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Von Thomas Wagner.

In einer Neuauflage einer Untersuchung von 1959 hat das Institute of Design am Illinois Institute of Technology zusammen mit dem Wirtschaftsmagazin Fortune nach den „100 am besten gestalteten Produkten“ der letzten 100 Jahre gefragt.

Hier geht es um mehr als ein weiteres Ranking beliebter Produkte oder Fragen des individuellen Geschmacks. Auch wenn, was nun aktualisiert wurde, mit einigen Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Es ist 60 Jahre her, als Jay Doblin, damals Direktor des Institute of Design des Illinois Institute of Technology, beschloss, mittels einer Umfrage herauszufinden, welche Produkte die am besten gestalteten der modernen Welt seien. Zuvor hatte er bereits nach den weltweit führenden Designern, Architekten und Lehrenden gefragt – weshalb also sollte es nicht auch möglich sein, jene Produkte für den Massenmarkt der Moderne zusammenzustellen, bei denen Gestaltung eine zentrale Rolle spielte.

100 beste Designs: Eine Umfrage mit Hindernissen

Jeder aus der Szene, der teilzunehmen aufgefordert wurde, sollte seine zehn Favoriten nennen. Etwa 80 Stimmzettel kamen zurück. Einige namhafte Designer hatten es abgelehnt mitzumachen, weil sie glaubten, die Aufgabe sei unmöglich zu bewältigen. Andere votierten nur unter Protest und meinten, die Auswahl würde vor allem „individuelle Vorurteile“ widerspiegeln und die ausgewählten Objekte ließen sich ohnehin nicht vergleichen. Nachdem die Vorschläge abgeliefert waren, fand das Institut heraus, dass nur 62 Produkte oft genug erwähnt worden waren, um ihre Aufnahme in die finale Liste zu rechtfertigen. Woraufhin die vorläufige Liste an die Auswählenden zurückgeschickt wurde mit der Bitte, ein zweites Mal abzustimmen. Das Ergebnis wurde tabellarisch erfasst und die Produkte nach der Anzahl der Stimmen, die sie bekommen hatten, von Platz 1 bis Platz 100 aufgelistet.

Eine Schreibmaschine stand 1959 auf Platz 1

Wer die Liste von 1959 heute betrachtet, staunt nicht schlecht: Auf Platz 1 beim Mid-Century-Design rangierte die von Marcello Nizzoli gestaltete tragbare Schreibmaschine Lettera 22 von Olivetti. Auf Platz 2 folgte der Eames Plywood Chair von 1947, auf Platz 3 Mies van der Rohes Barcelona Chair von 1929. Dass diese erste Liste in einer Zeit entstand, in der die individuelle Mobilität boomte, zeigt nicht nur Raymond Loewys Studebaker Hard-top Coupé aus dem Jahr 1953, sondern auch, dass sich unter den ausgewählten 100 Produkten weitere 13 Automobile befinden – darunter der Porsche 1500 Super (Platz 40), die Citroen DS 19 (66) und das Model T von Ford (82). Die Liste enthält auch allerlei Küchengeräte und Küchenutensilien vom Besteck bis zur Teppichkehrmaschine. Ein Beleg dafür, dass das Produktdesign – vor allem in den USA – dabei war, sämtliche Bereiche des Lebens zu erobern, hauptsächlich innerhalb der wohlhabenden weißen Mittelschicht, der „White Affluent American Middle Class“. Etwas überraschend findet sich auf Platz 85 mit der Luger Standard Army 9mm aus dem Jahr 1908 aber auch eine Pistole.

Eine neue Liste nach 60 Jahren

Nun hat das Institute of Design am Illinois Institute of Technology zusammen mit dem Wirtschaftsmagazin Fortune eine Neuauflage der Liste der „100 am besten gestalteten Produkte“ der letzten 100 Jahre erstellt. Als Jay Doblin seine Studie durchführte, war Design noch eine relativ junge Disziplin, beherrscht von weißen Männern und den Werten einer konsumorientierten westlichen Wirtschaft auf Expansionskurs. Design stand dabei zumeist am Ende des Entwicklungsprozesses, blieb reduziert auf Styling; heute steht es am Beginn und identifiziert und begründet, was überhaupt produziert werden soll.

Entsprechend sollte die Perspektive bei der aktuellen Studie erweitert, die Diversität unterschiedlicher Branchen als Charakteristikum der heutigen Design-Industrie berücksichtigt werden. Design ist heute viel weniger eine Frage des Aussehens und des bloßen Stylings eines Produkts. Es geht längst nicht mehr nur darum, etwas schön zu gestalten, der Nutzen ist deutlicher in den Vordergrund gerückt. Entworfen werden nicht nur singuläre Lösungen, sondern komplette Ökosysteme, wobei es einzuschätzen und zu antizipieren gilt, wie Kunden mit Produkten und Marken interagieren.

Gefragt wurden Praktiker, Lehrende und Influencer

Die Teilnehmenden – ein Drittel Frauen, zwei Drittel Männer, 86% Individuen, 14%Teams – wurden aus den folgenden Gruppen ausgewählt: 54% Praktiker, 23% aus dem Bereich Lehre und Wissenschaft, und 23% Influencer. Wie schon 1959 sollte auch diesmal jeder zehn Vorschläge machen und die Kriterien angeben, nach denen er ausgewählt hat. Am Ende wurden dann aus den rund 300 Einsendungen die angelegten Kriterien für gutes Design bestimmt: Es sollte die Bedürfnisse der Nutzer ebenso wie soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen, gut funktionieren, Freude machen, wirkungsvoll sein und Bekanntes verändern.

In einem Video kommen Beteiligte zu Wort:

Apple rangiert ganz oben

Die Macher der Liste sind sich darüber bewusst, dass die Perspektive auf Design und die Auswahl von Firmen, Dienstleitungen und Produkten nach wie vor auf die USA und Europa zentriert sind und die USA den Blick dominieren, auch wenn heute wesentlich mehr Länder und Branchen vertreten sind als vor 60 Jahren. In der aktuellen Rangfolge ist Apple als einflussreichstes, von Design geleitetes Unternehmen denn auch an die Stelle getreten, die 1959 Raymond Loewy and Associates innehatten. Und so überrascht es auch nicht, dass das iPhone, das Steve Jobs 2007 mit den Worten angekündigt hat, „es ist ein iPod, ein Telefon und ein Kommunikationsgerät für das Internet“, die aktuelle Liste anführt. Die Gründe liegen auf der Hand: Das iPhone hat wie kein zweites Gerät die menschliche Kommunikation, ja fast jeden Aspekt des täglichen Lebens radikal verändert. Gleich dahinter rangiert der erste Macintosh aus dem Jahr 1984, bei dessen Handhabung Apple bewusst den Nutzer in den Vordergrund rückte. An dritter Position folgt Google mit seiner 1997 gegründeten Suchmaschine, was unmissverständlich deutlich macht, dass sich der Fokus von analogen Produkten wie Autos hin zu digitalen wie Software, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken verschoben hat.

Überraschend folgt auf Platz 4 mit dem Eames Plastic Chair ein Möbel – wohl eine Folge der ungebrochenen Wertschätzung für das Mid-Century-Design und den innovativen Umgang von Charles und Ray Eames mit neuen Materialien. Auf Platz 5 kommt der Sony Walkman, der 1979 erstmals das Musikhören unterwegs und per Kopfhörer ermöglichte. Die Dominanz des Apple-Designs zeigt sich daran, wie viele weitere Apple-Produkte auf der Fortune-Liste stehen: der iPod belegt Platz 10, das MacBook Pro rangiert auf Platz 14, der App Store auf Platz 22, iOS auf Platz 29, die Apple Watch auf Platz 46 und Apple Pay auf Platz 64. Den Platz davor nimmt ein Produkt ein, das großen Einfluss auf das Apple-Design ausgeübt hat: der von Dieter Rams und Dietrich Lubs gestaltete Taschenrechner der Firma Braun.

Es wird unmissverständlich deutlich, dass sich der Fokus von analogen Produkten wie Autos hin zu digitalen wie Software, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken verschoben hat.

Begehrte Dienstleistungen und Services

Um die ersten zehn Positionen voll zu machen: Auf Platz 6 kommt der Sparschäler von OXO, auf 7 die App von Uber, auf 8 rangiert Netflix, auf 9 die Lego-Bausteine und, wie bereits erwähnt, auf 10 der Apple iPod. Wie schwer es bei derartigen Rankings fällt, zwischen abstrakten Kriterien und konkreten politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen zu differenzieren, zeigen die Services von Uber oder Airbnb. Dass bei all der Dominanz digitaler Angebote ein Bleistift von Eberhard Faber von 1934 den Platz 100 behauptet, mag dabei für manchen tröstlich erscheinen.

Aktuelle Trends sind das eine. Kontinuität spielt aber auch eine Rolle. So kommen die allgegenwärtigen Billy Regale von Ikea auf Platz 41, Bialettis Espresso-Maschine auf 47, und der VW-Käfer, als erstes Auto mit Verbrennungsmotor – das Model S von Tesla steht auf Platz 18 – immerhin noch auf Platz 49. Und auch wenn es spekulativ klingt: Dass der VW Bully Platz 85 hält, dürfte nicht zuletzt an dessen Beliebtheit in Kalifornien liegen.

Die Top 10

  1. Apple iPhone
  2. Apple Macintosh
  3. Google
  4. Eames Plastic Chair
  5. Sony Walkman
  6. OXO Sparschäler
  7. Uber App
  8. Netflix
  9. Lego-Bausteine
  10. Apple iPod

Design als treibender Faktor

Obwohl diverse Kriterien aufgelistet und reflektiert werden, lässt sich am Ende nur schwer einschätzen, welche Gründe im Einzelnen mit dazu beigetragen haben, gerade diese Designs auszuwählen. Haben im Zweifel ästhetische Vorlieben oder nostalgische Gefühle den Ausschlag gegeben? Liegen bestimmte Dinge oder Services einfach im Trend? Sind sie so innovativ, erfolgreich und massentauglich, dass kein Weg an ihnen vorbeiführt? Ein wenig erstaunt es schon, dass soziale, ökologische und ethische Aspekte und Folgen nicht deutlicher gewichtet werden. Die wichtigste Erkenntnis der Liste und der dahinterstehenden Untersuchung aber lautet: Während Design vor 60 Jahren noch eine wünschenswerte Zugabe war, die den Prozess der Wertschöpfung ergänzte, ist es heute ohne Zweifel der treibende Faktor. Gutes Design sorgt für gute Geschäfte und stärkt die Marke.

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