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Wir sind keine rationalen Lebewesen. Machen wir es uns bewusst: Die meisten Entscheidungen treffen wir jeden Tag aus irrationalen Gründen. Dabei handelt es sich um ein uraltes Verhaltensmuster, dem sich Psychologen und Experten der Verhaltensökonomie in zahlreichen Studien gewidmet haben. Immer mehr Unternehmen nutzen diese Erkenntnis und entwickeln entlang der „Nudge-Theorie“ individuelle Strategien, um Entscheidungsprozesse der Kundinnen und Kunden zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Von Julia Fehrle, Serena Garulli und Nicole Vesting, hicklvesting PR.

Die „Nudge-Theorie“ (aus dem gleichnamigen Buch Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt), erläutert nach Ansicht des Ökonomen Thaler und des Rechtswissenschaftlers Sustein, wie Entscheidungen und Gewohnheiten von Menschen durch „Nudging“ – einen sanften „Stoß“ – leicht und unauffällig stimuliert werden können. Mit intelligentem Nudging können Unternehmen der Customer Journey wichtige Impulse verleihen, ein positives (Kauf-)Erlebnis schaffen und das Vertrauen in den Anbieter steigern – offline ebenso wie online. Ganz entscheidend in der digitalen Welt sind dabei gestalterische Elemente. Das visuelle Design, also die optische Gestaltung von Benutzeroberflächen, die Platzierung, Größe und Farbigkeit von Buttons, beeinflusst das Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern ebenso wie das Interaktionsdesign. Stimmungsvolle Bilder und ansprechende Inhalte sind zudem wichtige Tools, die ein nutzerorientiertes Design auszeichnen. Eine übersichtliche Navigation und Menüführung lassen Nutzerinnen und Nutzer schneller an sein Ziel gelangen, ob sie einen Kauf oder eine Überweisung tätigen oder eine Reise buchen möchten. Das (gute) Design wird zur Königsdisziplin und zum entscheidenden Werkzeug im Bereich Digital Nudging. Eine Disziplin, in der nicht jeder gleich Gewinner und „Wohltäter“ sein kann – oder will.

Digital Nudging – ein paar Don’ts

Digital Nudging auch bei der Abmeldung von Amazon "Prime"

Dass schlechtes Design genau das Gegenteil bewirken kann, zeigen Beispiele, die ein „Dark Pattern“ erläutern: die gezielte Irreführung und Manipulation von Nutzerinnen und Nutzern durch ein absichtlich schlecht gestaltetes Interface-Design. Renommierte Cases hierfür liefern zwei amerikanische Großkonzerne, die uns zeigen, welche Auswirkungen die schlechte Benutzerführung haben kann. Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich vom Abonnement „Prime“ abmelden wollten, erschwerte Amazon maßgeblich den Prozess. Laut einer Studie der norwegischen Verbraucherschutzbehörde Forbrukerradet (Forbrukerradet: You can log out, but you can never leave (2021)) sind nur wenige Klicks nötig gewesen, um ein Amazon Prime Abo abzuschließen. Um das Abo jedoch zu kündigen, mussten Nutzerinnen und Nutzer einen längeren Prozess absolvieren. Auf dem Weg zur Kündigung arbeitete der Großkonzern mit manipulativer Sprache („Auf Vorteile verzichten“), mit versteckten Menüs und Buttons, die dazu dienten, User komplett zu verwirren und zu verunsichern. Kurzum: Nutzerinnen und Nutzer sollen mit allen Mitteln davon abgehalten werden, ihre Mitgliedschaft zu beenden.

Auch im Fall Citibank erhielt das Management eine kostenintensive Lektion über die Relevanz von User Interface Design. Mitarbeitende veranlassten aus Versehen eine Falschzahlung in Höhe von 900 Millionen US-Dollar an zahlreiche Kreditgebenden. Vorgesehen war eine Zahlungsumleitung auf ein internes Konto. Schuld daran war das schlecht gestaltete Design in der genutzten Software für Sammelüberweisungen in Form von zwei im System nicht gesetzten Häkchen. Keine der für das Controlling des Überweisungsprozesses zuständigen Personen erkannte den Fehler und stoppte den Vorgang. Ein kleiner digitaler Hinweis im System– ein „freundlicher“ Vorschlag oder eben ein „sanfter Stoß“ von der Maschine, hätte ausgereicht, die Schwäche des missverständlichen Formulars aufzudecken. Aus diesem Grund werden digitale Nudges immer stärker bei der Gestaltung von Steuerungssystemen eingesetzt, um dysfunktionales Entscheidungsverhalten von Menschen zu reduzieren. Besonders Künstliche Intelligenz und digitale Technologie haben das Potenzial, über Algorithmen und Codes zu Verbesserungen im System und bei Entscheidungsprozessen zu führen.

Mehr Grundrechts-Schutz vor Digital Nudging

Die irreführende Gestaltung wird auch beim Datenschutz zum Thema, etwa wenn User durch „Dark Patterns“ dazu verleitet werden, persönliche Informationen preiszugeben. Digitale Oberflächen seien häufig so gestaltet, dass User möglichst viele Daten mit Unternehmen teilen, obwohl die Europäische Datenschutzgrundverordnung vorschreibt, Nutzer durch gewählte Voreinstellungen „by design“ davor zu schützen, so die Online-Plattform Netzpolitik.org. Die dunkle Seite des User Experience Designs wird von Menschen oft unterschätzt. Deshalb wird nun die Politik auf den Plan gerufen. Sie soll dafür sorgen, dass Menschen mehr Bewusstsein für die manipulative Design-Praxis entwickeln, betont die Stiftung Neue Verantwortung im Paper „Dark Patterns: digitales Design mit gesellschaftlichen Nebenwirkungen“.

Der Erfolgsmix: Grafik, Bildsprache und Content

Digital Nudging: Digital Designer und Softwareentwickler/innen ials Entscheidungsarchitekt/innen

(Digitales) Design ist heute treibende Kraft hinter jedem Online-Nutzerverhalten und -erlebnis. Dabei übernehmen Digital Designer und Softwareentwickler/innen in ihrer Rolle als Entscheidungsarchitekt/innen viel Verantwortung: Sie führen die Nutzerinnen und Nutzer durch den Prozess und unterstützen sie bei ihren Entscheidungen. Die große Herausforderung besteht darin, alle digitale Elemente so zu gestalten, dass Nutzerinnen und Nutzer auf eine voraussehbare Weise handeln. Fluggesellschaften nutzen Digital Nudges, indem sie ihre Kundinnen und Kunden motivieren, einen Beitrag zu Nachhaltigkeit zu leisten: Beim Buchungsvorgang wird ihnen die Möglichkeit eröffnet, finanziell die CO2-Emission des Flugs zu kompensieren. Idealerweise arbeiten Nudges weder mit Verboten noch mit ökonomischen Anreizen. Vielmehr sollten sie durch eine klare Visualisierung und ein gelungenes Layout stets die Option geben, sich frei zu entscheiden. So ansprechend der Inhalt auch formuliert sein mag, entfaltet er keine Wirkung, wenn er visuell nicht gut präsentiert wird. Denn „Content is King – but Design is Queen.“


Der German Design Award 2022

In diesem Jahr feiert der German Design Award sein zehnjähriges Jubiläum! Herausragendes Design heißt, Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu geben und Gestaltung weiterzudenken. Die hochkarätige internationale Jury zeichnet diese wegweisenden Designleistungen aus – und der German Design Award macht die Gestaltungstrends in einem glanzvollen Rahmen branchenübergreifend sichtbar. Der Anmeldeschluss für die Registrierung ist der 15. September 2021. Jetzt mehr erfahren!


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