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Ein neues Buch macht die wechselvolle, 100-jährige Historie der Marke Loewe anschaulich – und zeichnet damit auch ein Stück deutscher Designgeschichte nach. So wird ein ganzes Jahrhundert zu einer verdichteten Case Study, aus der man viel lernen kann.

Rezension von Gerrit Terstiege

Wie so oft in der deutschen Wirtschaftsgeschichte waren es auch bei dieser Gründung zwei Brüder, die sich zusammengetan haben. Als promovierter Physiker brachte Siegmund Loewe seine technischen Kompetenzen ein, während der Export-Spezialist David Ludwig Loewe seine langjährige kaufmännische Erfahrung, unter anderem auf dem amerikanischen Markt, nutzbringend einsetzte. Zunächst hieß ihre Firma recht prosaisch „Radiofrequenz GmbH“. Doch im Gründungsjahr 1923 wurden gleich noch die Loewe Audio GmbH (Elektronenröhren) und die Loewe Radio GmbH (Lautsprecher und Widerstände) gegründet, die Zubehör und Einzelteile produzierten. Das war zweifellos mutig, denn das junge Medium ging ja im selben Jahr gerade erst an den Start. Eine Sendung am 29. Oktober 1923 gilt als Beginn des Rundfunks in Deutschland, der damit ebenfalls in diesem Jahr das hundertjährige Jubiläum feiert.

Ein Autor nah am Thema

Loewe
Der Opta 537 – der „Schlittschuh” – aus dem Jahr 1936/37, © Loewe Technologie GmbH

Der Autor der Festschrift zum Jubiläum ist Kilian Steiner, der im Fach Technik- und Unternehmensgeschichte an der TU München promovierte. Nach Tätigkeiten als Unternehmenshistoriker und PR-Berater arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Museums. 2008 wurde er PR-Manager International bei Loewe. Damit ist Steiner naturgemäß nah am Thema, ein distanzierter Blick auf die Entwicklungen des Herstellers, auf die Höhen und Tiefen der Marke, ist hier also eher nicht zu erwarten. Aber ein kompetenter: Steiner hat schon mehrfach zu Loewe veröffentlicht, etwa ein Buch über die Jahre des Unternehmens bis 1962 und einen Aufsatz über die „Arisierung“ der Firma, der im Berliner Metropol Verlag erschienen ist.

Natürlich steht bei dieser Publikation ein vielseitiges Lob der Errungenschaften der Firma im Vordergrund, die das deutsche Design geprägt hat und bis heute prägt. Bereits die frühen Jahre zeigen eigenständige Gehäuseformen und dekorative Anklänge an das Art Deco, wie etwa das Modell Opta 537, auch bekannt unter dem Spitznamen „Schlittschuh”, denn seine Zierleisten auf der Front biegen sich wie Kufenspitzen um den kreisrunden Lautsprecher.

Die dunklen Jahre 1933 bis 1945

Das heute im fränkischen Kronach beheimatete Unternehmen dokumentiert mit dieser Publikation auch seinen vorläufigen Untergang im national-sozialistischen Deutschland: Die jüdisch-stämmigen Gründer wurden aus dem Unternehmen gedrängt. Und wie jeder deutsche Radiohersteller muss Loewe bald nach der Machtergreifung auf Geheiß von Goebbels den Volksempfänger VE 301 herstellen – dessen Typenbezeichnung trug übrigens das Datum eben jener Machtergreifung Hitlers, den 30.1. des Jahres 1933, versteckt und gleichzeitig vielsagend im Namen. Mit Kriegsbeginn wurden deutsche Rundfunk-Hersteller gezwungen, die Produktion auf militärische Funkgeräte, Peilsender und Ähnliches umzustellen.

Doch nach dem Krieg kehrten die Loewe-Brüder zurück und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Ihr Name war in der Nazi-Zeit erst in Löwe verändert und dann mit dem Zusatz Opta versehen worden. Steiner schreibt dazu: „Die Markenbezeichnung Opta war bereits seit 1935 Teil der Typenbezeichnung der Loewe Produkte gewesen. Sie ist vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt eingeführt worden, um von dem „jüdischen“ Firmennamen abzulenken. Damit war die Marke Loewe nach wenigen erfolgreichen Aufbaujahren schon wieder Geschichte – vorerst.” Löwe-Opta ist mittlerweile auch als Markenname Geschichte – selbstbewusst folgt heute auf den großgeschriebenen Familiennamen in fetter Typo ein Punkt: LOEWE. Dies war übrigens eine Idee des legendären Stuttgarter Grafikers Hubertus Carl Frey, genannt „hace“.

Namhafte Gestalter prägen das Loewe-Design

Man erfährt hier auch manches Überraschende, etwa dass der HfG Ulm-Absolvent und ICE-Designer Alexander Neumeister für Loewe entworfen hat oder auch, dass der namhafte Markenberater und Branding-Experte Jörg Zintzmeyer (1947 – 2009) das Konzept „Loewe Individual“ ersann: Durch austauschbare Flanken und Außen-Elemente in einer breiten Palette an Farben und Materialien ließen sich Loewe-Fernseher auf persönliche Vorlieben und den jeweiligen Einrichtungsstil abstimmen. Eine wirklich smarte Idee, die heutige Individualisierungs-Konzepte etwa in der Automobil-Industrie, im Interior oder Office Design vorwegnahm.

Doch für die Wiederbelebung von Loewe als Luxus- und Designmarke waren in den letzten Jahrzehnten vor allem Tom Schönherr und Andreas Haug vom Stuttgarter Studio Phoenix Design maßgeblich verantwortlich. Wenn man heute manche Loewe-Geräte designgeschichtlich in einem Atemzug mit Braun- und Wega-Entwürfen nennt, so ist das vor allem das Verdienst der Phoenix Designer. Sie holten für Loewe zahlreiche Designpreise und stärkten zwischen 1988 und 2012 das Branding mit einer innovativen, markanten und gleichzeitig eleganten Gestaltung.

Und sie erdachten das sogenannte „Loewe-Auge” mit seiner zentralen Anzeige-Funktion an den Fernseher-Fronten als ein Zeichen mit hohem Wiedererkennungswert. So konnte sich Loewe lange am Markt halten, obwohl die Produkte der Marke immer deutlich teurer waren als die Konkurrenz aus Fernost. Zwar interviewte der Autor Tom Schönherr für diese Publikation – aber es wurden hier nur einzelne Zitate von Schönherr in den Text eingefügt. Es wäre durchaus spannend und angemessen gewesen, Haug und Schönherr in diesem Buch mehr Platz einzuräumen. Wer als Designer fast ein Vierteljahrhundert eine derart konstante Leitung für ein Unternehmen zeigt, hätte zweifellos ein eigenes, ausführliches Interview verdient.

Rettung in letzter Minute

Dass indes gute Gestaltung nur ein Faktor – wenn auch ein wichtiger – für wirtschaftlichen Erfolg ist, zeigen zahlreiche Beispiele in den letzten 50 Jahren, gerade in der Branche der Unterhaltungselektronik. So schien die Insolvenz von Loewe im Sommer 2019 schon besiegelt. Doch plötzlich erschien der Investor Aslan Khabliev auf der Bildfläche und das Blatt wendete sich. Ohne ihn wäre die große deutsche Marke kurz vor dem 100-jährigen Jubiläum sang- und klanglos und sicher für immer untergegangen. Jetzt also werden wieder Fernseher in Kronach produziert und es darf gefeiert werden. Nicht nur mit diesem 200 Seiten starken Buch: aktuell findet in der Fränkischen Galerie auf der Festung Rosenberg in Kronach auch eine große Ausstellung zur Unternehmenshistorie statt. Sie läuft noch bis zum 29. Oktober 2023.


Cover des Buchs Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History, © avedition

Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History

Kilian Steiner, hrsg. von Loewe Technology GmbH

200 Seiten, Hardcover, 100 Fotos und Pläne 17 x 24 cm

Deutsch / Englisch

av edition, Stuttgart 2023

ISBN: 978-3-89986-390-1

32,00 Euro


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