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Für einen Industriedesigner eher ungewöhnlich, hat Jasper Morrison eine lange und besondere Beziehung zur Fotografie. Bereits 1988 ließ er – meist historische – Fotos für sich sprechen: Sein Bildvortrag „A World without Words“, bestehend aus 160 Dias, füllte zwei Kodak-Carousels und wurde später in ein gleichnamiges Buch umgesetzt. Heute veröffentlicht und kommentiert er Fotos auf seiner Website www.jaspermorrison.com und auf seinem Instagram-Feed, dem über 125.000 Menschen auf der ganzen Welt folgen. Wir wollten mehr über seine Gedanken zu diesem Thema erfahren.

Interview von Gerrit Terstiege

Portrait of Jasper Morrison 2016
Jasper Morrison 2016, © Elena Mahugo

Jasper, hast du dich in deiner Kindheit oder Jugend besonders zu Fotos hingezogen gefühlt? Was hat dich dazu gebracht, Bilder ernster zu nehmen als andere Industriedesigner?

Jasper Morrison: Das erste Buch, das ich mir von meinem eigenen Geld gekauft habe, war über Pop Art. Es war voll von sehr direkten Bildern, wie Andy Warhols Gemälde von Fotografien. Als ich mir das Buch ansah, begann ich mich sehr dafür zu interessieren, wie und was Bilder kommunizieren. Nicht lange danach habe ich angefangen zu fotografieren.

Da das Fotografieren für viele zur täglichen Gewohnheit geworden ist, sind die Smartphones der meisten Menschen heute mit Zehntausenden von Bildern gefüllt. Du aber machst einen besonderen Gebrauch von Fotos. Wenn wir uns deinen Instagram-Feed anschauen, sehen wir Einfachheit, poetische Lösungen, alltägliche Absurditäten und Witziges … Fasst das in etwa die Ziele zusammen, die du mit deinem Insta-Feed verfolgst? 

Mein Instagram-Feed ist ziemlich bunt gemischt, aber ja, ich sehe diese Kategorien. Ich poste auch eigene Designs und gelegentlich historisches Material. Mein allgemeines Ziel ist es, Beobachtungen zu teilen, die interessant und/oder sinnvoll erscheinen. Leider hat Meta Instagram mit seinem Bestreben, die Leute dazu zu bringen, sich Videoclips anzusehen, vermasselt. Die Einfachheit und Reinheit des Instagram-Konzepts wurde durch Werbe- und Videounterbrechungen kontaminiert. Deshalb poste ich nicht mehr so oft wie früher.

Jasper Morrison Instagram
Poetische Lösungen, alltägliche Absurditäten – Blick auf Morrisons Instagram-Account, © Jasper Morrison

Hast du es schon einmal bereut, ein Bild gepostet und damit die falschen Reaktionen ausgelöst zu haben?

Ich denke immer, dass ich Tausende von Likes bekommen werde, wenn ich etwas auf Instagram poste. Manchmal klappt das, aber manchmal kann es auch enttäuschend sein. Ich habe herausgefunden, dass die Leute Fotos von Pflanzen nicht besonders schätzen …

Was macht ein Foto für dich bedeutsam?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, ich bin mir nicht sicher, aber bedeutungsvolle Fotos kündigen sich sehr schnell an. Man kann sich etliche Bilder ansehen, und dann bleibt man plötzlich bei einem stehen. Es hat etwas damit zu tun, dass man sich bewusst ist, wonach man sucht, und wie gut die Augen und das Gehirn aufeinander abgestimmt sind.

Jasper Morrison
Zampa chair at the studio, 2022, © Jasper Morrison
Jasper Morrison
Floor tiles, East Sussex, 2021, © Jasper Morrison
Jasper Morrison
Bicycle workshop, Brescia 2022, © Jasper Morrison

Ich erinnere mich, dass mein Professor Michael Erlhoff oft sagte: „Nur ein schlechtes Bild ist ein gutes Bild“, was bedeutet, dass ein Bild trotz offensichtlicher technischer Mängel stark sein kann. Würdest du dem zustimmen?

Bis zu einem gewissen Grad, ich meine, es gibt Milliarden von schlechten Fotos, die einfach nur schlecht sind. Ein schlechtes Foto, das ansprechend oder interessant anzusehen ist, ist höchstwahrscheinlich ein gutes Foto im Verborgenen. Ich glaube nicht, dass es viele zufällig schlechte Fotos gibt, die gut sind.

Im Jahr 2014 war dein Buch „The Good Life – Perceptions of the Ordinary“ eine große Überraschung für mich. Fast jedes Bild darin zeigte eine besondere Szene, ein Stillleben oder einen Gegenstand … wie einen Kronleuchter aus Plastikflaschen in einer Straße in Pondicherry, Indien. Oder das Schaufenster eines Pariser Trödelladens mit einer sehr merkwürdigen Zusammenstellung von Dingen. Wird es in absehbarer Zeit eine neue, aktualisierte Auflage dieses Buches geben? 

Ich glaube nicht. Es war eine Übung, um eine Art und Weise zu beschreiben, das alltägliche Leben zu beobachten und die guten Dinge daraus zu extrahieren. An den Designhochschulen wird nicht genug Wert auf die Beobachtung und Analyse von Alltagsmaterialien gelegt. Es ist das Alltägliche, an dessen Verbesserung wir Designer arbeiten, und wenn man nicht versteht, was am Bestehenden gut und schlecht ist, wie kann man dann wissen, was ersetzt werden muss? Ich betrachte The Good Life als ein Übungsbuch für Designhochschulen.

Jasper Morrison
Cover von The Good Life. Perceptions of the Ordinary, Zürich, Lars Müller Publishers, 2014.
Jasper Morrison The Good Life
Broken Pot, aus: The Good Life, © Jasper Morrison Studio
Jasper Morrison The Good Life
Chandelier, aus: The Good Life, © Jasper Morrison Studio

In deinem Vorwort zu The Good Life erwähnst du ein literarisches Buch: George Perec’s Das Leben Gebrauchsanweisung. Es ist sowohl experimentell als auch innovativ, konzentriert sich aber auf ganz normale Orte und Dinge in einem Haus. Sollten Designstudierende generell mehr kulturelles Interesse zeigen? Und wenn ja, welchen Unterschied würde dieses Wissen machen, wenn sie etwas entwerfen?

Ja, das sollten sie. Als Student habe ich festgestellt, dass ein guter Film, ein gutes Buch, eine interessante Ausstellung, ein Spaziergang und die Betrachtung großartiger Architektur mir viel Energie und Inspiration geben. Wenn man keine ausgeprägte Neugierde hat, wird man es wahrscheinlich schwer haben, Designer zu werden.

Designer*innen müssen sich mit Fotografie nicht nur auseinandersetzen, um Inspirationen zu sammeln, zu speichern und zu bewahren, sondern auch, um zu kommunizieren und zu bewerben, was sie geschaffen haben. Warst du schon einmal verärgert oder frustriert darüber, wie eines deiner Produkte von einem Unternehmen oder einer Zeitschrift abgebildet wurde? 

Oh ja, die ganze Zeit. Das ist sehr schmerzhaft, aber unmöglich zu kontrollieren. Eines der häufigsten Vergehen ist, dass Stühle von der Sitzhöhe aus fotografiert werden, so dass man kein Gefühl für die Proportionen bekommt, aber es könnte auch eine schreckliche Kulisse sein, in der das Produkt fotografiert wird, oder Farbkombinationen …

Sagst du den Marketingmitarbeiter*innen, wie die Dinge dargestellt werden sollen? Zum Beispiel als Teil des Verpackungsdesigns oder in der Werbung …

Wir bemühen uns darum, aber es ist eine Partnerschaft, und man muss das Team in diesen Bereichen Entscheidungen treffen lassen.

Gibt es professionelle Fotografen, aktuelle oder frühere, deren Arbeiten du magst? Etwa den amerikanischen Fotografen William Eggleston oder den deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans. 

Ich bin ein Fan von beiden, auch von Irving Penn, und vor allem von Saul Leiter. Mit dem iPhone hat die Fotografie leider fast aufgehört, eine berufliche Option zu sein.

Leiter ist nicht so bekannt. Was ist anders an seinem Blick auf die Welt?

Ich liebe seine Fotos, sie sind unglaublich poetisch, sogar romantisch, schöne Farben, tolle Komposition, der gewöhnliche Moment, in dem wahre Schönheit zu finden ist.

Vitra Personalities Campaign
Der Künstler Jasper Johns auf dem Plywood Chair, © Christian Coigny

Eine letzte Frage: Ich erinnere mich an eine sehr starke, lange laufende Werbekampagne, die Vitra in den 1980er und 1990er Jahren zusammen mit dem Schweizer Fotografen Christian Coigny realisiert hat. Sie hieß „Personalities Campaign“ und zeigte Stars wie Miles Davis, Audrey Hepburn, Allen Ginsberg oder Billy Wilder, die auf Vitra-Stühlen saßen. Was dachtest du, als du das Foto des großen amerikanischen Pop-Art-Künstlers Jasper Johns auf einem Jasper Morrison bzw. deinem Plywood Chair sitzen sahst? Schließlich war ja die Pop Art ein früher Einfluss für dich … 

Ich glaube, was ich an der Pop Art liebte und von ihr lernte, war die Idee der Reproduktion (Herstellung), die Auswahl gewöhnlicher Motive aus dem täglichen Leben und das Glorifizieren dieser Dinge, was für einen jungen Kunststudenten ohne viele der typischen künstlerischen Fähigkeiten sehr inspirierend war. Und ja, du hast Recht mit der Vitra-Kampagne, es war ein genialer Schachzug, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen und den Status dieser Stühle zu erhöhen, indem man ihnen Individualität verlieh, obwohl sie zu Tausenden hergestellt wurden! Ich könnte mir vorstellen, dass Jasper Johns meinen Plywood Chair ausgewählt hat, weil er von allen Vitra-Stühlen am wenigsten kommerziell war! Aber vielleicht hat er ihn auch gar nicht ausgewählt! Auf jeden Fall fühlte ich mich geschmeichelt, dass der Stuhl mit einem so großen Künstler in Verbindung gebracht wurde.


Jasper Morrison

Der britische Designer Jasper Morrison wurde 1959 in London geboren und gründete 1986 sein Designstudio Jasper Morrison Ltd. Bis heute arbeitet Jasper Morrison Ltd. mit namhaften Herstellern zusammen und führt Niederlassungen in Paris und Tokio.

Jasper Morrison gilt als einer der erfolgreichsten Designer unserer Zeit. Seine reduzierten, elegant designten Objekte wirken unprätentiös, sie sind formal unaufdringlich und sind maximal auf ihre Nützlichkeit fokussiert. Morrison konnte sein Designverständnis immer schon auf verschiedene Lebensbereiche projizieren. Das Spektrum seiner Arbeit reicht von Möbeldesigns für Marken wie Cappellini und Vitra über Elektronik bis hin zum Entwurf der Straßenbahn in Hannover, um nur einige Beispiele zu nennen.


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