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Vor zwei Jahren wurden die BurgLabs als Plattform für disziplinübergreifende Forschung zu Materialien und Technologien an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle eingerichtet, gefördert durch das Land Sachsen-Anhalt und den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Mareike Gast, Projektleiterin und Professorin für Industriedesign an der Burg, spricht über die Erkenntnisse und Ergebnisse der ersten Förderphase und gibt einen Ausblick dazu, wie es weitergeht.

Interview von Karianne Fogelberg

Mareike Gast, seit 2020 gibt es mit dem SustainLab, dem BioLab und dem XLab drei Labore an der Burg, an denen Materialien und Technologien im Hinblick auf zukünftige Anwendungen erforscht werden. Welche Überlegungen waren für ihre Einrichtung auschlaggebend?

Es gab zum einen den Wunsch, Technologien bzw. Themenfeldern wie Nachhaltigkeit, Biotechnologie sowie Robotik und Künstliche Intelligenz, zu denen an der Burg bereits gearbeitet wurde, einen eigenen Ort einzurichten. Wir sind überzeugt davon, dass diese Themen für unsere Produktionsweisen und unseren Umgang mit Material in Zukunft relevant sein werden. Zum Beispiel biotechnologische Prozesse: Als Gestalterin kann ich entweder warten, bis die sogenannte Bioökonomie etabliert ist, oder ich kann mich aktiv an deren Entwicklung beteiligen und mitgestalten, wofür wir biotechnologische Prozesse und nachwachsende Materialien nutzen und wie sich unser Verhältnis zur Natur dadurch verändert. Und darin liegt das zweite Motiv.

Die BurgLabs
Die BurgLabs sind Plattformen für disziplinübergreifende Forschung an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Mit dem SustainLab, dem BioLab und dem XLab werden die Gebiete Nachhaltigkeit, Biotechnologie, Künstliche Intelligenz und Robotik fokussiert. Jedes Labor für sich geht dabei der spezifischen Materie auf den Grund: Molekülen, Atomen und Bits. Die Labore agieren gemeinsam in den Grenzbereichen von Gestaltung und Wissenschaft.
ndion wird die Labs in einem weiteren Beitrag vorstellen.

Als Kunsthochschule sehen wir es als wichtige Aufgabe an, uns aktiv in die Erforschung dieser Technologien und Materialien und den Diskurs dazu gestalterisch einzubringen. Mit den BurgLabs haben wir eine hochschuleigene Forschungsstruktur geschaffen, an der Künstler*innen und Designer*innen disziplinübergreifend und mit Fachleuten der jeweiligen Disziplinen zu diesen Themen forschen können.

Werden solche Labore in Zukunft an Designhochschulen zur Standardeinrichtung gehören wie Werkstätten und Bibliotheken?

Labore unterscheiden sich insofern von Werkstätten, als dass sie Fragestellungen adressieren, die weniger aus dem Handwerk oder Ingenieurwesen kommen als aus den Wissenschaften. Solche Fragestellungen halten in Designhochschulen immer weiter Einzug. Ihre Institutionalisierung in Form eigener Laboratorien antwortet auf diese Entwicklung und macht sie gleichzeitig sichtbarer. Damit gewinnt auch das gestalterische Forschen weiter an Bedeutung. Ich denke, beides wird sich in Zukunft an Designhochschulen etablieren. Ebenso wie das, was wir heute erforschen, eines Tages Normalität sein wird. Neue Methoden der Biotechnologie werden schon bald zu einer Art Handwerk. Produkte werden in Laboren wachsen, so wie heute Brot in Bäckereien produziert wird. Prozesse gehen raus aus der Forschung und rein in die Fertigung. Designhochschulen aber auch Designer*innen werden selbstverständlich dazu beitragen.

Heißt das, dass sich das Berufsbild der oder des Designer*in mit den BurgLabs ändert bzw. die BurgLabs auf ein sich veränderndes Berufsbild reagieren?

Ja, absolut. Das heißt aber nicht, dass Absolvent*innen, die in den Labs gearbeitet haben, künftig nur in Forschungskontexten arbeiten werden. Das ist spannend. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt davon, dass diese Art und Weise zu gestalten genauso relevant für Designer*innen ist, die für Unternehmen oder Auftraggeber aus der Industrie arbeiten oder selbst unternehmerisch tätig werden. Auch in Unternehmen gewinnt designbasierte Entwicklung an Relevanz, zum Beispiel im Hinblick auf eine umfassendere Betrachtung von Materialien nach Nachhaltigkeitsaspekten. Für die Erforschung solcher Fragestellungen braucht es interdisziplinäre Teams – nicht Designer*innen alleine. Hier können Designer*innen sich jedoch gewinnbringend einbringen. Insofern wünschen wir uns, dass unsere Absolvent*innen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in Wirtschaft und Politik ebenso wie in der Forschung anwenden. Schließlich sollen Studierende in den BurgLabs auch ein Verständnis dafür entwickeln, wo Design jenseits eines eng gefassten Entwurfsbegriffes Wirkung entfalten kann, und ein Bewusstsein für ihre eigene Wirkmächtigkeit entwickeln.

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten erlernen die Studierenden in den Labs?

Das sind zum einen konkrete praktische Kenntnisse, zum Beispiel das Kultivieren von lebendigen Organismen oder das methodische Bewerten von Nachhaltigkeitsaspekten. Viele dieser Kenntnisse sind exemplarisch. Es geht weniger darum, einen vollständigen Einblick in die optimalen Wachstumsbedingungen jedes einzelnen Organismus zu gewinnen, sondern darum, die zugrunde liegenden Prinzipien, die Potentiale und die damit verbundenen Fragestellungen kennenzulernen. Wichtig ist vor allem, die Scheu vor diesen Themen zu verlieren. Zum Beispiel erfahren Studierende, dass es sinnvoll sein kann, eine*n Umweltwissenschaftler*in für eine Ökobilanz hinzuziehen, dass sie gewisse Einschätzungen aber auch selbst vornehmen können und hierzu die entsprechenden Tools, Expert*innen und Themen kennen. Zum anderen erlernen sie methodisches Vorgehen. Das wird natürlich nicht exklusiv in den Labs gelehrt. In den Labs liegt der Fokus dabei jedoch weniger auf einer lösungsorientierten als auf einer explorativen Herangehensweise an Materialien und Technologien. Die Studierenden lernen, mit einem ergebnisoffenen Prozess umzugehen, der nicht auf eine Problemlösung abzielt, sondern kontextspezifischen Fragestellungen nachgeht, aus denen ganz unterschiedliche Antworten resultieren können, und wie sie mit dieser Komplexität produktiv arbeiten können.

Der Rucksack Aggregat ist ein Beispiel für die variablen Einsatzmöglichkeiten des Biokunststoffs PHB, © Hannah Kannenberg

Können Sie ein Beispiel nennen, wie diese explorative Herangehensweise aussehen kann?

In dem Semesterprojekt Full Circle haben Studierende aus dem Industriedesign die Kreislauffähigkeit von Biokunststoffen erforscht bzw. diese gestaltet. Dass biologisch abbaubare Kunststoffe zirkulieren, wird zwar häufig vorausgesetzt, aber wir wissen, dass das allein durch ihre Materialkomposition noch nicht gegeben ist. Ebenso wichtig für eine funktionierenden Kreislaufwirtschaft sind entsprechende Geschäftsmodelle, Rücknahme- und Recyclingstrukturen und die Vernetzung der beteiligten Akteure. Erst sie gewährleisten, dass die verwendeten Materialien tatsächlich zirkulieren und wünschenswerte Werkstoffe und Produkte daraus entstehen. Die Studierenden haben sich mit ausgewählten Materialien aus der Region befasst, und dabei nicht nur Produkte entworfen, sondern alternative Produktionsstrukturen, Materialströme, Geschäftsmodelle und Herangehensweisen an Produkte untersucht.

Sind dabei auch Ansätze entstanden, die sich in die Anwendung überführen lassen?

Eines der untersuchten Materialien war Chitin, ein natürlich vorkommendes Polymer, das bei dem Leipziger Unternehmen madebymade bei der Züchtung von Soldatenfliegen als Proteinquelle für die Futtermittelindustrie als Reststoff anfällt, und aus dem sich Chitosan herstellen lässt, das bisher hauptsächlich aus dem Chitin von Krabben und Shrimps gewonnen wird. Aus dieser Zusammenarbeit entsteht jetzt das regionale Forschungsprojekt insectmatter, das Anfang 2023 starten soll. Dort untersuchen Forschungspartnern aus der Region unter Beteiligung des SustainLab und BioLab, inwiefern sich die chitinhaltigen Insektenhüllen sinnvoll verwenden und in Materialkreisläufe in der Region überführen lassen. Neben der Firma madebymade, die das Ausgangsmaterial stellen, sind der Chitosan-Hersteller BioLog Heppe , das ITM der TU Dresden (Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik) und das Unternehmen NIG aus Magdeburg beteiligt. Die BurgLabs untersuchen die Stoffströme im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit und konzipieren vor diesem Hintergrund Produkte aus und mit Chitosan, die weitere regionale Kreisläufe erschließen können.

BurgLab madeLocal

madeLocal möchte Insektenfarm, Chitosan-Produktion und -Verarbeitung vereinen. Das fiktive Unternehmen ist ein Kollektiv aus Designer*innen und Naturwissenschaftler*innen. Eine Dienstleistung, die madeLocal anbietet, ist flyWear, ein zirkuläres Brillenleasing-System, bei dem das in den Fassungen verwendete Chitosan in einem kleinen Biokunststoffkreislauf erhalten bleibt. © Max Greiner

Ist insectmatter damit ein erster Meilenstein in der Verstetigung der BurgLabs?

Unbedingt. Hier lässt sich exemplarisch zeigen, welche Rolle Design in der Wertschöpfungskette spielen kann. In unserer Region ist vieles im Umbruch. Es geht darum, den Strukturwandel einer Region zu gestalten, die traditionell auf Braunkohle und chemischer Industrie beruht. Hier bietet Design viele bisher ungenutzte Potenziale. Für viele Firmen ist es noch ein unbeschriebenes Blatt, welchen Beitrag eine Designhochschule hier leisten kann. Meistens ist das gar nicht positiv oder negativ besetzt, sondern einfach nur unbekannt. Die Forschungsarbeiten, Publikationen, Ausstellungen und studentischen Projekte der ersten Förderphase haben dazu beigetragen, das Potenzial von Design in diesem Kontext sichtbar zu machen und Vertrauen in unsere Arbeit zu schaffen. insectmatter zeigt nicht zuletzt, dass wir als regionaler Partner wahrgenommen werden. Hier wollen wir uns in Zukunft noch stärker positionieren und noch gezielter zwischen designbasierter Forschung, Wissenschaft und Industrie vermitteln.


Prof. Mareike Gast

Mareike Gast ist seit 2016 Professorin für Industriedesign mit dem Schwerpunkt Material, Technologie und Nachhaltigkeit an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von (nachhaltigeren) Materialinteraktionen und Transformationsprozessen sowie in der Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Risiken der Biotechnologie. Sie ist Mitinitiatorin und Projektleiterin der BurgLabs, einer Plattform für gestalterische und interdisziplinäre Forschung in den Bereichen Nachhaltigkeit, Biotechnologie, KI und Robotik.

Prof. Mareike Gast, © Foto: Matthias Ritzmann


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