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Die Gestaltung von Umwelt, Räumen und Objekten prägt Gesellschaften auf tiefgreifende, dabei oftmals subtile, unbewusste Weise. Design kann auch ausschließen, zum Beispiel, wenn ein Objekt aus Gründen von Alter, Größe, Fähigkeiten oder Behinderungen nicht verstanden oder genutzt werden kann. Doch diese Diskriminierung kann vermieden werden.

Von Barbara Hickl, hicklvesting.

Diskriminierung von Anfang an vermeiden: Die Werkelküche ist ein genderoffener Aktionsspielplatz für Kinder.
Diskriminierung von Anfang an vermeiden: Die Werkelküche ist ein genderoffener Aktionsspielplatz für Kinder. © Christine Oehme, Universität der Künste Berlin, Deutschland

Gerade die jüngeren Generationen zeigen sich sensibel für strukturelle Ausgrenzungsmechanismen, möchte stereotypes Denken durchbrechen und Diskriminierung abbauen. Zwei Entwürfe des internationalen Design Newcomer Awards ein&zwanzig des Rat für Formgebung veranschaulichen, wie Design bei diesem sozio-kulturellen Wandel einen aktiven Part einnehmen kann.

Christine Oehme formuliert mit ihrer Arbeit Werkelküche, dass Geschlechterspezifika keinen „naturgegebenen“ Gesetzen unterworfen sind, sondern anerzogen und antrainiert werden – von frühester Kindheit an. Ihr genderoffenes Spielzeug verbindet eine Werkbank und eine Küche. Die Kinder können selbst entscheiden, auf welche Weise sie es nutzen möchten. Boey Wang widmet sich in Haptics of Cooking der Fragestellung, welchen von der Gestaltung vorgegebenen Widrigkeiten blinde oder sehbehinderte Menschen beim Kochen ausgesetzt sind. Seine auch ohne Augenlicht nutzbaren Küchenutensilien helfen, ein Bewusstsein für tiefliegende Diskriminierungen zu schärfen und ein Umdenken in Gang zu bringen.

Die geschwungene Arbeitsplatte kann Spüle und Skipiste sein
Die geschwungene Arbeitsplatte kann Spüle und Skipiste sein. © Christine Oehme, Universität der Künste Berlin, Deutschland

Werkelküche (Kinderspielzeug) von Christine Oehme, Deutschland

Jungs sind wild und handwerklich begabt, Mädchen helfen brav im Haushalt mit – „Diese binären Gegensätze zwischen den Geschlechtern spiegeln sich schon in Kinderwelten wider und manifestieren so schon früh das Bild von stereotypen Geschlechtsrollen“, sagt Christine Oehme (Universität der Künste Berlin). Ihr Entwurf der Werkelküche möchte mit derlei Stereotypisierung aufräumen. Die Werkelküche versteht sich als genderoffener Aktionsspielplatz für Kinder, denn Spielzeug ist ein wichtiges Instrument, um frühzeitig geschlechtsspezifische Charakteristika zu erlernen. Sie verbindet dafür formale und ästhetische Merkmale von Kinderküchen und Werkbänken.

Die Holzkonstruktion besitzt zwei große, frontal ausgerichtete Paneele mit Lochraster. Hier lassen sich verschiedene Objekte und Werkzeuge anbringen, die die Lesart der Werkelküche verändern. Die geschwungene Arbeitsplatte kann als Spüle interpretiert oder als Rampe genutzt werden. Ein Wasserhahn lässt sich mit einem Griff in eine Schraubzwinge verwandeln. Die seitlich angebrachten Fächer können spielerisch als Backofen Verwendung finden, bieten aber auch Stauraum. Die Werkelküche ist für viele Nutzungen offen und will Kinder nicht vorprägen, sondern ihnen freie Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Kreativität bieten. Auch die Farbigkeit des Entwurfs – unbehandeltes Holz für die Konstruktion und Olivgrün für die Paneele – verwehrt sich bewusst einer geschlechtsspezifischen Zuschreibung.

Haptics of Cooking (Küchenwerkzeug) von Boey Wang, China

Boey Wang (Design Academy Eindhoven) hat mit Haptics of Cooking Küchenwerkzeuge entworfen, die auf rein haptischen Erfahrungen basieren. Der junge Produktdesigner hat das Set nicht nur für Sehbehinderte entworfen, sondern will allen Menschen die Erfahrung des Kochens ohne Augenlicht ermöglichen und ein Gefühl für die haptische Navigation und Informationsverarbeitung vermitteln. So wird die Distanz zwischen Menschen, die ein gutes, ein vermindertes oder kein Sehvermögen haben, verringert.

Nur aus der Perspektive des Sehens, könnten diese Werkzeuge unbrauchbar erscheinen.
„Sehen“ ist nicht nur visuell.

Nur aus der Perspektive des Sehens könnten diese Werkzeuge unbrauchbar erscheinen, aber Wahrnehmung ist nicht nur visuell. © Boey Wang, Design Academy Eindhoven, Niederlande

Das Schneidebrett besitzt einen besonders breiten und tiefen Rand, damit die geschnittenen Zutaten nicht herunterfallen und leicht mit der Hand aufgenommen werden können. Das Messer ist so gestaltet, dass es an einer Längsseite mit der ganzen Hand gehalten werden kann. Das verringert das Verletzungsrisiko nachhaltig. Die taktilen Messbecher besitzen seitlich Löcher – was dysfunktional klingt, ist eine große Hilfe für alle, die Informationen über Berührung erhalten. Durch das Verschließen der Löcher mit den Fingern erfährt man, wann die Flüssigkeit einen gewissen Pegelstand erreicht hat. Der Topfdeckel ist aus Holz, ein Material das Hitze weniger gut leitet als Metall, und somit Verbrennungen vermeidet. Die tiefe Rinne ermöglicht ein leichtes Greifen am gesamten Rand des Deckels. All dies unterstützt Menschen mit Sehbehinderung nicht nur beim Kochen – es sieht auch noch gut aus.


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Die Werkelküche von Christine Oehme

Haptics of Cooking von Boey Wang

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