8 min read
Franco Clivio beim Modellieren eines Seifenblasen-Manifolds, © Laurent Burst

Finden, sammeln, erkennen und gestalten gehören für ihn zusammen. Zu Franco Clivios bekanntesten Entwürfen gehören das Gardena-System, der pico von Lamy sowie Strahler und Leuchten für Erco. Am 7. Juli feierte der Gestalter seinen 80. Geburtstag.

Von Thomas Wagner.

Gestalten ist für Franco Clivio keine distanzierte Angelegenheit, die mehr mit Dingen als mit Menschen zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Entscheidend für ihn waren die engen, vertrauensvollen, über viele Jahre oder gar Jahrzehnte bestehenden Beziehungen zu Unternehmern und Chefdesignern wie Werner Kress von Gardena, Klaus Jürgen Maack von Erco, Manfred Lamy vom gleichnamigen Schreibgerätehesteller, Jürgen Werner Braun von FSB, Herbert Schultes von Siemens und Eckhard Tischer von Rodenstock. Damit sich die Zusammenarbeit für beide Seiten als fruchtbar erwies, waren persönliche Einstellungen ebenso wichtig wie Fragen des Designs. Hinzu kommt: Clivio geht offen auf Menschen zu, stellt sich nicht über andere und arbeitet gern im Team. Mehr als 35 Jahre, sagt er, sei er für Gardena tätig gewesen, 17 für Lamy und 15 für Erco. Vielleicht hat er gerade deswegen, so paradox es klingt, nie als angestellter Designer, sondern immer frei und selbständig gearbeitet. Er sei sehr froh darüber, dass er mit Menschen zusammenarbeiten konnte, die mit Leidenschaft bei der Sache waren, selbst entscheiden konnten und ihre Leute zu motivieren wussten. Heute, stellt er fest, entscheide zumeist das Marketing über das Design, habe aber keine eigene Haltung dazu. Neue Entwürfe würden zur Überprüfung an die Marktforschung delegiert. Die Ergebnisse seien entsprechend. Man muss, sagt er, eben Glück haben im Leben, und zitiert das Sprichwort: »Du kannst nicht im Lotto gewinnen, wenn Du nicht mitgespielt hast.«

Franco Clivio ist immer ein »Ulmer« geblieben

Franco Clivio ist in vielem immer ein »Ulmer« geblieben. Die Zeit an der HfG, das hat er immer betont, habe seinen Horizont in vielerlei Hinsicht erweitert. Wie ein Riesenschwamm habe er alles, was sich ihm bot, aufgesogen. Studiert hat er auf dem »Oberen Kuhberg« von 1963 bis 1968. Der Mitbegründer Otl Aicher war ein wichtiger Lehrer, Hans Gugelot stand er bis zu dessen überraschendem Tod nah, mit Gui Bonsiepe, bei dem er einst Assistent war, und mit Tomás Maldonado, blieb er auch nach Ende der Hochschule freundschaftlich verbunden. Maldonado besuchte ihn noch zu seinem 60. Geburtstag, schrieb über seine Arbeiten. Heute zählt Clivio im Bereich Systemdesign zu den erfolgreichsten Entwerfern. Berühmt gemacht hat ihn vor allem seine Produktgestaltung für den Gartengerätehersteller Gardena. Erfunden hat er die bekannten Verschlüsse, die sich so einfach zusammenstecken lassen, zwar nicht; die gab es bereits für Luftdruckschläuche und Gasherde. Er hat die Kupplungen aber so nutzerfreundlich gestaltet und das System in allen seinen Teilen so konsequent ausgearbeitet, dass Gardena zu einem feststehenden Begriff wurde. Auch den Materialeinsatz beim Spritzguss, der eine preiswerte Herstellung erst erlaubte, hat er so weit als möglich reduziert. Lange Jahre eng verbunden ist er, wie bereits erwähnt, neben Gardena mit Erco, FSB, Lamy, Siemens und Rodenstock. Ab 1972 lehrt er als Gastdozent an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, Finnland, Italien und den USA, von 1980 bis 2002 an der Hochschule für Gestaltung in Zürich und danach am Instituto Universitario di Architettura in Venedig. 

Im Design sind alle Fragen praktische Fragen

Clivio hat sich nicht an das Gewohnte angelehnt oder gar darauf ausgeruht, sondern bei jeder Gestaltungsausgabe einen eigenständigen Weg gesucht. Für ihn sind im Design alle Fragen praktische Fragen – und keine erscheint ihm zu nebensächlich, um übergangen zu werden. Als wir in den letzten Tagen telefoniert haben und ich ihn fragte, ob er nicht so etwas wie ein Werkzeugmacher sei, gefällt ihm das durchaus: Das sei richtig, schließlich habe er nie Möbel gemacht, von denen, fügt er lachend hinzu, ja ganz Norditalien lebe. 

Dinge sammeln, um sie zu verstehen

Franco Clivio, keine Frage, ist stolz auf seine Entwürfe. Es geht im Design nicht darum, bescheiden, sondern offen, teamorientiert, präzise und, auch das, originell zu sein. Und doch pflegt er eine heimliche Liebe für anonymes Design. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Er kann bis heute über den enormen Einfallsreichtum des Menschen staunen wie ein Kind, das zum ersten Mal entdeckt, wie vielfältig und reich die Welt doch ist. Clivio ist immer wieder von neuem fasziniert davon, wie verschieden die Dinge gemacht sind, die irgendwer gestaltet hat. Fragt man ihn, wann er mit dem Sammeln begonnen hat, antwortet er so schlagfertig, wie es seine Art ist: „Seit ich Hosentaschen habe.“ Rund 1000 Objekte – von Federn, Fächern, Sägen, Füllern und Schreibgeräten aller Art über Monokel, Zwicker und Brillen bis zu Zwingen und Handbohrern – soll seine Kollektion umfassen, die er in Brockenhäusern, Trödelläden und auf Flohmärkten zusammengetragen hat. 

Ausstellungfotografie aus »No Name Design«, Foto: Hans Hansen

Die Wahrnehmung trainieren

Seine Sammlung mag umfangreich und reichhaltig sein: Clivio sammelt aber nicht, um zu sammeln, nicht, um Dinge zu besitzen. Das Sammeln hilft ihm beim Entdecken. Es zwingt ihn dazu, genau hinzusehen, wie etwas gemacht ist und darüber nachzudenken, worin die gestalterische Qualität eines Dings besteht. Wann immer er etwas entdeckt, trainiert er sein Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen. Oft hat er das auch mit Studierenden an der Zürcher Hochschule für Gestaltung praktiziert und sie dazu aufgefordert, Produkte für ein oder zwei Franken mitzubringen und zu erklären, worin ihre Designqualität besteht. Wobei, merkt er lachend an, die Schwierigkeit für ihn selbst darin bestand, ein besseres Anschauungsobjekt aufzustöbern. 

Clivios Trainingsprogramm macht noch etwas anderes deutlich: All die Dinge, die uns umgeben, werden nicht von selbst, nicht automatisch zu Quellen der Inspiration. Was sie von anderen unterscheidet, ihre Qualität ausmacht, muss bewusst herausgefunden werden. Es zeigt sich erst im Licht eines lebendigen Interesses. Dass die nie endende Beschäftigung mit anonymem Design keine Marginalie ist, beweist auch die Faszination, die Clivios Sammlung im Lauf der Jahre auf so manchen Unternehmer und Designer ausgeübt hat. Als bekannt war, berichtet er, welche Überraschungen bei ihm in Schubladen und Kartons schlummern, sei er, wenn er zu einem Meeting kam, oft gefragt worden: „Clivio, was haben Sie uns mitgebracht?“ Zusammen mit dem Fotografen Hans Hansen und dem Grafiker Pierre Mendell hat Clivio seine Sammlung auch in Ausstellungen präsentiert und in dem wunderbaren Buch »Verborgene Gestaltung« samt den nicht immer leicht erkennbaren Problemlösungspointen anschaulich gemacht. 

Der Kleine für die Tasche

Und weil Franco Clivio der ist, der er ist, steckt auch in den Dingen, die er gestaltet hat, etwas, was man nicht sofort sieht, für die Sache aber wesentlich ist. Kein Geheimnis, aber etwas, wodurch sich das jeweilige Objekt im Gebrauch grundlegend von anderen unterscheidet. Bestes Beispiel ist der Taschen-Kugelschreiber „pico“, den Clivio 2001 für Lamy gestaltet hat. Auch der pico ist von einem unbekannten Fundstück inspiriert, geht aber weit darüber hinaus. Dr. Manfred Lamy, erzählt Franco, habe damals zu ihm gesagt: »Jeder Designer will einen Füllhalter machen«, aber sofort hinzugefügt: »Clivio, machen Sie, was Sie wollen. Es muss nur zum Image der Firma passen – aber bitte keinen Füller.« Also fragte sich Clivio: Wie benutze ich eigentlich Schreibgeräte? Alle haben sie so einen Clip, ja, um ihn ins Jackett oder ins Hemd zu stecken. Was aber machen die Frauen? 

Der LAMY pico wurde 2001 für LAMY gestaltet © LAMY

Schreibgerät, Spielzeug und Handschmeichler

To make a long story short: Clivio steckt seine Stifte am liebsten in die Hosentasche. Dort verkanten sie sich ebenso, wie wenn man sie in Seitentasche des Saccos steckt. Als ihm das klar wurde, kam ihm der Gedanke, den Stift auf ein Minimum zu reduzieren, ohne Kappe und Clip. Es sollte ein Stift sein, für den man, um ihn in Funktion zu setzen, nur eine Hand braucht. Also drückt man beim pico einfach drauf und kann sofort anfangen zu schreiben. Technisch bedeutete die Umsetzung für Lamy eine enorme Herausforderung. Dass der Stift perfekt funktioniert, war für Clivio eine notwendige Voraussetzung, aber bei weitem nicht alles. Schließlich liegt die Pointe des Stifts nicht in seiner Form, sondern in seiner Funktion und dem Aha-Effekt, der entsteht, wenn man ihn benutzt. Kurz gesagt: Er ist auf eine pfiffige Art zugleich Schreibgerät, Spielzeug und Handschmeichler. 

Manifolds oder die Liebe zur Geometrie

Das Kleine und das Große, das Kompakte, das sich in etwas anderes verwandeln kann – wie ein Regenschirm, der sich erst zu seiner wahren Größe entfaltet, wenn er gebraucht wird. Ein Stift wie der pico folgt demselben Prinzip. Selbst im Gardena-System steckt der Geist der Verwandlung. Clivios Liebe zur Ordnung, zur Geometrie und zu überraschenden, aber stets praktischen Veränderungen geht bis in seine Ulmer Zeit als Student zurück, als ihm Walter Zeischegg sagte, er habe eine Methode entwickelt, wie man einen Würfel in die Fläche bringen kann, verrate sie ihm aber nicht. Derart herausgefordert, fand Clivio es selbst heraus. Die Sache mit dem Falten und Entfalten hat ihn zwischendurch immer weiterbeschäftigt – und in den letzten beiden Jahrzehnten intensiviert. »Manifolds«, nach dem englischen Wort für Manigfaltigkeit, nennt er die Gebilde aus feinen, mittels Gelenkstücken verbundenen Röhrchen, wie sie in der Medizin verwendet werden. In der Fläche bilden sie Quadrate, Rechtecke und Dreiecke, können aber so gedreht und ins Dreidimensionale entfaltet werden, dass aus er Bewegung heraus faszinierende neue räumliche Gebilde entstehen. Hunderte davon hat Clivio ersonnen. 

»Manifolds« – das sind Objekte mit gelenkig verbundenen Stäben. In der Fläche zeigen sie geometrische Formen,
durch Bewegung werden sie zu räumlichen Skulpturen entfaltet. (© Franco Clivio auf www.manifolds.ch

Und so kommt zusammen, was Gestaltung für ihn ausmacht: Der Spieltrieb, der sich mit einer ordnenden Systematik paart; die innige Verbindung von Funktion und Benutzbarkeit; der nie endende Prozess des Findens, Sammelns und Erkennens, des Faltens und Entfaltens. Ein scheinbar einfaches Prinzip, das, angefacht von Ideen, versehen mit den entsprechenden Gelenken und Verbindungen, zu nützlichen Dingen führt, wie sie dieser Werkzeugmacher gestaltet hat. Heute feiert Franco Clivio seinen 80. Geburtstag. Wir gratulieren, erheben das Glas und rufen ihm zu: Darauf einen pico!


https://ndion.de/de/hingeschaut-die-hochschule-fuer-gestaltung-ulm-design-fuer-millionen/

Diese Seite auf Social Media teilen:

Print Friendly, PDF & Email