn man das sieht. Es geht um das Jetzt.

Eva Marguerre

Was genau ist euer Hintergrund?

Marguerre: Dass ich Design studieren möchte, wusste ich schon als Jugendliche. Mit 14 habe ich ein Schulpraktikum bei zwei Designern in Krefeld gemacht. Während dieses Praktikums sind wir auch auf die Kölner Möbelmesse gefahren, ich weiß noch heute, wie euphorisch ich war. An der Hochschule in Karlsruhe habe ich mich beworben, weil der Studiengang Produktdesign interdisziplinär angelegt ist, das interessierte mich schon damals. Dort konnte ich neben Produkt- auch Grafikdesign, Szenografie und Ausstellungsdesign studieren. Trotzdem hat mir noch etwas gefehlt. In einer Zeitschrift las ich dann einen Artikel über den Interiorstylisten Peter Fehrentz. Ich kannte den Beruf vorher gar nicht. Das war für mich eine Offenbarung. Er nahm zwar keine Praktikanten, vermittelte mich aber ins Living-Ressort der Brigitte weiter. Nach einem Praktikum dort habe ich in allen Semesterferien für das Magazin gearbeitet und später auch einige Jahre bei Peter Fehrentz assistiert.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Besau: Ganz klassisch in der Hochschule. Ich hatte zunächst in Wuppertal Industriedesign studiert, war da aber nicht glücklich. Die gestalterischen Aspekte fand ich zwar interessant, aber das Studium war sehr auf industrielle Produkte fokussiert. Beispielsweise war der Blick in die Grafik tabu. In Karlsruhe konnte ich dann sehr breit studieren, habe in der Szenografie Kurse gemacht, viel Grafik, Medienkunst, Programmierung; das war ein schöner, freier Ansatz, meine eigene Perspektive ins Design zu finden.

Wie seid ihr darauf gekommen, gemeinsam ein Studio zu gründen?

Besau: Wir haben schon im Studium viele Projekte zusammen gemacht und schnell gemerkt, dass wir gern zusammenarbeiten, dass wir uns sehr gut ergänzen. Wir sind beide Teamplayer und sehen es als großen Luxus an, einen Partner zu haben, der dieselben Ziele und dieselbe Leidenschaft für den Beruf hat.

Woher, denkt ihr, kommt eure Sensibilität im Umgang mit Farben?

Marguerre: Farben machen so viel mit den Menschen, auch wenn das viele abstreiten. Wenn wir ein Produkt entwerfen, ist meistens schon ganz am Anfang, wenn die Form gerade erst entsteht, die Farbe da. Ich kann oft auch nicht erklären, warum ich eine bestimmte Farbe auswähle, das ist Intuition und ein kontinuierlicher Prozess. Natürlich wird man von Trends beeinflusst. Doch das finde ich nicht schlimm, im Vordergrund steht immer das jeweilige Projekt.

Besau: Wir haben schon häufiger gehört, dass es mutig sei, wie wir mit Farben arbeiten. Das habe ich nie so gesehen – Farbe ermöglicht immer einen sehr emotionalen Zugang zu Objekten.

Farben haben aber oft etwas Modisches. In zehn Jahren werden eure Projekte anders aussehen – deswegen finden das vielleicht manche mutig?

Marguerre: Wir leben nun mal in einer bestimmten Zeit, und ich finde es gut, wenn man das sieht. Es geht um das Jetzt.

Besau: Aus Marktperspektive ist es sicher mutig. Zwar wird gerade im Möbelbereich Farbe gern in der Produktkommunikation, etwa auf Messen oder in Katalogen, genutzt. Aber gekauft wird dann doch leider eher Grau, Schwarz und Weiß.

Wir haben schon häufiger gehört, dass es mutig sei, wie wir mit Farben arbeiten. Das habe ich nie so gesehen.

Marcel Besau

Farbinszenierungen waren auch ein wichtiges Element in der Ausstellung, die ihr 2017 in Mailand für den Rat für Formgebung gemacht habt. Wieso hat der Rat euch beauftragt?

Marguerre: Sie fanden gut, dass wir zwar Interior Design machen, aber durch unsere Arbeit als Stylisten auch immer in Bildern denken. Sie wollten jemanden, der eine Ausstellung gestaltet mit gut inszenierten, emotionalen Bildwelten. In den meisten Fällen werden bei solchen Ausstellungen die Produkte auf weiße Podeste gestellt und sehr zurückhaltend präsentiert. Wir wollten die Besonderheiten der Arbeiten herausstellen, Materialien, Farben, Hintergründe zeigen – wie ein dreidimensionales Moodboard. Und jede Gewinnerarbeit individuell hervorheben und ihre Geschichte und Besonderheiten zeigen.

Allein Produkt- oder Möbeldesign anzubieten, ist offenbar kein tragfähiges wirtschaftliches Modell mehr, oder?

Marguerre: Gerade am Anfang ist es schwierig. Wenn du es dann irgendwann geschafft hast, 10, 15 Produkte auf dem Markt zu haben, die laufen, dann kannst du davon leben. Aber wie soll man da als Jungdesigner hinkommen? Du wirst ja mit Lizenzen bezahlt. Da hat uns unser Studiokonzept wirklich gerettet.

Trotzdem eine schwierige Situation …

Marguerre: Ja, aber die Hersteller kämpfen ja auch. Deswegen kann ich das Lizenzmodell aus deren Sicht nachvollziehen. Als Praktikantin bei Stefan Diez habe ich mitbekommen, wie er viele Jahre lang einen Stuhl entwickelt hat. Da dachte ich, irgendetwas läuft falsch. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass der Hersteller genauso viel investiert, man geht zusammen dieses Risiko ein. Deswegen arbeiten wir lieber für Firmen mit einer kleinen Kollektion, die langsam aufgebaut wird und Bestand hat, anstatt auf Masse und Trend getrimmt zu sein …

… um dann schnell wieder vom Markt zu verschwinden. Wohin wollt ihr euch mit eurem Studio entwickeln?

Marguerre: Wir wollen eher klein und fein bleiben. Ich finde es toll, im Team zu arbeiten. Wir haben zwei Mitarbeiterinnen und sind zu viert wirklich gut. Die doppelte Größe hieße, dass wir nur noch koordinieren und Termine machen und selbst nicht mehr kreativ arbeiten. Das wollen wir definitiv nicht.

Besau: Es klingt abgedroschen, aber mit dem Kind verändert sich vieles. Wir wollen natürlich auch Zeit mit unserem Sohn verbringen.

Studio Besau Marguerre © Silke Zander

Lässt sich die Arbeit denn mit der Familie verbinden? Fast alle bekannten Produktdesigner sind immer noch Männer, gerade auch in Deutschland.

Besau: Es ist nicht modern, das zu sagen, aber es hat sicher immer noch mit dem Kinderkriegen zu tun. Das alte Rollenbild springt oft schnell wieder an.

Marguerre: Ich sehe mich nicht nur in der Mutterrolle, aber das wird oft nicht verstanden. Arbeitende Mütter sind immer noch nicht normal. Dabei bin ich eine bessere Mutter, wenn ich arbeite. Viele Leute haben mir vor der Geburt gesagt, pass auf, der Job wird dir nicht mehr wichtig sein, wenn du ein Kind hast, es wird sich alles ändern. Das ist nicht so. Ich liebe meinen Beruf, und er ist mir genauso wichtig wie vorher.

Hat die Familiengründung eure Arbeitsweise verändert?

Marguerre: Früher war es normal, am Wochenende zu arbeiten oder hier und da mal eine Nachtschicht zu machen.

Besau: Wir haben eben keine „normalen“ Arbeitszeiten. Bei uns entstehen die Ideen im Dialog, jeder denkt auf eine bestimmte Art und Weise, findet einen Ansatz; man formuliert es und löst etwas beim anderen aus. Und das passiert längst nicht nur im Büro.

Wenn ich abends um zwölf eine Idee habe – warum soll ich diesen kreativen Moment unterdrücken und nicht mit Marcel teilen?

Eva Marguerre

Marguerre: Wir gehen beispielsweise gerne wandern, im Urlaub in die Berge. Wie oft haben wir schon gesagt, jetzt machen wir Urlaub, da wird nicht gearbeitet. Aber dann wandern wir und irgendwie fängt es an, es geht hin und her mit den Ideen. Eine Zeitlang habe ich versucht, Feierabend zu machen und danach nur noch privat zu leben. Das funktioniert aber für uns nicht. Wenn ich abends um zwölf eine Idee habe – warum soll ich diesen kreativen Moment unterdrücken und nicht mit Marcel teilen? Das sind Momente, die machen verdammt glücklich, das nutzt sich auch nicht ab. Was für ein Glück, dass wir genau diesen Job machen.


Zuerst erschienen im designreport 04/2017. Alle Fotos © Silke Zander.

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