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Mikroplastik ade: Im ersten Teil unseres Specials zu kreislauffähigen Materialien stellen wir vorrangig biobasierte Fasern, Garne und Gewebe für Mode und Interior vor, die als vielversprechende Alternativen zu Biobaumwolle und Leinen gehandelt werden.

von Markus Hieke

Vom Downcycling-Produkt zum Designobjekt: Für (Un)woven greift Studio Sarmīte aus Frankfurt am Main auf vermeintlich minderwertige Rohstoffe der Post- Consumer- und Post-Industrial-Fasern zurück | (Un)woven von Studio Sarmīte, 2023 | Foto: Anastasija Mass

Kreative, Marken und Hersteller befinden sich längst in einer Art Wettlauf um die Suche nach leistungsfähigen Materialien, die unabhängig von der Petrochemie sind. Fragwürdige Recycling-Versprechen und die Risiken durch Mikroplastik haben die synthetisch geprägte Textilindustrie und Wegwerfprodukte aus Kunststoff in die Kritik gebracht. Nun drängen nicht nur die Europäische Union mit Maßnahmen wie der Einwegkunststoffrichtlinie und der neuen Ökodesign-Verordnung (ESPR) auf Veränderungen. Auch Verbraucher*innen achten laut Umweltbundesamt zunehmend auf den ökologischen Fußabdruck ihrer gekauften Waren.

Abacá, auch Bananenhanf, wird ihrer Fasern wegen, die traditionell zur Herstellung von Schiffstauen verwendet werden, angebaut | QWSTION – Bananatex® | © LAUSCHSICHT / QWSTION

Ein Netzwerk für grüne Materialinnovationen

Designer*innen spielen in dieser Sache eine zentrale Rolle. Rund um sie formiert sich eine Lobby, die sichtbar wird in Netzwerken wie Biofabricate in Paris, auf Plattformen wie der Future Materials Bank und durch Kennzeichnungen wie dem Econogy-Label der Frankfurter Leitmessen Heimtextil und Techtextil. Innovative Materialforschungen prägen nahezu jedes europäische Designfestival – vom Salone del Mobile in Mailand über die 3daysofdesign in Kopenhagen bis zur Dutch Design Week in Eindhoven. Aus universitären Projekten und Start-up-Ideen entstehen marktreife Lösungen, die darauf warten, die Industrie zu transformieren. Diese muss handeln, um in einer nachhaltigen Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Voraussetzungen dafür könnten jedenfalls kaum besser sein: Schon heute können Hersteller wahlweise auf einen wachsenden Pool an marktreifen Materialalternativen zurückgreifen oder markenfördernd eigene Initiativen unterstützen. Ein Vorreiter im Bereich textiler Innovation ist das Schweizer Unternehmen Bananatex®. Es stellt robuste und leicht kompostierbare Gewebe aus den Stämmen der Abacá-Bananenpflanze her. Angebaut wird diese auf den Philippinen, einem Inselstaat, der die Auswirkungen des Klimawandels bereits deutlich spürt. Dank Einhaltung von Permakulturprinzipien kann auf Pestizide, Düngemittel und künstliche Wasserversorgung verzichtet werden. Weil Abacá sich eigentlich schlecht verspinnen lässt, nutzt Bananatex den Zwischenschritt der Papierproduktion und spinnt dann erst die hauchzart aufgespaltenen Bahnen zu leistungsfähigem Garn. Das Textil kommt nicht nur bei der hauseigenen Taschenmarke Qwstion zum Einsatz, sondern auch in Kollaborationen mit Marken wie Stella McCartney, COS, Balenciaga und dem Schweizer Möbelhersteller Lehni.

Einen ähnlichen Weg beschreitet das in London ansässige Unternehmen Ananas Anam, das mit seinen Produkten Piñayarn® und Piñatex® ein Nebenprodukt des Obstanbaus nutzt. Die aus Ananasblättern gewonnenen Fasern werden entweder zu Garn (Piñayarn) versponnen oder zu dem lederähnlichen Non-Woven-Material Piñatex verdichtet. Piñatex findet Anwendung in Schuhen, Accessoires und Interior-Objekten, wobei die Deckschicht aus biobasiertem Polyurethan besteht, was die vollständige Kompostierbarkeit einschränkt. Dennoch gilt es als Meilenstein in der Materialentwicklung, da es nicht nur nachhaltige Alternativen bietet, sondern auch den Bauernbetrieben in den Philippinen, Bangladesch und an der Elfenbeinküste durch ein Zusatzgeschäft mit ihrer Ernte zugutekommt.

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Foraged Fibers von Iines Jakovlev, Aalto University | Foto: iines_Jakovlev

Foraged Fibers von Iines Jakovlev, Aalto University, Foto: Bryan Saragosa

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Biobasiert aus dem Labor

Manche Lösungen liegen sprichwörtlich am Straßenrand, wie Iines Jakovlev mit ihrem Projekt Foraged Fibers zeigt, das sie kürzlich auf der Dutch Design Week präsentierte. Jakovlev experimentierte mit Pflanzenfasern von Weidenröschen, Löwenzahn und Schilfrohr. Durch Reißen, Einweichen und Kochen extrahierte sie Bast-, Blatt- und Samenfasern, um aus ihnen verschiedene Garne und Textilmuster herzustellen. Ihr Arbeitsort, das Bioinnovation Center der Aalto University in Espoo bei Helsinki, ist ein interdisziplinäres Labor, das der Erforschung von biologischen und zirkulären Lösungen gewidmet ist. Einen ebenso innovativen Ansatz verfolgen hier etwa Krista Virtanen und Saskia Helinska. Mit The Root experimentierten sie mit Weizengras-Wurzelfasern, die als Nebenprodukt der Vertical-Farming-Industrie anfallen, und schufen daraus textile Geflechte. Noora Yau und Konrad Klockars entwickelten mit Shimmering Wood glänzende Pailletten aus Holz. Der schimmernde Effekt entsteht durch eine Schicht aus Nanozellulose. Doktorandin Sofía Guridi wiederum erforscht, ob Bedieninstrumente wie Computertastaturen aus nachhaltigen, biologisch abbaubaren Materialien wie Holzzellulose gefertigt werden können. In Light Tissue integrierte sie bereits vor Jahren lichtdurchlässige Elemente aus synthetisierter Zellulose in Kleidungsstücke und eröffnete so neue ästhetische und funktionale Möglichkeiten.

(Un)woven von Studio Sarmīte | Foto: Anastasija Mass
Studio Sarmīte in einer Fashion-Kollaboration mit Mareunrol’s | Foto: Māris Ločmelis

Auch die Nutzung vermeintlich minderwertiger Rohstoffe steht im Fokus von Designer*innen für Textilien und Materialien. Sarmīte Poļakova und Māra Bērziņa vom Studio Sarmīte in Frankfurt am Main untersuchen mit ihrem Projekt (Un)woven, wie Post-Consumer- und Post-Industrial-Fasern, die üblicherweise zu rein funktionalen Vliesstoffen recycelt werden, in ästhetisch ansprechende Textilien verwandelt werden können. Ihr Ansatz kombiniert einen eigens entwickelten Prozess mit einem biologisch abbaubaren Bindemittel. Dabei entstehen aus minderwertigen Reißfasern Materialien mit papierähnlicher Textur, die sich immer wieder neu aufbereiten lassen.

Tau Pibernat und Vera Castelijns, Absolventinnen an der Weißensee Kunsthochschule Berlin und German Design Graduates 2024, fanden in ihrer Abschlussarbeit Urban Fibers eine Methode, mit der sich ausrangierte Jersey-Baumwollkleidungsstücke weiterverarbeiten lassen, ohne dass sich dabei wie derzeit in industriellen Textilrecyclingverfahren die Faserqualität verschlechtert. Das Duo verwandelt die zurückgewonnene Ressource in Garne, die für die Verarbeitung auf Strick-, Web- und Seilmaschinen optimiert und so zum Einsatz für anspruchsvolle Interior- und Modetextilien geeignet sind. Das lineare Produktionsschema von der Faser bis zur Mülldeponie wäre auf diese Weise durchbrochen.

Mit der Designmethode ‚Urban Fibers‘ lassen sich ausrangierte Jersey-Baumwollkleidungsstücke weiterverarbeiten, ohne dass sich die Faserqualität verschlechtert | Foto: Tau Pibernat, Vera Castelijns

Farbschätze aus der Natur

Designabsolventin Zora Weidkuhn aus Luzern widmet sich in ihrer Bachelorarbeit Raw, Rare & Resilient der Frage, wie hochwertige Möbelstoffe aus reiner, ungefärbter Schafwolle gefertigt werden können. Einst ein wichtiger Rohstoff, geriet diese durch die Verbreitung synthetischer Fasern und billiger importierter Merinowolle zunehmend in Vergessenheit. „Die Anzahl der Schafe nimmt in der Schweiz stetig ab. Gefördert werden allenfalls Fleischschafe mit minderwertiger Wollqualität“, erklärt Weidkuhn. Aus dieser Wolle entstehen meist Vliese für Bau- oder Gartenanwendungen. Mit ihrer Arbeit möchte Weidkuhn den Rohstoff in seiner Bedeutung wiederbeleben. Sie nutzte die natürliche Farbpalette von Weiß, Braun und Schwarz, um in 432 gewebten Designvarianten die Vielfalt dieser traditionellen Faser zu demonstrieren.

Der Bezug von ‚Mono Wool‘ wird in einem 3D-Strickverfahren in einem Stück hergestellt, anschließend gefüllt und anhand eines Klappprinzips zu einer Sitzschale geformt | Foto: Felix Bernhardt

Anders geht Michelle Müller, Finalistin bei den German Design Graduates 2024, mit Rohwolle um. Die Master-Absolventin der Weißensee Kunsthochschule Berlin hat in der Sprungkraft der Fasern ein hohes Potenzial als Polstermaterial erkannt, was den Einsatz von Schaumstoffen reduzieren könnte. Mit Mono Wool hat sie zudem einen Bezug entwickelt, der in einem 3D-Strickverfahren in einem Stück hergestellt, anschließend gefüllt und anhand eines Klappprinzips zu einer Sitzschale geformt wird.

Bleibt die Herausforderung, unter Einsatz von Naturrohstoffen dennoch Farbvielfalt zu erzielen. Die Farbkraft von Pflanzen wie Kamille bis Indigo ist heute weitgehend von der synthetischen Herstellung verdrängt. Eine Rückbesinnung wäre aber eine Option. Zeefier, initiiert von Anne Boermans und Nienke Hoogvliet, bietet ein Färbemittel an, das aus Algen gewonnen wird und für verschiedene natürliche Textilien wie Baumwolle, Wolle, Seide oder Leinen geeignet ist. Ihr Rohstoff benötigt weder Frischwasser noch Chemikalien oder monokulturell genutzte Anbaufläche. Zudem binden Algen Kohlenstoff und erzeugen Sauerstoff.

In einem kleineren Maßstab arbeitet die aus Indien stammende und in der französischen Region Cognac lebende Künstlerin Parmeetkaur Tesson. Mit From Grape Leaves hat sie aus Weinlaub, welches sie von Bioweinbauern erhält, einen gelbgrünen, fast neonhaft strahlenden Farbstoff entwickelt. „Seit drei Jahren arbeite ich mit Weinblättern und erforsche ihr Potenzial zur Herstellung natürlicher Farbstoffe“, so Parmeetkaur Tesson, die auch saisonale Schwankungen dokumentiert. „Jedes Jahr sehe ich andere Ergebnisse, da die Farben durch das Klima, die Verfügbarkeit von Wasser und die geografischen Bedingungen beeinflusst werden.“ Auch dies könnte ein Punkt sein, von dem sich Industrie und Konsument*innen in Zukunft lösen sollten: der Erwartung, dass Beschaffenheit und Farbtöne zu jedem Zeitpunkt identisch reproduzierbar sein müssen. Kleider, Möbel und Objekte würden inmitten unserer glatten, digital geprägten Gegenwart etwas Unkontrollierbares und einzigartig Lebendiges dazugewinnen.

Demnächst auf ndion:

Material Spezial, Teil 2

Organisch, mineralisch, polymer: Innovative Stoffe für die Kreislaufwirtschaft

Im zweiten Teil unserer Reihe zu zirkulären Materialien widmen wir uns starren und flexiblen, organischen und anorganischen Stoffen. Außerdem wird es um die unterschiedlichen Recycling-Methoden synthetischer und natürlicher Wertstoffe gehen.

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Über den Autor

Markus Hieke ist freier Journalist und Autor mit Schwerpunkt auf Interior-/ Produktdesign und Architektur. Mit einem Hintergrund im Kommunikationsdesign, fand er 2013 zum Schreiben und erlangt seither eine feste Stimme in namhaften deutschen und internationalen Fach- und Publikumsmedien. Gestaltung für ein breites Publikum greifbar zu machen, versteht er für sich als Auftrag und nähert sich diesem anhand von Porträts, Interviews und Hintergrundreportagen zu Protagonist*innen und Themen von Handwerk bis Zirkularität, auch abseits des Rampenlichts.


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