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Bei den in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindenden German Design Graduates handelt es sich um eine nicht kommerzielle Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jedes Jahr Absolventen deutscher Hochschulen auszuzeichnen. So erhalten Nachwuchsgestalter eine Plattform für ihre Arbeiten und sie werden für ein breites und professionelles Publikum sichtbar. Ausgestellt werden die Bachelor-, Master- und Diplomarbeiten von Absolventen aus den Bereichen Produkt- und Industriedesign.

Neu: Ein Nachwuchspreis für Designforschung

In diesem Jahr wird darüber hinaus erstmalig im Rahmen der German Design Graduates-Initiative neben den bereits bekannten Sonderpreisen für Kultur und Nachhaltigkeit auch ein Nachwuchspreis für Designforschung verliehen: der Design Research Preis. Der mit 1.000 Euro dotierte Preis wird vom Institute for Design Research and Appliance (IfDRA) ausgelobt, das Anfang des Jahres gegründet wurde, beim Rat für Formgebung angesiedelt ist und von Stephan Ott geleitet wird. Aus allen eingereichten Arbeiten hat das Team des IfDRA eine Shortlist mit sechs herausragenden Gestaltungsprojekten ausgewählt, die sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bewegen und durch deren Kombination wie Integration in den Designprozess besondere Resultate hervorbringen. Nach dieser Vorauswahl entscheidet nun die Öffentlichkeit mittels Public Voting, welcher der Nominierten den Preis erhalten soll.

Im Folgenden stellen wir die ersten drei Projekte der Shortlist und die verantwortlichen Nachwuchsgestalter vor. In einem zweiten Beitrag erhalten Sie Einblicke zu den anderen Projekten und lernen deren Gestalter näher kennen.


Projekt Hacko

Teil 1: Mehr als nur ein Nutzer

Wer sich die Abschlussarbeiten von Absolventen in der Gestaltungsszene anschaut, kann hier einen Grundtenor für die aktuellen Stimmungen und Situationen in der Gesellschaft wahrnehmen. Und auch ein Gefühl dafür entwickeln, welche Themen die neue Designergeneration derzeit beschäftigt.

Die Projekte auf der Shortlist des Design Research Preises decken dabei ganz unterschiedliche Themengebiete ab. Auffällig ist aber, dass es sich fast immer um Themen und Fragestellungen handelt, mit denen sich die Studierenden schon über einen längeren Zeitraum beschäftigen und nun mit ihrer Abschlussarbeit die Möglichkeit nutzen, sich auf einer tiefergehenden Ebene mit der Thematik auseinanderzusetzen. Kooperationen mit Institutionen oder Unternehmen scheinen dabei keinesfalls einzuschränken, sondern werden genutzt, um Expertise zu generieren und die Professionalität des Projektes noch weiter zu erhöhen.

Die folgenden drei Abschlussarbeiten setzen sich darüber hinaus noch auf eine ganz besondere Art und Weise mit der Rolle des Nutzers auseinander.

Auf einen Blick …

  • Yi-Ting Chen von der Weißensee Kunsthochschule Berlin hat mit ihrem Projekt Hacko ein neues Ökosystem für Elektronik entworfen, das es Nutzern ermöglicht, ihre eigenen technischen Produktlösungen zu entwickeln.
  • Mit Tangible Tags hinterfragt Benno Brucksch von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, wie Datenspeicherung in unserer digitalisierten Welt mehr den kognitiven und sensomotorischen Fähigkeiten des Menschen entsprechen könnte.
  • Kilian Frieling hat sein Studium an der Muthesius Kunsthochschule Kiel absolviert. Das Projekt Smart Medication ist eine Art 3D-Drucker für Medikamente, der diese passgenau dosieren kann und so eine jeweils individuelle Behandlung ermöglicht.

Hacko: Aktive Gestaltung des Nutzers

Bei Yi-Ting Chens Projekt Hacko erhalten Nutzer die Möglichkeit, bewusst eigene Systeme und Anwendungsszenarien zu gestalten und mit einem modularen Baukasten aus einer Vielzahl von elektronischen Elementen funktionsfähige Produkte individuell zu konfigurieren. Die Zielgruppe wurde dabei nicht nur als Recherchequelle in den Entwicklungsprozess involviert, sondern erhält eine fortwährend aktive Rolle bei der Gestaltung eigener Nutzungsszenarien und das fördert einen Dialog zwischen Designer und Nutzer auf Augenhöhe.


Tangible Tags: Eine Brücke zwischen der digitalen und analogen Welt

Ähnliches passiert auch bei Tangible Tags, bei dem Benno Brucksch mit der Verknüpfung von menschlicher und künstlicher Gedächtnisleistung eine Brücke zwischen der digitalen und analogen Welt schlägt. Die dabei entstandenen Interfaces nutzen die sensomotorischen und kognitiven Fähigkeiten ihrer Nutzer, um Daten zu speichern und wieder abzurufen. Im Gegensatz zu bestehenden Systemen, stellen die Interfaces keine fertige Struktur zur Datenablage bereit, sondern bieten dem Nutzer stattdessen verschiedene Interaktionsmöglichkeiten an. So werden nicht nur persönliche Präferenzen zugelassen, sondern es wird auch mit der weitverbreiteten Norm gebrochen, dass Technik die Interaktion mit Produkten diktiert und sich der Mensch dieser unterordnen muss.


Smart Medication: Evolution der Medikamenteneinnahme

Um eine Verschiebung der Macht, weg von der reinen Gewinnsteigerung großer Pharmakonzerne und zurück zur eigentlichen Zielgruppe, geht es bei Smart Medication. Kilian Frieling möchte Patienten mit einer sogenannten Multimorbidität, die täglich oft viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, mit einem 3D-Drucker zu mehr Individualität bei der Medikamentenvergabe verhelfen. Das unangenehme Schlucken vieler und unter Umständen großer Tabletten fällt weg; die Medikamente werden einfach über das Ablecken einer Trägerfolie aufgenommen.


Fokus auf die Zielgruppe

Wer wenn nicht die Designer sollten sich für die entsprechenden Nutzer und ihre Bedürfnisse einsetzen, beziehungsweise diese überhaupt erst identifizieren? Die vorgestellten Projekte zeigen anschaulich, dass ein Fokus auf die Zielgruppe mittels Methoden der Designforschung möglich wird und darüber hinaus innovative und relevante Lösungsansätze hervorbringt. Das müssen zunächst die verschiedenen Ausbildungsstätten erkennen, um ihre Studierenden mit den nötigen Kenntnissen auszustatten und ihnen die Vorteile näherzubringen.

Yi-Ting Chen berichtet beispielsweise, dass Designforschung während der gesamten Ausbildung an der Weißensee Kunsthochschule Berlin eine wichtige Rolle spielt und dass ihr praxisbasierte Forschung vor allem dabei geholfen hat, in Problemen verborgene Möglichkeiten zu erkennen und diese in relevante Designlösungen zu übersetzen. Bei der Recherche zu Hacko hat sie sich besonders mit dem Thema Open Design auseinandergesetzt. Das Studium unterschiedlicher Literatur zu diesem Thema hat ihr dabei geholfen, mögliche Probleme und Herausforderungen im Projektverlauf bereits vorherzusehen und proaktiv handeln zu können.

Für die Zukunft der Designforschung erwartet Yi-Ting Chen, dass genau wie das Design auch die Designforschung noch offener wird und sich Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – von Gestaltern über Forscher, Produktmanager und Ingenieure bis hin zu Analysten, Wissenschaftlern und Unternehmern – zusammentun werden, um unsere Welt (mittels Designforschung) zu gestalten. In ihren Augen kann die Designforschung von diesen neuen und ganz unterschiedlichen Perspektiven nur profitieren.

Perspektiven praxisorientierter Designforschung

Auch den Arbeiten von Benno Brucksch liegen fast immer forschende Fragestellungen und Aspekte praxisorientierter Designforschung zugrunde. Von Professoren und Mentoren an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle wurde er dabei stets unterstützt und gefördert. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit hat er durch Designforschung vor allem viel darüber gelernt, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert und welche Potenziale diese Mechanismen im Umkehrschluss auch für den Bereich der Technikentwicklung bereithalten können.

Zukünftig sieht er die Rolle der Designforschung besonders darin, relevante Themen überhaupt erst zu identifizieren – mittels forschender Methoden, aber auch über die Kooperation mit wissenschaftlicher Forschung selbst.

Für den Bereich des Medical Design kann Designforschung laut Kilian Frieling vor allem dabei helfen, relevante, nutzerzentrierte Produkte zu entwerfen. Eine tiefgreifende Recherche und Analyse der einzelnen Akteure und Umstände sowie der sozialen Zusammenhänge und Auswirkungen des resultierenden Produkts auf die Gesellschaft sollten dabei immer Einfluss auf die Gestaltung nehmen. Kilian Frieling sieht die Designforschung auch als Treiber für zukunftsorientierte Projekte und Produktentwicklung und den Design(forsch)er als relevante Schnittstelle, um Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen und weiterzudenken.

So ist es auch keine Überraschung, dass alle drei Gestalter ihre Projekte mit ihrem Studienabschluss nicht einfach beendet haben, sondern auch in Zukunft noch weiter in die jeweiligen Themen einsteigen und ihre Projekte weiterentwickeln wollen.


Public Voting: Wählen Sie Ihren Favoriten

Auf der Website der German Design Graduates haben Sie schon jetzt die Möglichkeit, alle sechs Projekte einzusehen und Ihre Stimme für ein Projekt abzugeben. Der Gewinner des Public Votings wird dann bei der Preisverleihung der German Design Graduates im Rahmen der Ausstellungseröffnung Anfang Oktober bekanntgegeben.


Weiterführende Informationen:

German Design Graduates

Institute for Design Research and Appliance

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