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Ein Film über Emoticons und ihre allgegenwärtigen Nachfahren, Emojis, geht der Frage nach, wohin die Revolution der kleinen Emotionszeichen führt und wie Bilder unsere Kultur verändern.

Von Thomas Wagner

Emoticons
Das Design der Emojis sieht bei Google anders aus als wie hier bei Apple, © Apple

Große Gefühle, verpackt in einfache Bildzeichen: Kreisrunde Smiley-Gesichter, die zwinkern, grinsen, Tränen lachen, die grimmig dreinschauen oder die Zunge herausstrecken. Herzchen in den verschiedensten Farben, rote Lippen, allerlei Handzeichen, Obst, Speisen, Tiere – und schier endlos vieles mehr. Emojis haben, seit sie in den 1990er-Jahren in Japan entstanden sind, die elektronische Kommunikation erobert. Kein Chat, keine SMS oder Mail ohne ein Zeichen für eine Gemütsbewegung, ohne einen Smiley-Gruß oder eine nette Trostgeste.

Für Erik Spiekermann, hierzulande so etwas wie der Typographie-Papst, ist die Sache klar: „Ich glaube, dass Emojis die Kommunikation weder einfacher noch komplexer machen, sondern einfach nur dümmer.“ Oder, ist – wie Gala Rebane, Expertin für digitale Kultur – behauptet, der kompetente Umgang mit Emojis im Gegenteil „hohe Kunst“? Sind Emojis ein Rückfall in die Steinzeit oder die Zeit ägyptischer Hieroglyphen? Welche Missverständnisse entstehen bei der Verwendung der bunten Bildzeichen? Wer entwirft sie, wer legt ihre Bedeutung fest? Wen schließen Emojis ein, wen aus? Sind sie neokolonialistisch und propagieren eine westliche Perspektive?

Von Emoticons bis zu Kimojis

Lilly Schlagnitweit klärt in ihrem ebenso informativen wie nachdenklichen Film über die verschiedensten Aspekte der kleinen Bildzeichen auf – seien es die Vorläufer der Emojis, die Emoticons, die als kreatives Spiel mit Satzzeichen entstanden sind, seien es alternative Entwürfe, Insiderwitze (wie ein Stuhl-Emoji auf TikTok statt des Lach-Emojis) oder Promi-Emojis. Mehr als 3500 Emojis soll es geben. Weltweit, heißt es, würden 92 % aller Internetnutzenden die Emotionszeichen verwenden, wobei viele immer wieder zu ihren Lieblings-Emojis greifen.

In Zeiten hysterischer Aufmerksamkeitsökonomie und ubiquitärem Labeling wundert es wenig, dass „Stars“ wie Kim Kardashian hier gern mitspielen und ihre eigenen „Kimojis“ anbieten. In diesem Fall, wie könnte es anders sein, beziehen neben Herzchen und Donuts auf sie selbst und ihren sexualisierten Körper. (Bei ihrer Einführung Ende 2015 wurde die App 9.000mal pro Sekunde heruntergeladen und verdiente 1 Million Dollar pro Minute. Die Marke Kimoji führte zu einer Merchandise-Kampagne, und andere Promis wie Justin Bieber folgten dem Beispiel; sogar Hillary Clintons brachte „Hillarymojis“ heraus.)

Emojis Hillary Clinton Kim Kardashian
Passen in die Zeiten hysterischer Aufmerksamkeitsökonomie und ubiquitärem Labeling: Hillary Clintons „Hillarymojis“ und Kim Kardashians „Kimojis“, © Hillarymoji, Kimoji

Die Entstehung der Emoticons


Am 19. September 1982 schlug der Wissenschaftler und spätere Informatikprofessor Scott E. Fahlman nach Missverständnissen und Witzen in einem Bulletin Board der Carnegie Mellon University vor, aus ASCII-Zeichen das Signet eines seitwärts nachgebildeten Lachens zu benutzen. Sein Vorschlag verbreitete sich über das Arpanet bis zum Xerox-Forschungszentrum PARC (Kalifornien). Der lange als verschollen geltende Post wurde 2002 wiedergefunden:

19-Sep-82 11:44  Scott E Fahlman       :-)
From: Scott E Fahlman <Fahlman at Cmu-20c>
Ich schlage die folgende Zeichenfolge vor, um Scherze zu kennzeichnen:
:-)
Lest es seitwärts. Eigentlich ist es bei der gegenwärtigen Entwicklung
vermutlich rationeller, Sachen zu markieren, die KEINE Scherze sind.
Benutzt dafür
:-(

Emojis haben ihren Ursprung in der japanischen Kultur, in Manga-Symbolen und Piktogrammen (Emoji bedeutet im Japanischen einfach Bild-Schrift-Zeichen). 1998/99 hat Shigetaka Kurita die ersten 176 Ur-Emojis entwickelt (sie hängen heute im MoMA). Welche Emojis offiziell verwendet werden dürfen, welche neuen akzeptiert, welche abgelehnt werden, legt das Unicode Konsortium fest, seit 2010 so etwas wie das Zentralkomitee der Emoji-Welt. Beteiligt an Unicode sind die großen Tech-Konzerne wie Google, Microsoft oder Apple, der Abstimmungsprozess ist undurchsichtig. Obgleich offiziell verboten, werden Emojis auch zu Werbezwecken verwendet: Wieso, wird im Film gefragt, sieht das Pommes-Emoji aus wie von McDonalds?

Das Design, so erfährt man, legen dann die jeweiligen Anbieter fest, weshalb Emojis bei Google anders aussehen als bei Apple. Jennifer Daniel, Vorsitzende des Unicode-Emoji-Komitees sagt, es sei nicht möglich, allen Wünschen nachzukommen. Nicht nur, weil das den Platz auf den Geräten sprengen würde, sondern auch, weil Emojis möglichst vielseitig einsetzbar sein sollen. Statt unendlich viele neue Emojis in den Unicode Standard aufzunehmen, wünscht sich Daniel, dass User verschiedene Emojis kombinieren und selbst kreativ werden.

Stellvertreter nonverbaler Kommunikation

Emojis

Digitale Stellvertreter der nonverbalen Kommunikation oder plakative Übertreibungen? © HiClipart

Wie aber wirken Emojis? Wie werden sie im Text wahrgenommen? Emojis, so die wenig überraschende These, seien die digitalen Stellvertreter der nonverbalen Kommunikation, da sie Aussagen wie Gestik und Mimik verdeutlichten. Setzen Emojis (wie das Gesicht mit dicken Lachtränen) dabei aber nicht auf plakative Übertreibungen? Handelt es sich um eine artifizielle Körpersprache, die allzu sehr von im direkten zwischenmenschlichen Kontakt eingeübten Mustern abstrahiert? Sind die so kommunizierten Gefühlsregungen unecht und leicht für bestimmte Zwecke zu missbrauchen? Wenn es darum geht, in direkter Kommunikation zu lernen, was ein Gesichtsausdruck zu bedeuten hat, sind Emojis, wie es im Film heißt, nicht die Wurzel allen digitalen Übels, aber Teil des Problems. Im Film tauchen die Emotionsplatzhalter in vielen Szenen auf, was zeigt, wie assoziativ, wie subjektiv und wie zufällig, ja wie beliebig die Gefühlskommentare auch wirken können.

Barrierefrei und kulturell neutral?

Der Film geht auch auf das Problem der Barrierefreiheit ein. Emojis verwirrten vor allem dann, wenn Leute sie ganz anders benutzen, so eine Jugendliche, „die sonst halt keine Ahnung von solchen Emojis haben“, wie ihre Großeltern. Trotzdem schneiden Emojis in Sachen Barrierefreiheit besser ab als etwa GIFs. Seit 2019 sind blinde und andere Menschen mit Einschränkungen auf der Emoji-Tastatur vertreten. Auch wurde die Palette, um das Angebot diverser zu machen, in den letzten Jahren um verschiedene Hautfarben und Beziehungskonstellationen erweitert, bis hin zu einem schwangeren Mann.

Eine Schieflage in der kulturellen Repräsentation

Was kulturelle Repräsentation angeht, sieht der ivorische Grafikdesigner O’Plérou Grebet eine Schieflage: Die meisten Emojis, meint er, zeigten „den Westen“. Dann gäbe es noch ein paar zu Japan, weil die Emojis von dort stammten: „Aber der ganze Rest bildet westliche Kultur ab“. Grebet versucht, die Gewichte etwas zu verschieben. Ein Jahr lang hat er jeden Tag ein Emoji auf Instagram gepostet, um auf afrikanische Kulturen aufmerksam zu machen. Zwei haben es in den Unicode-Standard geschafft: Eines für „Flüssigkeit schütten“ und das Glücks- und Schutzsymbol „Hamsa“. (Die anderen können in einer App heruntergeladen werden). Auch die Künstlerin und Historikerin Lilian Stolk hat eigene Emojis entworfen, vor allem solche, die von Unicode immer wieder abgelehnt wurden, weil sie politisch sind wie ein Klimawandel-Emoji.

Emojis O’Plérou Grebet
Der ivorische Grafikdesigner O’Plérou Grebet hat ein Jahr lang jeden Tag ein Emoji auf Instagram gepostet, um auf afrikanische Kulturen aufmerksam zu machen. U.a. das Glücks- und Schutzsymbol „Hamsa“ (Bild Mitte) hat es Unicode-Standard geschafft, © O’Plérou Grebet

Schöne neue Welt? Neusprech im emotionalisierten Kleinstbildformat? Emojis umzuinterpretieren bietet durchaus subversive Möglichkeiten. Gleichwohl: Über Menstruation, Sex oder Politik lässt sich in verbaler Sprache sehr viel differenzierter schreiben. Ein Emoji, sei es auch subversiv gemeint, markiert bestenfalls ein Problem, diskutiert und befragt es aber nur sehr eingeschränkt. Auch wenn in China die Kombi zweier Emojis (Reis + Hase), gesprochen wie Mee Too klingt.


Auch eine Art der Kommunikation: Seit einigen Tagen werden auf Twitter alle Anfragen an press@twitter.com mit einem ganz bestimmten Emoji beantwortet.

Ist es kreativ, ein Emoji auszuwählen?

Wieviel Raum für Kreativität, so wird zum Schluss gefragt, bleibt, wenn Emojis zwar benutzt und umgedeutet werden können, aber eben zuvor festgelegt sind? Dass ein Künstler Emojis zu detaillierten Porträts zusammensetzt, ist nicht mehr als ein Gag. Ebenso wie eine Emoji-Bibel, die mit Stickern Gefühle für Psalmen und das Neue Testament wecken will. Und dann fällt er wieder, der Satz: „Ein kompetenter Umgang mit Emojis ist auch hohe Kunst“. Es sei nicht selbstverständlich, „dass jeder Mensch, der einfach was auf der Tastatur eintippen kann, oder Emojis wählen, auch gekonnt damit umgeht.“ Erik Spiekermann kontert: Was sei kreativ daran, etwas anzuklicken? Das mache vielleicht Arbeit, sei aber keine geistige Leistung: „Das kann jeder Affe, auf den Bildschirm tippen.“

Die kommerzielle Transformation der Kultur geht längst weiter: Wie wird Kommunikation im Metaverse aussehen? Werden die Emojis von morgen in Virtual-Reality-Brillen aufpoppen und unsere Stimmung widerspiegeln? Wird es dann mehr Vielfalt oder noch mehr Manipulation geben? Und wie steht es dann um die Schriftkultur? Konsequent schließt der Film mit der Frage: „Mit welchem Emoji würden sie darauf antworten?“


Die Emojikalypse 🙂

Ein Film von Lilly Schlagnitweit

verfügbar in der 3Sat-Mediathek

bis 17.09.2027


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