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Von Thomas Edelmann.

Zum Tode von Jörg Stürzebecher.

Jörg Stürzebecher ist tot. Als Wissenschaftler und Publizist bezog er weniger Disziplinen, vielmehr weitläufige Wissensgebiete in seine Recherchen und Veröffentlichungen ein. Einzigartige wie auch banale Gegenstände waren praktisches Anschauungsmaterial für eigene Studien. Später profitierten davon auch Studierende, die er als Lehrbeauftragter und Gastprofessor zahlreicher Hochschulen von Kassel über Karlsruhe, Coburg und Konstanz, von Schwäbisch Gmünd und Schwäbisch Hall, von Ulm bis Darmstadt und Stuttgart unterrichtete. Als Lehrer und Vortragsredner war er auch in Designschulen und Workshops gefragt, so etwa in Ravensburg und Weingarten. Anhand von Originalen konnte er Zuhörerinnen und Zuhörern Proportionen und Details nahebringen. Als Sammler trug er Bücher und Gegenstände zusammen, als Leihgeber und freigiebiger Schenker suchte er stets nach dem richtigen Ort für seine Funde. Sie sollten zu vertrauenswürdigen Institutionen und Personen gelangen, um auf neue Weise fruchtbar zu werden.

In Frankfurt war er seit 1987 regelmäßiger Besucher, Kritiker von und Berater für Veranstaltungen und Aktivitäten des Rat für Formgebung. Seine freie Mitarbeit dort endete Mitte der 2000er Jahre. Kontroverse Auffassungen zu einzelnen Projekten führten zu dauerhaft getrennten Wegen. Für die Zeitschrift designreport – auch sie begleitete er seit den Anfängen als ständiger Mitarbeiter – blieb er darüber hinaus tätig. Zu seinen Themenfeldern gehörten Theorie und Geschichte der visuellen Kommunikation wie des Produktdesigns. Oftmals leuchtete Jörg Stürzebecher Grenzbereiche des Design aus, etwa zu Konstruktivismus, Konkreter Kunst und Poesie. Maßgebliche Forschungsarbeiten zu Richard Paul Lohse, Anton Stankowski oder Max Bill finden sich in seiner umfangreichen Bibliographie. Er verfasste Beiträge für Sammelbände, Ausstellungskataloge, Zeitschriften und ein Radio-Feature. Nicht allein Leben und Werk der Protagonisten der Moderne im Rampenlicht erforschte er, sondern auch vermeintliche Randfiguren. So etwa den Maler, Grafiker, Gestalter und Pädagogen Max Burchartz, dem er eine große monographische Ausstellung widmete: „max ist endlich auf dem richtigen weg“ wurde 1993 im Deutschen Werkbund in Frankfurt gezeigt, dazu erschienen Katalog und aufwändige Reprints. Stürzebechers Entdeckungen führten zu oftmals „Korrekturen der überlieferten Kunstgeschichte“, so Verleger Lars Müller. Er hatte ein „wunderbares Auge für Preziosen“, ergänzt Müller. „Wir waren uns da einig, nicht alles ist wertvoll, aber dennoch kostbar.“

Ein Beispiel unter vielen: Jörg Stürzebechers Wiederentdeckung und Entschlüsselung des Jugendbuches „Hannelore erlebt die Großstadt – Eine vorzügliche Geschichte von den heutigen Schwaben“ von 1931/32, die er im designreport ausführlich vorstellte (H. 3/2007, S. 58-61). In Form eines Briefromans führt die Autorin Clara Hohrath ein in ein Stuttgart, in dem „mit dem Neuen Bauen selbstverständlich umgegangen wird, die Verheißung der Zukunft in der Gegenwart angekommen ist“.

In einem Nachruf von 2016 auf den langjährigen Leiter des Instituts für Neue Technische Form (INTEF), Michael Schneider, erinnerte Jörg Stürzebecher an sein Verständnis von Gleichheit und Freiheit, wie er es durch Schneider in seinem Institut zeitweise verwirklicht sah: So war das INTEF „überhaupt ein Ort für alle, für Kneipenbekanntschaften, Schulfreunde, Forscher, zeitweilig Obdachlose, Arbeiter, Klein- und Großbürger, Zaungäste, Kinder und Hunde. Über alle freute sich Michael, und sein INTEF war bei Eröffnungen und auch bei anderen Gelegenheiten ein Ort nicht des Neben-, sondern des Miteinander, wo gelacht, getrunken und auf die Bäume geklettert wurde.“

Am 16. August starb Jörg Stürzebecher in Frankfurt. Er wurde 58 Jahre alt.


Beitragsbild: Jörg Stürzebecher in Rüsselsheim, 2019. Foto: Simon Malz.

Zur Wiederveröffentlichung des Artikels „Schmalfett im Raster“

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