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Designende stehen unter wachsendem Druck, Verbraucherinnen und Verbrauchern Schutz gegen unbeständiges Wetter und den Klimawandel zu bieten. Stylus-Trendexpertin Dewi Pinatih erläutert die wichtigsten Strategien für Produkte, die Sicherheit bieten.

Von Dewi Pinatih, Senior Product Design Editor vom Trendforschungsexperten Stylus

Durch den Klimawandel sind Designerinnen und Designer immer stärker gefragt, Produkte zu entwerfen, die Verbraucherinnen und Verbraucher resilienter gegen extreme Wetterschwankungen machen. Waldbrände und Überschwemmungen sind längst keine Ereignisse mehr, die in anderen Teilen der Welt passieren und die wir nur aus den Nachrichten kennen. Immer häufiger ereignen sich extreme Unwetter auch bei uns in Europa, quasi direkt vor unserer Haustür.

Auch wenn die Corona-Pandemie die Schlagzeilen im letzten Jahr dominierte, ging 2020 auch als das weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Messungen in die Geschichte ein. Bereits 2019 waren 95 Millionen Menschen global von Naturkatastrophen betroffen – die meisten davon waren klimatisch bedingt, wie die Vereinten Nationen berichten.

Je häufiger Verbraucherinnen und Verbraucher mit Zerstörung durch Wetterkatastrophen konfrontiert sind, desto stärker wird der Wunsch nach Produkten, die ihnen unter extremen Bedingungen Schutz und ein sicheres Gefühl bieten. Aber glücklicherweise kommen Marken, Designende und Forschende mit Produkten zu Hilfe, die natürliche Lebensräume sowie Menschen und deren Eigentum schützen. Das Potenzial für Innovation ist hier enorm – und zwar branchenweit von der Architektur über das Interior Design bis hin zu Elektronik, Automotive und Verkehr.

Strategie 1: Design für Schutz und ein sicheres Gefühl

Die Corona-Pandemie hat das öffentliche Bewusstsein für die Gefahren von Luftverschmutzung und deren weitreichenden Folgen geschärft. Für den Verkehrssektor ergibt sich hier die große Chance, entsprechende Sorgen aufzugreifen. Findige Automarken haben bereits reagiert und bieten Kundinnen und Kunden durch den Einsatz modernster Luftfiltersystem ein sicheres Gefühl.

Jaguar Land Rover hat einen Prototyp für ein System entwickelt, das herkömmliche Heizung, Lüftung und Klimatisierung mit der nanoe X-Technologie von Panasonic kombiniert, um die Luft im Innenraum von Fahrzeugen zu reinigen. Die Technologie filtert Bakterien und Viren einschließlich COVID-19 sowie Feinstaub der Partikelgröße PM 2,5, der weltweit der sechstgrößte Risikofaktor für Sterblichkeit ist.

Im vergangenen Jahr präsentierte der chinesische Automobilhersteller Geely seinen ikonischen SUV mit einem neuen, intelligenten Lüftungssystem, das im Zusammenspiel mit der Klimaanlage des Fahrzeugs verhindert, dass Krankheitserreger in den Innenraum eindringen, oder diese eliminiert. Laut Hersteller bietet das Fahrzeug denselben Schutz wie eine medizinische Gesichtsmaske.

Das Airo-Konzept des chinesischen Automobilherstellers IM Motors, das vom britischen Architekten Thomas Heatherwick designt wurde, geht einen Schritt weiter. Das Elektroauto verwendet einen Schwebstofffilter (HEPA-Filter), um die Umgebungsluft des Fahrzeugs zu reinigen.

The Tyre Collective device
The Tyre Collective device. © The Tyre Collective
Airo-Konzept von IM Motors und Thomas Heatherwick
Das Airo-Konzept des chinesischen Automobilherstellers IM Motors verwendet einen HEPA-Filter, um die Umgebungsluft des Fahrzeugs zu reinigen. © Heatherwick Studio

Entgegen landläufiger Meinung sind Abgase nicht das einzige Problem. Reifenabrieb macht bis zu 50 % der Belastung durch Feinstaub (Partikelgröße PM 2,5) durch den Straßenverkehr aus und ist laut The Tyre Collective der zweitgrößte Mikroplastik-Schadstoff. Die Gruppe aus jungen britischen Designerinnen und Designern hat deshalb eine Vorrichtung entwickelt, das schädliche Mikroplastikpartikel auffängt, die sich beim Bremsen, Beschleunigen und Wenden von den Reifen ablösen und als Feinstaub in die Luft gelangen. Das Gerät, das 2020 mit dem britischen James Dyson Award ausgezeichnet wurde, befindet sich ungefähr dort, wo der Reifen die Fahrbahn berührt, und nutzt natürliche Kräfte und Luftstrom, um feinste Partikel aufzufangen – die sich dann für die Herstellung neuer Produkte verwerten lassen.

Autohersteller, die ihren Kundinnen und Kunden mit innovativen Funktionen Schutz und ein sicheres Gefühl bieten, leisten einen aktiven Beitrag zu sichereren und gesünderen Städten und bauen sich so eine positive Reputation auf.

Strategie 2: Klimaregulierende Architektur

Luftverschmutzung ist nicht die einzige Sorge – auch Hitze wird weltweit zunehmend zu einem der drängendsten Probleme. Zukünftig werden Wohnräume daher so gestaltet werden müssen, dass sie Hitze widerstehen und eine kühle Umgebung für Bewohnerinnen und Bewohner schaffen. Die passive Kühlung birgt hierbei ein erhebliches Potenzial, weil dieses Verfahren keinen Strom benötigt und den Effekt der städtischen Wärmeinsel nicht verstärkt – ein typisches Merkmal von Städten, wo die Lufttemperatur deutlich höher ist als im kühleren Umland.

In der Innenarchitektur und im Bauwesen bieten sich hier besonders spannende Innovationsmöglichkeiten. Heimtextilien mit kühlenden Eigenschaften können eingesetzt werden, um das Innenraumklima zu verbessern und angenehmer zu gestalten, wobei die funktionalen Merkmale mit attraktiven Designs kaschiert werden.

'Gewebte Klimaanlage' von Maxime Louis-Courcier
‚Gewebte Klimaanlage‘ von Maxime Louis-Courcier. © Maxime Louis-Courcier

Zwei herausragende Beispiele stammen aus Europa, unter anderem von den Berliner Designerinnen Esmée Willemsen und Anna Koppman, die responsive Vorhänge verwenden, um die durch ein offenes Fenster einströmende Luft abzukühlen und die Raumtemperatur zu regulieren. Der Stoff wird mit Phasenwechselmaterial (Phase Change Material, PCM) gedruckt, der sich verflüssigt, wenn er Wärme aufnimmt, und verfestigt, wenn die Wärme bei fallender Temperatur wieder abgegeben wird.

Auch der französische Designer Maxime Louis-Courcier verwendet PCM für seine „gewebte Klimaanlage“. Die modulare Wandverkleidung ist eine moderne Neuinterpretation des traditionellen Wandteppichs und besteht aus vielen Röhrchen, die mit einem temperaturregulierenden Material gefüllt sind. Sobald sich dieses Material verflüssigt, um Wärme aufzunehmen, werden die Rohre transparent und ein dekoratives Muster kommt zum Vorschein.

Im Bauwesen stellen hitzebeständige Baustoffe und Oberflächenbehandlungen wie Ziegel und Farben eine effektive Möglichkeit dar, um Klimaanlagen und die damit verbundenen CO2-Emissionen überflüssig zu machen.
Ingenieure der US-amerikanischen Purdue University in Indiana haben eine ultraweiße Farbe mit Kühleigenschaften für den Anstrich von Gebäudefassaden und Dächern entwickelt. Die Formulierung reflektiert 98,1 % des Sonnenlichts und strahlt Infrarotwärme ab, um Oberflächen um 4,5 °C im Vergleich zur Umgebungstemperatur abzukühlen. Die Farbe könnte innerhalb von zwei Jahren auf den Markt kommen.

Weltweit versuchen immer mehr Städte, durch die Entwicklung von Baustandards resilienter gegen die Folgen des Klimawandels zu werden. Dementsprechend wird die Nachfrage nach Lösungen zur Bekämpfung der städtischen Erwärmung künftig deutlich steigen. Die Unternehmen, die jetzt mit temperaturregulierenden Bauverfahren eine Vorreiterrolle einnehmen, werden eine herausragende Rolle bei der Überwindung dieser Herausforderung spielen.

Strategie 3: Unabhängigkeit fördern

Nicht nur durch extreme Wetterlagen werden sich immer mehr Menschen der Vorteile von Unabhängigkeit bewusst. Die Corona-Pandemie mit der daraus resultierenden Unterbrechung von Lieferketten und Arbeitsplatzunsicherheit haben viele Verbraucherinnen und Verbraucher bewegt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und ihr Eigenheim als Weg zu mehr Unabhängigkeit zu nutzen.

Wasser sparen gegen Klimawandel: Raintap von Floris Schoonderbeek
Wasser sparen gegen Klimawandel: Raintap von Floris Schoonderbeek. © Studio Floris Schoonderbeek + www.raintap.eu

So wollen immer mehr Menschen ihren eigenen Strom erzeugen, um uabhängig von der öffentlichen Energieversorgung zu werden. Laut ScienceDirect denkt beispielsweise die Hälfte der Eigenheimbesitzer/innen in Finnland darüber nach, ihren Strom selbst zu erzeugen – das vorhandene Potenzial ist offenkundig. Ästhetische Designs und neue Formate machen die Energiegewinnung in Privathaushalten attraktiver, flexibler und kostengünstiger.

Kleine Windräder erfreuen sich als Ergänzung zur Photovoltaik in kälteren Regionen immer größerer Beliebtheit, um den erhöhten Strombedarf in den Abendstunden und im Winter zuverlässig abzudecken. Das niederländische Start-up-Unternehmen AirTurb hat eine spiralförmige Windturbine entwickelt, die sich auf jedem Haus installieren lässt und somit eine Lösung für Mietshäuser und Flachdächer darstellt, die für die Installation von Solarzellen ungeeignet sind. Mit dem grünen Stahlmast und den Rotorblättern aus Lärchenholz fügt sich die kompakte Windmühle von EAZ Wind (ebenfalls aus den Niederlanden) nahtlos in die Landschaft ein und ist vor allem für den Einsatz in landwirtschaftlichen Betrieben und Dörfern in Nordeuropa konzipiert.

Andere Lösungen setzen auf ein ebenso simples wie pragmatisches Produktdesign, um Verbraucherinnen und Verbraucher unabhängiger zu machen und ihnen zu helfen, ihren Ressourcenverbrauch zu senken. Ein Beispiel dafür ist „Raintap“ des niederländischen Designers Floris Schoonderbeek. Die Regentonne lässt sich durch Zusatz einer Fußpumpe und eines Wasserhahns in eine Handwaschstation oder Außenküche verwandeln.

Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihre Energieversorgung und den Anbau von Lebensmitteln selbst in die Hand nehmen wollen, legen vor allem Wert auf transparente Information und Beratung.

Ausblick

Forscherinnen und Forscher warnen, dass das milde Klima in Nordeuropa zu Ende geht und extreme Wetterbedingungen künftig die Norm sein werden. Damit verschieben sich auch die Prioritäten im Produktdesign. Den Klimawandel als Realität anzuerkennen, ist erst der Anfang: Design im Zeichen der globalen Erderwärmung erfordert Agilität und Innovation auf gesellschaftlicher und individueller Ebene.


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