
Nachgefragt: Im Gespräch mit Kengo Kuma.
Seine Bauten interpretieren traditionelle japanische Formen und Bauweisen auf überraschende Weise neu. Sie stellen oft eine enge Verbindung zur Natur her und messen dem Thema Nachhaltigkeit eine hohe Relevanz bei: Kengo Kuma gründete 1990 sein Architekturbüro Kengo Kuma and Associates. 1954 in Yokohama geboren, hat er Architektur an der Universität Tokio studiert, wo er seit 2009 eine Professur innehat. 2020 wurde Kengo Kuma der Ehrentitel „Architect of the Year“ des ICONIC AWARDS: Innovative Architecture verliehen. Lutz Dietzold, Geschäftsführer des Rat für Formgebung, sprach zu diesem Anlass mit Kuma.
Interview von Lutz Dietzold.
Hallo, Mr. Kuma. Es ist mir eine Ehre, Sie im virtuellen Raum zu treffen, um Ihnen zu dem Ehrentitel „Architect of the Year“ 2020 zu gratulieren. Die Jury der Iconic Awards hat entschieden: Der Preis für Innovative Architektur geht in diesem Jahr an Sie und Ihr Team. Ich bin Geschäftsführer des Rat für Formgebung, der seit mehr als 60 Jahren herausragende Leistungen in Design und Architektur identifiziert und präsentiert. Schon in den letzten Jahren sind mehrere Ihrer Projekte mit Iconic Awards ausgezeichnet worden. Dieses Mal hat die Jury Ihre Arbeit als Referenz für eine Weltklasse-Architektur anerkannt, die einen Ausblick auf die Zukunft nachhaltigen Bauens rund um den Globus bietet.

Kengo Kuma: Vielen herzlichen Dank.
Sie haben einmal gesagt: „Ich möchte die Ära des Betons hinter mir lassen“ – und haben Strukturen, Gebäude und Brücken aus Holz errichtet. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sich die zeitgenössische Architektur verstärkt einem bewussteren und nachhaltigeren Umgang mit Materialien zuwendet?
Im 20. Jahrhundert war ich, wie die meisten Architekten, der Ansicht, Beton und Stahl seien für jedes Gebäude die einzige Option. Und in der Tat, in dieser industriellen Ära war dies wohl auch die beste Lösung. Nun aber, im 21. Jahrhundert, wo wir mit der Umweltkrise der globalen Erwärmung konfrontiert sind, sollten wir uns entscheiden, anders zu bauen. Die Konstruktionsweise mit Beton hat uns ja auch vielerlei Belastungen beschert. Deshalb mein Wunsch, mich vom Beton zu lösen.
„Im 21. Jahrhundert, wo wir mit der Umweltkrise der globalen Erwärmung konfrontiert sind, sollten wir uns entscheiden, anders zu bauen.“
Welche Rolle spielt Licht in Ihren Entwürfen?

Ich denke ständig über Materialien und Licht nach. Ein Material allein kann nicht zu uns sprechen, deshalb sind Material und Licht immer gemeinsam zu betrachten. In der traditionellen japanischen Architektur hat man über natürliches Licht schon deshalb nachgedacht, weil es keine künstliche Beleuchtung gab. So wurde der Innenraum immer von natürlichem Licht erhellt – mittels Reflektion und anderer, raffinierter Methoden. Wenn ich Licht in meinen Projekten einsetze, lasse ich mich von dieser Tradition anregen.
Sie haben erwähnt, dass Sie bei zahlreichen Bauwerken innovativ auf traditionelle japanische Kunst- und Handwerkstraditionen zurückgreifen. Wie äußert sich, von Ihrer persönlichen Warte aus betrachtet, die neue „Japan-ness“ in der Architektur?
„Japan-ness“ ist eine Art nachhaltiger Methode und findet darin auch ihre Beschränkung. Japan ist hauptsächlich flach, und Land ist in sehr begrenztem Maße vorhanden. Unter diesen schwierigen Bedingungen sind die Menschen angehalten, den Versuch zu unternehmen, ihr Glück in der Gedrängtheit, im dichten Nebeneinander zu suchen. Die japanische Art der Verdichtung hat sehr viel mit Intimität in beengten Verhältnissen zu tun.
Gibt es eine Zeit oder eine Person in Ihrem Leben, die für Sie besonders wichtig war, die einen großen Einfluss die auf Ihre kreative Arbeit hatte?
Die wichtigste Zeit für mich waren die 1990er-Jahre. Wirtschaftlich gesehen waren sie ein sehr hartes Jahrzehnt, weil sich bei uns in den 1980er-Jahren bis Anfang der 1990er eine ökonomische Blase entwickelt hatte. Zum Glück hatte ich damals genug Zeit, abgelegene Orte und kleine Dörfer zu bereisen und mit den Handwerkern vor Ort an kleinen Projekten zu arbeiten. Auf diese Weise habe ich in den 1990er-Jahren viel von den Handwerkern auf dem Lande gelernt. Es waren nicht viele Projekte, die wir damals realisiert haben, und sie waren sehr klein, aber was ich in dieser Zeit von den Handwerkern gelernt habe, bildete die Grundlage dafür, wie wir Bauten ab dem Jahr 2000 gestaltet haben.
Was Materialien angeht, gelten Sie als Entdecker – über Ihr Bestreben, Beton hinter sich zu lassen, haben wir bereits gesprochen. Welche Materialinnovationen erwarten Sie?
Ich habe großes Interesse an weichen Materialien – und da ist Holz natürlich weicher als Beton. Ich bin aber auch auf der Suche nach Materialien, die viel weicher sind als Holz. Die Forschung produziert derzeit zahlreiche innovative Materialien, und wir sind bereit, diese technologischen Neuerungen auch einzusetzen. Neuerdings verwenden wir zum Beispiel Kohlefaser – und wir sind gespannt, welche Materialien die Zukunft noch bringen wird.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang für die größte Herausforderung in der gegenwärtigen Architektur?
Vor dem 19. Jahrhundert haben Architekten beim Bauen viele verschiedene Materialien benutzt. Im 20. Jahrhundert wurde die Anzahl der verwendeten Materialien dann stark eingeschränkt. Wenn die Covid-19-Pandemie überstanden ist, sollten wir zur Natur und zu einer Diversität der Materialien zurückkehren. Ich halte das für eine große Chance für uns alle.
Wenn Sie sich die demografische Entwicklung in den Megastädten der Welt anschauen, wie kann die Architektur dazu beitragen, Räume mit einer positiven Beziehung zur Natur zu schaffen?
Bis ins 20. Jahrhundert hinein hat sich der Homo sapiens in großen Städten versammelt und versucht, seine Nester höher und immer höher zu bauen. Nach der aktuellen Krise sollten die Menschen zur Natur zurückfinden und unser Leben sollte sich wieder stärker an der Landwirtschaft orientieren. Ich bin großer Hoffnung, dass uns dieser Wandel gelingt. Grundsätzlich bin ich diesbezüglich sehr positiv gestimmt.
Wird die Pandemie in Ihren Augen einen Einfluss auf die weltweite Architektur haben? – Etwa im Hinblick darauf, dass Gebäude und Wohnungen anders genutzt werden und sich die Erwartungen der Menschen an die Architektur geändert haben?
Oh ja. Mit Blick auf die Geschichte des architektonischen Gestaltens komme ich zur Einsicht, das Handwerk sollte wieder die Führung übernehmen. Ich sehe das 21. Jahrhundert als Epoche der Handwerker.
„Ich sehe das 21. Jahrhundert als Epoche der Handwerker.“
Mr. Kuma, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und uns interessante Einblicke in Ihre Arbeit und Ihr Verständnis von Architektur gewährt haben. Alles Gute für Ihre zukünftigen Projekte, bleiben Sie gesund – und noch einmal herzliche Glückwünsche.
Ich danke Ihnen und dem Rat für Formgebung – Gratulation an die Gewinner der Iconic Awards. Ich bin immer bestrebt, meinen Weg weiterzugehen.
Einen Teil des Interviews können Sie auf YouTube verfolgen:
Bei den ICONIC AWARDS 2021: Innovative Architecture teilnehmen
Für den ICONIC AWARDS 2021: Innovative Architecture können Architekt/innen, Ingenieur/innen, Fachplaner/innen, Agenturen und Designbüros, Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie Hersteller/innen der gestaltenden und produzierenden Industrie noch bis zum 21. Mai ihre Projekte einreichen.
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