ERCO gehört ohne Zweifel zu den großen deutschen Design-Marken mit internationaler Ausstrahlung. In diesem Jahr feiert das Unternehmen sein 90-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum sprachen wir mit dem Geschäftsführer Tim Henrik Maack über technische und ästhetische Trends – seine Bewunderung für Steve Jobs und die lange Nachwirkung der Zusammenarbeit mit Otl Aicher.
Interview von Gerrit Terstiege
Herr Maack, wenn Sie auf die lange Geschichte zurückblicken – wie entscheidend ist es für ERCO, dass das Unternehmen familiengeführt war und ist?
Die Familie hat natürlich einen großen Einfluss auf den Erfolg von ERCO. Das fängt schon bei der Gründung an, die man ja meistens als Privatperson macht, und beeinflusste natürlich auch die weitere Entwicklung nach der Gründung. So gesehen war mein Großvater Arnold Reininghaus sicherlich die Schlüsselperson. Und mein Vater Klaus Jürgen Maack gab dem Unternehmen eine Neuausrichtung mit dem Fokus Architekturbeleuchtung. Wir hatten bis dahin eher Einzelprodukte für Pendel- und Spiegelleuchten im Programm. Die Idee zur Architekturbeleuchtung war eine grundlegende Weichenstellung, die wir bis heute fortsetzen. In meine Zeit fiel der entscheidende Technologiewechsel von analog zu digital, hin zur LED. In einer Welt, die sich in einem steten Wandel befindet, ist es natürlich immer wichtig, dass eine Firma sich mitentwickelt. So gab und gibt es bei ERCO in jeder Generation neue Herausforderungen.
Sie haben bereits 2015 zu 100 Prozent auf LED umgestellt.
Richtig. Das war eine Frage der Schnelligkeit, aber auch der Konsequenz.
Da hilft es vielleicht manchmal, sich mit Personen zu besprechen, die unternehmerisch in einer ähnlichen Situation sind. Stehen Sie in Kontakt mit anderen inhabergeführten Designunternehmen? Etwa FSB, Bulthaup, Siedle, Dornbracht, Lamy? Tauschen Sie sich über Gestalter*innen aus? Oder über Designtrends?
Ja, mit vielen der genannten Unternehmen stehen wir in der Tat in einem freundschaftlichen Austausch. Mit einigen davon bilden wir sogar einen „Designkreis”: Wir treffen uns einmal im Jahr, reden aber nicht nur über Design, weil die meisten Unternehmen da schon relativ handlungssicher sind und ihre Position gefunden haben. Aber es gibt natürlich viele allgemeine gesellschaftliche Trends, die interessant sind – technologische Trends und auch wirtschaftliche Herausforderungen – über die man reden kann. Die Zusammensetzung hat sich über die Jahre immer mal geändert, aktuell gehören Dornbracht, Cor, Bulthaup, Wilkhahn und ERCO zum Designkreis.
Ihr Vater Klaus Jürgen Maack hat ab den 1970er Jahren die von Ihnen erwähnte gestalterische Wende eingeleitet: Modulare Lichtsysteme sollten durch schlichte Formgebung glaubhaft zu moderner Architektur passen. In dieser Zeit spielte Otl Aicher eine große Rolle – nicht nur als Designer, sondern auch als Berater für ERCO. Welche wunderbaren Horror-Stories aus dieser Zusammenarbeit hat Ihnen Ihr Vater erzählt?
Aicher war für uns ein idealer Sparringspartner. Sicher – manchmal war er ein bisschen unbequem. Das Erscheinungsbild war ja relativ schnell erledigt – es ging dann später mehr um den geistigen Austausch. Um eine Haltung. Mein Vater hat es so auf den Punkt gebracht: Das Design soll kulturneutral und auch sozialneutral sein. Es soll genauso in christlichen Kirchen stattfinden wie in buddhistischen Tempeln oder in Moscheen. Und es soll gleichermaßen zu Schulen passen wie zu Parlamenten oder Museen. Aichers Haltung war da klar: Die Funktion ist wichtiger als die Dekoration. Jemanden im vordergründigen Sinne zu beeindrucken, war ihm zuwider.
Manchen Unternehmensschef, wie etwa Gerd Bulthaup oder Jürgen W. Braun von FSB, schickte Aicher zunächst wieder nach Hause. Bulthaup sollte erst einmal kochen lernen, Braun sich Gedanken über Klinken und Griffe machen …
Man geht ja auch nicht zum Italiener, um Sushi zu bestellen. Manch einer brauchte etwas Zeit, um sich auf Aicher einzulassen. Aber dann war die Zusammenarbeit immer sehr konstruktiv. Und Aicher sprühte vor Ideen – was ja auch seine Arbeit für Bulthaup und FSB zeigt. Mein Vater kam aus einer Druckerfamilie, er war gelernter Druckingenieur und hatte ein Grundwissen von Typografie und Gestaltung. So musste er nicht bei Null anfangen und war recht schnell auf einer Wellenlänge mit Aicher.
Aber wären Sie heute bereit, sich auf vergleichbare Weise einem Designberater oder einer Designberaterin anzuvertrauen? Voll und ganz? Und das über viele Jahre?
Im Prinzip ja. Mit Steve Jobs hätte ich mich zum Beispiel gerne ausgetauscht. Er war jetzt kein Designer oder Berater, aber natürlich ein großer Vordenker. Wenn er über Design sprach, ging es eher in einem weiteren Sinne um die Gestaltung der Beziehung der Nutzer*innen zum Produkt. Die Produkte waren natürlich auch von hervorragender gestalterischer Qualität. Aber das Interaktionsdesign – sozusagen die unsichtbaren Fäden, die die Dinge zusammenhalten – das war sein Thema. Und da kann man eine Menge von Jobs lernen und das auch übertragen – auch aus der Distanz und ohne ihn persönlich getroffen zu haben. Jonathan Ive wiederum habe ich mal getroffen. Er erinnerte sich daran, dass in seiner Designhochschule der ERCO-Strahler Domotec verbaut war, dessen Schlichtheit ihn beeindruckt hatte. Ive zeichnete ihn auf eine Serviette und diese Zeichnung haben wir dann dem Designer des Domotec-Strahlers geschenkt.
Auf Ihrer Website liest man, dass Sie sich ihrer ökologischen Verantwortung stellen. Sie haben dafür den Begriff „ERCO Greenology” geprägt. Wofür steht er konkret?
Wir haben immer den Anspruch, aus Technik Kultur zu machen. Kultur kann man auch mit Design übersetzen – aber Kultur ist auch der Beitrag zur Architektur. Greenology ist so gesehen der Versuch, aus Technik Kultur zu machen. Green steht natürlich für Nachhaltigkeit und der zweite Teil des Begriffs steht für Technologie. Nachhaltigkeit ist in unserem Produktbereich durch technischen Fortschritt erreichbar. Das bedeutet auch, Materialien als echte Wertstoffe zu betrachten und sie in einem technischen Kreislauf zu halten. Insofern ist ein solches Kunstwort wie Greenology manchmal hilfreich, das Thema in das eigene Unternehmen hinein zu tragen und zu sagen: ‚Kommt, lasst uns mal überlegen: Wie können wir das mit Leben füllen?‘ Wie heißt es so schön? Culture eats strategy for breakfast. Es bringt eigentlich nichts, einfach zu sagen: ‚Das ist jetzt unsere Strategie.‘ Sondern man muss ein Thema wie Nachhaltigkeit wirklich zur Kultur machen. Da kommt so ein bisschen die Aicher´sche Haltung wieder rein. Man merkt dann, dass Aicher immer noch heimlich mit am Tisch sitzt. (lacht)
In den Themenkomplex Greenology fällt auch Ihr „Human Centric Lighting Prinzip”, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Doch bei manchen großen Gebäuden stellt man sich die Frage, ob wirklich der einzelne Mensch im Zentrum der architektonischen Überlegungen gestanden hat. Kann man mit smarten Lichtstrategien Schwächen von Bauten ausgleichen?
Ich würde hier ganz klar sagen: Jein. (lacht) Es wird ja heutzutage viel über Augmented Reality gesprochen und da geht es natürlich um erweiterte Realität. Eigentlich ein klassisches ERCO-Thema. Denn mit Licht kann man Räume interpretieren und somit auch die gebaute Realität erweitern, indem man eine Stimmung, eine Lichtatmosphäre erzeugt – sozusagen ein Lichtlayer über das Ganze legt, was dem jeweiligen Anlass und der Nutzung entspricht. Es geht natürlich darum, Menschen auch in komplexen Raumsituationen ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung zu geben. Aber schlechte Architektur bleibt am Ende des Tages schlechte Architektur und sollte nach Möglichkeit gar nicht erst gebaut werden!
Das stimmt. Auf Ihrer Unternehmens-Website findet sich auch ein Beitrag, der dafür plädiert, dass genauer geprüft werden sollte, wo in welcher Stärke Beleuchtung überhaupt sinnvoll ist. Die energiesparenden Eigenschaften von LEDs haben offenbar dazu geführt, dass mancherorts mit der Ausleuchtung von Räumen und Plätzen übertrieben wird. Ist das so?
Ich würde mal so sagen: Das ist eigentlich seit jeher ein ERCO-Thema und hat nach wie vor Relevanz – der Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Lichtplanung. Leider haben die meisten Menschen kein besonders differenziertes Verhältnis zu Licht. Einen Raum gleichmäßig hell zu kriegen – damit ist die Arbeit nicht getan. Bei einer qualitativen Lichtplanung geht es natürlich auch darum, Hierarchien zu erzeugen zwischen hell und dunkel. Also ähnlich wie bei einem Musikstück, das auch nicht eine durchgehende Lautstärke haben sollte. Es kann bei uns auch darum gehen, Dunkelzonen bewusst zu gestalten und zu akzentuieren. Dann braucht man weniger Leuchten – und damit auch weniger Energie – um eine interessante Atmosphäre zu erzeugen, die die Aufmerksamkeit auf gewisse Objekte lenkt. Wir unterscheiden immer zwischen Licht zum Sehen, Licht zum Hinsehen und Licht zum Ansehen. Das Licht zum Sehen steht für die Orientierung im Raum. Beim Licht zum Hinsehen geht es darum, Blicke zu fokussieren. Und das Licht zum Ansehen steht für die ästhetische Dimension.
Welche Vorbilder aus der Designgeschichte haben diese Sprache geprägt?
Wenn ich mich recht erinnere, hat sich Charles Eames für seine gestalterischen Lösungen immer zwei Fragen gestellt: Was würde Mies van der Rohe dazu sagen? Und: Wie sehen 100 Stück davon in einer Reihe aus? Das sind zwei Fragen, die für ERCO nach wie vor relevant sind, weil sie in gewisser Weise eine Kultur der Angemessenheit zum Ausdruck bringen.
Würden Sie sich klar als deutsches Designunternehmen verstehen oder positionieren Sie sich eher international?
Das ist eine gute Frage. Also für uns liegt die Qualität im Detail und so gesehen sind kurze Wege und der gemeinsame Austausch untereinander für uns sehr wichtig. Alle ERCO-Produkte werden in unserem Stammsitz in Lüdenscheid entwickelt und auch produziert. Trotzdem haben wir einen Exportanteil von 80 Prozent – und sind dadurch sehr international orientiert. Wie heißt es so schön? Global denken, lokal handeln.
Was sind für ERCO die Herausforderungen der Zukunft?
Heute kursieren viele Buzzwords … Big Data, Internet of Things, Augmented Reality, Virtual Reality, Künstliche Intelligenz. Und viele weitere. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Buzzwords, diese Themen und Trends, in einen ERCO- und damit lichtspezifischen Kontext zu setzen und angemessene Antworten für unsere Kund*innen daraus zu entwickeln. Und dabei steht der Kund*innennutzen in Form von intelligenten Lichtlösungen für ein spezifisches Projekt klar im Vordergrund.
Welche großen Trends im Lichtdesign zeichnen sich ab?
Vielfalt bestimmt das Leben, nicht? So gesehen liegt es eigentlich an uns, die passende Lichtatmosphäre dem Anlass entsprechend zu ermöglichen. Wir reden auch gerne von „Tune the Light”, also das Licht zu stimmen. Der Trend zu individuell anpassbaren Lichtlösungen ist verstärkt spürbar. Im Sinne eines möglichst intuitiven und interaktiven Umgangs mit dem Licht.
Wir denken immer in erster Linie über das Licht nach. Aber es geht eben mehr und mehr um die emotionale Dimension. Seh- und Bedienkomfort stehen bei uns stets im Vordergrund. Wie wir diese Ziele erreichen, ist erstmal technikoffen. Wir müssen die jeweiligen, individuellen Anforderungen übersetzen. Wir machen aus Technik Kultur – dies gilt auch in Zukunft.
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Über den Autor
Gerrit Terstiege, Jahrgang 1968, lebt und arbeitet in Freiburg und Mülheim/Ruhr. Er studierte u.a. bei Michael Erlhoff und Gui Bonsiepe an der Köln International School of Design (KISD). Im Anschluss war er von 1997 bis 2012 bei der Zeitschrift form tätig, ab 2006 als Chefredakteur. Im Birkhäuser Verlag gab er drei Bücher heraus, u.a. „The Making of Design”. Heute ist er für die Rams Foundation als Chefredakteur tätig. Weitere Informationen zu Gerrit Terstiege bei Instagram unter: @gerritterstiege