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Der Marke Tupperware, so hört man, gehe es schlecht. Liegt das daran, dass Tupperware-Partys altbacken sind und sich das Konzept des Direktvertriebs in Zeiten der Digitalisierung überlebt hat? Wie können Vertriebswege eine Marke prägen – und vielleicht sogar erfolgreich machen?

Direktvertrieb
Der Job als „Tupperlady“ verhalf den Frauen in den 1950er Jahren zu Anerkennung und zu eigenem Geld – mit der Möglichkeit, gleichzeitig Kinderbetreuung und Haushalt zu vereinbaren, © Tuppeware

Von Thomas Wagner

Vor wenigen Tagen ging die Meldung durch die Wirtschaftspresse, Tupperware „gehe es schlecht“, womöglich stehe die Marke „vor dem Aus“. Auf die Frage, wo die Gründe dafür zu suchen sind, waren zwei Antworten schnell gefunden: Corona und Tupperware-Partys. Während der Pandemie seien die Umsätze massiv eingebrochen – und überhaupt, die Zeit des direkten Wohnzimmervertriebs seien eben vorbei. Alles andere pure Nostalgie.

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommen will …

Der Fall gibt Anlass, über alte und neue Vertriebswege, Markenpflege, Kundenbindung, den Wandel von Marketingstrategien und einiges mehr nachzudenken: Direkt, im Fachhandel oder online? Exklusiv oder nicht? Dass der Vertrieb eine Marke in hohem Maße prägen kann, bleibt auch in Zeiten der Digitalisierung eine folgenreiche Tatsache. Produkte ohne Umweg an die Kundin oder den Kunden zu bringen, funktioniert nach dem Prinzip: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommen will, muss der Prophet zum Berg gehen. Wer ein Produkt nicht kennt, kann es auch nicht kaufen. Die pragmatische und ideologiefreie Flexibilität allein, die das Sprichwort beschreit, ist aber längst nicht alles, was der Fall Tupperware zeigt – und andere Beispiele bestätigen.

Doch bleiben wir zunächst bei Tupperware: Vor mehr als 70 Jahren hat Brownie Wise die Tupperware-Party als Verkaufsstrategie und Direktvertrieb im Wohnzimmer entwickelt – und damit viele Frauen zu „Tupperladies“ und erfolgreichen, selbstbewussten Kleinunternehmerinnen gemacht. Bis dahin war Earl Silas Tupper, der, nach Experimenten mit Polyethylen, 1939 seine Firma „Tupper Plastics Company“ gegründet hatte, mit der Vermarktung nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Bis 1951 blieben die Becher und verschließbaren Aufbewahrungsbehälter oft in den Regalen der Geschäfte liegen. Das Material war neu und ungewohnt, und die Kund*innen wussten schlicht nicht, was sie mir den Schüsseln und Dosen anfangen sollten. Das Besondere war der Verschluss, bei dem die Luft aus der Box oder Schüssel mit dem „Tupperware-Burp“ entwich und den Inhalt so luft- und wasserdicht verschloss.

Innovation erfahrbar machen

Ein neuartiges und qualitativ hochwertiges Produkt zu haben, das lehrt die Geschichte zahlreicher Erfindungen, reicht oft nicht aus, um innovativ, sprich, auf dem Markt damit erfolgreich zu sein. Brownie Wise, eine alleinerziehende Mutter, die ihr Geld mit dem Verkauf von Haushaltswaren verdiente, hatte die alles entscheidende Idee, den Kundinnen die Funktion der Kunststoffboxen und ihren Nutzen dort zu demonstrieren, wo sie gebraucht wurden: im eigenen Heim. Die Tupperware-Party war geboren. Dabei muss man wissen: Wir sprechen von den 1950er-Jahren und vom konservativen Mittelschichts-Amerika. Da die Partys in den Wohnzimmern der Frauen stattfanden, sahen ihre Ehemänner darin keine Bedrohung. Der Job ließ sich mit Kinderbetreuung und Haushalt vereinbaren, und finanziell attraktiv war die Sache obendrein. Die Beraterinnen verdienten bei jedem Verkauf mit, was Frauen auch ohne Ausbildung zu Anerkennung und zu eigenem Geld und Erfolgsprämien verhalf. Die Sache funktionierte – und so zierte Brownie Wise 1954 als erste Frau den Titel des Wirtschaftsmagazins „Business Week“. Trotzdem feuerte Earl Tupper seine geniale Marketingchefin 1958 und verkaufte wenig später sein Unternehmen – nicht ohne zuvor die erfolgreiche Verkäuferin aus der Firmenchronik entfernen zu lassen. 1984, Earl Tupper war ein Jahr zuvor gestorben, lief das Patent für sein Produkt aus.

Vorführen, was der Kobold alles kann

Vorreiter in Sachen Direkvertrieb: Die Firma Vorwerk mit ihrem „Kobold“, © Kobold

Um es kurz zu machen: Die Marke Tupperware hat ihre Kundinnen über das direkte Markenerlebnis und die Qualität des Produkts überzeugt, weniger über den Preis. Hinzu kommt: Die Tupperware-Party traf gleich in mehrfacher Hinsicht auf ein reales gesellschaftliches Bedürfnis. Sie bot Frauen die Gelegenheit, sich weniger isoliert zu fühlen, sich in netter Atmosphäre mit Gleichgesinnten zu treffen, eröffnete Karrierechancen und stärkte das Selbstbewusstsein. Für viele klingt das heute nach einem konservativen, längst überwundenen Frauenbild. Doch nicht nur in dieser Hinsicht, und nicht nur für Frauen, haben sich die Zeiten geändert.

Einer der Vorreiter in Sachen Direktvertrieb war die Firma Vorwerk mit ihrem Kobold-Staubsauger. Der „erste Handstaubsauger“ kam 1930 auf den Markt; und selbst das Bezahlmodell über die Elektrizitätsgesellschaften war neu. Qualität und Preis mussten stimmen, zumal sich viele genau überlegen mussten, wofür sie ihr weniges Geld ausgaben. (Bei Vorwerk sind die Zeiten lange vorbei, als der Bundesmeister Herr Edelmann 4800 Kobolde verkauft hat. Das Unternehmen investiert schon seit langem in den Aufbau einer klassischen Vertriebsstruktur und hat seinen Erfolg mit dem Thermomix fortsetzen können.)

Die aktuelle Variante des Hausbesuchs ist der Newsletter

Von wenigen Ausnahmen (wie der Avon Beauty-Beraterin) abgesehen, hat der E-Commerce den Direktvertrieb verdrängt. Bei der Kundenbindung spielen Flagship Stores eine wichtige Rolle. Die aktuelle Variante des Hausbesuchs ist der Produkt-Newsletter; und statt Party gibt es die Community im Netz. Eine simulierte persönliche Ansprache soll die Geschichten transportieren, die der Vertreter früher in Küche oder Wohnzimmer zum Besten gegeben hat – und so das Markenerlebnis vermitteln. Wie so ein sehr persönliches Verkaufsgespräch ablaufen und enden kann, hat Loriot mit dem unbestechlichen Auge des Humoristen dargestellt: Da wird zuhause bei Frau Hoppenstedt Flasche um Flasche „von Pallhuber und Söhne“ entkorkt und sodann – die Trockenhaube des „Kobold“ stand Pate – „saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann …“)

Chancen jenseits des Mainstreams

Bleibt festzuhalten: Weder das Konzept des Direktvertriebs noch die Home-Party allein sind für den Niedergang von Tupperware verantwortlich. Möglichkeiten zur Transformation hätte es für das Unternehmen viele gegeben – von neuen, kreislauffähigen Materialien bis zu Systemen für nachhaltige Pfandgefäße. Über seine Besonderheiten hinaus lehrt der Fall aber auch: Innovationen, die nicht sofort verständlich sind, müssen nach wie vor sachkundig erklärt und vorgeführt werden. Steigen die Ansprüche an Ökologie und Nachhaltigkeit, ist die Kompetenz von Berater*innen durchaus wieder gefragt. (Nicht vorhandenes oder schlecht geschultes Fachpersonal lässt sich nur schwer durch Online-Angebote oder Chat-Bots ersetzen). Vielleicht ist es in Vertrieb und Service-Design ja an der Zeit, in manchen Branchen die ausgetretenen (digitalen) Pfade zu verlassen, auf denen sich die große Herde bewegt. Solange das Marketing erfolgreich ist, die Touchpoints funktionieren, sehen viele keinen Anlass, bestehende Strukturen zu überdenken. Mag die (durch Corona sichtbar gewordene) soziale Isolation auch fortschreiten, was zählt, ist der Umsatz. Sollten, wo bei Marken so viel von „Purpose“ die Rede ist, nicht auch an die soziale Kompetenz und das soziale Kapital gedacht werden? Sollte weniger mit Vorurteilen (Direktvertrieb = personalintensiv, teuer und verstaubt = out) operiert und die Chancen von Vertriebskonzepten erkannt werden, die soziale Prozesse und Bindungen fördern anstatt allein auf kundenferne technische Tools zu setzen? Nicht, dass der Vertrieb vor lauter Effizienz am Ende dazu führt, die Kund*innen online und mittels KI zu vertreiben.


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