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Ken Adam
Die 007-Kulisse in Pinewood, gebaut für „Der Spion, der mich liebte“, mit Cubby Broccoli und Ken Adam. THE SPY WHO LOVED ME © 1977 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und Danjaq LLC. Alle Rechte vorbehalten.

Alles nur Kulisse, Theater, Bühnenkunst? Weit gefehlt. James-Bond-Filme wie „Dr. No“ und „Goldfinger“ und der „War Room“ für Kubricks „Dr. Strangelove“ haben ihn berühmt gemacht. Der opulente Band „The Ken Adam Archive“ versammelt nicht nur Entwürfe, Zeichnungen und Pläne des berühmtesten aller Produktionsdesigner. Er zeigt auch auf, was Designer*innen von Sir Ken Adam und den Gestaltungsprozessen des Films lernen können.

Rezension von Thomas Wagner

Das Kino erschafft eine eigene Welt. Genauer betrachtet ist es der Set- oder Produktionsdesigner, der sie kreiert. Natürlich spielt die Handlung des Films eine wichtige Rolle, beeinflussen Schauspiel, Regie, Produktion, Sound das Ergebnis. Der Produktionsdesigner aber bestimmt über die Räume und Landschaften, die der Film vor Augen führt. Er ist Herr über alle visuellen Merkmale, über Gebäude, Außen- und Innenräume. Er findet oder schafft die Orte, an denen sich die Erzählung entfaltet. Er legt Kameraposition und der Lichtverhältnisse fest und erzeugt so die Atmosphäre, die den Film prägt.

Nicht zufällig lautete die Designphilosophie Ken Adams: „Bigger than life“. „Im Idealfall“, so stellte er fest, „überwacht der Produktionsdesigner alles, was visuell ist: Kulissen, Drehorte, Requisiten, Koordination der Kostüme innerhalb der Kulissen… Ich persönlich bin gerne von Anfang an involviert – bei Drehbuchbesprechungen, wenn möglich, mit dem Regisseur und dem Kameramann. Um mir mehr kreative Freiheiten zu lassen, arbeite ich immer gerne mit einem Art Director zusammen, der wie ein persönlicher Assistent für die praktische Organisation und das Budget verantwortlich ist.“

Der Kapitän und sein Auge

Nur sehr wenige Produktionsdesigner haben so umfassende und ausdrucksstarke Sets geschaffen wie Ken Adam. Er hat Sets für mehr als 70 Filme entworfen. Von ihnen haben sich viele fest ins visuelle Gedächtnis der Kinobesucher eingebrannt. „Meine Arbeit“, erklärte er, „beginnt mit dem Drehbuch und meiner visuellen Interpretation desselben. Ich suche nach geeigneten Außen- und Innendrehorten und gestalte das Studio und andere Kulissen. Außerdem bin ich für die Bauaufsicht zuständig und leite meine Abteilung, das Art Department… Der Regisseur ist der Kapitän des Schiffes, und ich versuche im Idealfall, als sein Auge zu fungieren…“

Ken Adam
Der amphibische Lotus Esprit in „Der Spion, der mich liebte“. THE SPY WHO LOVED ME © 1977 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und Danjaq LLC. Alle Rechte vorbehalten

Schätze aus dem Archiv

Das Archiv von Ken Adam wird seit 2012 in der Deutschen Kinemathek aufbewahrt. Es umfasst mehr als 5.600 seiner Zeichnungen, darunter auch Entwürfe für nie realisierte Projekte und andere architektonische Arbeiten. Hinzu kommen Fotos und Filme von Recherchen und vom Set, biografische Dokumente und zahlreichen Auszeichnungen, darunter zwei Oscars. Seit der Ende 2014 eröffneten Ausstellung „Bigger than Life. Ken Adam‘s Film Design“ gab es Pläne für ein umfangreiches und aufwendig illustriertes Buch. Um es vorzubereiten verbrachten Sir Ken Adam und Sir Christopher Frayling viel Zeit im Archiv. Sie sichteten die Materialen und wählten die besten Bilder aus. Und sie führten eine Reihe von aufschlussreichen Interviews.

Das Ergebnis ist das jetzt vorliegende, ebenso opulente wie informative Buch „The Ken Adam Archive“. Es präsentiert zum ersten Mal eine umfassende Auswahl von Adams Entwürfen. Dazu gehören erste Skizzen bis hin zum Ergebnis auf der Leinwand. Zudem beleuchtet und würdigt es die Rolle der Produktionsdesigner in all ihren Facetten. Für Adam sind sie es, die Worte in eine visuelle Umgebung verwandeln, und so die Konzepte der Produzenten und Regisseure verwirklichen.

Der im wahrsten Sinne gewichtige Band eröffnet derart viele Perspektiven auf das Œuvre von Ken Adam (und darüber hinaus), dass sie sich hier weder aufzählen noch wiedergeben lassen. Es werden nicht nur sämtliche Projekte wiedergegeben. Auch Adams Bezug zur Seefahrt, die Differenz von Studio und Straße oder die Unterscheidung von fotografisch (realistisch) und malerisch (künstlich) werden deutlich, um nur einige Themen herauszugreifen. Dass die faszinierende Dokumentation und die erhellenden Dialoge mit Sir Ken nur in einer handsignierten „Collector’s Edition“ zu einem Preis erschienen sind, der für viele zu hoch sein dürfte, ist schade. So bleibt oft nur der (lohnende) Gang in eine Bibliothek, die das Opus in ihrem Bestand hat.

Ken Adam
Die griechische Galeere in Helena von Troja, © Deutsche Kinemathek – Ken Adam Archiv

Zeichnen mit Flo-Master

Schon erste Skizzen offenbaren die Fülle, Klarheit und Prägnanz von Adams Entwürfen. Bis die Konzepte fertig sind (und hier sind wir wieder beim Designprozess), die einen Vorblick auf die später mit der Kameraoptik eingefangenen Szenen erlauben, hat Adam oft mehr als 50 Zeichnungen angefertigt. Frayling beschreibt, wie Adam nach und nach lockerer wurde und sich von der Angst befreite, loszulassen. Er begann seine Ideen zeichnerisch voranzutreiben, statt sogleich eine „Kameraprojektion“ zu entwickeln.

Ken Adam
Konzept für die Andockstelle im Innern des Supertankers Liparus, aus „Der Spion, der mich liebte“, gezeichnet mit dem Flow Master, THE SPY WHO LOVED ME © 1977 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und Danjaq LLC. Alle Rechte vorbehalten.
Ken Adam
Modell des Innenraums des Supertankers Liparus im Maßstab 1:200, hergestellt für die Ausstellung 2014/15 „Bigger than Life. Ken Adam’s Film Design“ in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, © Studio OZA-Berlin, Fotografie: Matthias Karch
Ken Adam
Andockstation im Innern des Supertankers Liparus, aus „Der Spion, der mich liebte“, THE SPY WHO LOVED ME © 1977 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und Danjaq LLC. Alle Rechte vorbehalten

Um freier und kreativer agieren zu können, half es ihm, anstelle eines Bleistifts einen Flo-Master-Stift zu verwenden: „Der Stift nimmt eine Vielzahl von Filzspitzen auf, von der sehr feinen bis zur groben keilförmigen Spitze, die mit nicht löschbarer Tinte in verschiedenen Farben gefüllt ist. Ich habe mich hauptsächlich für die Keilspitze entschieden, da ich durch die breiten Striche gezwungen war, mich zu lockern und mutiger zu gestalten. Plötzlich änderte sich der ganze Charakter meiner Skizzen… Eine oder zwei Linien können die Grundlage meines Entwurfs bilden, und oft sind es die Unvollkommenheiten der Skizze – mit einer kühnen Behandlung von Licht und Schatten – die interessante Kompositionen und Stimmungen schaffen.“

„Ich meine, bei jedem Film muss man seine Ideen dem Regisseur und dem Produzenten verkaufen – aber in Stanleys Fall war das eher eine Übung in Psychoanalyse. Sobald wir uns aber geeinigt hatten, unterstützte er mich bis zum Schluss. Gott sei Dank konnte er aber nicht zeichnen. Ich war die einzige Person, die für ihn Ideen zu Papier bringen konnte – so konnte er sie visuell warhnehmen, ob sie ihm gefielen oder nicht…“

Adam über Kubrick

Von Fort Knox bis zum War Room

Die enorme Faszination, die von Adams Set-Designs ausgeht, hat viele Facetten. Nicht alle sind auf den ersten zu erkennen. Unittelbar beeindrucken zunächst die schiere Größe und Extravaganz der Räume. Bei eingehender Betrachtung fällt auf, wie präzise er sie den Figuren, die in ihnen auftreten, auf den Leib geschneidert hat. Es ist, als seien die Räume Extensionen des Körpers und des Charakters, ja selbst des Charismas oder der Aura des Protagonisten (der oft ein Bösewicht ist oder sich für ein außergewöhnliches Exemplar der Gattung Mensch hält). Sie strahlen in die (fiktive) Welt der Geschichte aus, die der Film erzählt.

Vom Expressionismus und seinen dramatischen Licht-Schatten-Effekten beeindruckt, leuchtete Adam mitten hinein ins dunkle Herz der Moderne. Bei „Goldfinger“ sind es der „Rumpus Room“ und die Festung Fort Knox; bei „Dr. No“ ist es dessen Unterwasser-Appartement. Es ist nur das erste von vielen größenwahnsinnigen Bauwerken größenwahnsinniger Männer – von versteckten Raketenabschussbasen und einem Supertanker, der gleich mehrere U-Boote aufnehmen kann, bis zur futuristischen Raumstation in „Moonraker“. Bei Stanley Kubricks „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ ist es der furchteinflößende „War-Room“ mit seinem riesigen, kreisrunden Pokertisch unter einem Ring aus Leuchten. Es ist die Arena einer destruktiven Macht und deren Wille zum Untergang.

Ken Adam
Dreharbeiten zur Zerstörung des Modells der Raumstation für Moonraker – 20 Fuß im Durchmesser – in Pinewood, wo die Spezialeffekte auf der 007-Bühne fertiggestellt wurden. MOONRAKER © 1979 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und Danjaq LLC. Alle Rechte vorbehalten.

Was braucht man, um Filmdesigner zu werden?

Frayling berichtet an einer Stelle, Adam habe auf die unvermeidliche Frage „Was braucht man, um Filmdesigner zu werden?“ immer geantwortet: Natürlich brauche man Talent und Fantasie, aber auch Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – und die Fähigkeit, seine Ideen anderen vermitteln zu können. Für Erfolg – und das lässt sich generell auf arbeitsteilige Designprozesse übertragen – aber sorgten vor allem eher handwerkliche Fähigkeiten: die Bedeutung des Zeichnens, ein starkes (visuelles) Gesamtkonzept, gute Teamarbeit, und die Suche nach und Zusammenarbeit mit Spezialisten, denen man vertrauen kann. Vor allem aber braucht es Überzeugungskraft: „Ich fühlte mich immer am glücklichsten“, so Adam, „wenn ich eine andere Form der Realität schaffen konnte als die, die der Regisseur ursprünglich im Sinn hatte – und meistens kam ich damit durch“.


Ken Adam
Ken Adam an seinem Schreibtisch zu Hause, aus der Installation „Lines in Flow“ in der Ausstellung „Bigger than Life“, 2014, © Boris Hars-Tschachotin, „THIS IS THE WAR ROOM“ (2017). Filmstill von Andreas-Michael Velten

Sir Kenneth Adam

Sir Kenneth Adam wurde 1921 als Klaus Hugo Adam in Berlin geboren. Seine Eltern Lilli und Fritz Adam waren Teil einer großbürgerlichen jüdischen Familie. Gemeinsam mit den Brüdern Georg, Siegfried und Otto Adam waren sie Eigentümer einer Warenhauskette mit Niederlassungen in Berlin, Hamburg und Chemnitz. Zu den Warenhäusern gehörte auch das Sportmodegeschäft S. Adam an der Friedrichstraße – Ecke Leipziger Straße. 1934 musste die Familie aufgrund der Rassenpolitik der Nationalsozialisten nach Großbritannien fliehen. Während des Zweiten Weltkriegs flog Ken Adam als Jagdflieger der Royal Air Force Einsätze „gegen die Nazis und Hitler, aber nicht gegen Deutschland“. Sir Ken Adam starb 2016 in seiner Wahlheimat London.


© Christopher Frayling

The Ken Adam Archive

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek, die seit 2012 Ken Adams persönliches Archiv beheimatet

Hardcover, in changierenden Bicolor-Stoff geb., mit 4-Phasen-Hologramm

36 x 36 cm, 3,88 kg, 360 S., mit graviertem Buchständer aus Acryl

Edition von 1.200 nummerierten und von Ken Adam signierten Exemplaren

850 Euro

www.taschen.com


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