David Basulto ist einer der Gründer von ArchDaily, einem Webportal, das sich vor Kurzem mit Architonic zusammengeschlossen hat. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum er die Website ins Leben gerufen hat, welche Projekte ihm heute wichtig sind – über globale Trends in der Architektur.
Interview von Gerrit Terstiege.
Herr Basulto, über Sie persönlich findet man im Netz nur sehr wenig. Warum haben Sie ArchDaily ins Leben gerufen? Als Architekt macht man doch eigentlich ganz andere Dinge, als eine Website aufzubauen.
Ja, wir müssen wirklich mal an meinem Wikipedia-Profil arbeiten! (lacht) In der Abschlussphase meines Studiums kam ich mit neuen Technologien in Berührung und diese wurden zu meiner persönlichen Leidenschaft – aber die gleiche Leidenschaft hege ich auch für die Architektur. Im Laufe meiner Universitätsausbildung lag mir der Zugang zu Veröffentlichungen, zu Informationen und zu Wissen sehr am Herzen. Ich begann, mir eine eigene Bibliothek aufzubauen, erkannte aber auch, dass das Internet die Art und Weise, wie Wissen aufbereitet und veröffentlicht wird, komplett verändern würde. David Assael und ich sprachen darüber, wie sich der Zugang zu Informationen auch auf das Bauwesen auswirken würde. So entstand ArchDaily, zunächst als Start-up in unserer Freizeit, während wir unsere Studien abschlossen, später dann neben unseren Lehraufträgen und ersten Architekturprojekten. Es war unsere Leidenschaft, der wir in vielen langen Nächten und an vielen Wochenenden nachgingen. Da eine Architektur- und Informationsbibliothek für Architekten ungeheuer wichtig ist, wuchs ArchDaily sehr schnell. Wir stellten diese Daten kostenlos, offen und leicht zugänglich im Internet bereit. Deshalb fragten wir uns bereits ganz zu Anfang: Wie können wir daraus ein Geschäft machen, damit wir uns zu 100 % nur damit beschäftigen?
Sie arbeiten also nicht mehr als Architekt?
Richtig. ArchDaily ist einfach zu groß geworden. Heute sind wir insgesamt etwa 180 Leute. Aber im Rückblick kann ich sagen, dass mir meine Ausbildung als Architekt das nötige Rüstzeug gegeben hat, um aus dem kleinen, unabhängigen ArchDaily ein Unternehmen zu machen, das nun auch an Orten wie Peking, Santiago, São Paulo und Mexiko-Stadt vertreten ist.
Im vergangenen Jahr wurde ArchDaily von Architonic übernommen. Können Sie uns etwas mehr zu der Idee und der Strategie hinter dieser Fusion erzählen?
Unsere beiden Unternehmen waren auf sehr ähnliche Weise entstanden. Architonic wuchs in Europa, ArchDaily in Amerika und Asien. Beide Unternehmen dachten darüber nach, wie die Zukunft aussehen könnte, und kamen zu dem Schluss, dass sie viel Integration und Zugang zu Datenbanken erfordern würde. Wir erkannten, dass dies etwas viel Größeres werden würde als das, was wir in der zurückliegenden Dekade gemacht hatten. Deshalb war dieser nächste gemeinsame Schritt aus strategischen Gründen logisch. Vor Jahren haben wir schon gesagt: „Wir müssen auf den europäischen Markt kommen, weil dort die Digitalisierung bereits stattfindet.“ Wenn man sich den DACH-Markt ansieht, sind Baumodelle und angewandte Technologie nicht neu. Das ist ein sehr guter Ausgangspunkt für, sagen wir, diese neue Ära der Architektur und Baubranche. Wir sehen große Synergien mit Architonic, weil das Unternehmen bei den Architekturprodukten sehr stark ist. Andererseits hat ArchDaily ein sehr großes Netzwerk von Architektinnen und Architekten.
Wie entscheiden Sie eigentlich, welche Architekturprojekte auf ArchDaily vorgestellt werden? Sie bekommen doch sicher eine Menge Vorschläge aus der ganzen Welt. Da müssen Sie eine Auswahl treffen.
Ja, das ist eine Riesenaufgabe, vor allem, weil unser Kuratorenteam überall auf der Welt verteilt ist. Aber wir sind sehr gut vernetzt, sprechen ständig miteinander – es ist einfach ein permanenter Prozess. Die Vielfalt der Architektur ist für uns sehr wichtig. Manchmal kann man sogar von einem Gebäude etwas lernen, das manche für „normal“ halten. Unsere Mission ist die Bereitstellung von Inspiration, Wissen und Werkzeugen für Architektinnen und Architekten, die sich mit dieser gewaltigen Aufgabe konfrontiert sehen, die das urbane Wachstum, das immer größere Bauaufkommen auf der Welt darstellt. Wir sehen uns jedes einzelne Projekt an, auch wenn es nur klein ist. Selbst die bescheidensten Projekte können anderen Architektinnen und Architekten helfen, offener an etwas heranzugehen. Es findet also ein ständiger Austausch zwischen den Kuratoren statt, bei dem die Frage gestellt wird: „Kann jemand anderes von diesem Projekt etwas lernen oder nicht?“
Diese Frage stellt man Ihnen vermutlich häufig, weil Sie einen wirklich globalen Überblick über Architekturprojekte haben, aber: Erkennen Sie Architekturtrends auf den einzelnen Kontinenten?
Ja, ich glaube, Architekturtrends in der heutigen Zeit sind wie Pendel, die sich relativ schnell bewegen. Wir sehen beispielsweise einen neuen Regionalismus, also Architektur, die einen sehr stark regionalen Bezug hat. Man erkennt: „Wow, dieses Gebäude befindet sich sicherlich in Süddeutschland, dieses hier in Teheran und dieses in Paraguay.“ Außerdem sehen wir sehr viel Inspiration aus den verschiedenen Ländern, auch was die verwendeten Materialien betrifft: Der Einsatz von Bambus in Indonesien oder von Ziegelsteinen im Iran oder in Paraguay sorgt für starke Referenzen in der Architekturwelt von heute. Ohne digitale Netzwerke wie unseres wäre es sehr schwierig, solche Trends in den verschiedenen Regionen der Welt zu erkennen. Dann gibt es noch Trends, die mit der Rolle Architektinnen und Architekten zusammenhängen und mit der damit verbundenen Verantwortung: „Müssen wir wirklich ein neues Gebäude errichten? Oder sollten wir das anpassen oder verkleinern, was bereits da ist, und so weniger Energie und Ressourcen verbrauchen?“ Die Welt ist sich jetzt des Konsums und der CO2-Bilanz sehr bewusst geworden und das gilt auch für die Architektur.
Das bringt mich zu den diesjährigen Preisträgern des Pritzker-Preises, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, die dafür bekannt sind, in Frage zu stellen, ob man immer etwas ganz Neues schaffen muss. Sie verbessern häufig einfach bereits vorhandene Gebäude.
Ja, genau. Die beiden arbeiten sehr bewusst. In ihrer Arbeit sind sie auch sehr konsistent und treffen Entscheidungen, die nichts mit ihrem jeweiligen Ego zu tun haben. Es freut mich sehr, dass dieser Ansatz jetzt durch den Pritzker-Preis mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Wo wir gerade von Egos sprechen … In den vergangenen Jahrzehnten hatte es den Anschein, dass Architektinnen und Architekten einen bestimmten eigenen Stil entwickeln mussten, um Stars zu werden. Ich denke hier z. B. an Gehry, Hadid oder Richard Meier. Aber vielleicht ist diese Ära inzwischen vorbei. Es kann sehr viel Positives bewirken, wenn man den Bestand nutzt, anstatt abzureißen, viel Lärm und Abfall zu verursachen und dann das ganze Material und die Energie wiedereinzusetzen, nur um einen weiteren Block zu errichten …
Genau. Ich sehe auch, dass man zunehmend die Kommunen vor Ort berücksichtigt. Das geschieht auf unterschiedlichen Ebenen in den verschiedenen Ländern, nicht nur in Entwicklungsländern oder Ländern, die sich in einer Krise befinden. Es geschieht auch in den Industrieländern, und zwar mit einem ähnlichen Tonfall. Die Menschen möchten einbezogen werden, mitentscheiden können. Architektur ist immer das Ergebnis von Entscheidungen. Normalerweise werden diese Entscheidungen von den Personen getroffen, die das Budget festlegen, ob nun staatlich oder privat. Die Gebäude haben aber Auswirkungen auf die Menschen, die in dieser Umgebung leben. Regierungen müssen sich anpassen, Unternehmen müssen sich anpassen, also gilt das auch für Architektinnen und Architekten.
Das führt mich zu meiner letzten Frage: Welche Art von Gebäude oder Umgebung hat Sie persönlich geprägt?
Nun, ich hatte das Glück, etwa 60 Prozent meines Lebens in Chile verbringen zu dürfen, in einem sehr fußgängerfreundlichen Teil von Santiago. In Providencia gab es Bäume, die im Sommer mein Haus beschatteten und im Winter das Licht hindurchließen. Dort hatte ich ein breitgefächertes Angebot, was das Essen betraf, vor allem durch die zunehmende Vielfalt im Land, und somit eine sehr hohe Lebensqualität. Im Juli letzten Jahres bin ich nach Berlin gezogen, um sozusagen als Vermittler zwischen unseren Standorten in Deutschland und der Schweiz sowie dem in Südamerika zu fungieren. Da ich einer der Geschäftsführer bin, möchte ich wirklich diese Phase in Europa verbringen. Das genieße ich sehr.
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