Was kann Designstudierenden Orientierung beim geschlechterneutralen Gestalten geben? Daphne Braun hat hierfür mit ihrer Website „Divided by Design“ einen niederschwelligen Einstieg in das Thema Gender und Design entwickelt. Wir haben ihr vier Fragen dazu gestellt.
Interview: Stephan Ott und Jessica Krejci, IfDRA.
Design Research Nominierung 2021: Die Shortlist (2/3): „Divided by Design“ von Daphne Braun
Daphne Braun hat im Rahmen ihrer Masterarbeit an der FH Potsdam eine Webseite gestaltet, die vor allem Designstudierenden den Einstieg in das Thema Gendergerechtigkeit erleichtern soll. Mithilfe von Praxisbeispielen, Checklisten sowie einem Nachschlagewerk werden die Studierenden dabei unterstützt, einen gendergerechten Ansatz in ihre eigene Gestaltungspraxis zu integrieren und bei ihren Entwürfen von Anfang an mitzudenken. Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik schafft Daphne Braun Aufmerksamkeit für eine Thematik, die in der deutschen Hochschullandschaft immer noch nur vereinzelt die nötige Aufmerksamkeit erhält. Der so angeregte Diskurs und das Aufzeigen potenzieller Lösungswege zeigt dabei eindrucksvolle Ansätze zur Überarbeitung überholter, geschlechterspezifischer Rollenbilder auf.
Was war der Anlass, Dich in Deiner Abschlussarbeit mit dem Thema Gendergerechtigkeit zu beschäftigen?
Die Grundlage dafür war auf jeden Fall, dass ich mich als Feministin verstehe. Dazu kam, dass ich nach meinem Bachelor in verschiedenen Jobs in der Kinderproduktebranche gearbeitet habe, bei denen mir das Thema Gender-Marketing das erste Mal so richtig bewusst geworden ist. Ich habe festgestellt, dass Kindern „typisch männliche“ und „typisch weibliche“ Rollenbilder präsentiert werden, die ich eigentlich für längst überfällig gehalten habe. Es ist spannend, dass Gender-Marketing erst vor ein paar Jahren so populär geworden ist und sich damit in gewissem Maße konträr zu unserem Bewusstsein der Relevanz von Gleichberechtigung entwickelt hat. Im Laufe meines Studiums habe ich dann erkannt, dass tatsächlich alles in unserer Umgebung gestaltet ist – von Produkten und Medien über Architektur bis hin zu Gesetzen. Und diese Artefakte sind sehr oft nicht geschlechtergerecht, weil sie häufig auf der Annahme beruhen, dass eine Binarität der Geschlechter existiert. So gelangen auch in einer aufgeklärten Gesellschaft „veraltete“ Rollenbilder in Produkte für Kinder. Ich habe mich dann entschieden, dass ich vor allem jüngeren Gestalterinnen und Gestaltern helfen möchte, sich dem Thema der Geschlechtergerechtigkeit im Design zu nähern. Ich glaube, dass für viele junge Gestalterinnen und Gestalter Geschlechtergerechtigkeit persönlich ein Thema ist, und dass sie sich außerdem wünschen es in ihre eigene Arbeit zu implementieren, ihnen aber das Wissen fehlt, wie sie das Thema in die eigene Praxis einbringen können.
Diskriminierung kann sowohl durch Genderdifferenzierung als auch durch Genderblindheit geschehen. Wie können wir beidem begegnen?
Das stimmt, auf der einen Seite wird bei Genderblindheit gar nicht unterschieden und auf der anderen Seite wird durch Genderdifferenzierung extrem unterschieden. Aber beides hat meiner Meinung nach den gleichen Ursprung: Auf der einen Seite wird ein Produkt erstellt, das für alle sein soll, im Kern aber ein androzentrisches, also der männlichen Norm entsprechendes Produkt ist. Auf der anderen Seite entsteht auf der Grundlage dieses einen Produktes „für alle“ dann ein weiteres Produkt speziell für Frauen. Das wiederum auf so stereotype Weise zwischen „Mann“ und „Frau“ differenziert, dass bei beidem nicht auf unterschiedliche Nutzungen eingegangen wird, sondern zum Beispiel auf klassische Rollenbilder. Genau das passiert im Gender-Marketing: die Gruppe von Frauen und die Gruppe Männern wird so stark voneinander abgegrenzt, dass ein Dualismus entsteht. Es gibt nur Entweder-oder. Das führt zu der Frage, ob wir in der Geschlechterbinarität bleiben oder versuchen sollten, daraus auszubrechen. Ein Produkt, das speziell für die Bedürfnisse von Frauen gestaltet wäre, würde vielleicht zu mehr Gerechtigkeit für Frauen führen, aber auch das Denken befeuern, dass wir grundsätzlich zwischen den zwei Geschlechtern differenzieren müssen. In diesem Fall negieren wir non-binäre und queere Geschlechter. Mein Ansatz wäre eine größere Bandbreite an Produkten aufzumachen. Wir haben bestimmt an die 20 verschiedene Rasierer im Drogeriemarkt, diese könnten unterschiedlich gestaltet werden: nicht nach dem Gestaltungsmerkmal „für Männer“ oder „für Frauen“, sondern „für Beinbehaarung“, „für Gesichtsbehaarung“ oder „für Reisen“.
Welche Rolle spielt das Thema Designforschung in Deiner Arbeit?
Ich habe innerhalb meines Masterstudiums wirklich verstanden, was eine gute wissenschaftliche Grundlage für die Designpraxis bedeuten kann. Ich habe zum Beispiel dadurch verstanden, dass es die „großen Designmythen“ gibt und es zu einer geschlechtergerechten Praxis dazugehört, diese aufzudröseln und für sich neu zu interpretieren. Ein Beispiel dafür ist vielleicht das Minimal Design, das gerne als Ideal gesehen wird: Minimales Design muss aber nicht heißen, dass es automatisch besseres Design ist. Da gibt es oft eine Hierarchie, die besagt, dass verschnörkeltes Design nicht so gutes Design und minimales Design tolles Design ist. Um den Minimal-Design-Anspruch kritisch hinterfragen zu können, musste ich erstmal verschiedene Texte lesen – so etwas erfährt man nicht unbedingt über das Machen. Für mich ist es wichtig, beidem Aufmerksamkeit zu geben. Sich nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs zu bewegen, zu lesen und darüber zu schreiben, sondern auch immer wieder selbst zu gestalten, um zu sehen, welche Hebel wir in Bewegung setzen müssen, um Geschlechtergerechtigkeit ins Design zu bringen. Ich habe in meiner Arbeit und auf der dazugehörigen Website, drei Ebenen zur Untersuchung von alltäglichen Produkten herausgearbeitet und das hätte ich nicht gemacht, wenn ich mich direkt in die Praxis begeben hätte und zum Beispiel versucht hätte, diese Produkte zu re-designen.
Glaubst Du, dass wir in (naher) Zukunft Gendergerechtigkeit herstellen können?
Ich finde es schwierig, das zu beantworten, weil ich im Grunde genommen doch eher pessimistisch bin. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, im eigenen Wirkungskreis so viel wie möglich zu tun, um dieses Thema voranzubringen. Ich habe mir mit meiner Masterarbeit so einen kleinen Wirkungskreis erschlossen. Die Schwierigkeit der Geschlechtergerechtigkeit ist aber, dass es nicht den einen Königinnen- oder Königsweg gibt: Während meiner Arbeit war ich damit mehrmals konfrontiert – da beziehe ich mich auf Mai-Anh Boger, die in ihrer Arbeit „Theorien der Inklusion“ vom sogenannten „Trilemma“ spricht und sagt, dass Veränderung unter anderem so schwierig ist, weil die verschiedenen Möglichkeiten eine Fehlkonstruktion in der Gesellschaft geradezurücken, sich gegenseitig ausschließen. Wenn man also versucht, Gleichheit im bestehenden System herzustellen und gleichzeitig damit beschäftigt ist, dieses System „abzusägen“, dann widerspricht sich das. Auch wenn ich eher pessimistisch bin, dass in naher Zukunft Geschlechtergerechtigkeit herrschen wird, glaube ich, dass es wichtig ist, für Gerechtigkeit und Antidiskriminierung einzustehen – es ist wichtig, immer wieder Impulse für eine gleichberechtigte Zukunft zu setzen, um langfristig voranzukommen. Das Projekt an sich, die Website www.dividedbydesign.de, wird in jedem Fall online bleiben. Und das Konzept bietet sich ja an, um es durch weitere Beispiele und Begriffe auszubauen. Rein persönlich wird mich das Thema auch in Zukunft in meiner gestalterischen Arbeit auf jeden Fall weiter beschäftigen.
Expertinnen-Statement Katharina Krämer
„Wenn ich so eine Arbeit sehe, freue ich mich, dass etwas auf diesem Themengebiet entsteht, denn es ist nach wie vor sehr begrenzt, was an den Designhochschulen dazu passiert. (…) Ich finde die Herangehensweise ziemlich gut, die Aufteilung in die drei Bereiche, in denen ich mir Beispiele ansehen, über das Glossar etwas lernen oder eben die Checkliste nutzen kann. Das, finde ich, ist ein guter Ansatz. Es geht hier nicht darum, Fachpersonen abzuholen, sondern es geht darum, Studierende abzuholen, und zwar im besten Fall relativ früh im Studium, wenn sie das erste Mal mit der Frage, was hat Gender mit Design zu tun, konfrontiert werden. (…) Es wäre schön auch noch einen Ausblick zu geben: Bezüglich des binären Systems, auf dem das geschlechtsspezifische Design aufgebaut ist, gibt es viele Beispiele, aber nur wenige, in denen es zusammengedacht oder darüber hinaus gedacht wird. (…) Für mich sind dabei weniger die Produkte das Problem, sondern das, was dahintersteht, das, was mit den Leuten passiert. (…) Letztlich ist es egal, ob ich das klassische Beispiel des Rasierers wähle, das Hellblau/Rosa-Thema oder den Sicherheitsgurt, es sind diese alltäglichen Phänomene, die uns immer noch umgeben. (…) Ich bin der Meinung, dass Geschlecht, aber auch andere soziale Ordnungskategorien einfach immer mitgedacht werden müssen, von Anfang an, weil sie gestaltungsbestimmend sind und weil sie vor allem bestimmen, wer hinterher die Gestaltung nutzen kann – und wer eben nicht. Das ist keine Frage von zielgruppenspezifischem Design, sondern eine grundsätzliche Frage, wie sich Design eigentlich versteht.“
Die Designerin Katharina Krämer hat sich in ihrer Doktorarbeit an der Hochschule Hannover mit dem Thema Gender und Diversity in der Gestaltungsausbildung beschäftigt.
Die German Design Graduates
In diesem Jahr finden die German Design Graduates zum dritten Mal statt. Die nicht-kommerzielle Initiative zur Förderung des Designnachwuchses zeichnet dabei Absolvierende deutscher Designstudiengänge aus. In diesem Rahmen vergibt das beim Rat für Formgebung angesiedelte Institute for Design Research and Appliance (IfDRA) erneut einen Preis für Designforschung. Damit möchte das Institut vor allem Einreichungen auszeichnen, die sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bewegen und durch deren Kombination und Integration in den Designprozess zukunftsrelevante Resultate entstehen.
„Divided by Design“ entdecken
Gerade junge Designerinnen und Designer sind, in einer Gesellschaft, die sich potentiell von alten Geschlechterbildern lösen will, gefragt, Gender im Design neu zu verhandeln. Sie tragen in dieser Hinsicht eine Verantwortung, der Kombination von Geschlecht und Gestaltung Wichtigkeit zu verleihen und Geschlechtergerechtigkeit als Ansatz langfristig in ihre Praxis einzubauen. Die Website dividedbydesign.de soll dafür ein niedrigschwelliges Bildungsangebot sein.
Zur Website der Fachhochschule Offenbach.
Mehr auf ndion
In einer der nächsten Ausgaben von ndion stellen wir Ihnen die dritte Arbeit auf der Shortlist zum diesjährigen Design Research Preis des IfDRA vor. Einen Beitrag zur Gewinnerin des diesjährigen Design Research Preis finden Sie hier:
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