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Die neue Ecodesign for Sustainable Products Regulation der EU setzt ambitionierte Ziele. Dadurch stehen besonders kleine und mittelständische Unternehmen vor großen Herausforderungen. Im dritten Teil unserer Reihe zur ESPR beleuchten wir, warum rechtzeitiges Informieren und Handeln entscheidend ist.

von Martina Metzner

Vor allem Teppichbodenhersteller wie Bolon, Interface, Object Carpet oder Ege Carpets bemühen sich, ihre Produkte zikrulär zu gestalten – und installieren eigene Recylinganlagen wie Bolon | Foto: © Bolon

Fast klingt das, was die Europäischen Union mit der neuen Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) avisiert, zu schön, um wahr zu sein. Mit dem Erlass der weiterentwickelten Ökodesignrichtlinie am 18. Juli 2024 setzt die EU – und damit ihre Mitgliedsstaaten – auf noch mehr Umweltfreundlichkeit bei Produkten, indem sie nicht nur Energieeffizienz, sondern auch Ressourceneffizienz fördert (Mehr dazu in Teil 1 unserer Reihe zur ESPR). Erreicht werden soll dies, in dem Produkte zu einem großen Teil aus Rezyklat-Materialien bestehen und so gestaltet sein sollen, dass sie vor allem länger halten und besser reparierbar sind. Ein neuer digitaler Produktpass soll zudem Kund*innen und Recyclern Auskunft über Reparierbarkeit und Wiederaufbereitung geben. Spoiler: In Frankreich gibt es seit 2021 einen Reparatur-Index für Produkte wie Rasenmäher, Waschmaschinen, Smartphones, Fernseher und Laptops, der ähnlich wie das EU-weite Energielabel für große Elektrogeräte und Leuchten als Kundeninformation dient. 

Die Verwendung von sortenreinen Materialien vereinfacht das Recycling. | Foto: Bolon

Positiver Impuls für die Wirtschaft 

Die ESPR ist eine der zentralen Maßnahmen des 2019 beschlossenen EU Green Deal, die die europäische Binnenwirtschaft auf eine Kreislaufwirtschaft trimmen und nicht zuletzt zum Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 beitragen soll. Die EU verspricht sich von der ESPR aber nicht nur einen bedeutenden Impact auf Klima und Natur, sondern eben auch einen positiven Impuls für die Wirtschaft, die sich dadurch stabil für die Zukunft aufstellen könne – indem sie zum Beispiel unabhängiger werde von inmer teurer werdenden Rohstoffimporten. Auch Verbraucher*innen würden von der ESPR profitieren, so die Idee der EU, indem sie weniger neue Produkte kaufen und dadurch sparen würden. Die Wegwerfgesellschaft, die lineare Wertschöpfung – mit der ESPR sollen sie passé sein. An Ambitionen hin zu einer grünen Wirtschaft und einer lebenswerten Zukunft in der EU mangelt es also nicht. 

Gemischte Stimmung

Doch natürlich ist die Theorie immer einfacher als die Praxis. In Teil 2 unserer Reihe zur neuen ESPR kamen bereits unterschiedliche Stimmen zu Wort, Designer*innen, Manager*innen von produzierenden Unternehmen und Vertreter*innen von Institutionen. Kurzum: Es zeigt sich ein sehr gemischtes Bild, von Euphorie, über Gelassenheit bis zur Besorgnis. Insgesamt lässt sich festhalten – um es mit den Worten von Adrien Hobt von PCH Innovations zu sagen: „Wir stehen noch ganz am Anfang.“

Sonderregelungen für KMUs

Während große Konzerne naturgemäß ihre Fühler längst in Richtung der neuen ESPR ausgestreckt haben und sich vorbereiten, tun sich kleinere, bereits etablierte Firmen schwer. „Leider wird dieses sicher gut gemeinte Instrument – gedacht für eine bessere Welt – zum weiteren Verschwinden kleiner Unternehmen führen“, befürchtet etwa Manfred Wolf vom Leuchtenhersteller Serien Lighting. Start-ups haben es da leichter, da sie Nachhaltigkeit von Anfang auf der Agenda haben und gleich damit starten. Die EU hat die Schwierigkeit der Integration der ESPR bei KMUs allerdings im Blick und stellt in Aussicht, dass es Sonderregelungen und Unterstützungen für kleine mittelständige Unternehmen geben wird. 

Große Investitionen

Allein mit einem neuen (Öko-)Design von Produkten ist es aber nicht getan, denn dies ist nur der Anfang – es geht um die komplette Wertschöpfungskette, um das Sourcing, die Konzeption, Herstellung und dann eben auch um Vertrieb, Nutzung und Wiederrückführung – um den gesamten Lebenszyklus. „Das sind sehr große strategische Entwicklungen für ein Unternehmen, die mehrere Jahre andauern und große Investitionen benötigen“, erklärt Nico Janssen vom Teppichhersteller Object Carpet, der gerade mit „Niaga“ ein neues Verfahren zur Herstellung von kreislauffähigen Bodenbelägen installiert hat. Bei einigen Firmen münden diese Bestrebungen in neuen Geschäftsmodellen. Wie bei Bosch Haushaltsgeräte, die im Rahmen des Programms „BlueMovement“ seit 2017 neue und wiederaufbereitete Großgeräte wie Waschmaschinen, Geschirrspüler oder Kühlschränke vermieten. „Wir sehen das als Zukunftsmodell“, so Florian Walbert von Bosch Haushaltsgeräte und verweist auf die Nutzungszahlen, die sich pro Jahr verdoppeln. Denn das ist auch die große Herausforderung für Unternehmen: Wenn Produkte länger halten, wird weniger verkauft. Daher wird der Business-Fokus immer mehr auf Themen wie Nutzung und Maintenance rücken. 

Immer mehr Möbelhersteller weiten ihr Reparaturangebot aus – wie der Polstermöbelhersteller COR mit „CORever“ | Foto: © COR
Mit „Break-up Lab“ untersucht Sophia Reißenweber, Finalistin beim German Design Award Newcomer Award, die Potenziale des enzymatischen Abbaus von Polyesterfasern | Foto: Sophia Reißenweber
Abfälle heißen jetzt Sekundärroh-stoffe – wie die „True Trash“-Ausstellung des dänischen Teppichherstellers Ege Carpets vor Augen führt | Foto: © Ege Carpets

Viele Fragen hinsichtlich der neuen ESPR bleiben dennoch ungeklärt: „Was bedeutet Langlebigkeit und Reparierbarkeit überhaupt?“, fragt Max Marwede vom Fraunhofer IZM. Um derartige Aspekte messen zu können, fehle es noch an einheitlichen Standards. Außerdem gebe es Konflikte zwischen Energieeffizienz- und Ressourceneffizienz-Maßnahmen in Hinblick auf den angestrebten besseren CO2- und Umweltfußabdruck. „Wenn man eine Fliege mit der Klappe schlägt, kann es sein, dass die nächste umso größer wird.“

Vielzahl an EU Direktiven

Ein weiterer Punkt, der Sorgen bereitet: Die EU hat in der jüngsten Zeit eine Reihe von Nachhaltigkeitsverordnungen erlassen – darunter die „Corporate Social Responsability Directive“ (CSRD), die „Extended Producer Responsability“ (EPR) oder die „Green Claims“ Directive, die Greenwashing in öffentlichen Herstelleraussagen verbietet, sofern sie nicht belegt werden können. Diese und noch einige andere Anforderungen mehr müssen kleine wie große Unternehmen und natürlich Designer*innen in den kommenden Jahren gleichzeitig schultern.

Es ist daher ratsam, sich schon jetzt als Designer*in und/oder Unternehmen mit der neuen, weiterentwickelten Ökodesignrichtlinie auseinanderzusetzen, Workshops zu besuchen, sich bei Verbänden zu informieren und selbst im Unternehmen Prozesse einzuleiten. Die ersten Produktgruppen, die von der ESPR adressiert werden, sind Möbel, Eisen, Stahl und Aluminium, Reinigungsmittel, Chemikalien und Elektronik- und Kommunikationsgeräte.

Im März 2025 soll der Arbeitsplan für die kommenden Jahre vorgestellt werden, der die Regelungen für die einzelnen Produktgruppen terminiert. Um die spezifischen Anforderungen zu verfassen, hat die EU außerdem das Ecodesign Forum etabliert, in dem Stakeholder zusammenarbeiten und beraten. Und dann muss natürlich noch die europäische Gesetzgebung in nationales Recht umgesetzt werden. 

Jetzt informieren und handeln

Die Beratungsagentur Indeed Innovation empfiehlt Unternehmen, zeitnah interne Audits und Assessments zu veranstalten, um diese integrierten Prozesse anzustoßen. Lisa Cerny vom Umweltbundesamt sagt, insbesondere in Hinblick auf den digitalen Produktpass: „Unternehmen sollten jetzt schon in die Lieferketten reinschauen, auch wenn die produktspezifischen Anforderungen erst noch kommen.“

Recycling und Upcycling können vielfältig erfolgen – wie das Hochschulprojekt von Virginia Reil zeigt, das Deadstock- und Preconsumer-Textilreste durch Stickereitechniken verbindet | Foto: © Virginia Reil
Foto: Jason Sellers

Über die Autorin

Martina Metzner arbeitet als Journalistin für Design und Architektur mit Fokus auf sozial-ökologische Transformation. Denn gute Gestaltung und Nachhaltigkeit sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Nach ihrem Studium der Publizistik, italienischen Philologie und Psychologie war sie elf Jahre lang in Redaktionen tätig, zunächst bei der TextilWirtschaft, danach bei Stylepark. Seit 2018 arbeitet sie frei für führende Fach- und Publikumsmagazine und betreut die Redaktion des Deutschen Design Clubs.

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