Sophia Reißenweber, Designerin und Newcomer-Finalistin des German Design Award 2025, zeigt mit ihrem Projekt „Break-up Lab“, wie enzymatisches Recycling von Polyester die Textilbranche revolutionieren kann. Doch das hoch gehandelte biotechnologische Verfahren muss noch einige Hürden überwinden.
von Martina Metzner

Auch wenn die Berichte über Plastikinseln in den Meeren aktuell nicht mehr so präsent in den Medien sind – das Problem ist weiterhin da. Wir produzieren und verbrauchen zu viel Plastik und verbrennen es nach Gebrauch oft wieder. Von einer vollständigen Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen sind wir trotz vieler Bemühungen noch weit entfernt. Schätzungen zufolge landen von den 359 Millionen Tonnen Kunststoff, die jährlich weltweit produziert werden, 150 bis 200 Millionen Tonnen auf Mülldeponien oder in der natürlichen Umwelt. Wie kann dies verhindert werden? Wie können Systeme und Prozesse aussehen, die den Kreislauf besser schließen? Welche Alternativen gibt es zu Kunststoffen aus Erdöl? Mit diesen großen Fragen hat sich die Designerin Sophia Reißenweber von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle auseinandergesetzt und mit ihrem Projekt „Break-up Lab“ ein Exempel statuiert. Mit enzymatischem Recycling von Polyester in Textilien.

Umweltfreundliches Recyclingverfahren
Das enzymatische Recycling von Kunststoffen wird als der neue Hoffnungsträger im Circular Economy-Diskurs gehandelt – weist es doch im Vergleich zu mechanischen oder chemischen Recyclingverfahren eindeutige Vorteile auf. Es ist deutlich energieschonender, benötigt dazu kaum bis gar keine Chemikalien, da es biochemisch und auf molekularer Ebene abläuft. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass aus dem enzymatischen Recycling hochwertige, dem „virgin plastic“ ebenbürtige Monomere entstehen – es findet also kein Downcycling statt, wie etwa beim mechanischen Recycling von Textilien, wobei die Kleidungsstücke oftmals nur geschreddert werden und als Malervlies enden. Natürlich gibt es auch Nachteile, aber dazu später mehr.
Finalist beim Newcomer Award 2025
Für das Projekt „Break-up Lab“, 2024 als Master-Arbeit umgesetzt und Finalist beim German Design Award 2025, hat Reißenweber anhand von biotechnologischen Verfahren, zirkulären Produkten und neuen Kreislaufsystemen nicht nur untersucht, wie man enzymatisches Recycling einsetzen, sondern auch, wie dadurch neues lokales Wirtschaftswachstum entstehen kann. Dafür arbeitete sie direkt mit Unternehmen und Institutionen in ihrer unmittelbaren Umgebung zusammen, unter anderem recherchierte sie beim Textilrecycler Soex in Bitterfeld. Es sei „einfach nur erschreckend“ zu sehen, was alles weggeworfen werde und wie jedes Textil händisch sortiert werden müsse. Außerdem ist sie mit dem Team um den Biochemiker Christian Sonnendecker von der Universität Leipzig in Kontakt getreten, die das Enzym PHL7 entdeckt haben. „Ich versuche mit meiner Arbeit, die Potenziale, die in dieser Biotechnologie stecken, sichtbar zu machen und die verschiedenen Kompetenzen der einzelnen Akteure miteinander zu verbinden, um zukunftsfähigere Prozesse zu entwickeln“, so Reißenweber.
„Design kann viel mehr als nur Produkte gestalten. Und zwar Prozesse und Systeme entwickeln, die Zirkularität fördern.“
– Sophia Reißenweber, Designerin und Finalistin des German Design Award 2025 – Newcomer
Textilien kommen vor allem als Verbundwerkstoffe (oder auch Compounds genannt) vor. Mit dem enzymatischen Recycling jedoch lassen sich beispielsweise Polyesteranteile heraustrennen. Das habe zwei Vorteile, erklärt Reißenweber. Zum einen könne man daraus ein Monomaterial zurückgewinnen – zum Beispiel reine Baumwolle aus einem T-Shirt, in dem vorher Polyester enthalten war. Zum anderen kann das enzymatisch recycelte Polyester wieder zur Herstellung von neuem Polyester verwendet werden. Denn aus dem enzymatisch recycelten Polyester lässt sich bis zu 90 Prozent neues Polyester gleicher Qualität herstellen.



Hochdruck in der Biotech-Branche
Ob enzymatisches Recycling wirklich der Durchbruch im weltweiten Kunststoffdilemma sein wird, muss sich noch zeigen. Es steckt noch in den Kinderschuhen. Aktuell wird in vielen Ländern dazu geforscht. Ursprünglich ging der Hype um enzymatisches Recycling von PET in Japan los: 2016 fanden dort Forscher heraus, dass ein Enzym aus dem Bakterium „Ideonella sakaiensis“ Polyethylenterephthalat (PET) verstoffwechseln und in seine einzelnen Bestandteile zerlegen kann. PET gehört zur Polyesterfamilie, wird hauptsächlich für Verpackungen, Plastikflaschen und Textilien eingesetzt und ist weit verbreitet. Doch der Prozess mit den Enzymen ist nur schwer im industriellen Maßstab realisierbar. Daran arbeiten verschiedene Player nun mit Hochdruck – neben Ester Biotech, dem ausgegründeten Start-up des Teams um Sonnendecker an der Universität Leipzig, vor allem das französische Unternehmen Carbios.



Aufbau von Infrastruktur
Carbios wie auch Ester Biotech haben bereits Demonstrationsanlagen aufgebaut, mit denen sie kleine Mengen aufbereiten können – Ziel sei es aber, so Sprecher der beiden Unternehmen, große Anlagen aufzubauen. Im Fall von Carbios ist das eine Anlage, die 50.000 Tonnen Polyester im Jahr recyclen könnte. Allerdings fehlt es Carbios derzeit an weiterer Finanzierung, um dies umzusetzen – obwohl das Unternehmen bereits gewichtige Kooperationen mit Firmen wie L‘Oréal vorweisen kann, woraus im März 2025 zum Beispiel die erste bio-recycelte Kunststoffflasche für Biotherm auf den Markt gekommen ist. Aber auch in der Textilindustrie ist das Interesse groß: So kooperieren die Modeunternehmen On, Patagonia, Puma, PVH (Tommy Hilfiger und Calvin Klein) und Salomon mit Carbios.
Das Enzym PHL7
Auch in Leipzig will Ester Biotech größere Anlagen bauen. Vor allem will man aber Lizenzen vergeben an Firmen, die das Verfahren dann umsetzen können. Dazu arbeitet Ester Biotech gerade an Patenten. Das Team ist stolz auf die Entdeckung des Enzyms PHL7 (für Polyester-Hydrolase Leipzig 7, der 7. Kandidat in der Testreihe), was sie auf einem Komposthaufen auf dem Südfriedhof in Leipzig extrahiert haben. Die Weiterentwicklung dieses Enzyms sei weitaus potenter als die bisher erforschten Enzyme – so könne es in 14 Stunden 90 Prozent des Polyesters zersetzen. Dazu wird der Polyester grob erklärt in einen Reaktor mit einer 65 Grad Celsius warmen und mit den Enzymen angereicherten wässrigen Lösungen gegeben. Bei diesem Hydrolyse-Prozess zerlegen die Enzyme die Polymerkette in die Monomere Terephthalsäure (TPA) und Ethylenglykol (EG). Anschließend können die Monomere in einem chemischen Prozess wieder zu PET polymerisiert werden. Das enzymatische Recycling kann auch für Polybutyratadipat-Terephthalat (PBAT), Polybutylensuccinat (PBS), Polylactid (PLA) und diverse Textil-Polyester angewendet werden.


Noch nicht als Recycling anerkannt
Trotz seines großen Potenzials steht das biotechnologische Recycling von Kunststoffen noch vor einigen Herausforderungen: Die größte Hürde besteht darin, den enzymatischen Prozess im industriellen Maßstab umzusetzen. Biologisch erzeugte Enzyme sind empfindlich gegenüber Schwankungen von Temperatur und pH-Wert, was die Skalierbarkeit des Verfahrens erschwert. Zudem sind die Produktionskosten im Vergleich zu traditionellen Recyclingmethoden derzeit noch höher, und die erforderliche Infrastruktur ist noch nicht flächendeckend vorhanden. Ein weiterer wichtiger Punkt, den das Team von Ester Biotech hervorhebt, ist die rechtliche Lage: Aktuell wird enzymatisches Recycling in Deutschland nur eingeschränkt als offizielles Recycling anerkannt. Es gibt jedoch bereits positive Signale aus dem Umweltbundesamt sowie im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, dass sich dies in naher Zukunft ändern könnte.
Den klassischen Kreislauf, bei dem aus Polyester wieder Polyester wird, hält Sophia Reißenweber für unzureichend. „Das Problem wird dadurch nicht gelöst“, sagt sie. „Polyester wird weiter aus fossilen Quellen produziert, Polyesterfasern verschmutzen weiterhin beim Waschen die Umwelt.” Es brauche Alternativen dazu – zum Beispiel Biokunststoffe wie Polyhydroxyalkanoate (PHA). „Wir müssen unseren Fokus weg von den fossilbasierten Ressourcen unter anderem auf biobasierte Stoffströme lenken“, sagt die Designerin. Diese ließen sich oft besser enzymatisch recyceln – PHA etwa kann vom Enzym PHL7 aufgebrochen werden. Darüber hinaus eröffneten Biokunststoffe neue gestalterische Möglichkeiten: In ihrem „Break-up Lab“ entwarf Reißenweber Kleidungsstücke als modular aufgebaute oder aus Monomaterialien bestehende Designs, die sich leichter zerlegen, neu kombinieren oder mechanisch recyceln lassen.

Sophia Reißenweber von der Burg Giebichenstein Halle vereint in ihrer Arbeit Materialforschung und Biotechnologie, um zirkuläre Materialkreisläufe zu schließen. Ihre Entwürfe gründen auf forschungsbasierten Gestaltungsmethoden – mit dem Ziel, resiliente Systeme zu entwickeln. Als Industriedesignerin widmet sie sich interdisziplinären Transformationsprozessen. Sie war Newcomer-Finalistin des German Design Award 2025.

Über den German Design Award Newcomer
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Über die Autorin
Martina Metzner arbeitet als Journalistin für Design und Architektur mit Fokus auf sozial-ökologische Transformation. Denn gute Gestaltung und Nachhaltigkeit sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Nach ihrem Studium der Publizistik, italienischen Philologie und Psychologie war sie elf Jahre lang in Redaktionen tätig, zunächst bei der TextilWirtschaft, danach bei Stylepark. Seit 2018 arbeitet sie frei für führende Fach- und Publikumsmagazine und betreut die Redaktion des Deutschen Design Clubs.
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