Er hat den ICE geformt, an der Gestaltung des Transrapid mitgearbeitet, bei der Deutschen Bahn eine neue Reisekultur erlebbar gemacht und in Japan am Design eines Shinkansen mitgewirkt: Am 17. Dezember 2021 wurde der Industriedesigner Alexander Neumeister achtzig.
Von Thomas Wagner.
„Design“, hat Alexander Neumeister einmal erklärt, „ist ein langer Prozess, ein stetiges Arbeiten. Vorhandenes sollte man nicht einfach anders machen, sondern erst verbessern.“ Die Bezeichnung „Industriedesigner“, unter die er fällt, enthält in der Tat das Versprechen, in enger Verbindung mit Produktionsprozessen ließen sich durch Gestaltung wichtige Bereiche des alltäglichen Lebens verbessern. Wer auf diesem Feld erfolgreich sein will, muss in Fragen der Technologie ständig auf der Höhe der Zeit bleiben. Als es gilt, den Übergang von mechanischen zu elektronischen Systemen zu gestalten, ist Neumeister zur Stelle und nimmt die Herausforderung an.
Um im Investitionsgüterdesign erfolgreich zu sein, reicht ein gutes Gespür für Technik allein aber nicht aus. Alexander Neumeister ist überdies neugierig, will herausfinden, welche Möglichkeiten sich für den Designer ergeben. Tauchen neue Technologien auf, müssen sie allererst verstanden und ihre praktische Anwendung im Sinne einer Nutzerin oder eines Nutzers gestaltet werden, die dem Neuen nicht selten mit Unverständnis oder gar mit Skepsis begegnen. Neumeister reagiert auf solche Herausforderungen mit einer enormen integrativen Kraft, die sich auch in seiner Formensprache niederschlägt, die kalte Technologie gleichsam erwärmt und bewohnbar macht. Eine solche Kraft entsteht, indem der Designer Technik nicht als Selbstzweck, sondern als Teil eines auf konkrete Bedürfnisse bezogenen Nutzungskonzepts begreift. Technik allein führt so wenig zum Ziel wie ein als Verschönern missverstandenes Design.
Neugierig auf alles Fremde
Wer Alexander Neumeisters integratives Vorgehen verstehen will, wird in seinem Werdegang rasch fündig. Schon als Fünfzehnjähriger geht er für ein Schuljahr in die USA, entwickelt eine Neugier für alles Fremde. Das Studium an der HfG Ulm, das er 1964 aufnimmt, sei, so Neumeister, eigentlich eine Notlösung gewesen. Fixiert auf die USA, wie er war, wollte er sich am Illinois Institute of Technology bewerben. „Erst später merkte ich, welche Chance mir das Schicksal damals mit Ulm gegeben hatte. Design interessierte mich, weil mich die Technik interessierte. Aber nicht die Konstruktion, sondern das Funktionieren, das Benutzen und natürlich die Form der Dinge.“ 1968 macht er seinen Abschluss, wird Berater bei MBB (Messerschmitt-Bölkow-Blohm), geht aber – man hält ihm die Stelle offen – mit einem Stipendium für ein Jahr nach Japan. Dort begeistert er sich für die traditionelle Architektur, für Handwerk und Lackkunst, bekommt ein Gespür für Formen und Materialien, für die Balance zwischen der Natur und der vom Menschen geformten Welt. Und er erkennt: Etwas langsam zu optimieren, wie es in Asien praktiziert wird, muss kein Hemmschuh für innovatives Denken sein.
Engagement für die Dritte Welt
1970 gründet Alexander Neumeister in München sein eigenes Büro. Wie sozial und politisch er Design versteht, zeigt sich, als er sich gemeinsam mit seiner Frau, der Soziologin Gudrun Neumeister, in der Dritten Welt engagiert. Überzeugt, Design könne die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung befördern, organisiert er auf den Philippinen und in Indonesien Workshops. Auch wenn dem Ansatz wenig Erfolg beschieden ist, seiner Offenheit für andere Kulturen tut das keinen Abbruch. Getragen von der Überzeugung, dass Entwicklungsarbeit nur durch eigenes unternehmerisches Engagement vor Ort geleistet werden kann, gründet Neumeister 1988 gemeinsam mit lokalen Partnern ein Büro in Rio de Janeiro.
ICE und Transrapid
Am 2. Juni 1991 saust der erste „Inter City Express“ mit einer Spitzengeschwindigkeit von 250 km/h von Hamburg über Frankfurt nach München. Nicht nur die Fahrzeit verkürzt sich; mit dem ICE beginnt – endlich – auch im deutschen Schienennetz ein neues Bahnzeitalter. In Japan war der legendäre Tokaido Shinkansen schon 1964, im Jahr der olympischen Spiele in Tokio, in Frankreich der TGV zwischen Paris und Lyon 1981 auf die Strecke gegangen. Der Anteil, den Neumeisters Design an der eben nicht nur technischen Erneuerung der Deutschen Bahn hat, ist kaum zu überschätzen. Am Anfang stand die Hochleistungs-Schnellbahn-Studie, die das Bundesministerium für Forschung und Technologie in Auftrag gegeben hatte, und aus der einerseits der ICE, andererseits die Magnetschwebebahn Transrapid hervorgegangen ist.
Alexander Neumeister ist an beiden Projekten von Beginn an beteiligt. Beim Transrapid war er mitten in das anlaufende Projekt hineingerutscht und begleitet danach alle Phasen der Entwicklung der Magnetschwebebahn, die in Gestalt des „Transrapid 05“ 1979 während der Internationalen Verkehrsausstellung in Hamburg 50.000 Personen beförderte. Ironischerweise ist es dann der ICE, der dem Transrapid Konkurrenz macht, als er 1985 auf die Schiene kommt, und die Einführung der teuren Technik auf eigenen Trassen in Deutschland scheitern lässt.
Eine neue Kultur des Reisens
Es wäre ein Missverständnis anzunehmen, der ICE hätte das Bahnfahren hierzulande allein durch die höheren Geschwindigkeiten verändert. Mit dem ersten Technologieträger hatte ein Prozess begonnen, in dessen Verlauf die Kultur des Bahnreisens entrümpelt, erneuert, modernisiert und neu definiert wurde. Ohne Design ging das nicht, einem Design, das sich von dem von Reiseflugzeugen emanzipierte – mittels angenehmer Raumatmosphären, heller und sauberer Entrees, angenehmer Servicezonen und Konferenzbereiche. Um das zu schaffen, hat Neumeister die Kultur des Reisens ebenso intensiv studiert wie Erwartungen und Gewohnheiten der Reisenden. Auch wenn nur ein Bruchteil seiner Vorschläge in den ICE 1 übernommen werden, der schlanke Zug wird als „Designerzug“ zum Botschafter einer neuen Zeit und zum Symbol einer gelingenden Bahnreform. Innovation, Technologie und Design bilden nun eine Einheit. Erst beim ICE 3 stammt bis auf Sitze und Cockpit alles von Neumeister, von den mit Buchenholz verkleideten Wänden über die gewölbten Gepäckablagen aus Sandgestrahltem Glas bis zu den roten Lederpolstern im Bordrestaurant.
Straßenbahnen, Regionalzüge und mehr
Es wäre freilich ignorant, wollte man Alexander Neumeister allein mit ICE und Transrapid identifizieren. Neben einer niederflurigen Straßenbahn, die wegen technischer Probleme zwar nicht realisiert wurde, von der viele Ideen aber ins Design der Münchner U-Bahn einflossen, gestalteten er und sein Team auch Regionalzüge und S-Bahnen, die bis heute die Vorstellung solcher Verkehrssysteme prägen. Betrachtet man die Bilder der vor gut 30 Jahren für einen Nachtzug entstandenen Interieurs, wundert man sich über den Mangel an Voraussicht. In der Wohnlichkeit, die Neumeisters Interieurs verströmen, wird anschaulich, wie Reisen durch die Nacht längst aussehen könnte, wäre man damals den Vorschlägen der Designenden gefolgt, statt vorhandene Nachtzüge in Deutschland erst herunterkommen zu lassen und sie dann ganz abzuschaffen.
Neumeister hat über Jahrzehnte ein wohl einzigartiges Wissen und Know-how in Sachen Eisenbahndesign erworben, in einer Disziplin, die technische, ästhetische, kulturelle, soziale, ökonomische und klimapolitische Aspekte vereint. Wer so kompetent ist, wird auch anderswo geschätzt. Und so wird ihm als erstem Ausländer die Gestaltung einer Generation des Shinkansen anvertraut. Als Berater von Hitachi hat Neumeister 1991 für eine Ausstellung über „eine angenehme Art, schneller zu reisen“ an der Entwicklung des HST-350 mitgewirkt. In der Folge entsteht der JR-W 500 „Nozomi“ Shinkansen, für den Neumeister zusammen mit den Teams von JR West und Hitachi 1998 mit dem „National Award for Invention“ ausgezeichnet wird. Der „Nozomi“ ist lange der schnellste kommerzielle Zug der Welt.
Seiner Verantwortung als Designer gerecht werden
Natürlich hat Neumeister nicht nur Züge entworfen. Der große Maßstab aber bleibt sein Terrain: Das Fahrgastschiff Ms 2000 ist auf dem Thuner- und dem Brienzersee unterwegs, die Bodenseefähre „Euregio“ verbindet seit 1996 Romanshorn und Friedrichshafen. Was immer er gestaltet, Technologie ist für Neumeister nie Selbstzweck, sondern muss erfahrbar, einfach begreif- und benutzbar und in den Alltag integrierbar sein. Einen Alltag, der kulturell geprägt ist und nicht durch Produkte eines verwaschenen internationalen Stils nivelliert werden kann. Umso mehr gilt heute, was Neumeister 1999 in einem Interview hinsichtlich eines verstärkten Umweltbewusstseins gesagt hat: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir West-Europäer in einer Art Vollverdrängung leben. Wir bemerken kaum, was in der restlichen Welt vor sich geht. Wenn es irgendwo kracht, schrecken wir kurz auf – um uns dann ganz schnell wieder am New Beetle oder anderem Design-Schnickschnack zu erfreuen. Wir müssen uns als Designer endlich unserer Verantwortung bewusstwerden und danach handeln.“ Heute feiert Alexander Neumeister 80. Geburtstag.
Mehr über Alexander Neumeister
Besuchen Sie die Website des Industriedesigners
Mehr auf ndion
Weitere Beiträge zum Thema Design.
Diese Seite auf Social Media teilen: