6 Min Lesezeit

Unternehmen suchen über viele Branchen hinweg nach Wegen, ihre Produkte und Herstellungsprozesse künftig nachhaltiger zu gestalten. Dies stellt langjährig etablierte Fertigungsverfahren auf den Prüfstand und wirft auch Fragen nach intelligenten Materialalternativen auf. Für Unternehmen lohnt ein Blick darauf, wie Materialforschung an den Hochschulen betrieben wird.

Von Sofia Wrede

Materialforschung
Julia Huhnholz und Friedrich Gerlach experimentierten in einem kleinen DIY-Labor, um das Potential des Biozements zu erkunden, © Julia Huhnholz und Friedrich Gerlach

Bauhaus Universität Weimar: Julia Huhnholz und Friedrich Gerlach sind hier noch mitten in ihrem Design-Studium, als sie das erste Mal von dem Material Biozement hören. Als Alternative zum klassischen Zement wird dieser mithilfe eines Bakteriums hergestellt. Inmitten des akademischen Reizklimas, das Erfolge an Kreativität und Forschungsgeist knüpft, sind sie sofort fasziniert. Sie tauschen sich mit einer Forschungsgruppe in Südafrika aus und experimentieren in einem kleinen DIY-Labor, um das Potential des Materials zu erkunden. Nach vielen Experimentierphasen und auch anspruchsvollen Zwischenschritten, die sogar den Bau einer Maschine voraussetzen, schaffen sie es endlich: Sie gewinnen selbst Biozement. Dafür mischen sie Urea, Kalk, das Bakterium Sporosarcina pasteurii sowie zerkleinerte Ziegelsteine von einem abgerissenen Gebäude auf ihrem Campus.

Die Bakterien bauen Harnstoff ab und wandeln das Calcium in Calciumcarbonat um: So wird das Gemisch fest. Nach einigen Tagen erhärtet der Stoff vollends und muss nicht wie sein Gegenspieler Zement CO2-intensiv gebrannt werden.

Im Fokus der Studierenden stand das Material und der Prozess, die Materialeigenschaften auszuloten. Nicht die Gestaltung eines konkreten Produkts stand im Vordergrund. Sondern der Freiraum im spielerischen Umgang mit Materialalternativen, die Lust und Unvoreingenommenheit innerhalb des Recherche- und Entwicklungsprozesses, haben den Raum und Antrieb für ihren Erfolg geschaffen.

Warum die Designbranche ein Auge auf die Hochschulen haben sollte

Fernab ökonomischer Produktionszwänge können kreative Gestalter*innen Materialien und Verarbeitungsprozesse radikaler hinterfragen als viele Designer*innen in Unternehmen. Ein Think Tank an Innovationspotential, der weit über die Hochschulen hinaus relevant sein kann. Manche Unternehmen nutzen diese Synergie bereits in einzelnen Projekten: Adidas und sein Partner Parley beispielsweise kooperierten mit der Parsons School of Design, um Schuhe zu designen, die aus Ozean-Plastik hergestellt werden.

Doch insgesamt sind es noch zu wenige Unternehmen, die sich für dynamische Prozesse und Innovationsimpulse durch Kooperationen mit externen Partnern öffnen, sei es für die Entwicklung ressourcenschonender Produktentwürfe oder die Gewinnung alternativer Rohstoffe. Dies verwundert vor allem angesichts massiver Nachwuchsengpässe und Recruiting-Herausforderungen auf allen Unternehmensebenen. Wie sinnvoll eine solche Zusammenarbeit sein kann, zeigt das Beispiel Vepa. Der niederländische Hersteller von Büro- und Objektmöbeln verfolgt unter dem Dach der Fair Furniture Group gemeinsam mit seinen lokalen Partnern eine konsequente Entwicklungsstrategie. Nachhaltig aufbereitete Rohstoffe werden hier durch innovative Herstellungsverfahren einem neuen Produktzyklus zugeführt. Über die Jahre gelang es Vepa so, in der Herstellung kreislaufwirtschaftlicher Möbel eine immense Expertise aufzubauen und in immer neuen Produktionsformen unter Beweis zu stellen. Und dieses Jahr investierte Vepa auch in die Kooperation mit Studierenden.

Orte der Innovation

Hochschule Mainz: Gemeinsam mit seinem Partner Plantics startete Vepa hier anlässlich des Projekts „Material als Design-Impuls“ eine Kooperation unter Leitung von Professor Bernd Benninghof. Vepa stellte den Studierenden der Innenarchitektur eigens entwickelte Hanfmatten und -fasern zur Verfügung, aus denen die Nachwuchs-Designer*innen Produkte entwickelten. Die mit Bio-Harz imprägnierten Matten entstanden aus einer Zusammenarbeit zwischen Vepa und dem langjährigen Partner Plantics. Sowohl die Hanffasern als auch das Harz sind rein pflanzlich, recycelbar und haben einen negativen CO2-Fußabdruck.

Im ersten Schritt untersuchten die Studierenden das Vepa-Material in mehreren Testverfahren auf seine Eigenschaften und Nutzungsqualitäten und -grenzen. Im nächsten Schritt entwarfen die Studierenden in mehreren Gruppen eigene Produkte auf Basis der imprägnierten Hanfmatten und -fasern, darunter einen Lounger, einen Raumtrenner und ein Akustikpanel.

Materialforschung
spook, © Nikolas Fahlbusch
Materialforschung
KROM, © Nikolas Fahlbusch
Materialforschung
WAVE, @ Nikolas Fahlbusch

Sie zeigten sich inspiriert von dieser spannenden und ungewohnten Aufgabe und erhielten im Dialog mit den Produktentwicklern von Vepa zahlreiche Erfahrungswerte und Ratschläge. Aber auch für das Unternehmen war die Zusammenarbeit ertragreich: Gegenwärtig prüft Vepa die Möglichkeit, ob sich einzelne Designs der Studierenden für die Weiterentwicklung eignen. Gertjan de Kam, Design- und Development Manager bei Vepa, zeigt sich von der Kooperation begeistert: „Studierende richten ihre Arbeit nicht nach ökonomischen Maßstäben aus. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, unser Material unvoreingenommen zu betrachten.“

Ausgezeichnet: Materialforschung, die wirkt

Friedrich Gerlach und Julia Huhnholz optimierten bei ihrem Material Biozement den Herstellungsprozess. Das Projekt „The Essence of Biocement“ ist ein Sitzmöbel, das dem Biozement eine besondere Ausdrucksform vermittelt. Dafür erhielten sie im April 2023 die Auszeichnung „Best of Best“ des Nachwuchswettbewerbs one&twenty des Rat für Formgebung. Mit dem Design des Objekts ist es gelungen, das Material verständlich zu machen. Durch die geschwungenen Formen des Möbelstücks wird deutlich, wie variabel der Biozement einsetzbar ist. Ganz bewusst lassen sie Abdrücke sicht- und spürbar, die beim Gießen des Materials in eigens entwickelte 3D-Schalungen entstanden sind. Sie führen dadurch ein quasi noch unentdecktes Material vor, das für die Möbel und Baubranche elementare Bedeutung entwickeln kann. Es eignet sich für Tischplatten, Lampenschirme oder Wandverkleidungen und vieles mehr. In der Architektur könnte es immense Nachhaltigkeitseffekte erzielen: In dieser Branche ist die CO2-Bilanz eine Belastung von ungleich größerem Maßstab.

Das Projekt „The Essence of Biocement“ ist ein Sitzmöbel, das dem Biozement eine besondere Ausdrucksform vermittelt. Es wurde 2023 als „Best of Best“ des Nachwuchswettbewerbs one&twenty ausgezeichnet, © Julia Huhnholz, Friedrich Gerlach

Das Jahr 2023 zeigt bereits: Es geht um den Dialog, der länderübergreifend zwischen den jungen Designer*innen, Herstellern und Kreativen zu stärken ist – auf Veranstaltungen, Messen oder an den Hochschulen selbst. Einzelne große Player wie Microsoft und Toyota loten schon längst eigene Wettbewerbe aus. Mit deren Hilfe machen sie Studierende auf sich aufmerksam und generieren und sammeln klug innovative Ideen . Sie zeigen, was nötig ist: Mut zu neuen Entwicklungen, Raum für kreative Experimente.


Julia Huhnholz und Friedrich Gerlach

The Essence of Biocement

Julia Huhnholz und Friedrich Gerlach wurden 2023 für ihr Projekt „The Essence of Biocement“ mit dem „Best of Best“ das NAchwuchs-Wettbewerbs one&twenty ausgezeichnet. Das von ihnen entwickelte Sitzmöbel besteht zu 100 Prozent aus selbstproduziertem Biozement. Im Zuge ihres Designstudiums an der Bauhaus-Universität Weimar suchten die Preisträger*innen nach klimaneutraleren Herstellungsverfahren für ihre Produktdesigns.

Biozement wird mithilfe von Bakterien hergestellt, die recycelte Ziegelsteine mit Calciumcarbonat verbinden. Die Produktion erfordert keinen Brennvorgang und emittiert kein CO2. Biofabrikation und 3D-Druck ermöglichen eine neue Formgebung des Materials. Im Projekt wurden die essenziellen Eigenschaften von Biozement untersucht und zur Herstellung eines Sitzmöbels verwendet. Der Stuhl besteht aus drei Profilen und wurde entwickelt, um Forschung durch Design zugänglicher zu machen.


Mehr auf ndion

Weitere Artikel zum Thema Nachwuchsdesign und Hochschule.



Diese Seite auf Social Media teilen: