Revoltech entwickelt nachhaltige Alternativen zu Leder und Kunstleder aus Hanf und Algen. Für seine biobasierte Materialinnovation LOVR wurde das Darmstädter Start-up mit dem German Design Award 2025 ausgezeichnet. Ab 2028 soll die innovative Lederalternative serienmäßig in PKWs von Volkswagen eingesetzt werden.
von Martina Metzner

Inmitten der jungen und lebendigen Darmstädter Science Community hat sich das junge Start-up Revoltech angesiedelt, das seit drei Jahren mit Lederalternativen aus Hanf und neuerdings auch aus Algen von sich reden macht. Revoltech nutzt die Labore der Verfahrenstechnik der Technischen Universität (TU) Darmstadt, die sich in einem altehrwürdigen Gebäudetrakt mitten im Zentrum befinden. „Ein besonderes Glück“, wie Lucas Fuhrmann erzählt, als er durch das Labyrinth der vielen Räume mit gefliesten Tischen, Materiallagern und Experimentaufbauten führt. Fuhrmann, 1991 geboren, ist neben Julian Mushövel und Montgomery Wagner einer der drei Gründer des Start-ups, das die Welt ein wenig besser machen will. Die drei kennen sich aus Schulzeiten aus dem hessischen Friedberg und fanden während des Studiums wieder zueinander. Studiert haben sie nicht etwa Design oder ein anderes Gestaltungsfach, sondern Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie Maschinenbau.


Umweltfreundlicher als Leder
Heute forscht bei Revoltech ein Team aus 15 Wissenschaftler*innen an der Zukunft von LOVR (Hanf) und MATTR (Algen),wie sie ihre Materialentwicklungen nennen. LOVR steht für lederfrei, ölfrei, vegan und reststoffbasiert. MATTR wiederum ist ein Wortspiel mit dem englischen Wort „matter“ (because it matters). Revoltech will mit diesen rein biobasierten flexiblen Flächenmaterialien eine Alternative zu herkömmlichem Leder oder Kunstleder bieten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Leder muss durch einen chemischen Prozess, um es anwendbar zu machen. Mit ihm ist auch viel Tierleid verbunden. Kunstleder wiederum basiert auf Erdöl und landet schlussendlich oft in der Natur – zum Beispiel in Meeren, wo ganze Plastikinseln schwimmen. Im Vergleich zu herkömmlichem Leder verursacht LOVR nur 0,3 Prozent an CO2-Emissionen und ist besonders ressourcenschonend, da natürlich nachwachsend. Das hanfbasierte Material ist komplett kompostierbar und lässt sich auch färben, wobei mineralische Farben eingesetzt werden. Die Haptik der neuesten Generation des Materials ist weich, hat eine veloursartige Oberfläche, fühlt sich trocken und natürlich an. Es riecht kaum, hat etwas Struktur. Die ersten Versionen des Materials wiederum glichen eher festem Papier.
Supermaterial Hanf
Weshalb nicht Material aus Abfällen der Agrarindustrie generieren, dachte sich Lucas Fuhrmann, der durch ein Praktikum bei einem Textilhersteller in Mexiko hinter die Kulissen einer sogenannten Green-Fashion-Produktion blicken konnte. Nur so viel: Er war enttäuscht. Und probierte schließlich selbst im stillen Kämmerlein aus, wie echte Alternativen aussehen könnten. Zunächst mit Bananenfasern. Doch dann dachte er sich: Um wirklich CO2-emissionsarm und ressourcenschonend zu agieren, müssen es Rohstoffe aus der hiesigen Region sein. So kam er schließlich auf Hanf – ein Material voller Superkräfte: Es ist besonders einfach anzupflanzen, wächst schnell, ist ziemlich resistent gegenüber Schädlingen, braucht wenig Wasser. Und Hanf glänzt damit, CO2 besonders gut zu binden und umzuwandeln. Deshalb wird das Supermaterial gerade in vielen Bereichen gefeatured. Vor allem die Bauindustrie hat Hanf für sich entdeckt – etwa für Dämmungen, Platten oder Ziegel für den Trockenbaubereich. Aber auch in der Mode, als Lebensmittel oder in der Medizin, wird Hanf immer stärker nachgefragt.
„Weshalb nicht Material aus Abfällen der Agrarindustrie generieren?“
– Lucas Fuhrmann




Bestehendes Verfahren
Bei Revoltech werden die Hanffasern bereits aufbereitet angeliefert, dann mit weiteren biobasierten Zutaten wie einem Harz und schließlich Wasser zu einem Brei vermischt. Dieser wird durch eine Industriemaschine gezogen, gepresst, geplättet und getrocknet. Eine kleine Versuchsmaschine steht in den Räumen der TU Darmstadt. Die eigentliche Produktion findet jedoch bei Lohnbetrieben in Deutschland statt. Den genauen Standort will Revoltech aus nicht preisgeben – ebenso wenig die genaue Zutatenliste von LOVR. Die Hanffasern beziehen sie aus Frankreich und Deutschland, wo sie als Agrarreste anfallen und sonst nicht verwendet würden. Es handelt sich hierbei um Industriehanf, der über einen sehr geringen psychoaktiven THC-Wert verfügt. Noch gibt es keine offizielle Materialklasse, unter die der neue Werkstoff fällt – daher wird das Einschicht-Flächenmaterial meist als Textil klassifiziert.
Big Scale
Das Team von Revoltech denkt groß: Die Gründer wollen rein in die großen Industrien. Dazu wird das Start-up aus drei Quellen gefördert: Von dem Venture-Capital-Unternehmen B.Value, der Stadt Darmstadt und dem Land Hessen. Und es sieht gut aus: Die Resonanz ist hoch, die Auftragsbücher sind voll. So wurde LOVR auch mit dem German Design Award 2025 in der Kategorie „Excellent Product Design – Material and Surfaces“ ausgezeichnet. Im Moment bestehen Kooperationen mit der Modeindustrie, speziell im Bereich Schuhe, und auch mit der Automobilindustrie. Diese zeigt sich besonders interessiert, erzählt Fuhrmann, weil sie durch Regulierungen zur Reduktion von CO2-Emissionen etwa mehr mit nachhaltigen Materialien arbeiten müssen. So arbeitet Revoltech mit Kia oder Volkswagen zusammen, aber auch mit Kreis Ledermanufaktur, Hubl & Hubl, ID Genève, Gerald Jakoby, Les Mains Bleues oder Annika Sewing. Während sich die meisten Projekte noch im Experimentalstadium befinden, kommen Uhren mit Armband aus dem Material LOVR von ID Genève bald auf den Markt.


Kooperation mit Volkswagen
Mit Volkswagen verfolgt Revoltech ein besonders ambitioniertes Kooperationsprojekt: 2028 soll das Oberflächenmaterial aus Hanf in VW Autos in Serie gehen. Der Wolfsburger Automobilkonzern entwickelt derzeit mit Hochdruck nachhaltige Materialien, um Autos künftig im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu gestalten. Schon heute sind Bauteile ihrer PKWs aus recycelten Materialien: Sitzbezüge, Dachhimmel und Teppiche bestehen zum Teil bis zu 100 Prozent aus recyceltem PET. Derzeit wird noch an der Anwendung von LOVR in PKWs aus Wolfsburg getestet und geforscht, verrät das dort ansässige Entwicklungsteam. Die Expert*innen aus den Bereichen Werkstofftechnik, Design, Bauteilentwicklung und Innovation sind von LOVR begeistert. Volkswagen-Designerin Heike Hustedt hatte das Material auf Linkedin entdeckt. Ihre Kollegin Rut Sawodny fügt hinzu: „Wir lernen viel in der Zusammenarbeit mit Revoltech.“




Intensive Zusammenarbeit
LOVR soll perspektivisch für Verkleidungen des Innenraumes oder zum Beispiel bei Dekorflächen zum Einsatz kommen – allerdings noch nicht für Sitze, weil diese besonders hohen Materialansprüchen gerecht werden müssen. Doch auch im sichtbaren Innenraum sind die Anforderungen an Materialeigenschaften hoch: LOVR muss etwa wasserabweisend, abriebfest, strapazierfähig, langlebig, pflegeleicht und UV-resistent sein. Genau hier ist viel Entwicklungsarbeit gefragt, damit ein 100 Prozent naturbasiertes Material wie Industriehanf den Anforderungen der Automobilindustrie gerecht wird. „Erste Präsentationen der Hanflederalternative vor Kund*innen, etwa auf der IAA 2023, waren sehr vielversprechend”, verrät Dr. Thomas Taddigs, Leiter Werkstofftechnik Interieur bei VW. Je nach Anwendung und Kundschaft verändert Revoltech die Mixtur und entwickelt das Material anwendungsspezifisch mit seinen Business-Partnern. Ein standardisiertes LOVR-Material gibt es derzeit noch nicht, soll es aber in Zukunft geben.

Über die Autorin
Martina Metzner arbeitet als Journalistin für Design und Architektur mit Fokus auf sozial-ökologische Transformation. Denn gute Gestaltung und Nachhaltigkeit sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Nach ihrem Studium der Publizistik, italienischen Philologie und Psychologie war sie elf Jahre lang in Redaktionen tätig, zunächst bei der TextilWirtschaft, danach bei Stylepark. Seit 2018 arbeitet sie frei für führende Fach- und Publikumsmagazine und betreut die Redaktion des Deutschen Design Clubs.
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