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Sie setzen Maßstäbe im zirkulären Bauen, indem sie radikal nachhaltige und multifunktionale Räume aus recycelten Materialien entwerfen: LXSY aus Berlin. In enger Zusammenarbeit mit ihren Auftraggeber*innen arbeiten die drei Architektinnen an neuen, innovativen Projekten und treiben die Bauwende voran.

von Florian Heilmeyer

LXSY – v.l.n.R.: Wiebke Ahues, Kim Le Roux, Margit Sichrovsky | © Hannes Wiedemann

LXSY ist ein Architekturbüro in Berlin, das sich dem zirkulären Bauen verschrieben hat. Das Studio wurde 2015 von Kim Le Roux und Margit Sichrovsky gegründet. Der etwas kryptische Name setzt sich aus dem ersten und letzten Buchstaben ihrer Nachnamen zusammen. Kennengelernt haben sich die beiden 2008 zu Beginn ihres Architekturstudiums an der Technischen Universität Berlin. Aus einem gemeinsamen Projekt wurden mehrere, und weil die Zusammenarbeit gut klappte, machten sie ein gemeinsames Diplom. Anschließend wollten sie gerne weiter zusammen arbeiten, sammelten aber zunächst Erfahrungen in großen Büros. Sichrovsky blieb in Berlin. Le Roux, die aus Südafrika stammt, arbeitete für die Bundesregierung an einem Projekt in Äthiopien. Sie stellten bald fest, dass sie lieber den eigenen Überzeugungen folgen wollten. Und obwohl es weder ein erstes konkretes Projekt noch einen Businessplan gab, gründeten sie im Januar 2015 LXSY.

Zirkuläres Bauen im Fokus

Auf der Suche nach einem Arbeitsraum landeten sie beim Impact Hub Berlin, einer Kombination aus Co-Working-Space und Start-up-Center. Dort können Interessierte nicht einfach einen Arbeitsplatz mieten, sondern müssen sich bewerben und zeigen, dass die eigene Geschäftsidee zur Philosophie des Impact Hub passt. Diese zielt auf eine globale Wirtschaft, in der sich jeder Unternehmende der eigenen sozialen und ökologischen Verantwortung bewusst ist. Mit ihrem Fokus auf soziale, kulturelle und ökologische Nachhaltigkeit bekamen LXSY einen Arbeitsplatz – und kurz darauf auch den ersten Auftrag. Denn der Impact Hub Berlin stand kurz vor dem Umzug in größere Räumlichkeiten und hatte gerade einen Open Call für geeignete Architekt*innen veröffentlicht. So wurde der Vermieter auch ihr Auftraggeber.

LXSY – Impact Hub Berlin at CRCLR House / Foto: Studio Bowie 2022
LXSY – TRIVIAL CIRCUT | © Foto: Axel Sichrovsky

Multifunktionalität als Markenzeichen

Auch, wenn das Budget knapp war: Der Architektur sieht man das nicht an. Entstanden ist eine vielfältige Arbeitslandschaft mit Zonen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse: laut oder leise, hell oder dunkel, lebhaft oder konzentriert. Manche Zonen lassen sich durch Schiebewände schnell umstrukturieren, um auf wechselnde Arbeitssituationen flexibel reagieren zu können. Alles ist doppelt nutzbar: Holzregale sind auch Sitzgelegenheiten. Die Holzbänke haben Schubladen. Ein großer Holzeinbau ist Küche, Videocall-Box, Regal und Besprechungstisch in einem – und bietet dazu noch eine kleine Dachterrasse. Die Multifunktionalität aller Elemente wie bei einem Schweizer Taschenmesser wird zum Markenzeichen von LXSY. Ebenso wie die intensive Zusammenarbeit mit den Nutzer*innen der Räume, deren Bedürfnisse in vielen Gesprächen ausgelotet werden. Daraus entstehen die Ideen für die hybriden Zonen und die vielfach nutzbaren Objekte und Einbauten.

Von der Linie zum Kreis

Ein drittes Markenzeichen von LSXY ist radikale Nachhaltigkeit. Was LXSY baut, besteht im Idealfall vollständig aus wiederverwendeten Materialien oder Bauteilen – und lässt sich gleichzeitig möglichst rückstandsfrei wieder abbauen und wiederverwenden. Ein echter Kreislauf, das ist der Anspruch, auch wenn er kaum zu 100 Prozent einzulösen ist. Denn was so einfach klingt, ist nicht weniger als eine Neuerfindung der gesamten Bauindustrie. Diese ist seit mehr als 100 Jahren als Verbrauchslinie organisiert – take, make, waste: Rohstoffe abbauen, daraus Baustoffe und Bauprodukte herstellen, diese zur Baustelle transportieren, verbauen und beim Abriss als Bauschutt entsorgen. So funktioniert unser Bauen und das ist, kurz gesagt, der Kern des Problems. Deshalb ist die Immobilienwirtschaft jedes Jahr für rund 40 Prozent aller vom Menschen verursachten CO2-Emissionen verantwortlich ist. LXSY will aus dieser Linie einen Kreis machen. Sie sind nicht die Einzigen, die das wollen. Aber sie treiben es mit großer Energie voran. Ein „konventionelles“ Projekt wird man von ihnen nicht sehen, sagen sie.

Kritisch prüfen und reagieren

„Für uns fühlt es sich einfach richtig an, zirkulär zu designen und zu bauen“, sagt Le Roux. „Wir müssen umdenken und brauchen ein neues Miteinander. Dahinter wollen wir als Architektinnen konsequent stehen.“ Damit sind LXSY Pionierinnen und als solche bei jedem Projekt auf exzellente Kommunikation angewiesen. Es geht darum, in den Grauzonen der Normen und Vorschriften gemeinsam mit Auftraggeber*innen, Unternehmen und Handwerker*innen die Potenziale zu entdecken, mit denen sich gewohnte Abläufe verändern lassen. Zirkuläres Entwerfen heißt: kritisch prüfen, verhandeln und flexibel reagieren. Auch die Entwurfsarbeit verändert sich. Man muss mit den Materialien und Bauteilen auskommen, die zur Verfügung stehen: Form follows availability.

LXSY hat dies in zwei Projekten in Berlin erprobt: Beim Umbau der Alten Post in Kreuzberg in einen Co-Working-Space und bei der Innenraumgestaltung für ihren zweiten Impact Hub Berlin, diesmal in einer alten Fasslagerhalle in Neukölln. Dort haben sie mit den Nutzer*innen zunächst nur grobe Raumzonen definiert. Einige Materialien legten sie fest, ebenso ein Farbkonzept. Alles andere ergab sich im Laufe des Projekts. Die hohe Kunst des zirkulären Entwerfens besteht darin, dass die Räume hinterher nicht total provisorisch und vergänglich wirken. Das ist LXSY bei beiden Projekten gelungen. Die Räume wirken in sich stimmig und schaffen mit ihren rauen, robusten Materialien, die teilweise noch deutliche Gebrauchsspuren zeigen, eine angenehme, warme und konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Dabei sind beim Impact Hub in Neukölln 70 Prozent aller verwendeten Materialien und Elemente recycelt oder nachhaltig.

LXSY – Transformation Alte Post | © Foto: Anne Deppe

Neue Projekte, neue Herausforderungen

Diese angenehm lebendige und zugleich hochwertige Ästhetik hat LXSY viel Aufmerksamkeit eingebracht. Nun wächst das Büro mit seinen Aufgaben: In Merseburg entwickeln sie ein 25 Hektar großes Fabrikgelände zu einem lebendigen Stadtquartier. In Stuttgart sind sie eingeladen, im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 an der Transformation eines ehemaligen Industrieareals mitzuwirken. Zusammen mit asp Architekten plant LXSY dort den Neubau eines Blocks mit 76 Wohn- und 6 Gewerbeeinheiten sowie die Weiterentwicklung von zwei Bestandsgebäuden, unter anderem mit einer Aufstockung in Holzbauweise. Und in Berlin sollen LXSY – wieder im Team mit asp – einen zirkulären Pavillon für die Heinrich-Böll-Stiftung direkt neben dem Kino International errichten, als Teil der ursprünglichen, nie realisierten Konzeption der Stalinallee. Damit nicht genug, will LXSY nun auch eigene Projekte initiieren und in der Forschung aktiv werden. Im Oktober tritt Sichrovsky eine Professur an der Hochschule für Technik in Stuttgart an – für klimagerechte und ressourceneffiziente Architektur. „Als Büro sind wir besonders daran interessiert, internationale Standards für die Wiederverwendung von Bauteilen zu etablieren“, sagt Le Roux. Dazu könne praxisorientierte Forschung beitragen.

LXSY Architekten
LXSY in Kooperation mit asp ArchitektenDer neue Stöckach | © asp Architekten

Vision einer ganzheitlichen Architektur

Insgesamt klingt das nach starken Fliehkräften, die ein Büro auseinanderreißen können. Um den Maßstabssprung ohne Bruchlandung zu meistern, hat LXSY im April eine dritte Partnerin an Bord geholt: Wiebke Ahues, die zuvor in leitenden Positionen bei Henning Larsen, Max Dudler oder David Chipperfield gearbeitet hat. „Wiebke bringt Erfahrung mit Großprojekten auch im städtebaulichen Maßstab mit“, sagt Le Roux. Im Vorstand der Berliner Architektenkammer ist Ahues zudem schon länger in einer Arbeitsgruppe zum nachhaltigen und zirkulären Bauen aktiv, kennt sich also mit Gesetzen und Normen in diesem Bereich bestens aus. So wird sie helfen, den Maßstabssprung zu bewältigen. „Wir haben das Büro mit dem Gedanken gegründet, Architektur ganzheitlich zu denken. Wir wollen uns nicht auf bestimmte Leistungsphasen beschränken, sondern übernehmen vom Entwurf über die Planung bis zur Umsetzung alle Phasen – und dann noch alles, was uns drumherum wichtig erscheint.“ Mit dem gewachsenen Team wollen die Architektinnen beweisen, dass radikale Nachhaltigkeit auch bei Projekten im Quartiersmaßstab keine Abstriche bei der gestalterischen Qualität bedeuten muss. „Wir brauchen die Sichtbarkeit von exzellentem Design innerhalb planetarer Grenzen für den Wandel in der Branche.“


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Foto: Lena Giovanazzi

Über den Autor

Florian Heilmeyer, geboren 1974, lebt und arbeitet mobil, aber überwiegend in Berlin. Er studierte Architektur in Berlin und Rotterdam, und veröffentlichte während des Studiums erste Texte. Er arbeitet seitdem als Kritiker, Journalist, Redakteur, Berater und Kurator am Forschungsfeld Architektur Gesellschaft und Stadt. Er schreibt für die Fach- und Tagespresse weltweit, ist Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher Fachbücher und war an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, darunter zweimal am deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. Aktuell begleitet er die Ausstellung „Umbau“ von Gerkan Marg und Partner auf ihrer Welttournee.”


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