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Er war ein Architekt von Weltrang. Der Wiener Karl Schwanzer war Visionär, Künstler, Hochschullehrer, sogar Poet. Sein BMW-Hochhaus in München zählt bis heute zu den prägenden Entwürfen der Architektur der 1970er-Jahre. Mit dem Film „Er flog voraus. Karl Schwanzer, Architektenpoem“ widmet Max Gruber ihm ein facettenreiches Porträt, in dem der Schauspieler Nicholas Ofczarek eine besondere Rolle spielt.

Von Thomas Wagner

Karl Schwanzer
Karl Schwanzer war Visionär, Künstler, Hochschullehrer, sogar Poet © Filmdelights

Karl Schwanzer hatte etwas Tänzerisches

Ein Mann mit dicker, rechteckiger Hornbrille geht seinen Weg – durchs Belvedere 21 in Wien. Das tragende Skelett und die sichtbaren Profile, die erkennbare Offenheit und Variabilität des Baus – all das zelebriert eine Architektursprache, die sich jenseits steinerner Monumentalität entfaltet und das Gebäude deutlich von den meisten Bauten aus der Zeit unterscheidet. Man sieht, wie der Schauspieler Nicholas Ofczarek gepudert und damit als das charakterisiert wird, was er ist: als Schauspieler. Als solcher spricht er über seine Rolle, und dass er sich „ein wenig“ am Erscheinungsbild des Herrn Schwanzer orientiert habe. Ganz wichtig sei dabei, dass er schwarze Schuhe getragen habe. Karl Schwanzer, erklärt Ortner, „war ja, könnte man sagen, doch massig von der Figur her, aber er hatte so etwas Tänzerisches. Er hatte so eine Form von Beweglichkeit, die diesen Leuten oft eingeschrieben ist.“ Sogleich wird die Beobachtung durch dokumentarische Aufnahmen nachvollziehbar gemacht. Rastlos sei er gewesen: „Er hatte diesen Schaffensdrang – und hat wirklich in 27 Jahren, knapp 30 Jahren so viel geschaffen – unvorstellbar“, bemerkt die Enkelin Caroline Schwanzer. Und Heinz Neumann, wie einige, die sich im Film äußern, zeitweise in Schwanzers Büro tätig, stellt fest: „Er hatte zwei Gesichter. Auf der einen Seite konnte man mit ihm einen ausgefuchsten akademischen Dialog führen, was immer spannend war. Aber, er war auch ein Ur-Wiener und konnte wienerisch singen.“

Die Zeit braucht keine Architekten

Karl Schwanzer
Nicholas Ofczarek spielt Karl Schwanzer, © Filmdelights

Ofczarek tritt nicht nur als Karl Schwanzer auf. Er fungiert auf der Bühne auch als Erzähler oder Conférencier. Schwanzers Buch „Architektur aus Leidenschaft“ von 1973 liefert die Stichworte. Es beginnt mit einem Befund: „Unsere Zeit“, zitiert Ofczarek, „braucht scheinbar keine Architekten. Seine Tätigkeit ist ins Zwielicht geraten. Der Architekt, sofern er Ambitionen entwickelt, wirklich zu bauen, das heißt, auch als Persönlichkeit seinem Werk anzugehören, wird als die Sache verteuerndes Subjekt verteufelt. Bauen heißt, Kubikmeter Baumassen zu produzieren, billig, billiger und schneller. Auch anonymer, unauffälliger, bescheiden, schlicht, nichtssagend. Denn sonst heißt es gleich: Wo hat er, der Bauheer, dös Göld her?“ Die Bilder, die Gruber dazu zeigt, sind nicht weniger sprechend: Ein mehrstöckiges Allerweltshaus wird zerschnitten. Es ist eine Torte. Der Kuchen, in der Architektur wird er buchstäblich verteilt. So ist das Geschäft.

Weiter geht‘s im Text: „Aber hat ein Haus nur die Funktion, den Menschen drinnen zu dienen? Und nicht auch den Vielen, die es draußen erleben und anzusehen haben? Das Haus als Erscheinung wie es die Umwelt bestimmt, gehört uns allen. Die Forderung der Brauchbarkeit für den Nutznießer klammert die Allgemeinheit aus. Sie ist rücksichtslos, egoistisch.“ Den Satz spricht der Schauspieler nicht mehr als einer, der auf der Bühne vorliest, sondern in seiner Rolle als Karl Schwanzer vor der hellen Glaswand des 21er-Hauses. „Was aber verstehen wir unter Nutzen? Nur das Dach über dem Kopf?“

Originelles Setting

Setting und Aufbau des Films sind originell. Es gelingt Gruber, das dokumentarische Material – Zitate, Pläne und historische Filmsequenzen – mit der Erkenntnis zu verbinden, dass jedweder Versuch einer biografischen Skizze in einer Fiktion endet. Dabei aktiviert der Regisseur diverse Medien: Zwischentitel, mit animierten Zeichnungen hinterlegt, gliedern den Ablauf, ohne aufdringlich oder akademisch trocken daher zu kommen. Der Film scheut sich nicht, in jedes Spiegelkabinett der Rezeption (oder des Nachruhms) einzutreten, bis hin zum Comic „Schwanzer. Der Architekt aus Leidenschaft“. Dass er weit über Wien und Österreich hinausstrebte, weltoffen und keine Spur provinziell war, belegt u. a. seine Amerikareise 1964. Im Film wird dazu eine Fotografie, die Schwanzer vor der Skyline von NY zeigt, durch animierte Zeichnungen verlebendigt. Selbst die eingestreuten Spielszenen bleiben immer als das erkennbar, was sie sind; auch wenn Äußerungen Schwanzers hin und wieder, bedeutungsheißend vorgetragen, im Ausdruck eine Spur zu pathetisch ausfallen, wodurch sie an Dynamik und Lebendigkeit verlieren.

Das Belvedere 21 wurde ursprünglich von Schwanzer als Österreich-Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel geplant, © Foto: Lukas Schaller / Belvedere, Wien

Ein vielfältiges Œuvre ohne einheitlichen Stil

Je mehr auch Karl Schwanzers Œuvre aufgeblättert wird, desto plastischer und differenzierter wird das Porträt – eines Baumeisters so gut wie der Zeit, in der er tätig war. Einen einheitlichen Schwanzer-Stil sucht man ohnehin vergebens. Aber, so Andreas Nierhaus vom Wien Museum, das Schwanzers Nachlass beherbergt: „Die Pranke von Karl Schwanzer ist sichtbar.“ 1958 baute Karl Schwanzer den Österreich Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel. Die Stahlskelettkonstruktion mit gläsernen Hallen wurde nach der Expo musealen Zwecken angepasst, im Wiener Schweizergarten neu aufgebaut und 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet. (Seit 2018 heißt es Belvedere 21 und gibt zeitgenössischer Kunst Raum.)

Das BMW-Hochhaus als Pop-Architektur

Einige weitere Wegmarken: 1961 verantwortet Schwanzer die Erweiterung der Kapuzinergruft; 1965 entsteht in Wien das wie eine Spannbrücke konstruierte Phillips-Gebäude. Sein bekanntestes Gebäude aber ist ohne Zweifel das BMW-Hochhaus in München von 1972/73. Die Idee, das Verwaltungsgebäude wie ein Kleeblatt zu gestalten, so wird erzählt, entstand aus einem Jux des Entwurfsteams – und wurde in den Papierkorb geworfen; Schwanzer holte das Blatt heraus aus und ließ den Entwurf weiterverfolgen. Auch das Konstruktionsprinzip mit eingehängten Stockwerken war eine Herausforderung. Um den Auftrag zu bekommen, scheute der Architekt weder Aufwand noch Kosten: In einem Filmstudio in Geiselgasteig ließ er ein Geschoß aufbauen, inklusive Einrichtung und tippender Sekretärin. Er wollte die emotionale Wirkung der Räume demonstrieren, aufzeigen, dass in den runden Kanzeln eine andere Arbeitsatmosphäre entstehe: eine „Humanisierung des Arbeitsraumes in Teamgruppen.“ Trotz seiner technischen Anmutung reihte sich Schwanzer mit dem Kleeblatt (oder Vierzylinder) in die Ära des Pop ein: Der BMW-Turm, wird Peter Blake zitiert, „ist für mich ein einzigartiges Stück verwirklichter Pop-Architektur, das größte und beste Claes-Oldenburg-Monument, das je verwirklicht wurde, auf jeden Fall seit Errichtung der Freiheitsstatue. Was um Himmels willen, wird er als Nächstes tun? – Weltraumflüge?“ Auch ein nicht realisierter Entwurf für das Sprengelmuseum in Hannover aus demselben Jahr weist in diese Richtung. So bezeugt der Film nebenher auch den Geist der 1960er- und 1970er-Jahre, voller prickelnder Energien und zukunftsweisender Ideen.

BMW Hochhaus
Das bekannteste Gebäude Schwanzers: Das BMW-Hochhaus in München, 1972/73, © Filmdelights

Passend dazu hielt der dynamische Modernist Schwanzer Traditionalisten gern die „totale Mumifizierung“ von Wien vor. Niemand, meinte er, denke an die Denkmäler von morgen. Abbruch sei Verbrechen, Neubau sei Verbrechen. Wo liege dann eigentlich die Straffreiheit? – „Nur im Mittelmaß!“ Nichts lag Schwanzer ferner: Mitte der 1970er-Jahre, als sein Büro international tätig war und Bauten in vielen Gegenden der Welt realisierte – etwa 1974 die Österreichische Botschaft in Brasilia –, wurde er im Büro auch „Karl der Große“ genannt, nach Kaiser Karl V., in dessen Reich die Sonne bekanntlich nie unterging. Sein Ende bestimmte der 1918 geborene Karl Schwanzer selbst: Am 20. August 1975 nahm er sich das Leben. In 28 Schaffensjahren waren rund 600 Bauten und Projekte entstanden.

Am Ende des Films trägt der Schwanzer-Darsteller Ofczarek auf der Bühne dessen „Architektenpoem“ vor. Während das Gedicht erklingt, ziehen noch einmal Szenen aus dem Leben und Schaffen Karl Schwanzers vorüber.

Karl Schwanzer Er flog voraus
Er flog voraus © Filmdelights

Er flog voraus
Karl Schwanzer | Architektenpoem

Film von Max Gruber (Buch und Regie)

Österreich 2022

Dauer: 73 Minuten

Der Film läuft derzeit in österreichischen Kinos, Termine unter www.erflogvoraus.at.


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