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Vor anderthalb Jahren – im Sommer 2021 – startete eine der bislang umfangreichsten bilateralen Initiativen der Stiftung Deutsches Design Museum: Der Design Networking Hub. Ziel dieses mit Mitteln des Auswärtigen Amtes geförderten Projektes war die Entstehung einer Wissens- und Netzwerkplattform zum Austausch der Kultur- und Kreativwirtschaft zwischen Deutschland und Kenia in den Sektoren Architektur und Design. Nun konnten die Ergebnisse der Pilotgruppe vorgestellt werden.

Um die Inhalte der Plattform möglichst nutzer*innenorientiert zu gestalten, wurde eine Pilotgruppe aus zehn jungen Designer*innen und Architekt*innen aus Deutschland und Kenia ausgewählt. Aufgeteilt in drei Teams zu den Themen MOBILITY, TECHNOLOGY und HOUSING setzten sie Kooperationsprojekte für den deutschen oder kenianischen Markt auf und um.

Die speziellen kulturellen und ökonomischen Anforderungen und Voraussetzungen der beiden Länder haben unkonventionelle kreative Prozesse angeschoben, für überraschende Wendungen gesorgt und manche Lösungen erbracht, die im Vorfeld kaum abzusehen gewesen wären.

Im Folgenden stellen wir vor, was die Teams MOBILITY, TECHNOLOGY und HOUSING der Pilotgruppe des Design Networking Hubs entworfen haben.

KAZUJU

KAZUJU ist nicht nur eine Wortschöpfung aus den kenianischen Begriffen KAZI (zu deutsch: Arbeit) und UJUZI (zu deutsch: Fähigkeit), sondern auch der Titel des Projektes der Pilotgruppe MOBILITY.

Am Anfang dieser ungewöhnlichen Idee stand für die beiden deutschen Designer Timm Donke und Marvin Kasper sowie für ihren kenianischen Kollegen, den Architekten George Wekesa, eine schlichte und dabei nicht minder erhellende Erkenntnis: Mobilität kann mehr bedeuten als physische Beweglichkeit. 

Mit Blick auf die tatsächlichen Bedürfnisse beider Länder füllten sich die Mind-Maps des Kreativ-Trios mit Stichpunkten wie virtual mobility oder long distance exchange. Denn tatsächlich war eines der akutesten Probleme, das beide Staaten miteinander verband, die jeweilige Situation am Arbeitsmarkt. Während Deutschland einen zunehmend großen Mangel an Fachkräften aufweist, führt die geringe Zahl an Ausbildungsplätzen in Kenia zu einer hohen Jugendarbeitslosigkeit.

Für eine effiziente Lösung müsste in diesem Fall nicht der Mensch, sondern die wirtschaftliche Voraussetzung für Arbeit beweglich sein. Mit diesem Gedanken war die Idee eines innovativen handwerklichen Ausbildungskonzepts, basierend auf einem interkulturellen Kompetenzaustausch zwischen Kenia und Deutschland, geboren.

KAZUJU

KAZUJU war zunächst nur der Entwurf einer virtuellen Lernplattform, die digitale Ausbildungsprogramme mit zertifizierten Abschlüssen anbieten könnte. Eine derartige Internetpräsenz würde es sowohl Studierenden als auch Ausbilder:innen beider Länder ermöglichen, durch neu erworbene berufliche Fähigkeiten, nachhaltige Produkte im interkulturellen Austausch herzustellen.

Um KAZUJU effizient in die Praxis umzusetzen, konzentrierten sich Wekesa, Donke und Kasper zunächst auf einen Industriezweig, der allen Dreien in gewisser Weise vertraut ist: Die Möbelproduktion. Derzeit suchen die drei Initiatoren verstärkt nach potentiellen Unterstützer:innen und Partner:innen aus beiden Ländern, um mit KAZUJU künftig eine effektive neue Chance für beide Arbeitsmärkte anbieten zu können.

ZINIA

Während für das Team MOBILITY die Inspiration aus dem Arbeitsmarkt kam, nahmen sich die drei Designer:innen des Teams TECHNOLOGY, Stephanie Nyairo, Madita Morgenstern-Antao und Philip Kohlbecher vor, einen effizienten technologischen Beitrag zur Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu entwickeln.

Foto: Valentin Paster

Im Fokus des Trios standen dabei vor allem die Ziele 1) keine Armut, und 2) kein Hunger. Nicht nur aus der technologischen Sicht von Designer:innen sind die nachhaltigsten Lösungen für derartige Bedürfnisse Ansätze, die Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Ein sehr chancenreiches Umfeld, um vielen Menschen eine dauerhafte und wirkungsvolle Selbstversorgung zu ermöglichen, fanden die drei Designer*innen im Sektor der Pilzfarmen.

Ob in einer Lehmhütte, einem Kellerraum oder einer eigens dafür gebauten Umgebung: Der erfolgreiche Aufbau und Betrieb einer Pilzfarm ist beinahe überall möglich. Allein die Anbaukonditionen sollten kontrolliert, beziehungsweise reguliert werden können. Für das Team TECHNOLOGY stellte das genau die richtige Herausforderung dar, um vor allem Kleinst- und Familienbetrieben den Einstieg in das Pilz-Farming zu erleichtern. Mit ZINIA entwickelten sie ein ebenso smartes wie bezahlbares modulares Sensorik-Kit.

Design Networking Hub
Mit ZINIA entwickelte die Gruppe ein ebenso smartes wie bezahlbares modulares Sensorik-Kit.

ZINIA misst in Echtzeit Feuchtigkeit, Temperatur, CO2-Gehalt und Lichtintensität und übernimmt damit die Aufgabe einer ganzen Reihe von bis dato aufwendigeren und teureren Messeinrichtungen. Um ZINIA optimal unter nahezu allen Konditionen und von möglichst vielen Menschen nutzbar zu machen, entschieden sich die drei Designer:innen, ihr Sensorik-Kit in drei verschiedenen Formen anzubieten: Als Do-it-yourself Bauanleitung, als 3D-Printmodel, und als fertiges Produkt.

ZINIA

Ähnlich wie das Team MOBILITY, ließ sich auch das Team TECHNOLOGY bei der Namensfindung ihres Projektes afrikanisch inspirieren. ZINIA benennt in Suaheli eine große, im Zentrum des Tisches angerichtete Platte mit Essen, von der sich üblicherweise alle Familienmitglieder bedienen.

FLEXI SPACE

Auch das dritte Team der Pilotgruppe, Team HOUSING, richtete das Augenmerk bei der Suche nach einem geeigneten Projekt auf die Missstände in dieser Welt. Überall auf unserem Planeten zwingen soziale und politische Missstände, Umwelt- und Naturkatastrophen, oder auch bewaffnete Konflikte Menschen dazu, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen. Temporäre Unterkünfte und mobile Wohnlösungen stellen für diese Menschen ein elementares Bedürfnis dar. Genau hier setzen die drei Designerinnen Julita Afande, Betty Mwema und Hannah Weirich gemeinsam mit dem Architekten William Otuke mit ihrem Projekt FLEXI SPACE an.

Foto: Valentin Paster

Um die Nöte und Bedürfnisse von Wohnungslosen im Detail zu verstehen, haben die vier sowohl in Kenia als auch in Deutschland obdachlose Menschen interviewt. Trotz aller Unterschiedlichkeit der Situationen vor Ort, waren es doch meist die gleichen grundlegenden Mängel an Sicherheit, Hygiene und Geborgenheit, die sie dabei feststellten.

Mit FLEXI SPACE folgen die vier Kreativen ihrem Ansatz: “Creating a home without a home”. Im Kern bedeutet das, Obdachlosen (oder laut Team HOUSING „future homed“) mit Hilfe innovativer Produkte die grundlegenden Vorteile eines Wohnsitzes, ohne vier feste Wände zu verschaffen.

FLEXI SPACE

Um alle Bedürfnisse zu befriedigen, sind natürlich eine ganze Reihe von Innovationen nötig: Mit an erster Stelle steht dabei ein personalisiertes Schließfachsystem, das Wohnungslosen bzw. future homed nicht nur einen sicheren Aufbewahrungsort für persönliche Habseligkeiten bieten, sondern auch den Vorteil einer eigenen Adresse verschaffen könnte. Nach wie vor ist die feste Anschrift eine elementare Notwendigkeit, um Post zu beziehen oder Verträge abschließen zu können.

Darüber hinaus wurden Pläne für flexible, verschließ- und faltbare Schlafsäcke mit einer wärmeisolierenden Schicht und solarbetriebener Handyladestation entwickelt. Ebenso sind Skizzen zu Hygiene-Sicherheits-Rucksäcken entstanden, die vor allem die Probleme vieler weiblicher Obdachloser lösen können. FLEXI SPACE bleibt ein erweiterbares Konzept, das auf weitere Bedürfnisse eingehen und beispielsweise neben den bereits designten Produkten künftig auch öffentliche Duschen oder speziell auf future homed ausgerichtete Arbeitsvermittlungen anbieten könnte.

FLEXI SPACE

Abschließend erscheint vor allem ein Aspekt der Präsentationen als besonders spannend: Durchweg sind auf Grund der unterschiedlichen Blickwinkel der jungen Designer:innen und Architekt:innen beider Länder außergewöhnliche Ideen und Produkte entstanden, die es ohne den bilateralen, interkulturellen Austausch vielleicht nie gegeben hätte.

Außerdem darf natürlich noch ein weiteres Ergebnis nicht unerwähnt bleiben: Der Design Networking Hub selbst. Denn nach Abschluss der Pilotphase steht Kreativen aus Deutschland und Kenia – oder der ganzen Welt – nunmehr eine spannende und wachstumsorientierte Wissens- und Netzwerkplattform zur Verfügung, die internationale und interkulturelle Zusammenarbeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft erleichtern soll. So könnte der Design Networking Hub zukünftig eine besondere schöpferische Quelle sein, wenn es darum geht, dringend notwendige Lösungen für die globalen Probleme unserer Erde in multilateraler Zusammenarbeit zu entwickeln.


Der Design Networking Hub

Gefördert durch das Auswärtige Amt entwickelt die Stiftung Deutsches Design Museum den „Design Networking Hub“ – eine zeitgemäße Wissens- und Netzwerkplattform zur Unterstützung deutsch-kenianischer Kooperationsprojekte im Bereich Design.

Der Design Networking Hub wird alle essentiellen Informationen für die Umsetzung deutsch-kenianischer bzw. internationaler Kooperationsprojekte bereitstellen. Damit entsteht eine praxisorientierte Informationsquelle für die Kultur- und Kreativwirtschaft beider Länder, die Designer/innen, Architekt/innen und Kreative verschiedener Disziplinen vernetzt und sie befähigt, selbstständig Kooperationsprojekte zu initiieren und umzusetzen.

Um das Informationsangebot des Design Networking Hubs maximal nutzungsorientiert zu gestalten, wurde eine Pilotgruppe aus zehn deutschen und kenianischen Jungdesigner/innen und -architekt/innen zusammengestellt, die in kleinen Teams den gesamten Prozess eines bilateralen Kooperationsprojekts durchlaufen. Gemeinsam entwickeln sie neue Produkt-, Geschäftsideen oder gemeinnützige Konzepte in den Bereichen Mobilität, Wohnen und Digitalisierung. Der Projektverlauf wird auf der Website des Design Networking Hubs dokumentiert.

Design Networking Hub
Pilotgruppe des Design Networking Hub, © Foto: Valentin Paster

Zum aufgezeichneten Livestream der Abschlusspräsentation der Pilotgruppe in Berlin: https://youtu.be/xR-PIoPLfUg


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