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Bitte keinen Bauhaus-Puritanismus: Was er auch macht, es ist prallgefüllt mit Fantasie, Farbe, Mustern und Ornamenten. Jaime Hayon, einer der profiliertesten spanischen Designer, huldigt einer mediterranen Moderne. Ein opulentes Buch stellt seine heitere Gestaltungsphilosophie vor.

Rezension von Thomas Wagner

Auf dem Cover prangt ein Potpourri aus Zeichnungen in den unterschiedlichsten Farben: Pflanzen, Stühle, Vasen, Tische, Köpfe umkreisen, über die Fläche verteilt, den in schwarzer Pinselschrift hingetuschten Namen ihres Schöpfers: Jaime Hayon. Hat man wenige Seiten der Monografie durchgeblättert, teilt Hayon – zweifellos einer der aktivsten und profiliertesten Designer Spaniens – in einer kurzen Reflexion seine Rezeptur mit (weitere Sentenzen zu seiner Gestaltungsphilosophie sind über den Band verstreut): „Das Mischen von Zutaten, das sich beeinflussen lässt“, notiert Hayon, „das Staunen und die Unschuld des Kindes in mir, all das sind Züge einer kreativen Philosophie, die auf der Idee der ständigen Wiedergeburt beruht.“ Unschuldig staunen wie ein Kind und die Zutaten gut mischen, Hayon versteht es. Geschirr mit originellem Dekor, schräge bunte Vögel, bemalte Reispapierleuchten, große, mit Ornamenten überzogene Figuren, eigenwillige Tische und Sideboards – aus allem, was Hayon anfasst, spricht eine unbändige Lust am Schaffen.

Jaime Hayon
Hayons Welt ist heiter und verspielt, und man sieht ihr an, dass in ihr der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind., Blick in das Buch, © gestalten

Jaime Hayons Welt ist heiter und verspielt

Die Monografie „Jaime Hayon“ ist der Nachfolgeband von „Jaime Hayon Works“ von 2008. Zwischen Abbildungen und Texten eingeschoben wurde das Archiv des Hayonstudio als eine Art Werkverzeichnis. Der reich bebilderte Band enthält nicht nur eine Vielzahl der Kreationen für angesehene Marken, er zelebriert und untersucht vor allem die enge, gleichsam erotische Beziehung des Designers zu den Werkstoffen, Farben und Techniken, mit deren Hilfe er sein originelles Fantasiereich entstehen lässt. Kaum ein Entwurf, der nicht bemalt oder mit farbigen Mustern oder verspielt wirkenden Ornamente überzogen ist. Hayons Welt ist heiter und verspielt, und man sieht ihr an, dass in ihr der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Anders gesagt: Dass sich der Designer keine Beschränkung auferlegt, sich keiner Limitation außer der eigenen beugt. Außergewöhnlich daran ist: Hayons Gebilde, so verblüffend anders sie auch sein mögen, wirken nie beliebig. Alles, was er macht, verströmt Wärme, schmeckt nach Süden, nach blauem Himmel und Lebensfreude. Die Verspieltheit seiner Entwürfe ist ebenso bewundernswert wie die Virtuosität, mit der Hayon Farben und Formen handhabt. Augenzwinkern und Humor eingeschlossen.

Reminiszenzen verschmelzen mit der eigenen Handschrift

Ohne dass es ihren Charme und ihre Eigenständigkeit schmälern würde, entdeckt man im einen oder anderen Entwurf eine Prise Picasso oder Mirò. Und bei den Möbeln mischen sich Jugendstilelemente mit Anklängen an die opulenten Schmuckformen eines Antonio Gaudì. Dabei versteht es Hayon, solche Reminiszenzen so innig mit seiner eigenen Handschrift zu verschmelzen, dass die Melange ganz und gar zeitgenössisch, nie historisch oder gar verstaubt wirkt. Lustvoll huldigt er einer frugalen mediterranen Moderne, die weit entfernt ist vom Puritanismus von de Stijl und Bauhaus. „Ich betrachte“, hält Hayon fest, „die Welt mit einem dritten Auge, und das nährt meine Vitalität. In meinen Träumen, durch meine Forschung und auf meinen Reisen treffe ich auf Kulturen und lerne neue Perspektiven kennen, die mir zeigen, wer ich bin.“ Hayons Repertoire ist weit gefächert. Es reicht von Beistelltischen bis zu Tattoos, von Geschirr bis zu Stoffmustern, von Vasen bis zu Teppichmustern. Was er auch anpackt, es sprüht geradezu vor Vitalität. „Das Malen führt mich an die Wurzel der Schöpfung. Es ist der Kern meiner Arbeit, wo die Komposition meiner inneren Welt entnommen ist – es ist wirklich ein Akt der Extraktion.“ Bei allem, was Hayon aus seinem Inneren schöpft, spürt man eine unbändige Lust, zu spielen, zu erfinden und zu gestalten. Ein Buch, das ein Design feiert, das in seiner Freigiebigkeit und Originalität einfach Freude macht, und mit einem Augenzwinkern dazu aufruft, ohne Hemmungen in die schäumenden Wellen der Fantasie einzutauchen.

Jaime Hayon
Cover Jaime Hayon, gestalten, 2022

Jaime Hayon

304 S., geb., farb. Abb.,

Texte englisch

Gestalten Verlag, Berlin 2022

ISBN: 978-3-96704-054-8

50,00 Euro


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