Jonas Bjerre-Poulsen ist ein dänischer Architekt, Gestalter, Fotograf – und Juror bei den diesjährigen ICONIC AWARDS. Im Gespräch mit ndion verrät der Mitgründer von Norm Architects , was ihn nachts wach hält und was es mit dem Begriff „Soft Minimalism“ auf sich hat.
Interview von Jasmin Jouhar
Jonas Bjerre-Poulsen ist einer der beiden Gründer des stilprägenden Kopenhagener Architektur- und Designstudios Norm Architects. Zu den Auftraggeber*innen des Büro gehören Möbelhersteller wie Audo Copenhagen, Karimuko Case, Reform oder Lema. Auf der Liste ihrer Architekturprojekte stehen, neben diversen Häusern, Wohnungen und Showrooms, auch die Restaurants Iris in Norwegen und Äng in Schweden, außerdem ein Hotel in Tokio. Wir sprachen mit Bjerre-Poulsen über seinen inneren Antrieb, seine Leidenschaft für Fotografie und einen Minimalismus, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Zusammen mit Ihrem Geschäftspartner Kasper Rønn führen Sie ein Architektur- und Designstudio, Sie entwerfen für Kunden aus der Möbelindustrie und planen Wohnarchitektur, Hotels, Restaurants und Geschäfte. Daneben arbeiten Sie als freier Fotograf. Was würden Sie sagen, welche der Tätigkeiten entspricht Ihnen am meisten?
Ich habe immer versucht, meiner inneren Stimme zu folgen und mich nur mit Dingen zu beschäftigen, zu denen ich mich berufen fühle. Am Anfang studierte ich an einer Wirtschaftshochschule, doch ich flüchtete bald nach Rom, weil ich lieber kreativ arbeiten wollte. Ich habe damals viel gezeichnet, Kirchen, Skulpturen, Aktmodelle, die klassische Künstlerausbildung. Nach einem Jahr kam ich zurück nach Kopenhagen und begann ein Architekturstudium an der Kunstakademie. Was ich in Rom gelernt habe: die Umgebung im Detail wahrzunehmen, mit allen Sinnen. Ob es das Wetter ist, Architektur oder ein Interieur, man erlebt die Welt als Atmosphäre und reagiert emotional darauf. Das Zeichnen und das Fotografieren helfen mir bei meiner Arbeit als Architekt und Designer. Es hilft mir dabei, Details zu verstehen, Materialien, Oberflächen, und wie Licht sie verändert. Die kurze Antwort lautet also wahrscheinlich, dass in allem, was ich tue, viel von mir persönlich drinsteckt. Und dass ich genauso leidenschaftlich Architektur entwerfe wie ich eine Ausstellung gestaltete oder fotografiere. Für mich sind diese Dinge alle miteinander verbunden.
Sie sprachen von der inneren Stimme. Woher wissen Sie, dass Sie sich zu etwas berufen fühlen?
Das ist eines der wenigen Dinge, für die ich keine rationale Erklärung habe. Es gibt diesen rätselhaften inneren Antrieb, der mich geradezu zu etwas zwingt. Das kann durchaus zwiespältig sein, denn einerseits gibt mir das viel Energie und Leidenschaft und ein wirklich gutes Gefühl. Aber andererseits macht es mich auch verrückt, es hält mich nachts wach und sorgt dafür, dass ich zu wenig Rücksicht auf meine Gesundheit nehme. Ich weiß, dass es vielen Künstler:innen so geht. Es ist wohl ein universelles menschliches Bedürfnis, etwas zu erschaffen.
„Es ist ein universelles menschliches Bedürfnis, etwas zu erschaffen.“
– Jonas Bjerre-Poulsen




Norm Architects – Kent Avenue Penthouse Residence, New York, US | Fotos: Jonas Bjerre-Poulsen
Wann finden Sie überhaupt die Zeit zu fotografieren? Ein Architektur- und Designstudio zu führen, kann ja sehr fordernd sein.
Ich habe früh gelernt, möglichst wenig Zeit auf die Dinge zu verwenden, die mir Energie entziehen. Das betrifft praktische und administrative Aufgaben, vieles davon spielt in der Architektur eine große Rolle. Architektur ist sehr komplex, viele Leute sind daran beteiligt. Es ist wichtig, dass wir im Studio Menschen haben, die strukturiert arbeiten, die sich um Finanzen und Projektmanagement kümmern. Das gibt mir die Möglichkeit, mich kreativ an vielen Projekten zu beteiligen. In der Gestaltung und der Architektur kommt es darauf an, eine Idee konzeptionell auszuarbeiten. Und im Umsetzungsprozess dann immer wieder draufzuschauen und Dinge noch mal umzudrehen oder zu optimieren. Bei der Fotografie ist das anders. Da gibt es nur mich und meinen Blick auf die Welt. Das passiert am Wochenende, in den Ferien, ich trage die ganze Zeit eine Kamera mit mir herum. Die beste Kamera ist die, die man dabei hat, so heißt es doch.
Bei all den verschiedenen Tätigkeiten, haben sie das Gefühl, sie blicken immer aus derselben Perspektive auf die Dinge, stellen dieselben Fragen?
Zum Teil ja, etwa in der ästhetischen Herangehensweise. Egal, ob es Fotografie, Grafikdesign, Produktdesign oder Architektur ist, es geht darum, die Essenz der Dinge zu finden. Den Punkt zu erreichen, an dem es nichts mehr hinzuzufügen oder wegzunehmen gibt. Praktisch gesehen sind es natürlich vollkommen verschiedene Welten. Architektur ist, wie schon gesagt, viel komplexer. Wir wollen verstehen, wie unsere Auftraggeber*innen leben, was ihre Vorlieben sind, in welchen Räumen sie sich wohlfühlen.

Inspirieren sich verschiedene Projekte gegenseitig?
Nehmen Sie ein Hotelprojekt. Da sind oft Architekt*innen, Innenarchitekt*innen, Grafikdesigner*innen und viele andere Menschen mehr beteiligt. Das Ergebnis ist dann meist nicht sehr ganzheitlich. Wir versuchen unseren Auftraggeber*innen zu vermitteln, dass wir alle Aufgaben übernehmen wollen. Das geht natürlich nicht immer, aber wenn wir es schaffen, dann spürt man, wie alles miteinander verbunden ist.
Beeinflusst die Arbeit mit Licht in der Fotografie auch die Architektur?
Wenn es um Tageslicht geht, gibt es eine direkte Verbindung. Zu verstehen, wie Licht funktioniert, wenn es von der Seite kommt oder von hinten, von oben oder unten. So entstehen unterschiedliche Atmosphären, das lässt sich auf die Architektur übertragen. Künstliches Licht funktioniert anders, da spielt die Qualität der Lichtquellen eine große Rolle. Alles sollte dimmbar, die Lichtfarbe sollte anpassbar sein. Die Wirkung von Licht und auch Akustik wird in der Architektur oft unterschätzt. Wir sollten Räume für alle Sinne entwerfen.



„Wir waren auf der Suche nach etwas Universellem, das auch über kulturelle Grenzen hinweg gültig sein kann. Diese Philosophie sind wir seither treu geblieben.“
– Jonas Bjerre-Poulsen
Mit Norm haben Sie einen populären Begriff geprägt: „Soft Minimalism“.
Nach Gründung unseres Studios 2008 haben wir eine Art Manifest unter diesem Titel geschrieben. Das war unsere Antwort auf den Minimalismus der 1980er und 1990er-Jahre. Vieles aus dieser Zeit wirkte befremdlich auf uns, diese krassen, weißen Räume, viel Kunstharz und Edelstahl. Wir verstanden Minimalismus anders, auf traditionellere Weise. Denken Sie an die japanische Architektur, an die Shaker, die britische Arts-and-Crafts-Bewegung oder die bäuerliche Kultur Dänemarks. Die Objekte waren oft einfach, bescheiden, aber aus guten Materialien hergestellt. Handwerklich, mit Aufmerksamkeit für die Details. Ein Minimalismus, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir waren auf der Suche nach etwas Universellem, das auch über kulturelle Grenzen hinweg gültig sein kann. Dieser Philosophie sind wir seither treu geblieben.
Verspüren Sie nicht manchmal den Drang, etwas total Extravagantes, Buntes zu entwerfen?
Nein. Manche unserer Mitarbeiter*innen würden das wohl ganz gerne mal machen. Deswegen ist eine meiner wichtigsten Aufgaben, darauf zu achten, dass wir auf dem schmalen Pfad der Tugend bleiben und zeitlose, haltbare, qualitätsvolle Projekte entwerfen. Die man sich auch in 20 oder 30 Jahren noch anschauen und bewohnen mag. Ich überlasse die Extravaganzen gerne anderen. Da kommen wir wieder auf den Anfang des Gesprächs zurück, ich fühle mich dazu einfach nicht berufen. Es fiele mir schwer und ich wäre auch nicht gut darin. Sobald ein kleines Detail nicht harmonisch ist, bin ich genervt und spüre das in meinem ganzen Körper. Ich bin sehr schlecht darin, das zu verbergen.


THE REINVENTION OF FORMS – Die erste Monografie von Jonas Bjerre-Poulsen präsentiert eine Sammlung von Filmkompositionen des Gründers von Norm Architects. Bjerre-Poulsens Verständnis von Taktilität, Minimalismus und Liebe zum Detail spiegelt sich in seiner Auseinandersetzung mit Körper, Architektur und Natur wider. © 2023 Jonas Bjerre-Poulsen | © 2023 Jonas Bjerre-Poulsen

Über die ICONIC AWARDS 2025
Mehr Sichtbarkeit, mehr Chancen – die neuen ICONIC AWARDS bieten eine Bühne für die Ideen und Projekte von morgen. Entfalten Netzwerk- und Business-Möglichkeiten und ebnen Wege zu neuen Märkten. Sie richten sich an Architekt*innen, Innenarchitekt*innen, Designer*innen und Unternehmen, die mit visionären Projekten, innovativen Produkten und nachhaltigen Konzepten die Zukunft mitgestalten.
Internationaler Ausschreibungsstart: 4. März 2025

Über die Autorin
Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs.
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