„Möbel sind meine große Leidenschaft“: Wie kaum ein anderer deutscher Designer hat Konstantin Grcic in den vergangenen Jahrzehnten die Gestaltung geprägt. In Mailand ist er nun erstmals selbst als Produzent aufgetreten. Sein Label 25kg soll jedoch bewusst keine Konkurrenz zu etablierten Herstellern sein. Ein Gespräch über Gestaltung jenseits marktwirtschaftlicher Erwartungen, den Status Quo der Möbelindustrie und den Einsatz von KI im Entwurfsprozess.
Interview von Jasmin Jouhar
Designing Tomorrow – das Interviewformat mit Menschen, die unsere Zukunft gestalten. Führende Designer*innen und Expert*innen aus Forschung, Entwicklung und Innovation gewähren Einblicke in ihr Arbeiten und Denken. Sie teilen ihre Haltungen, Ideen und Visionen. Sie sprechen über Themen wie Innovation, Verantwortung, Kreislaufwirtschaft und Künstliche Intelligenz – und darüber, wie diese Entwicklungen ihr Berufsbild neu definieren.
Zur Mailänder Möbelmesse bist du in diesem Jahr das erste Mal selbst als Produzent in Erscheinung getreten. Du hast unter dem Namen 25kg zwei Möbelstücke vorgestellt. Warum?
Ich wollte nie Produzent sein. Mein Selbstverständnis war immer das des Designers. Aber in den vergangenen Jahren habe ich zunehmend gespürt, wie sehr sich der gestalterische Spielraum in industriellen Projekten verengt hat. Viele Ideen lassen sich innerhalb der gewohnten kommerziellen Logik einfach nicht mehr realisieren. Und doch gibt es Entwürfe, die ich für wichtig halte – weil sie Fragen stellen, Denkprozesse anstoßen oder einfach neue Perspektiven eröffnen. Gleichzeitig haben sich neue Möglichkeiten aufgetan: alternative Wege der Herstellung, kleinere Stückzahlen, direkter Vertrieb. Die Idee, ein eigenes, kleines Label zu gründen, trage ich schon länger mit mir herum. Dass ich den Schritt jetzt tatsächlich gegangen bin, hat mit zwei konkreten Projekten zu tun, die ich im Laufe des vergangenen Jahres entwickelt habe.
25kg steht übrigens für das Gründungsjahr 2025 und meine Initialen. Mir gefällt aber auch, dass man den Namen ganz wörtlich als Gewichtsangabe lesen kann. Und er verweist darauf, dass es bei diesem Label um sehr physische Dinge geht, um THINGS, wie ich sie nenne. Dinge, die Substanz haben, Haltung zeigen und nicht zwingend einem Marktversprechen folgen müssen.

„25kg ist ein Ort für persönliche Statements, für Entwürfe jenseits marktwirtschaftlicher Erwartungen”
– Konstantin Grcic, Produktdesigner



Thing_01 – dreibeiniger Hocker von Konstantin Grcics neuem Label 25kg | © Konstantin Grcic Design
Was sind das für Dinge?
„Thing_01“ ist ein dreibeiniger Stehhocker aus Edelstahl. Man sitzt oder lehnt auf einem waagerechten Rohr – so, wie man sich intuitiv auf ein Geländer setzt. Diese Geste kennt jeder. Die Umsetzung ist radikal, fast lakonisch: kein klassischer Sitz, keine Polsterung, keine Kompromisse.
Ich hatte sofort das Gefühl, dass kein Hersteller sich auf so etwas einlassen würde, aber genau deshalb wollte ich es machen. „Thing_02“ ist ein Stuhl aus feuerverzinktem Stahlrohr mit einem Sitz aus Naturstein. Auch hier ging es mir um eine extreme Einfachheit, fast eine Rohheit in Material und Ausdruck. Der Stuhl funktioniert drinnen wie draußen, ist robust, schwer, dauerhaft. 25kg versteht sich dabei nicht als Gegenmodell zu den Firmen, mit denen ich sonst arbeite. Es ist kein Protest, keine Konkurrenz. Vielmehr gibt es einen Bereich, den die Industrie aus nachvollziehbaren Gründen gar nicht betreten kann oder will. Genau in diesem Freiraum positioniert sich 25KG. Es ist ein Ort für persönliche Statements, für Entwürfe jenseits marktwirtschaftlicher Erwartungen.


Thing_02 – Stuhl aus feuerverzinktem Stahlrohr mit einem Sitz aus Naturstein von 25kg | © Konstantin Grcic Design
Warum sind die Möbel für 25KG bewusst einfacher und roher?
Dafür gibt es zwei Gründe: In der Industrie ist es schwierig, rohe oder fehlerhafte Materialien und Oberflächen durchzusetzen. Es wird erwartet, dass alles makellos und uniform ist. Doch unser Bewusstsein hat sich verändert: Ein Massivholzstück mit Astlöchern wird heute als natürlich und schön empfunden. Oberflächen dürfen Gebrauchsspuren zeigen, verwittern, eine Patina entwickeln – sie erzählen eine Geschichte. In der Industrie ist das noch oft ein Problem, aber als kleines Label kann ich genau diese Authentizität zulassen und wertschätzen. Zum anderen erleichtert diese Herangehensweise die Qualitätskontrolle erheblich: Ich muss nicht jeden winzigen Kratzer bemängeln, sondern kann mich auf den reibungslosen Ablauf der Produktion konzentrieren. Unsere Schweißnähte etwa werden von Robotern ausgeführt und sind technisch perfekt – die durch die Hitze entstehenden Verfärbungen im Material jedoch akzeptiere ich bewusst und finde sie sogar ästhetisch reizvoll.
Die Arbeit für die Möbelindustrie war immer eine zentrale Säule deines Studios. Identifizierst du dich noch stark mit dieser Industrie oder überwiegen die Frustrationen?
Ich liebe die Arbeit für die Industrie und identifiziere mich vollkommen damit. Möbel sind meine große Leidenschaft – und dazu gehören für mich nicht nur die Objekte selbst, sondern auch die Firmen, die Menschen dahinter, das ganze Ökosystem. Natürlich spürt man, dass die Möbelindustrie gerade in einer schwierigen Phase steckt. Wirtschaftlich gesehen hat der globale Markt viele Geschäftsmodelle ins Wanken gebracht. Aber die Krise ist auch eine inhaltliche: Wo sind die echten Ideen für die Zukunft? Und wie gelingt es uns, ihnen mit Kreativität und Mut zu begegnen? Manchmal fühle ich mich ein bisschen wie der Fan eines Zweitligavereins, der eine Niederlage nach der anderen einstecken muss, und trotzdem leidenschaftlich dabei bleibt. Vielleicht ist genau das die eigentliche Haltung: dranzubleiben, auch wenn es schwerfällt. Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Jahre war für mich: Ich bin sehr viel wählerischer geworden, für wen ich arbeite. Und ich versuche, mich stärker in die Strategie der Projekte einzubringen – nicht nur als Gestalter, sondern auch mit elementaren Fragen nach dem Was, Warum und Wie.

2014 zeigte das Vitra Design Museum in Weil am Rhein die Einzelausstellung „Panorama“ mit Arbeiten von Grcic, die das Museumsteam gemeinsam mit ihm konzipiert und gestaltet hatte | © Vitra Design Museum
„Kl eröffnet eine Fantasie dafür, wie Dinge auch sein könnten. Gerade in der Mobelindustrie sehe ich in den letzten Jahren eine große Zurückhaltung, fast eine Angst vor dem Neuen. Kl könnte das wieder aufbrechen. Sie vereinfacht das Ausreizen von Möglichkeiten.”
– Konstantin Grcic, Produktdesigner
Das große Thema ist gerade KI. Sieht du da Potenzial für Innovation?
Natürlich spielt KI jetzt schon eine Rolle. Wir alle sind gut beraten, uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Bei den Unternehmen geht es um die Optimierung von Prozessen, Logistik oder den Umgang mit großen Datenmengen – die Einsatzbereiche sind vielfältig und sehr real. Hier im Studio nutzen wir KI momentan auf eher einfachem Niveau. Tools wie ChatGPT, DeepSeek oder DeepL sind längst Teil unseres Alltags geworden, fast schon selbstverständlich. Darüber hinaus experimentieren wir manchmal mit Bildgeneratoren wie Midjourney oder Stable Diffusion als schnellen Visualisierungstools im Entwurfsprozess. Ein echtes ,Designwerkzeug’ ist das aus meiner Sicht noch nicht. Aber gerade die Fehler, die dabei entstehen, sind oft das Interessanteste: Bilder, die unlogisch sind, physikalisch unmöglich oder irritierend. Genau daraus kann etwas Neues entstehen: aus dem Zufall, aus dem Bruch, aus Fehlern. KI kann genau diesen Moment provozieren. Sie eröffnet wieder eine Fantasie dafür, wie Dinge auch sein könnten. Diese Vorstellungskraft ist in vielen Bereichen verloren gegangen. Gerade in der Möbelindustrie sehe ich in den letzten Jahren eine große Zurückhaltung, fast eine Angst vor dem Neuen. KI könnte das wieder aufbrechen. Sie vereinfacht das Ausreizen von Möglichkeiten. Das Risiko dabei ist zunächst sehr gering – wenn es nichts taugt, lösche ich es wieder. Aber der Denkprozess ist angestoßen. Und das ist für mich der eigentliche Wert.
Ihr benutzt KI im Studio also als ein weiteres Werkzeug im Entwurfsprozess?
Genau. Wir setzen KI nicht ständig und auch nicht zwangsläufig ein – wie viele andere befinden wir uns noch in einer Phase des Ausprobierens. Aber jedes Mal, wenn wir damit arbeiten, entsteht sofort eine Diskussion. Man ist überrascht, irritiert, manchmal auch empört – in jedem Fall passiert etwas. Das Prompten selbst ist eine Kunstform, die unsere eigene Intelligenz und Kreativität herausfordert. Erst durch einen klugen, gezielten Prompt beginnt die KI, wirklich interessante Ergebnisse zu liefern. Ich gehe mit Neugier und gleichzeitig mit einer gewissen Vorsicht an das Thema heran. Was mich fasziniert: wie rasant sich diese Technologie entwickelt. Beinahe täglich verändern sich ihre Möglichkeiten. Das ist zugleich aufregend und beunruhigend.
Du hast dein Studio 1991 gegründet. War es damals spannender, Designer zu sein – oder heute?
Die Neunziger Jahre waren definitiv eine spannende Zeit. Als ich nach dem Studium am Royal College of Art in London anfing, mich selbstständig zu machen, schien alles möglich. Ich hatte große Träume und feste Ideale. Der Anfang war nicht einfach, aber die Richtung, in die ich gehen wollte, erschien mir glasklar. Das ist heute wahrscheinlich anders. Die jungen Designer*innen haben viel mehr Möglichkeiten, der Designbegriff ist stark erweitert. Wenn man heute Design studiert, gibt es so viele Ausrichtungen und Wege – von klassischem Produktdesign über soziale Prozesse bis hin zu spekulativen oder digitalen Formaten. Das ist unglaublich bereichernd, aber auch fordernd. Ich erlebe bei vielen Studierenden eine gewisse Orientierungslosigkeit, die wir damals so nicht kannten. Wir hatten weniger Optionen, aber vielleicht auch weniger Zweifel. Was besser oder spannender war, lässt sich schwer vergleichen – jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen und Freiheiten.




„Ein weitverbreitetes Missverständnis ist, dass Designer*innen die Welt retten könnten. Das können sie nicht. Aber sie sind Teil jener Prozesse, die Veränderung gestalten – und das ist nicht wenig.”
– Konstantin Grcic, Produktdesigner
Angesichts der multiplen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind: Definierst du deine Rolle als Designer heute anders?
Eigentlich nicht. Die Rolle der Designer*innen hat sich im Kern nicht verändert. Sie wird heute nur anders benannt, vielleicht auch ernster genommen. Ein weitverbreitetes Missverständnis ist, dass Designer*innen die Welt retten könnten. Das können sie nicht. Aber sie sind Teil jener Prozesse, die Veränderung gestalten – und das ist nicht wenig. Was Design auszeichnet, ist ein projektorientiertes, lösungsbezogenes Denken: analytisch, praktisch, reflektiert. Es verbindet Vorstellungskraft mit Machbarkeit. Dass dabei Verantwortung eine Rolle spielt – etwa im Hinblick auf Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit oder Ressourcenbewusstsein – ist keine neue Erkenntnis. Früher war das Verantwortungsgefühl oft selbstverständlich, aber unausgesprochen. Heute wird es explizit benannt und das ist gut so. Entscheidend bleibt: Im Wissen um die Spuren, die wir hinterlassen, sind wir gefordert mit größter Sorgfalt zu gestalten.
Welche Aufgabe würdest du gerne gestellt bekommen, die dir aber niemand stellt?
Oh, da gäbe es viele (lacht). Aber ganz konkret würde ich gerne mehr mit Mobilitätsprojekten zu tun haben – in welcher Form auch immer. Mobilität gehört zu den spannendsten Themen unserer Zeit, weil es an der Schnittstelle von Technologie, Gesellschaft, Infrastruktur, Umwelt und persönlichem Lebensstil liegt.


Konstantin Grcic entwarf 2021 den elektrischen Lastenroller Re:Move – entwickelt mit Polestar und Cake für den leisen Warentransport auf Radwegen. | Fotos: Wallpaper*, © Polestar

1991 nach dem Studium am Royal College of Art in London und einer Ausbildung zum Möbelschreiner an der John Makepeace School for Craftsmen in Dorset, gründete Konstantin Grcic sein eigenes Studio in München. Heute lebt und arbeitet Grcic in Berlin. Zu seiner Kundschaft aus der Möbel- und Leuchtenindustrie gehören Magis, Vitra, Flos und Plank. Grcic kuratiert und gestaltet außerdem Ausstellungen, etwa für das Vitra Design Museum, das Mailänder Designmuseum Triennale oder das Musée des Art Décoratifs in Paris. 2016 wurde Konstantin Grcic vom German Design Council als Personality of the Year ausgezeichnet. Von 2020 bis 2024 hatte er eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg inne.

Über die Autorin
Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs.
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