Ob Fluganzug, Robo-Pferd oder humanoider Lastenträger – die Mobilität der Zukunft wird experimentell, schwebend und ziemlich spektakulär. Während autonome Fahrzeuge längst Realität sind, testen Entwickler*innen weltweit neue Fortbewegungsmittel zwischen Science-Fiction und Alltagstauglichkeit. Wer glaubt, das Auto bleibe das Maß aller Dinge, wird bald eines Besseren belehrt.
von Oliver Herwig

Autofahren war gestern. Die Zukunft der Mobilität hebt ab. Zwei Trends zeigen sich aktuell: (humanoide) Roboter und Fluggeräte – und zunehmend hybride Formen dazwischen. Was einst nach Science-Fiction klang, wird Realität. So traten etwa beim Halbmarathon in Peking zwei Dutzend humanoide Roboter symbolisch gegen menschliche Läufer an. Natürlich war das kein Moment wie einst der Sieg von Deep Blues über den Schachweltmeister oder der Triumph einer KI im Go. Aber darum ging es auch nicht. Es ging um ein Statement: Humanoide Roboter sind angekommen – nicht mehr als Vision, sondern als „Proof of Concept“.
Noch können sie mit ihren rollenden Pendants in Sachen Tempo und Effizienz nicht konkurrieren. Müssen sie aber auch nicht. Ihre Stärke liegt in der Interaktion – dort, wo sie Seite an Seite mit Menschen arbeiten. Ein gutes Beispiel: „Digit“, ein Humanoid des US-Unternehmens Agility Robotics, wiegt 64 Kilogramm, trägt bis zu 16 Kilo und bewegt sich weitgehend autonom durch die Welt. Man stelle sich eine moderne Sänfte vor – getragen von zwei Robotern, vorn und hinten. Mobilität neu gedacht: menschenzentriert, assistierend, adaptiv.


Flugtaxi-Euphorie mit Turbulenzen
Schon 2018 erklärten laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa 41 Prozent der Deutschen, sie würden in ein Flugtaxi steigen – bei den 18- bis 29-Jährigen waren es sogar 65 Prozent. Die Euphorie war groß. Inzwischen ist davon wenig übrig. Dabei klingt die Ausgangslage verheißungsvoll: Der Verband der unbemannten Luftfahrt zählte bereits 2023 über 400.000 Drohnen – die meisten allerdings in privater Hand. Und doch: Der Traum vom fliegenden Shuttle für alle ist ins Stocken geraten. Ein besonders prominenter Rückschlag: die Pleite des bayerischen Unternehmens Lilium. Nicht fehlende Investoren waren das Problem, sondern die Technik. Über ein kurzes Schweben kam der futuristische Senkrechtstarter nie hinaus. Der Markt für Flugtaxis wirkte daraufhin toter als die Wüste Gobi. Trotzdem gibt sich die Branche nicht geschlagen. Laut Prognosen desselben Verbands könnten bis 2030 rund 330 Flugtaxis unterwegs sein – etwa 70 davon ausschließlich für den Frachttransport. Ob es dazu kommt? Noch ist Skepsis angebracht. Aber eines ist sicher: Es lohnt sich, jetzt genauer hinzuschauen.
Patentierter Fluganzug
Hoch hinaus will Konstantin Landuris – und das im wahrsten Sinne. Der Münchner Ingenieur und Designer hat mit seinem „Flying Suit” bereits 50 Sekunden in der Luft geschwebt. Sein Ziel? Nicht weniger als „eine völlig neue Art der Mobilität“. Ein ambitioniertes Versprechen – und nicht überall wird es mit offenen Armen aufgenommen. Ein Blick in die Kommentarspalten auf YouTube zeigt: Die Skepsis ist groß. Von „nichts Neues“ über „Blödsinn“ bis hin zu „der nächste Green Goblin“ ist dort alles zu lesen. Ein besonders bissiger Kommentar vergleicht den Fluganzug mit einer Seifenkiste, die ein Kind den Hügel hinunterrollen lässt – nur um zu sehen, ob’s funktioniert. Landuris sagt selbst, das habe ihn schon ins Grübeln gebracht.
Und doch: Er macht weiter. Über Jahre hat er Zeit, Energie und eigenes Geld in das Projekt investiert. Aufträge für den Broterwerb blieben liegen, der Traum vom Fliegen blieb. Heute ist der Fluganzug patentiert – im Rahmen eines vom Bayerischen Wirtschaftsministerium geförderten Innovationsprojekts. Der Clou liegt im Detail: Anders als klassische Jetpacks, bei denen der Pilot in Gurten hängt, setzt Landuris auf ein tragbares Exoskelett mit integriertem Rotorensystem. Das schützt bei Stürzen, verteilt Gewicht und sorgt für Stabilität. Acht elektrische Brushless-Motoren mit Akkus und Steuereinheiten bringen es auf 1.400 Newton Schubkraft – genug, um Landuris’ 80 Kilogramm sicher in die Luft zu heben. Das Ganze wiegt – trotz Leichtbauweise – stolze 38 Kilo. Nach dem ersten erfolgreichen Testflug denkt Landuris schon weiter. Mit neuen Motoren träumt er von drei Minuten Flugzeit, langfristig sollen es 15 bis 20 Minuten werden.
Kurz die Fassade abfliegen
Aber wem nützt ein Fluganzug, der nur wenige Minuten in der Luft bleibt? Auf dem Weg ins Büro den Stau überfliegen? Da muss Konstantin Landuris schmunzeln. Erst kürzlich hatte er ein Gespräch mit einem großen Unternehmen, das auf Gebäudeinspektionen spezialisiert ist. Der Anzug, so die Einschätzung seines Gegenübers, könnte bei der Bestandsprüfung von Gebäuden und Anlagen nicht nur viel Zeit, sondern auch teure Infrastruktur sparen.
Denn klassische Fassadeninspektionen an Wohnanlagen stoßen an Grenzen: Drohnen verletzen schnell die Privatsphäre, Gerüste verschlingen sechsstellige Summen. Der Flying Suit hingegen könnte direkt an Ort und Stelle ansetzen – punktgenau, flexibel und leise. Auch Brücken, Industrieschlote oder Windräder nennt Landuris als potenzielle Einsatzorte. „Überall dort wäre der Fluganzug genial.“ Und vielleicht auch darüber hinaus. Ein YouTube-Kommentator notierte lakonisch: „Wäre ja schon ’ne tolle Vorstellung, morgens damit zur Arbeit zu schweben“ – und bekam prompt zwei Likes dafür. Natürlich ist das Projekt risikoreich, räumt Konstantin Landuris ein. Das Potential sei aber enorm. Landuris ist Erfinder, Testpilot und Fundraiser in Personalunion – und fest davon überzeugt, dass seine Idee fliegen wird. Jetzt sucht er systematisch nach Investor*innen, die das Potenzial ebenfalls erkennen.


Das flügellose „Airbike“ lässt sich wie ein Motorrad besteigen und wird voraussichtlich rund 30 Kilogramm wiegen | Fotos: © Volonaut
Schnell mal Hollywood plündern
Der Traum vom Fliegen fasziniert – und zieht aktuell zahlreiche Pioniere an. Gleichzeitig drängt sich der Eindruck auf, dass viele Projekte vor allem eines tun: coole Bilder produzieren, um herauszufinden, ob sich ein Markt überhaupt entwickeln lässt. Ein bisschen Vaporware, ein bisschen Hollywood – und viel Hoffnung auf virales Momentum.
Ein Paradebeispiel: das Superbike der Lüfte von Tomasz Patan, Erfinder und Gründer von Volonaut. Sein futuristisches „Airbike” erinnert stark an die schwebenden Speeder aus „Star Wars“, auf denen Sturmtruppen einst durch die Wälder von Endor und endlose Canyons jagten. Doch Patan setzt nicht auf Drohnenpropeller, sondern auf Düsenantrieb – mit bis zu 200 km/h soll das Gerät eine einzelne Person durch die Lüfte befördern können.
Das Konzept erinnert an eine Mischung aus Laubbläser und Aufsitzrasenmäher auf Kufen, bestiegen wie ein Motorrad, scheinbar steuerbar allein durch Gewichtsverlagerung. CGI-Kurzvideos zeigen spektakuläre Manöver, aber keine realen Testflüge. Patan verspricht immerhin ein „modernes Stabilisierungssystem“ samt Flugcomputer für automatischen Schwebeflug und einfache Kontrolle. Über Tankvolumen, Gewichtslimit oder Altersfreigabe schweigt er sich (noch) aus. Technisch setzt das „Airbike“ auf 3D-gedruckte Kohlefaserkomponenten – und soll damit siebenmal leichter als ein herkömmliches Motorrad sein. Wenn man von rund 200 Kilogramm bei vollgetankten Maschinen ausgeht, wären das gerade einmal 30 Kilogramm. „Faszinierend“, würde Commander Spock vermutlich sagen – aber halt, der ist ja von der „Star Trek“-Konkurrenz.
„Corleo“ Trailer | Youtube Video: Kawasaki Group Channel
Im Galopp über Stock und Stein
Abdüsen wollen die einen. Über Stock und Stein jagen die anderen. Kawasaki Heavy Industries präsentierte kürzlich „Corleo”, ein reitbares, vierbeiniges Roboterpferd – inklusive spektakulärer Renderings, die den Ritt durch Flüsse, Felsen und Gebirge zeigen.
Angetrieben wird „Corleo” von einem 150-ccm-Wasserstoffmotor, und ironischerweise schlägt das Metallross klassische Geländemotorräder genau dort, wo deren Räder im Schlamm versinken. „Corleo” ist eine Kreuzung aus Robotik und Motorradtechnik – und wirkt wie ein entfernter Verwandter von „Spot“, dem berühmten Roboterhund von Boston Dynamics, der immerhin Treppen mit 30 Zentimetern Steigung meistert. Ob „Corleo” je über reale Pfade galoppiert, bleibt offen. 2050 geistert als möglicher Verkaufsstart durch die Branche – ähnlich vage wie einst beim „Little White Dragon“ von Xiaopeng Motors, einem elektrischen Pony für Kinder, das 2021 als Hightech-Spielzeugstudie vorgestellt wurde und seitdem nicht mehr gesehen wurde. Aber wie heißt es so schön: Nichts ist unmöglich. Zumindest nicht in der Welt der Prototypen.


„Corleo“ von Kawasaki Heavy Industries: Der robotische Vierbeiner besitzt pfotenartige Glieder, die an tierische Bewegungsmechanik erinnern | Fotos: © Kawasaki Heavy Industries
Mobilität als Erlebnis
Es ist zu früh für ein Fazit. Aber die Mobilität der Zukunft entwickelt sich sich rasant – und oft in Richtungen, die bis vor wenigen Jahren undenkbar schienen. Wer hätte ernsthaft damit gerechnet, dass E-Scooter einmal das Straßenbild prägen würden? Nun wartet die Branche auf ihren „iPhone-Moment“ – jenen Punkt, an dem sich eine völlig neue Technologie im Alltag durchsetzt.
Spannender als die Technik selbst ist dabei oft der Blick in die kollektive Psyche. Denn viele Mobilitätstrends spiegeln eine tiefere gesellschaftliche Entwicklung: die zunehmende Stratifizierung unseres Lebensraums. Während eine kleine Gruppe buchstäblich über den Wolken schwebt, stecken andere weiter im Stau oder in überfüllten Bussen. Technologie schafft eben nicht nur Möglichkeiten – sondern auch neue Ausschlüsse. Die sogenannte „Mobilität der dritten Dimension“, wie Flugtaxis gern genannt werden, droht zur Mobilität der drei Klassen zu werden: Oben fliegt die Elite, in der Mitte rollen die Autofahrer, unten drängen sich die ÖPNV-Nutzer.
Derweil lässt sich nur eines mit Sicherheit sagen: Alles – außer zu Fuß. Das klassische Auto hat seine besten Jahre vermutlich hinter sich. Dafür wächst ein vielfältiger Mix an Fortbewegungsmitteln heran: von unbemannten Drohnen, die den Einkauf übernehmen, über Elektrofahrzeuge, die als mobile Stromspeicher fungieren, bis zu selbstfahrenden Ride-Sharing-Diensten ohne menschliches Personal. Und dabei wächst eine neue Kategorie: Mobilität als Erlebnis. Die Projekte „Airbike”, „Corleo” und „Little White Dragon” sind weniger Mittel zum Zweck als moderne Fortbewegungsspielzeuge – konzipiert für Nervenkitzel, Staunen und Spaß.
Ganz anders wirken dagegen „Spot”, der Roboterhund von Boston Dynamics, und Landuris’ „Flying Suit”. Ihre Mission ist nicht das Vergnügen, sondern der Einsatz dort, wo Menschen an Grenzen stoßen: bei Inspektionen, Rettungseinsätzen oder in schwer zugänglichen Regionen. Natürlich darf der Spaß dabei nicht fehlen – aber hier steht der Nutzen im Vordergrund. Das Space Age, so scheint es, ist keineswegs vorbei. Es beginnt gerade erst.


Ob auf Bahngleisen oder in menschenleeren U-Bahnen, „Spot“ arbeitet dort, wo Präzision und Ausdauer gefragt sind | Fotos: © Boston Dynamics

Über den Autor
Dr. Oliver Herwig, Journalist und Moderator. Designexperte für AD, FR, FAZ QUARTERLY, nomad, ndion, NZZ und SZ; Designtheoretiker an der Kunstuniversität Linz sowie der HfG Karlsruhe. „Karl-Theodor-Vogel-Preis für herausragende Technik- Publizistik“, COR Preis „Wohnen und Design“. Arbeitsstipendien in England, USA und Norwegen. Wissenschaftsjournalist in Tübingen, Gastredakteur bei *wallpaper in London, Editor-at-Large von nomad. Autor von rund drei Dutzend Büchern zu Architektur und Design, darunter zu Michele De Lucchi, fliegenden Bauten und Entertainment-Architektur.
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