Es liegt in der Natur von Kreisläufen, dass bestimmte Erneuerungsprozesse quasi endlos wiederholt werden. In Bezug auf die Kreislaufführung von Kunststoffen hat das Dresdner Start-up HolyPoly das Prinzip vom Abfall zum Wertstoff entscheidend vorangebracht.
Von Markus Hieke
Mit den Umweltfolgen von Kunststoffanwendungen verhält es ähnlich wie mit anderen wissenschaftlich prognostizierten Katastrophen: Das Bewusstsein über ihr Herannahen existiert seit Jahrzehnten und doch verliert sich das entschlossene Gegensteuern in Widersprüchen und halbherzigem Handeln. Derweil steigt der Verbrauch von Kunststoffprodukten und -verpackungen für Alltagsartikel und Lebensmittel Jahr für Jahr weiter an – und damit auch die Menge an Kunststoffabfällen auf zuletzt bundesweit fast 5,7 Millionen Tonnen in 2021. Absurd ist, dass für die eigentlich leicht wiederverwertbare Bandbreite an Polymeren immer wieder neue Erdölressourcen verbraucht werden. Trotz steigender Recyclingquoten: Die Industrie und mit ihr die Produkt- und Verpackungsdesigner*innen stehen vor einer Herausforderung, die ein grundlegendes Umdenken verlangt. Nämlich Konsumgüter, Haushalts- und Handwerksgeräte ebenso wie Möbel und andere Einrichtungsgegenstände stärker vom Ende her zu denken. Ein Ende, das nicht wie heute noch zu fast zwei Dritteln aus energetischer Verwertung – sprich: Verbrennung – besteht.
Wie sich ein Imagewandel für Rezyklate gestalten lässt
Für das Dresdner Start-up HolyPoly bedeutet das keineswegs den kompletten Verzicht auf PP, PE, PET und Co. Ihr Ziel ist es, Kunststoffrezyklate, wie sie mittlerweile in vielen Ländern über Abfallkreislaufsysteme zurückgewonnen werden, vom Image des zweitklassigen und obendrein teureren Rohstoffs zu befreien. Denn auch das ist ein Problem: Klammert man Umweltfolgekosten aus und legt die Kosten für das Recycling auf die Konsument*innen um, sind virgin plastics, wie die frisch hergestellten, absolut reinen und damit physikalisch besser kalkulierbaren Kunststoffe genannt werden, für die Produzent*innen noch immer die billigere Wahl als ihr wiederaufbereitetes Pendant. Daran wird auch HolyPoly kurzfristig nichts ändern können. Das Spannende an ihrer Arbeit ist aber, dass das Team an mehreren Punkten gleichzeitig ansetzt: als Berater*innen für Marken, die sich nicht nur mal eben einen grünen Anstrich verleihen wollen, als Kreislaufexpert*innen, als Materialforscher*innen und als Initiator*innen von Kampagnen, die möglichst nah an die Konsument*innen herantreten, um zu sensibilisieren und aufzuklären.
Wie diese Unterstützung aussehen kann, zeigt ein Projekt, das 2022 in Kooperation mit NUK, der Marke für Babytrinkflaschen, Becher und Schnuller, realisiert wurde. Hintergrund war die Herausforderung für das Unternehmen, ein zwar qualitativ hochwertiges Produktangebot mit einer eher kurzen Nutzungsdauer in Einklang zu bringen. Da die regulatorischen Anforderungen für derartige, zur Nahrungsaufnahme bestimmte Produkte sehr hoch sind, kam ein Eins-zu-Eins-Kreislauf für sie nicht in Betracht. Stattdessen wurde eine End-of-Life-Strategie erarbeitet: Innerhalb von nur zweieinhalb Monaten entwickelte das HolyPoly-Team eine Rücknahmeaktion inklusive Zielsetzung, Kosten- und Umsetzungsplanung. Einschließlich der passenden Erzählstruktur und der Erfindung des Maskottchens „Schnullermonster“ wurde die Idee für ein attraktives Recyclingprodukt geboren. Als Belohnung für die Teilnahme wurden bunte Sets mit Dinosaurier-Sandförmchen in Aussicht gestellt, die unter allen teilnehmenden Kindern verlost werden sollten.
Über einen Zeitraum von zunächst zehn Monaten kamen über Sammelboxen, die bundesweit in Kitas oder Drogeriemärkten aufgestellt wurden, knapp drei Tonnen ausgediente Babyflaschen, Schnuller und Becher aus Kunststoff zusammen. Alternativ konnten über NUK kostenlose Paketscheine bestellt werden. Die Markenherkunft der gebrauchten Produkte sollte dabei keine Rolle spielen. HolyPoly übernahm dann die Vorsortierung nach Farben und Polymertypen, stellte Rezyklate in vier aufeinander abgestimmten und bewusst nicht nachgetönten Farben her und produzierte nach Prüfung der chemischen und mechanischen Spielzeugsicherheit die besagten Sandförmchen. Der große Erfolg der Kampagne überraschte NUK selbst. Die Botschaft des Schnullermonsters vom Kreislaufprinzip kam bei Eltern und Kindern an. Inzwischen wurde die Aktion wiederholt und auf den österreichischen Markt ausgeweitet.
Die Betonung liegt auf hochwertig
Warum lohnt sich dieser Aufwand für einen letztlich doch so verschwindend geringen Anteil am gesamten Plastikmüllaufkommen? „Wie wichtig industrielle Recycling-Lösungen sind, haben viele Unternehmen verstanden. Sie sehen, dass eine weltweite Kunststoffrecyclingquote von nur zehn Prozent viel zu wenig ist“, heißt es von Seiten des Start-ups. Matthias Röder, Mitgründer und Head of Marketing bei HolyPoly erklärt: „Unser Ziel ist es, durch die Projekte mit unseren Kunden bis 2030 eine Million Tonnen hochwertiges Rezyklat in neue Kunststoffanwendungen zu überführen.“ Diese Zielmarke klingt ambitioniert, entspräche sie doch gut einem Sechstel der Menge an Kunststoffabfällen, die in Deutschland jährlich anfallen.
Die Betonung liegt zudem auf hochwertig. „Damit meinen wir im Prinzip, dass wir uns weniger den Abfall anschauen und uns dann fragen was man daraus noch machen kann. Sondern wir blicken auf das individuelle Produkt und versuchen, genau dafür den jeweiligen Kreislauf zu entwickeln“, sagt Matthias Röder. Auf diese Weise soll es dem Start-up und schließlich auch seinen Kund*innen gelingen, sauber klassifizierbare Materialien im Stoffstrom zu behalten. Bei HolyPoly arbeitet derzeit ein mehr als 30-köpfiges Team aus den Bereichen Kunststofftechnik, Recycling, Chemie, IT, Design, Kommunikation, Recht, Logistik, Beratung und Nachhaltigkeit an den angestrebten Recyclingprozessen. Finanziellen Rückenwind erhielten sie unlängst aus einer Crowdinvesting-Kampagne, die ihnen im Januar 2024 ein Entwicklungskapital in Höhe von 990.850 Euro einbrachte. Ein Teil der Investitionssumme soll in die Vergrößerung des Teams fließen, denn schon jetzt erreichen das Start-up mehr Projektanfragen als es bedienen kann.
Detailarbeit im Labor
Neben NUK arbeitet das Team derzeit mit weiteren bekannten Marken zusammen. Im Auftrag von Bosch geht es etwa darum, die Machbarkeit der Herstellung von Elektrowerkzeugen unter Einsatz von Recycling-Kunststoffen zu analysieren und diese dann auch im großen Umfang zu begleiten. „Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist es, geeignete Recycling-Werkstoffe zu finden, durch die sich Neukunststoffe ersetzen lassen – gerade wenn wir, wie bei Bosch erfordert, von hohen Sicherheitsstandards bei den Endprodukten sprechen“, berichtet Stephanie Missner, erfahrene Kunststoffingenieurin und Expertin für Materialentwicklung und Sourcing bei HolyPoly. „Wir schauen dabei, ob es bereits einen Stoffstrom gibt, der für die gewünschte Anwendung passend wäre. Anschließend untersuchen wir mechanisch-technologische Eigenschaften, Aspekte wie die Festigkeit oder die Medienbeständigkeit, also beispielsweise den Einfluss von Reinigungsmitteln oder Handschweiß auf ein Material. In enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Laboren prüfen wir zudem nach zahlreichen bestehenden DIN-Normen.“ Parallel dazu kommen bestimmte Designfragen ins Spiel. Zum Beispiel, ob abweichende Eigenschaften vom bisherigen Neumaterial durch Wandstärken ausgeglichen werden müssen. Und schließlich wird es auch darum gehen, ob das Gerät die bekannte Markenfarbe tragen darf – was einen enormen Sortieraufwand bedeuten würde – oder ob der nachhaltige Ansatz nicht gerade in der signifikanten Farbe zum Ausdruck kommen sollte, die den Anspruch der Kreislauffähigkeit transportiert.
Hoher Anspruch für das Fashion- und Consumer-Segment
Seine Relevanz bis in den Fashion- und Lifestyle-Bereich hinein hat HolyPoly bereits in Zusammenarbeit mit dem nachhaltigen Taschen- und Rucksack-Label Got Bag bewiesen: mit Schnallen, die zu hundert Prozent aus recyceltem Kunststoff bestehen, darunter auch Anteile des markeneigenen „Ocean Impact Plastics“. Natürlich gibt es auch außerhalb der Welt von HolyPoly längst Interior-Marken, die Möbel aus recyceltem Kunststoffen anbieten: Magis aus Italien etwa mit den „RE“-Serien aus Polylaminaten und Lebensmittelverpackungen. Oder aktuell Vitra mit einer neuen und ebenfalls um die Silbe „RE“ ergänzten Neuauflage der berühmten „Eames Plastic Chairs“ aus recyceltem Polypropylen, das aus Haushaltsverpackungsmüll gewonnen wird. Nun mag ein Möbelstück aber eine vergleichsweise dankbare Anwendung sein, wenn man es mit den hohen Standards im Spielzeugbereich oder bei technischen Geräten vergleicht.
Was das Dresdner Start-up bislang einzigartig macht, ist, dass es den Recyclingkunststoff wie technische Kunststoffe betrachtet, wie Stephanie Missner zusammenfasst. Neben der kommunikativen Arbeit werden Materialeigenschaften geprüft und wichtige Kennwerte festgehalten. Ziel ist es außerdem, immer konstantere Werkstoffqualitäten zur Verfügung zu stellen. Das wird langfristig den vorherrschenden Berührungsängsten entgegenwirken, sowohl auf Seiten der Marken und ihrer Designer*innen als auch aus Sicht der Konsument*innen.
Das Büro von HolyPoly in Dresden strahlt den selbst formulierten Anspruch auf Nachhaltigkeit aus: unbehandelte Möbel aus Multiplex nebst Monobloc-Stühlen („Bell Chair“) von Konstantin Grcic aus recyceltem Polypropylen.
Farblich sortierten Kunststoffabfälle – Rohstoff für die bunten Sandförmchen.
In Zusammenarbeit mit Got Bag entstanden Rucksackschnallen, die zu hundert Prozent aus recyceltem Kunststoff bestehen.
Aufmerksamkeitsstark: Sammelboxen für ausgediente Babyflaschen und Schnuller in Kindertagesstätten und Drogeriemärkten.
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