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Wo Farbe ist, ist auch Form: Ein Gespräch mit Christoph Brach von Raw Color über Industriestandards mit Tiefgang, Facetten von Luxus in Projekten – und die Dutch Design Week, auf der das Studio für die German Design Graduates und RAL Farben zwei Ausstellungen gestaltet.

Interview von Markus Hieke

Christoph Brach und Daniera ter Haar lernten sich beim Studium an der Design Academy Eindhoven kennen, wurden ein Paar und gründeten eher aus einer Gelegenheit heraus das Designstudio Raw Color. Seit 2007 entwickelt das deutsch-niederländische Paar mit einem kleinen Team Projekte über verschiedene Gestaltungsdisziplinen hinweg. Ihre immaterielle Hauptzutat: Farbe.

Christoph Brach und Daniera ter Haar begegneten sich beim Studium im niederländischen Eindhoven. Ebendort gründeten sie 2007 ihr gemeinsames Studio | Foto: Raw Color

Natürliche Pigmente oder künstliche Neonfarben, was hat bei euch Vorrang?

In unserer Praxis nutzen wir beides. Wenn ich mich entscheiden müsste, hätte die natürliche Farbe immer Vorrang. Denn ein synthetisches Pigment besteht wirklich nur aus einer Farbe. Wenn du dir daneben ein natürliches Pigment mikroskopisch anschaust, dann erkennst du, dass da ganz viele Kristalle enthalten sind. Weil diese mehrere Töne des Spektrums reflektieren, wird solch eine Farbe als komplexer und reicher wahrgenommen. Aber so ein Neon hat auch seine Stärken und ist gut, um Akzente zu setzen.

Wofür steht euer Name Raw Color und wie gelingt es euch, nicht nur auf das Thema Farbe reduziert zu werden?

Unseren Namen verdanken wir einem Zufall. Unser erstes gemeinsames Projekt hatte mit natürlichen Pigmenten zu tun und trug den Titel „Raw Color“. Nachdem wir das Projekt zur Design Week in Mailand ausgestellt haben, bekamen wir plötzlich Post, adressiert an Raw Color. Wir dachten: Ey, die Leute verstehen nicht, dass das eigentlich der Projekttitel ist. Ermutigt durch Freunde, haben wir den Namen dann einfach für unser Studio genutzt. Inzwischen transportiert er sehr schön, wie wir arbeiten: nämlich in organischen Entwicklungsprozessen. Auch dass es bei uns hauptsächlich um Farbe geht, steckt darin. Allerdings betone ich dazu gerne, dass Form und Farbe immer in Relation zueinander stehen.

„Uns geht es um die Wechselwirkung zwischen Form, Farbe und nicht zuletzt auch um die Textur – und das in ganz vielen Designdisziplinen. Es erreichen uns Anfragen von Ausstellungsdesign über Branding, Produkt- und Textildesign bis hin zur Fotografie.“

Was meinst du damit?

Oft wird vergessen, dass beispielsweise auch ein Farbsample eine Form hat. Betrachtet man verschiedene Objekte, so verträgt ein Zylinder mit seiner runden Form vielleicht eine schärfere Farbe als ein kantiger Quader, den man wohl eher mit einem weichen Farbton versieht. Uns geht es um die Wechselwirkung zwischen Form, Farbe und nicht zuletzt auch um die Textur – und das in ganz vielen Designdisziplinen. Es erreichen uns Anfragen von Ausstellungsdesign über Branding, Produkt- und Textildesign bis hin zur Fotografie.

100 Jahre RAL: Anlässlich dieses Jubiläums entwickelte Raw Color eine limitierte Edition der RAL CLASSIC-Farbsammlung. Aus 216 Farbtönen definierten sie fünf Farben, die den Fächer und seine omnipräsenten Anwendungsbereiche repräsentieren | Foto: Raw Color

Für RAL habt ihr anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums eine limitierte Sonderedition des Classic-Farbfächers entwickelt. Wie seid ihr dabei vorgegangen?

Das RAL-Prinzip basiert auf einer industriellen Logik und Struktur, die sich über Jahrzehnte bewährt hat. Sie ist bis heute gleich geblieben. Als RAL mit der Anfrage für ein neues Packaging auf uns zugekommen ist, wollte ich das unbedingt machen, weil da so viel Potenzial drinnen steckt. Wir haben uns also auf eine sehr analytische Forschungsarbeit eingelassen, den gesamten RAL-Fächer auseinandergenommen, die Farben ausgelegt und die Farbgruppen betrachtet. So sind wir recht schnell auf die Historie und die Funktionen dieser Farbsammlung gestoßen.

Was habt ihr dabei herausgefunden?

Wir alle kennen RAL, weil die Farben auf Verkehrsschildern genutzt werden, für Not-Ausknöpfe, für die Lackierung von Feuerwehrfahrzeugen und vieles mehr. Das unterscheidet RAL von anderen bekannten Farbsammlungen wie Pantone oder NCS, die sehr viel trendorientierter sind und bei denen schneller neue Farbtöne hinzukommen. Im Fall von RAL Classic sind es seit der letzten Erweiterung 2020 diese 216 Farbtöne. Ergänzt wird nur dann, wenn eine Farbe gesellschaftliche Relevanz bekommt. Genau das wollten wir noch einmal verdeutlichen.

Wie ist euch das mit dem neuen Packaging gelungen?

Die Verpackung des Farbfächers hat sechs Seiten, die Unterseite ist für uns weniger relevant. Also haben wir nach praktischer Abwägung fünf Farbtöne aus der Classic-Farbsammlung definiert, die den alltäglichen Nutzen von RAL-Farben unterstreichen. Zu jedem der Farbtöne findet man auf der Verpackung einen kurzen Text. Zum Feuerrot RAL 3000 wird erläutert, dass das der Farbton für die Feuerwehrautos und für den Notschalter ist. Daneben hat man das Laubgrün für den Notausgang, das Schwefelgelb, das europaweit für die Krankenwagen genutzt wird, und das Hellrosa, das als Mantelfarbe innerhalb von mehradrigen Datenkabeln vorgeschrieben ist. Auf dem Deckel sehen wir das Verkehrsblau, das auf Verkehrsschildern genauso wie auf Einsatzwagen der Polizei Verwendung findet. Diese Farben sollten für uns eine Geschichte erzählen, aber letztlich auch ein schönes Zusammenspiel ergeben.

Während der Dutch Design Week präsentiert ihr das RAL-Projekt in einer Ausstellung. Was wird man da entdecken können?

Man wird den gesamten Prozess dieses Projekts nachvollziehen können. Jede der fünf Farben veranschaulichen wir anhand von Objekten. Durch die Auswahl an Anwendungsbeispielen werden stellvertretend alle 216 Farben des Fächers repräsentiert.

Die Spannweite an Projekten reicht von Ausstellungsdesign über Branding, Produkt- und Textildesign bis hin zur Fotografie | Foto: Kilian and Marthe Vos

„Unter dem Titel ‚Next, Now, Then‘ heben wir hervor, wie unterschiedlich sich die Studierenden in ihren Arbeiten orientieren: Manche blicken in die Vergangenheit, um sich zu inspirieren, andere widmen sich der gegenwärtigen Frage, wie künstliche Intelligenz gestalterisches Schaffen beeinflusst.“

Anlässlich der Dutch Design Week habt ihr auch die neue Ausstellung der German Design Graduates gestaltet, die vom German Design Council ausgerichtet wird. Was erwartet die Besucher*innen darin?

Die Ausstellung wird diesmal in einer Skatehalle präsentiert, also in einer durchaus robusten Umgebung, der wir mit dem Ausstellungskonzept entsprechen wollen. Um dabei so nachhaltig wie möglich zu agieren, nutzen wir Gitterroste, die aus einer früheren Ausstellung der German Design Graduates stammen. Wir werden daraus die Sockel für die Ausstellungsstücke herstellen. Als Rückwände nutzen wir MDF-Platten, die wir noch auf Lager hatten und für diesen Zweck einfärben.

Neu ist, dass ihr die Schau der German Design Graduates erstmals auch kuratiert.

Richtig, bislang wurden wir für das Ausstellungsdesign beauftragt und haben dann mit den Kurator*innen zusammengearbeitet. In diesem Jahr wurden wir gefragt, ob wir nicht selbst die Auswahl der Absolvent*innen übernehmen möchten. Das haben wir natürlich sehr gerne gemacht. Unter dem Titel „Next, Now, Then“ heben wir hervor, wie unterschiedlich sich die Studierenden in ihren Arbeiten orientieren: Manche blicken in die Vergangenheit, um sich zu inspirieren, andere widmen sich der gegenwärtigen Frage, wie künstliche Intelligenz gestalterisches Schaffen beeinflusst. Wieder andere wagen einen Blick noch weiter in die Zukunft.

Für Hermès Switzerland kreierten sie die Schaufensterinstallationen der Spring/Summer-Kollektion 2024 – eine Hommage an den Stammsitz der Luxusmarke in der Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré | Fotos: Alicia Dubuis

Ikea, Sancal, Pode, Kvadrat und Hermès: Die Liste eurer Auftraggeber*innen ist bunt. Woran arbeitet ihr aktuell?

Unter anderem arbeiten wir an einem Schaufensterdesign für Hermès-Stores in der Schweiz. Bereits vor zwei Jahren haben wir für sie Schaufenster inszeniert. Nun bekommen wir erneut die Gelegenheit dazu. Das ist natürlich der absolute Luxus, mit so einem Auftraggeber zusammenarbeiten zu können. Sie gewähren uns sehr viel Freiheit und legen zugleich viel Wert auf Details und eine hochwertige Produktion. Einen Großteil der verwendeten Dekoelemente stellen wir selbst her – entweder bei uns oder gemeinsam mit befreundeten Studios.

Im Kontrast dazu steht vermutlich eure Zusammenarbeit mit Ikea. Für das Möbelhaus habt ihr eine limitierte Möbel-, Lampen- und Accessoire-Kollektion entwickelt.

Genau, im Fall der Tesammans-Kollektion für Ikea, zu der ein Trolley, Leuchten, verschiedene Textil- und Tableware-Produkte gehören, lieferten wir unsere Entwürfe und sagten dann, so und so soll es in etwa aussehen. Im Prinzip lief es so ab: Die Formen haben wir anhand von Zeichnungen spezifiziert, wir haben Farben vorgegeben und dann startete die Produktentwicklungsmaschinerie bei Ikea. In der Designabteilung verstehen sie sehr genau, wie sie das ausarbeiten müssen und welche Produzenten das gut umsetzen können. Da wurde uns dann alles aus der Hand genommen. Auch das ist natürlich eine Form von Luxus. Wir sind dann immer wieder nach Schweden gereist, haben uns die Prototypen angeschaut und hier und da Details überarbeitet.

In Zusammenarbeit mit Ikea entwickelte Raw Color die limitierte Kollektion Tesammans, zur der Tisch- und Pendelleuchten, ein Trolley, ein Hocker, verschiedene Textilien und Accessoires gehören. Das mittlere Foto zeigt Dummies der Produkte aus Papier | Fotos: Raw Color

Und arbeitet ihr derzeit noch an weiteren Ausstellungsgestaltungen?

Für das Van Gogh Museum in Amsterdam befinden wir uns gerade in Vorbereitung einer Ausstellung zum Thema Gelb. Hier mit Farbe zu arbeiten, ist besonders interessant, weil gerade im musealen Kontext oder in Kunstgalerien der White Cube ein feststehender Begriff ist, den wir gerne durchbrechen wollen. In der besagten Schau wird zum Beispiel auch van Goghs weltberühmte Sonnenblume zu sehen sein. Doch anstelle sie vor einer weißen Wand zu hängen, wünschen wir uns einen farbigen Untergrund. Es erfordert äußerste Sorgfalt, hierfür gemeinsam mit den Kurator*innen einen geeigneten Farbton zu finden.

Next, Now, Then
Zwischen Gestern, Heute und Morgen

German Design Graduates @ Dutch Design Week

18. – 26.10.2025

Eindhoven

Raw Color x RAL
The Functionality of Colours

RAL’s 100th anniversary

18. – 26.10.2025

Raw Color Studio, Beeldbuisring 30, 5651HA

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