9 Min Lesezeit

Wer nach „Solardesign“ sucht, findet meist technisch anmutende Photovoltaiksysteme. Marjan van Aubel hingegen sieht sich als Botschafterin einer Solarenergie, die unseren Alltag subtiler prägt. Wir sprachen mit der Niederländerin über eine wachsende Bewegung, die Rolle der Schönheit und die zweite Ausgabe der von ihr initiierten Solar-Biennale.

von Markus Hieke

Designing Tomorrow – das Interviewformat mit Menschen, die unsere Zukunft gestalten. Führende Designer*innen und Expert*innen aus Forschung, Entwicklung und Innovation gewähren Einblicke in ihr Arbeiten und Denken. Sie teilen ihre Haltungen, Zweifel, Ideen und Visionen. Sie sprechen über Themen wie Innovation, Verantwortung, Kreislaufwirtschaft und Künstliche Intelligenz – und darüber, wie diese Entwicklungen ihr Berufsbild neu definieren.

Vor etwas mehr als zwei Jahren haben Sie gemeinsam mit der Modedesignerin Pauline van Dongen die weltweit erste Solar-Biennale organisiert, die in Rotterdam und Eindhoven stattfand. Warum haben Sie dieses Festival ins Leben gerufen?

Unsere Motivation war es, den Solarenergiesektor wirklich voranzutreiben, insbesondere das Narrativ, das ihn umgibt. Denn wann immer ich Leuten erzähle, dass ich mit Solarenergie arbeite, denken sie an die blauen Paneele und den technischen Ansatz. Und es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, mit Solarenergie zu arbeiten , so viele Menschen, die mit Solartechnologie experimentieren. Aber es gab keinen Ort, an dem sie sich über ihr Wissen austauschen konnten. Die Veranstaltung sollte also Wissenschaftler*innen, Architekt*innen, Designer*innen, Künstler*innen und politische Entscheidungsträger*innen zusammenbringen, um eine neue Sichtweise auf und das Potenzial der Solartechnik zu vermitteln.

Aktuell findet die zweite Solar-Biennale in Lausanne statt. Dort wurde sie in Zusammenarbeit mit dem Museum für zeitgenössisches Design und Angewandte Kunst (mudac) konzipiert. Was hat Sie dazu bewogen, weiterzuziehen?

Nun, die Idee der Solar-Biennale ist es, dass jede Ausgabe in einer anderen Region stattfindet, denn die Sonne verhält sich überall auf der Erde anders.

Marjan van Aubel | Foto: Sander Plug

Obwohl die Schweiz nicht einmal so weit von den Niederlanden entfernt ist, kann man dort bereits Unterschiede feststellen. Wenn wir uns also irgendwann nach Ghana, Indien oder Kanada begeben, werden Sie unterschiedlichen Ansätzen und Fragen begegnen, die sich aus all den lokalen Auseinandersetzungen mit der Sonne ergeben. Sagen wir: In Ghana gibt es viel Sonne und Hitze, dann geht es bei der Gestaltung vielleicht auch mehr darum, Schatten zu erzeugen, um bestimmte Bereiche abzukühlen. In den Niederlanden, wo die Sonne viel weniger scheint, müssen wir anders arbeiten. Was also als globales Thema erscheint, wird in Wirklichkeit sehr lokal angegangen.

„Wir bräuchten überhaupt keine Kernenergie, wenn wir klug genug wären, Solarenergie effizient zu nutzen.“


Marjan van Aubel

Die zweite Solar-Biennale läuft noch bis zum 21. September 2025 im mudac in Lausanne. Die kuratorische Arbeit haben Scott Longfellow und Rafaël Santianez übernommen | Fotos: Cynthia Ammann

Sie haben auch den Begriff „Solar Movement“ geprägt. Sind Sie überrascht, dass diese Bewegung in den letzten zwei Jahren so schnell gewachsen ist?

Auf jeden Fall! Dass diese zweite Solar-Biennale in der Schweiz stattfindet, war nur mit der Unterstützung dieser Bewegung möglich. Es gab eine ganze Gemeinschaft, von der wir nichts wussten und die sich mit unserem niederländischen Netzwerk zusammengetan hat. Es ist großartig zu sehen, wie unser Manifest, die Prinzipien der Biennale, die von Pauline, mir und unserem Team geschrieben wurden, nun einem Schweizer Kuratorenteam, bestehend aus Scott Longfellow und Rafaël Santianez, übergeben und von diesem interpretiert wurden.

Eines der Themen der diesjährigen Solar-Biennale ist der Heliotropismus. Was ist damit gemeint und wie wird er auf der Biennale dargestellt?

Nun, wörtlich genommen bedeutet es, der Sonne zu folgen. So kann man zum Beispiel Sonnenblumen dabei beobachten, wie sie ihre Köpfe drehen, weil sie dem Licht folgen. In der Ausstellung geht es etwa um Menschen, die der Sonne folgen, zum Beispiel im Urlaub. Hier können wir eine Veränderung sehen: Früher sind die Menschen aus Nordeuropa ganz in den Süden gefahren, weil es dort mehr Sonne gab als in Deutschland oder in den Niederlanden. Heute ändert sich das teilweise, weil es in den vergangenen Jahren in einigen bis dahin beliebten Regionen zu viel Sonne gab. Länder wie Griechenland, Italien und auch Spanien werden im Sommer für viele zu heiß. Dieser Teil der Biennale kann als Beitrag zu einem kritischeren Umgang mit dem Tourismus gesehen werden.

Ra ist ein leuchtender Wandteppich, der seine eigene benötigte Energie mithilfe von organischen, transluzenten Photovoltaikmodulen erzeugt | Foto: Pim Top

Da aufgrund des Klimawandels in immer mehr Städten so genannte Hitzeinseln entstehen: Können Sie sich vorstellen, dass die Sonne auch zu etwas werden könnte, das wir als Bedrohung wahrnehmen?

Wenn wir nur genug Bäume in unseren Städten hätten und aufhören würden, Oberflächen mit Beton zu versiegeln, wären sie wahrscheinlich nicht so überhitzt. Studien haben gezeigt, dass es in Straßen mit vielen Bäumen deutlich kühler sein kann als in Straßen ohne Bäume.

Grüne Gebäude, grünere Städte: Gehören diese auch zu dem, was Sie als Solardesign bezeichnen?

Das tun sie. Ich denke, wenn wir die Solar-Biennale auf einem anderen Kontinent veranstalten, können wir uns darauf verständigen, dass sie Teil des Solardesigns sind. Das ist genau der Grund, warum wir die Solar-Biennale initiiert haben: Sie deckt so viele verschiedene Disziplinen ab.

Die Erzeugung von Elektrizität ist dabei eindeutig die Hauptdisziplin. Wie frustrierend ist es für Sie, die jüngsten Diskussionen in der Politik zu verfolgen, die wieder vermehrt für die Kernenergie plädiert?

Wir bräuchten überhaupt keine Kernenergie, wenn wir klug genug wären, Solarenergie effizient zu nutzen. Eigentlich würde die Kraft der Sonne mehr als ausreichen, und sie kann sehr dezentral gewonnen werden. Der Bau von Kernkraftwerken hingegen erfordert so viel Zeit, Energie und Sicherheitsmaßnahmen. Der Punkt ist auch: Je mehr elektrischen Strom wir erzeugen, desto mehr verbrauchen wir. Sehen Sie sich an, wie viel Energie KI verbraucht. Das ist verrückt. Was es braucht, ist ein komplettes Umdenken.

Marjan van Aubel tauscht sich mit Gestaltenden und Forschenden auf der ganzen Welt aus. Neben ihrem Einsatz als „Botschafterin“ des Solardesign kollaboriert sie mit internationalen Marken wie Lexus, COS oder Timberland | Foto: Steve Benitsy

In Ihrem Buch „Solar Futures“ zeigen Sie einige vielversprechende Projekte auf. Viele der vorgestellten Beispiele sprechen dabei nicht nur Solar-Geeks an. Was braucht es, um ein breiteres Publikum zu erreichen?

Ich denke, man braucht einige Leuchtturmprojekte, die die Dinge auf eine andere Art und Weise zeigen, zum Beispiel mit einem gewissen Grad an Schönheit.


Sie haben zum Beispiel viel Aufmerksamkeit für Sunne bekommen, eine Pendelleuchte, die im Fenster installiert wird und tagsüber ihren eigenen Strom erzeugt. Das ist sicherlich nur ein kleiner Schritt in Richtung Energieunabhängigkeit. Würden Sie in ihr dennoch eine Schlüsselrolle sehen, um die Akzeptanz der Solartechnik zu fördern?

Ja, absolut. Ich denke, der Aspekt Schönheit ist hier sehr wichtig. Die Menschen fühlen sich von ihr angezogen und sie wirkt sich auch auf den Gemütszustand aus. Wir werden die Dinge nicht nur mit Zahlen und perfekt konstruierten Produkten ändern können. Wir müssen uns mit der Sache verbunden fühlen, und Schönheit verbindet die Menschen. Nehmen Sie nur die Sonnenuntergänge: Menschen kommen an den Strand, um diesen magischen Moment gemeinsam zu erleben.

Die autonom platzierbare Pendelleuchte Sunne gewinnt tags den elektrischen Strom, den sie am Abend für das atmosphärische Licht benötigt | Foto: MvA Studio

Und Sie haben diesen Moment in Sunne sozusagen eingefangen.

Ja. Sunne mag nur ein kleiner Schritt sein, aber gleichzeitig hilft es den Menschen zu verstehen: Solarenergie ist für jede*n leicht zugänglich.

Ein weiteres Beispiel für einen noch emotionaleren Umgang mit der Energie der Sonne war die Installation „The Sun, My Heart“, die Sie für das London Design Festival im Somerset House entworfen haben. Was haben die Besucher*innen dort erlebt?

Als sie den Raum betraten, sahen sie eine Anordnung von 77 hängenden Sunne-Leuchten. Direkt davor stehend konnten sie mit der Hand einen Sensor berühren, um mit einem Computer verbunden zu werden, der einem einen ganz persönlichen Sonnenzyklus generierte mit Sonnenaufgang und -untergang innerhalb von 8,20 Minuten – der Zeit, die das Sonnenlicht braucht, um die Erde zu erreichen. Dazu wurden Tonaufnahmen der NASA von der Sonne abgespielt. Das war emotional wirklich sehr berührend.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für Solardesign?

Es hat viel mit meiner Neugier und dem Drang nach Veränderung zu tun. Wir brauchen wirklich eine Energiewende, denn die Welt ist in keinem guten Zustand. Anstatt die Solarenergie dabei aus einer sehr technischen Perspektive zu betrachten, konzentriere ich mich darauf, dieses sehr wichtige Thema in eine verständlichere, menschlichere Richtung zu lenken. Oft nehmen wir das Sonnenlicht als selbstverständlich hin, dabei ist es die Quelle unseres Lebens. Meine Arbeit mit der Sonne ist im Grunde ein Loblied auf das Leben.

Ausnahmsweise ging es bei der Installation „The Sun, My Heart“ für das London Design Festival einmal nicht darum, Solarenergie zu erzeugen, sondern darum, das Licht der Sonne zu imitieren. Besucher*innen konnten im Somerset House ihren ganz persönlichen, auf den jeweiligen Handdruck und die Handfläche abgestimmten Sonnenzyklus in einer Licht-Klang-Komposition erleben | Fotos: Amy Gwatkin, Ed Reeve

Marjan van Aubel hat mit ihrem Studio den Begriff „Solardesign“ geprägt, eine Gestaltungsdisziplin, die sich mit dem kreativen Einsatz von klassischen, farbigen bis transluzenten Solarmodulen befasst. 2022 initiierte sie die erste Solar-Biennale. Im selben Jahr entwickelte sie für den niederländischen Pavillon zur Expo Dubai ein mehrfarbiges, lichtdurchlässiges Solardach, das das Licht so filterte, dass die darunter kultivierten Nahrungspflanzen zur Photosynthese animiert wurden. Van Aubel kollaboriert mit internationalen Marken wie Lexus, COS und Timberland. Ihre Arbeiten finden sich unter anderem in den ständigen Sammlungen des MoMA New York, des Victoria and Albert Museum in London und des Stedelijk Museum in Amsterdam. Unlängst erwarb das Pariser Centre Pompidou eine große Version ihres solarunterstützt leuchtenden Wandteppichs Ra.


Über den Autor

Markus Hieke ist freier Journalist und Autor mit Schwerpunkt auf Interior-/ Produktdesign und Architektur. Mit einem Hintergrund im Kommunikationsdesign, fand er 2013 zum Schreiben und erlangt seither eine feste Stimme in namhaften deutschen und internationalen Fach- und Publikumsmedien. Gestaltung für ein breites Publikum greifbar zu machen, versteht er für sich als Auftrag und nähert sich diesem anhand von Porträts, Interviews und Hintergrundreportagen zu Protagonist*innen und Themen von Handwerk bis Zirkularität, auch abseits des Rampenlichts.

Auf Social Media teilen