Eine neue Generation von Designer*innen, Bestatter*innen und Start-ups denkt das Lebensende neu: mit Urnen aus Papier, Reerdigungen im Kokon und Trauerräumen, die an Ateliers erinnern. Der Abschied wird heute individuell gestaltet – naturnah, persönlich und oft überraschend schön. Gestaltung hilft, dem Tod ein wenig von seinem Schrecken zu nehmen.
von Martina Metzner

Einer der Aufreger der vergangenen Milan Design Week war zweifellos die Präsentation von „The Last Pot“ durch die italienische Kultmarke Alessi. Alberto Alessi, der das Projekt zusammen mit Giulio Iachetti initiierte, erklärte: „Es gibt ein Gefäß, das wir noch nicht erforscht haben, eine Designkategorie, die erstaunlich wenig Beachtung findet: die Bestattungsurne.“ Besonderes Aufsehen erregte die Urne in Form eines Hundeknochens von Philippe Starck. Typisch Starck: Selbst bei ernsten Themen darf das Augenzwinkern nicht fehlen. So provokant der Zugang auch ist – gerade solche Impulse holen das Thema Tod zunehmend aus der gesellschaftlichen Tabuzone. Immer öfter werden auch die Schattenseiten des Lebens thematisiert. Design kann dabei eine Schlüsselrolle spielen: Es schafft neue Zugänge und hilft, dem Lebensende etwas von seinem Schrecken zu nehmen.



„Totem“ von EOOS (links und rechts) sowie „Swan Song“ von Michael Anastassiades für „The Last Pot“ von Alessi | Foto: Claudia Zalla, © Alessi
„Es gibt ein Gefäß, das wir noch nicht erforscht haben, eine Designkategorie, die erstaunlich wenig Beachtung findet: die Bestattungsurne.“
– Alberto Alessi
Feuerbestattungen im Trend
Die Bedürfnisse der Menschen in Bezug auf Sterben, Beerdigung und Trauer haben sich deutlich verändert. Statt für eine traditionelle Beerdigung im Sarg entscheidet sich die Mehrheit inzwischen für eine Einäscherung (2023 waren es rund 80 Prozent). Die Feuerbestattung, die erst seit etwa 150 Jahren verbreitet ist, gilt als kostengünstiger und praktischer, da kein aufwendiges Grab gepflegt werden muss. Friedhöfe wirken dadurch zunehmend leerer. Hinzu kommt der Wunsch vieler Menschen, individuell oder naturnah bestattet zu werden, was sich am wachsenden Zuspruch zu Waldbestattungen zeigt. Diese Entwicklungen werden durch Studien bestätigt, etwa von Trendforscher Matthias Horx im Rahmen der Initiative „Raum für Trauer“ oder im Sterbereport der Ahorn Gruppe. Eine ganze Branche befindet sich im Wandel.


„Meine Erde” bietet Reerdigung derzeit nur in Kiel und Mölln an | Foto: © Meine Erde
Naturnahe Reerdigung
Eine neue Technologie kommt dem Wunsch vieler Menschen nach einer naturnahen Ruhestätte besonders entgegen: die sogenannte „Reerdigung”. Während in Deutschland noch die Unbedenklichkeit geprüft wird, ist man in den USA mit Unternehmen wie Recompose schon weiter. Das Berliner Start-up „Meine Erde” bringt das Verfahren nun nach Deutschland. Dabei wird der Körper in einem Kokon aus Stroh, Heu, Luzerne und Pflanzenkohle innerhalb weniger Wochen bei etwa 70 Grad Celsius zu nährstoffreicher Erde kompostiert. In Schleswig-Holstein ist „Meine Erde” bereits aktiv; auch in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern darf die entstandene Erde beigesetzt werden. Anders als klassische Bestattungsunternehmen setzt das Start-up auf eine völlig neue Bildsprache: sinnlich, modern, naturverbunden. Der schwarze, elegant geformte Kokon erinnert eher an eine Badewanne als an ein traditionelles Bestattungsgefäß. Zum Abschied wird er im Beisein der Angehörigen von hölzernen Lamellen eingefasst – eine Geste, die Wärme und Versöhnung ausstrahlt.
Urnen zum Selberbauen
„Es ist der letzte Anblick eines liebgewonnenen Menschen – und der sollte schön sein und in guter Erinnerung bleiben“, sagt Katharina Scheidig. Gemeinsam mit Kristina Steinhauf gestaltet sie unter dem Label „Urnfold” Urnen aus Papier, für die sie 2024 den German Design Award in der Kategorie „Excellent Product Design, Eco Design“ erhielten. Wie bei vielen neuen Akteur*innen auf diesem Feld steht am Anfang eine persönliche Erfahrung: Als Kristina Steinhauf 2014 ihren Vater verlor, fertigte die gelernte Geigenbauerin selbst eine Urne – damals noch aus Holz. Das Thema ließ sie nicht mehr los. Zusammen mit Scheidig entwickelte sie später die erste Urne aus Papier.
Im Zentrum steht für beide die Individualisierung: Die Modelle lassen sich beschriften, verzieren – oder sogar selbst zusammenbauen. So etwa das Modell „Zeit”, das als DIY-Kit angeboten wird. Nachhaltigkeit ist ebenso zentral: Das Papier stammt von Gmund und ist biologisch abbaubar, ebenso wie die Hanfbänder zum Herablassen der Urne. Mit ihrer Idee sind „Urnfold” nicht allein. Auch andere setzen auf naturnahe Materialien: Urnen aus Holz (Die Holzurne), Kohle (Kohleurne), Pilzmyzel (Loop) oder Dinkelspelz (Urnique) zeigen, wie vielfältig nachhaltiges Design fürs Danach sein kann.

aus Papier, die mit dem German Design Award 2024
ausgezeichnet wurde | Foto: © Urnfold
Bestattung als Design-Ritual
Auch moderne Bestatter*innen setzen zunehmend auf Natürlichkeit. In den Räumen von Anbietern wie plan b. in Regensburg oder Junimond in Berlin herrscht keine bedrückende Atmosphäre. Im Gegenteil: Warme Farben, weiche Stoffe und Literatur zur Trauer machen die Räume einladend und wohnlich.
Die meist jungen Gründer*innen – oft Frauen, oft Quereinsteiger*innen – verstehen sich als Gestalter*innen von Ritualen, nicht nur als Organisator*innen von Beerdigungen. Sie begleiten Hinterbliebene einfühlsam und offen, auch auf Instagram oder TikTok, wo sie Einblicke in ihren Arbeitsalltag geben. Ihr Ziel: persönliche Abschiede, die dem Leben des Verstorbenen gerecht werden. Und wenn dieser Musikfan war, darf es in der Trauerhalle auch mal laut werden.
Tod und Transparenz
Anbieter wie Mymoria stehen für eine andere Tendenz in der Bestattungsbranche: digital, preisattraktiv und wachstumsorientiert. Das Berliner Start-up trifft offenbar den Nerv der Zeit. Seit seiner Gründung 2015 hat es mehrere Bestattungsunternehmen mit insgesamt rund 40 Filialen übernommen und eigene „Bestattungsboutiquen“ eröffnet.
Ihr Anspruch ist es, so Co-Gründer Björn Wolff, den Umgang mit dem Tod zu verändern – durch digitale Prozesse, transparente Preise und ein offenes Designverständnis. Transparenz bedeutet für Mymoria nicht nur klare Kosten, sondern auch einen offenen Umgang mit dem Thema Tod. So sind die Fenster ihrer Filialen bewusst unverhüllt. Keine schweren Vorhänge, kein Verstecken.
„In den vergangenen Jahren hat sich eine unheimliche Dynamik in der Branche entwickelt, die sich lange Zeit gar nicht bewegt hat.“
– Charlotte Wiedemann vom „Ahorn Space” in Berlin
Mitten im Leben
Am Hermannplatz in Berlin kann man den Wandel rund um das Thema Sterben und Tod an einem besonderen Ort erleben. Im „Ahorn Space” werden keine Bestattungen angeboten, auch wenn dahinter mit der Ahorn Gruppe Deutschlands größtes Bestattungsnetzwerk mit über 300 Filialen steht. Der „Ahorn Space” will den Umgang mit dem Tod, die Themen Sterblichkeit, Bestattung und Trauer in die Mitte der Gesellschaft bringen – und das durch Kultur. Charlotte Wiedemann, Journalistin und Death Doula, kuratiert mit einem kleinen Team, dem auch Designer*innen angehören, den Space, der sich lichtdurchflutet, minimalistisch und mit viel Holz präsentiert. In diesem Event- und Begegnungsort finden beispielsweise Lesungen, Kreativ-Workshops und Sterbemeditationen statt. Wiedemann betreibt für Ahorn daneben das sehr erfolgreiche Social-Media-Format „Der Tod und Wir“ mit knapp 400.000 Follower*innen. Eine neue Generation zeigt sich viel aufgeschlossener und widme sich bewusster dem Thema, so Wiedemann. Die Nachfrage ist da, nur das Angebot hinkt hinterher: „Es gibt noch viel Potenzial für Gestaltung.“

Kunst für die Trauer
So sehr sich Rituale und Objekte wandeln, der Friedhofszwang bleibt in Deutschland bestehen. Dass es auch anders gehen kann, zeigt „Die Eiche”: ein Kolumbarium, das 2024 in Lübeck in einem ehemaligen Speicher der Familie von Thomas Mann eröffnet wurde. Zwölf Jahre lang arbeiteten Michael Angern und Peggy Morenz an dem Herzensprojekt, das von der Heilsarmee getragen und vom Architekturbüro Atelier 522 gestaltet wurde.
Neben den hochwertig gestalteten Fächern für Urnen gibt es Lounge-Ecken und eine Bibliothek, in denen man verweilen und Bücher lesen kann. Kunst zum Thema Lebensende und Trauer umrahmen das Ganze auch visuell.
Sicher ist es Geschmacksache, ob man in so einem Ambiente seine letzte Ruhe finden möchte. Aber ob Reerdigung, nachhaltige Urne oder Design-Kolumbarium: Es geht um die individuellen Wünsche der Verstorbenen, und auch darum, wie die Hinterbliebenen die Menschen in Erinnerung behalten wollen. Eine persönliche, sinnliche und einfühlsame Gestaltung kann helfen, Berührungsängste und Tabus abzubauen und das Ableben greifbarer zu machen, um schließlich die Trauer besser zu bewältigen.



Über die Autorin
Martina Metzner arbeitet als Journalistin für Design und Architektur mit Fokus auf sozial-ökologische Transformation. Denn gute Gestaltung und Nachhaltigkeit sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Nach ihrem Studium der Publizistik, italienischen Philologie und Psychologie war sie elf Jahre lang in Redaktionen tätig, zunächst bei der TextilWirtschaft, danach bei Stylepark. Seit 2018 arbeitet sie frei für führende Fach- und Publikumsmagazine und betreut die Redaktion des Deutschen Design Clubs.
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